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3 Das serielle Buch im 19. Jahrhundert
ОглавлениеMan hat von der „serial revolution“ im 19. Jahrhundert gesprochen und dabei nicht nur Periodika mit den verschiedensten Inhalten – ein Beispiel sind die jahrbuchähnlichen Zusammenstellungen wie Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völker- und Naturkunde (1853–1856) –, sondern auch Reihenveröffentlichungen in selbständigen Teilen bezeichnet (Law/Patten 2009: 144).
Wenn wir „Buch“ als Produkt eines technischen Herstellungsprozesses definieren, wobei dem Träger Papier die zu übermittelnden Sprach- und Bildzeichen appliziert werden, als Buchform die Codexform voraussetzen (Rautenberg 2015: 65) und zugleich die Unesco-Definition mit dem Mindestumfang von 49 Seiten außer Betracht lassen, so spannt sich im 19. Jahrhundert die Produktbreite inhaltlich vom Roman bis zum Ratgeber und zum wissenschaftlichen Buch, formal vom Hardcover bis zur Broschur und zum Heft sowie adressatenspezifisch von Büchern für Erwachsene bis zur Kinder- und Jugendliteratur. Jede einzelne dieser Buchgattungen (zum Begriff siehe Rautenberg 2015: 75) lassen sich Bereitstellungsqualität, Organisiertheit, Funktionalität und Institutionalisiertheit zuschreiben (Saxer 1999). Im Kontext einer Geschichte des Taschenbuchs interessieren dabei die Gattungen, die die folgenden Merkmale erfüllen.
Der Auftritt als Reihe ist das zentrale Kriterium. Den Reihencharakter machen ein übergeordneter Reihentitel – oft mit einer Reihennummer für den einzelnen Band –, das Format, eine weitgehend einheitliche Buchgestaltung, ein niedriger – sehr oft einheitlicher – Ladenpreis bei relativ hoher Auflage und die Periodizität aus. Eine niederschwellige Definition bietet Isabelle Olivero in ihrer Untersuchung zur „paperback revolution in France“ an: „A nineteenth and twentieth century ‚collection‘ is a collectable series of uniform volumes, which brought the same high quality of production of ‚high-end‘ or ‚well produced‘ books to the inexpensive and popular book.“ (Olivero 2011: 72)
Eine Reihenforschung existiert im deutschen Sprachraum so gut wie nicht. Einzig Bry 1917 und Unger 2015 befassen sich mit dem Thema im engeren Sinn. Zusammenfassend Bast 1988 und Rautenberg 2015: 333f. Sehr differenziert und materialreich vor allem für den englischen Sprachraum Spiers 2011, besonders die Einleitungen zu den beiden Bänden. Für den französischen Sprachraum Olivero 1999, zusammenfassend Olivero 2011. Sie sieht die Reihenentwicklung im 19. Jahrhundert als „un phénomène européen“ (Olivero 1999: 13).
Der Reihentitel versucht, die Grundidee der Reihe zu vermitteln, und bindet Einzeltitel verschiedener Urheber zusammen. Dem dient auch die Reihennummer, die zudem den Umfang und damit in der Regel auch die Bedeutung der Reihe signalisiert. Reihentitel reichen von relativ unspezifischen Benennungen wie Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek bis Formulierungen wie Neue JugendbibliothekJugendbibliothek, Neue, die die Zielgruppe eindeutig adressieren.
In den Reihen erscheinen sowohl selbständige und inhaltlich in sich abgeschlossene Publikationen als auch Lieferungen von Werkausgaben (zum Beispiel Walter Scotts Werke bei den Gebrüdern FranckhFranckh in Stuttgart ab 1827 in 150 Bändchen) oder Lieferungen von umfangreichen Werken wie die eines Kolportageromans. Inhaltlich (in ihrem Programm) sind Reihen keineswegs auf Fiction beschränkt, sondern umfassen auch nicht-fiktionale Stoffe. Die Spanne reicht von Enzyklopädien und Nachschlagewerken über Ratgeber und Erbauungsbücher bis zu wissenschaftlicher Literatur, sozusagen von ReclamReclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek über Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände von Carl Joseph Meyer bis zur Sammlung GöschenSammlung GöschenGöschen. Werner Faulstich hat die Entwicklung zur Reihe als Publikationsform pointiert charakterisiert: „Der Buchmarkt, soweit er sich zu einem Massenmarkt veränderte, wurde im Prinzip in einen Heftmarkt verwandelt und ging damit in einem allgemeinen Medienmarkt auf.“ (Faulstich 2004: 195) Diese pauschale Feststellung ist sicher zu differenzieren, aber bei der enormen Zahl an Reihen durchaus diskussionswürdig.
Die Reihe erscheint in der Regel in einem einheitlichen Format, das im Publikationsverlauf durchaus wechseln kann. Das Format reicht von der sehr kleinformatigen Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker August SchumannSchumanns (8 cm x 9 cm) bis zum Großformat bei Enzyklopädien (ca. 25 cm x 30 cm).
Der Reihencharakter wird auch durch die Buchgestaltung hervorgehoben. So erschienen die Bände von ReclamReclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek 50 Jahre lang im einheitlichen Reihendesign: rötlich-blasser Grundton des Einbands, floristische Elemente im linken Teil der Vorderseite und der Reihenname prominent am Kopf der Seite.
Der Ladenpreis der einzelnen Bücher bzw. Lieferungen war dank der technischen Fortschritte in der Buchproduktion und der relativ hohen Auflagen relativ niedrig. Zeitgenössisch schlug sich das in der Opposition von Kulturbuch vs. Massenbuch nieder (Steinen 1912, siehe auch Jeremias 1938). Massenhaftigkeit ist ein wichtiges Bestimmungsmerkmal des seriellen Buchs.
„Format“ meint im engeren Sinn Papier- oder Buchformat, im erweiterten Sinn ist die Reihe mit ihren Bestimmungselementen ein „Format“. Eine Reihe hat ein Format, sie ist aber zugleich auch ein Format. Michael Niehaus hat den Format-Begriff in seiner perspektivenreichen Abhandlung Was ist ein Format? (Niehaus 2018) entfaltet: „Etwas wird genau dann als ein Format bezeichnet, wenn es als durch von außen gesetzte Formatvorgaben definiert betrachtet werden kann.“ Das Format als formale Institution ist „gewissermaßen zeitlos“, liegt also bereit und kann reaktiviert werden, und stellt „für verschiedene ‚Contents‘ eine Option“ dar (Niehaus 2018: 91). „Denn von sich aus hat das Format keine narrative, sondern nur eine serielle Dimension.“ (82) Pointiert ausgedrückt: „Das Format ist die Botschaft.“ (135) In dieser Betrachtungsweise ist die einzelne Reihe ein „Genre“ (86).
Periodizität grenzt die Reihen des 19. Jahrhunderts gegenüber Formen aus dem Jahrhundert zuvor wie Almanach und „Taschenbuch“ ab. Zwar treffen etliche der oben genannten Merkmale auch für diese beiden Formen zu (Bunzel 1999), doch kann beim einmaligen Erscheinen pro Jahr von einer Periodizität, wie wir sie als Basismerkmal einer Zeitschrift – im 18. Jahrhundert etwa die Moralischen Wochenschriften (siehe Martens 1968 und FischerFischer/Haefs/Mix 1999) – kennen, nicht die Rede sein. Reihen des 19. Jahrhunderts umfassen von wenigen Werken in einer kurzen Lebenszeit der Reihe, etwa die Rheinische Reise-Bibliothek für Dampfschiff und EisenbahnReise-Bibliothek für Dampfschiff und Eisenbahn, Rheinische (2 Bände zwischen 1859 und 1861), bis zu Tausenden von Titeln über Jahrzehnte hinweg wie die Tauchnitz-EditionAlbatross Modern Continental Library, The, in der zwischen dem Start im Jahr 1841 und der Jahrhundertwende 3.400 Nummern verlegt wurden. Das Erscheinen erfolgt im Allgemeinen unregelmäßig, doch gibt es auch Fälle regelmäßigen Erscheinens wie Engelhorns allgemeine Roman-BibliothekEngelhorns allgemeine Roman-Bibliothek (vierzehntäglich) und Kürschners BücherschatzKürschners Bücherschatz (wöchentlich).
Nicht alle populären Lesestoffe des 19. Jahrhunderts (zu den Formen und Gattungen siehe Schenda 1970: 271–324 und Galle 2006b) sind in Reihen erschienen. Sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch vom seriellen Charakter und der Frequenz des Erscheinens her sind jedoch vier Gattungen typisch, die „Bibliotheken“ (oft auch unter den Bezeichnungen „Collectionen“ oder „Sammlungen“), die Volksbücher, der Kolportageroman und gegen Ende des Jahrhunderts die Serienhefte und der Heftroman.
Die Collectionen, Bibliotheken oder Sammlungen sind in ihrer Vielfalt kaum zu überblicken. In der derzeit umfangreichsten Materialsammlung nennt Heinz J. Galle rund 200 Reihen (2006b). Diese Klassikerbibliotheken, Familienbibliotheken, Volksbibliotheken, Jugendschriftenreihen etc. wurden von Verlagen auf den Markt gebracht, die teilweise heute kaum mehr bekannt sind. Sie erschienen gebunden, als Broschüre oder als Heft. Nicht immer trifft das Kriterium der massenhaften Verbreitung zu; oft fehlen auch dazu die Informationen.
Das Forschungsinteresse an diesen Bibliotheken ist recht übersichtlich, was nicht zuletzt mit der Materiallage zusammenhängt. Viele dieser Reihen waren für Bibliotheken nicht ‚sammlungswürdig‘. Daher ist es „einer kleinen Gruppe von Sammlern […] überhaupt zu verdanken, dass wir heute wenigstens noch in Umrissen die gesamte Bandbreite der Unterhaltungsliteratur aus der Vergangenheit erahnen können“ (Galle 2006b: 10). Schon seit den Zeiten der frühen Buchhandelshistoriker Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich werden immer wieder nur einige wenige Beispiele genannt; eine detaillierte wissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt weitgehend.
In jüngerer Zeit ist Christine Haug mit ihren Arbeiten zu den Reisebibliotheken, einer Sonderform der populären Lesestoffe, eine Ausnahme. „Mit der massenhaften Produktion von Reiselektüre, die Ende der sechziger Jahre einen ersten Höhepunkt erlebte, entwickelte sich eine Gebrauchsliteratur besonderer Art. Bei den ‚Eisenbahn- und Reisebibliotheken‘ handelte es sich um Serien in einheitlicher Ausstattung […]“ (Haug 2003: 595). „Die Reisebibliotheken beinhalten ein vielfältiges und qualitativ stark divergierendes Angebot an Unterhaltungsliteratur und populärwissenschaftlichen Schriften, zum Beispiel Kriminal- und Abenteuergeschichten, Reiseerzählungen, pikante Sensations- und Skandalberichte, aber auch völkerkundliche, geographische und historische Abhandlungen.“ (Haug 2000: A220) Inwiefern hierunter sich Taschenbuchreihen befinden, wie sie im folgenden Kapitel vorgestellt werden, kann angesichts der Begrenzung dieser Untersuchung nicht geklärt werden.
Die erste prototypische Bibliothek erschien bereits im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Christian Gottlieb SchmiederSchmieder in Karlsruhe veröffentlichte zwischen 1774 und 1793 die Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und DichterSammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter in 180 Nummern. Die Nachdrucke waren durch ein kaiserliches Privileg geschützt, was den Verleger aber nicht vor Anfeindungen, beispielsweise durch GöschenGöschen, bewahrte. Basis der Sammlung waren die damaligen Klassiker wie Gellert, Klopstock und Wieland, erweitert später um historische, politische und philosophische Prosa sowie um unterhaltende Literatur der Zeit.
Die meisten der Bibliotheken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentierten deutsche oder antike Klassiker. Am Anfang standen die Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker bei August SchumannSchumann (ab 1810), die Sammlung der vorzüglichsten deutschen ClassikerSammlung der vorzüglichsten deutschen Classiker aus dem Bureau der deutschen ClassikerBureau der deutschen Classiker im C. F. MüllerMüller Verlag (ab 1814) sowie die Kollektionen im Bibliographischen Institut von Carl Joseph Meyer (Miniatur-Bibliothek der Deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, ab 1824; Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker, ab 1827; Hand-Bibliothek der Deutschen ClassikerHand-Bibliothek der Deutschen Classiker, 1828; Groschen-Bibliothek der Deutschen Classiker für alle StändeGroschen-Bibliothek der Deutschen Classiker für alle Stände, ab 1850). Antike Klassiker verlegten originalsprachlich Karl TauchnitzTauchnitz (ab 1819) und Benedictus Gotthelf TeubnerTeubner (ab 1824), in deutschen Übersetzungen der MetzlerMetzler Verlag, herausgegeben von Gustav Schwab (ab 1827). Ausländische Autoren veröffentlichten in Übersetzungen die Gebrüder FranckhFranckh (Walter Scotts Werke, ab 1827; Das belletristische AuslandDas belletristische Ausland, ab 1843), in der Originalsprache TauchnitzTauchnitz in seiner Collection of British AuthorsCollection of British Authors (ab 1841).
Von ganz anderem Programmtypus war die von Ignaz Leopold KoberKober in Prag herausgegebene Reihe Album. Bibliothek deutscher Originalromane der beliebtesten SchriftstellerAlbum. Bibliothek deutscher Originalromane der beliebtesten Schriftsteller. Wie der Name sagt, wurden hier keine Klassikernachdrucke veröffentlicht, sondern Originalwerke zeitgenössischer Autoren. Zwischen 1846 und 1862 erschienen in Jahrgängen jeweils 24 Bände, insgesamt 241 Werke in 350 Bänden; die Reihe wurde 1871 eingestellt. 1861 erschien dort unter dem Pseudonym Jakob Corvinus Der heilige Born von Wilhelm Raabe.
Die zweite Jahrhunderthälfte war die Hochzeit der Eisenbahn- und Reisebibliotheken. Es erschienen in rascher Folge die Humoristische Reise- und EisenbahnbibliothekReise- und Eisenbahnbibliothek, Humoristische bei Albert Heinrich HoffmannHoffmann (ab 1853), die Conversations- und ReisebibliothekConversations- und Reisebibliothek (ab 1855) und Lorck’s EisenbahnbibliothekLorck’s Eisenbahnbibliothek (ab 1855) bei Carl Berend LorckLorck sowie die Reisebibliothek für Eisenbahn und DampfschiffeReisebibliothek für Eisenbahn und Dampfschiffe bei Friedrich Arnold BrockhausBrockhaus (ab 1856). Eine der erfolgreichsten Reihen war die Reiselectüre. Sorglose Stunden im Kreise beliebter ErzählerReiselectüre. Sorglose Stunden im Kreise beliebter Erzähler im Verlag Adolf KrönerKröner (ab 1874). In den 1880er und 1890er Jahren hatten Reisebibliotheken oft nur eine kurze Erscheinungsdauer (viele Beispiele bei Haug 1998: 84f.).
Im Klassikerjahr 1867 oder kurz danach starteten Bibliotheken, in denen zum Teil Tausende von Bänden im Lauf von Jahren und Jahrzehnten erschienen – allen voran Reclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek (ab 1867). Dazu gehören ferner die Nationalbibliothek sämtlicher deutscher ClassikerNationalbibliothek sämtlicher deutscher Classiker von Gustav HempelHempel (ebenfalls ab 1867), die Collection SpemannCollection Spemann aus dem Verlag Wilhelm SpemannSpemann (ab 1881), Engelhorns allgemeine Roman-BibliothekEngelhorns allgemeine Roman-Bibliothek aus dem Verlag Carl EngelhornEngelhorn (ab 1884), die Bibliothek der Gesamtlitteratur des In- und AuslandesBibliothek der Gesamtlitteratur des In- und Auslandes von Otto HendelHendel (ab 1886), Meyers VolksbücherMeyers Volksbücher aus dem Bibliographischen Institut unter Hermann Julius Meyer (ab 1886) und Kürschners BücherschatzKürschners Bücherschatz aus dem Verlag Herrmann HilgerHilger (ab 1897).
Einen informativen Überblick über mehr als 30 Collectionen, Sammlungen und Bibliotheken aus der Sicht eines Zeitgenossen bietet Moldenhauer 1884, der seine mehrteilige Aufsatzfolge mit der Universal-Bibliothek *Universal-Bibliothek von ReclamReclam beginnt.
Hinzu kamen Sammlungen – zunehmend gebunden –, die durch ihren Reihentitel „entweder an ein möglichst breites soziales Spektrum appellierten oder sich auf eine möglichst kleine Zielgruppe beschränkten“ wie die Familienbibliothek fürs deutsche VolkFamilienbibliothek fürs deutsche Volk, Für Palast und HüttePalast und Hütte, Für, Für den FeierabendFeierabend, Für den, Deutsche Volksbibliothek für Leseverereine und HausVolksbibliothek für Leseverereine und Haus, Deutsche oder Deutsche Handwerker-BibliothekHandwerker-Bibliothek, Deutsche (Wittmann 1982b: 131f.).
Auch die literarischen Verlage brachten gegen Ende des Jahrhunderts Reihen mit gemeinfreien Werken oder als Zweitverwertung von bereits veröffentlichten Werken heraus. CottaCotta startete bereits 1882 seine Bibliothek der WeltliteraturBibliothek der Weltliteratur. S. FischerFischer folgte mit der Nordischen BibliothekBibliothek, Nordische (ab 1889), der Collection FischerCollection Fischer (ab 1894) und mit Fischers Bibliothek zeitgenössischer RomaneFischers Bibliothek zeitgenössischer Romane (ab 1910). LangenLangen brachte seine Kleine Bibliothek ab 1897 auf den Markt, Langewiesche-BrandtLangewiesche-Brandt die Bücher der RoseBücher der Rose ab 1909, UllsteinUllstein die Ullstein-BücherUllstein-Bücher ab 1910 und Anton Kippenberg die Insel-BüchereiInsel-Bücherei ab 1912 (Estermann/Füssel 2003: 275–280). Alle diese preisgünstigen Reihen erschienen als kleinformatige Hardcover.
Zu diesen mit wenigen Ausnahmen (etwa den Reisebibliotheken) belletristischen Collectionen erschienen nach der Jahrhundertmitte Reihen mit nonfiktionalen Inhalten verschiedenster Art. Nach dem frühen Vorläufer Unsere Zeit, oder geschichtliche Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789–1830Zeit, oder geschichtliche Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789–1830, Unsere bei Emanuel SchweizerbartSchweizerbart (ab 1826) kamen Meyers Volksbibliothek für Länder- Völker- und NaturkundeMeyers Volksbibliothek für Länder- Völker- und Naturkunde aus dem Bibliographischen Institut (ab 1853) und die Bibliothek der Unterhaltung und des WissensBibliothek der Unterhaltung und des Wissens bei Hermann SchönleinSchönlein (ab 1876) auf den Markt, später im Jahrhundert die Sammlung GöschenSammlung GöschenGöschen in der Göschen’schen Verlagsbuchhandlung (ab 1889) und Aus Natur und GeistesweltNatur und Geisteswelt, Aus im TeubnerTeubner Verlag (ab 1898).
Im nächsten Kapitel wird zu betrachten sein, welche dieser Reihen aufgrund ihrer Strukturmerkmale als Taschenbuchreihen einzuordnen sind.
Neben den Collectionen, Bibliotheken oder Sammlungen sind für das 19. Jahrhundert die Volksbücher als Reihe typisch. Wie bereits gesagt, sind nicht alle populären Lesestoffe des 19. Jahrhunderts in Reihen erschienen. Es geht hier nicht im weiteren Sinn um „‚Volksbücher‘, ‚Bibliothèque BleueBibliothèque Bleue‘, ‚Volksbüchlein‘, ‚Heftchen‘, ‚Broschüren‘ – wie immer mvan diese Gattung nennen mag“, die „im 19. Jahrhundert in großen Teilen Europas den bedeutendsten nichtperiodischen Lesestoff der gesamten lesenden Bevölkerung“ darstellen (Schenda 1970: 305). Zwar trug die im 18. Jahrhundert in Frankreich entstandene Bibliothèque bleueBibliothèque bleue durch ihren blauen Umschlag Reihencharakter, doch diese Lesestoffe, die in England chapbook und in Italien libretto populare hießen, waren nicht nummeriert, erschienen nicht periodisch und hatte keine standardisierte Aufmachung.
Unter diesen populären Lesestoffen, die man besser „Volksbüchlein“ als „Volksbücher“ nennen sollte (Schenda 1968: 137), hatte nach den Romanen – vor allem Ritter- und Liebesromane – das religiöse Schrifttum mit Andachtsbüchern, Liederbüchern, Gebetsbüchern und erbaulichem Schrifttum den größten Anteil (Andries/Bollème 2003: 23). Hinzu kamen Märchen, Fabeln und Sagen, Sammlungen von Witzen und Anekdoten, Traumdeutungsbücher, aber auch praktische Ratgeber für Gesundheit und Haushalt oder für den Landmann. Es handelte sich „um eine massenhaft hergestellte Art von Lesestoffen, um Heftchen von 8 bis 128 Seiten, etwa 14 mal 9 cm groß, um Massenlektüren auf billigstem Papier zu billigstem Verkaufspreis“ (Schenda 1968a: 140). Eine erste Einführung gibt Mandrou 1975; eine rund 1.000seitige Beispielsammlung von Texten der Bibliothèque bleueBibliothèque bleue findet sich bei Andries/Bollème 2003. Schenda 1968b verzeichnet bibliografisch 1.000 französische Volksbüchlein aus dem 19. Jahrhundert. Vergleichbares für den deutschen Sprachraum gibt es nicht. Zu den chapbooks siehe Weiss 1969 und Schöwerling 1980.
In unserem Kontext geht es um die Volksbücher im engeren Sinn, wie sie in Reihen im 19. Jahrhundert auf den Markt gebracht wurden. Ein Schlüsselwerk dabei ist die die Schrift Die teutschen Volksbücher von Joseph Görres aus dem Jahr 1807. Wie der Untertitel des Buchs zeigt, ging es Görres nicht nur um die Tradierung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Epen: Nähere Würdigung der schönen Historien- Wetter- und Arzneybüchlein, welche theils innerer Werth, theils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat. Die beiden bedeutendsten Reihen, die in dieser Tradition entstanden, wurden von dem Philologen Karl Simrock (1802–1876) und dem Autor, Philosophen und Bankier Gotthard Oswald Marbach (1810–1890) herausgegeben.
Karl Simrocks Reihe Die deutschen VolksbücherVolksbücher, Die deutschen erschien zwischen 1838 und 1850 im Verlag Heinrich Ludwig BrönnerBrönner in Frankfurt und umfasste 57 Titel. Neben den ‚klassischen‘ Stoffen wie Die schöne Magelone, Reineke Fuchs, Genoveva und Dr. Johannes Faust erschienen auch Sammlungen von Sprichwörtern, Rätseln, Volksliedern und Weissagungen, aber auch Büttner-Handwerksgewohnheiten und Der Huf- und Waffenschmiede-Gesellen Handwerksgewohnheit. Die broschierten Bände hatten einen Umfang zwischen 50 und über 600 Seiten, sie waren mit Holzschnitten illustriert und hatten ein Format von circa 11 cm x 18 cm.
Am bekanntesten ist wohl die Sammlung Volksbücher von Gotthard Oswald Marbach, die ebenfalls 1838 im Verlag Otto WigandWigand in Leipzig zu erscheinen begann. In der Zusammenstellung gleicht sie weitgehend der Simrockschen Reihe, doch sind das keine Ausgaben, die auch Philologen ansprechen wollten, sondern vor allem auf das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums zielten (Rautenberg 1985: 223f.). Von den insgesamt 53 Bänden erschienen bis 1842 vierunddreißig unter der Herausgeberschaft Marbachs, danach bis 1848 weitere 19 Bände, zum Teil durch Oskar Ludwig Bernhard Wolff herausgegeben, einige auch ohne Nennung eines Herausgebers. Zum Erfolg der Reihe hat sicher beigetragen, dass 31 Titel mit Holzschnitten von Ludwig Richter illustriert waren. Die Bände erschienen in Heftform, also ohne festen Einband, und wurden auf billigstem Papier gedruckt. Die Umfänge schwankten zwischen 40 und 250 Seiten; das Format betrug 12,5 cm x 18 cm.
Für den ökonomischen Erfolg beider Reihen sprechen die Tatsachen, dass Simrocks Die deutschen VolksbücherVolksbücher, Die deutschen zwischen 1845 und 1867 in 13 Sammelbänden erneut herausgebracht wurden und dass Marbachs Volksbücher bis zur Jahrhundertwende immer wieder nachgedruckt wurden (Galle 2006b: 19).
Der Begriff „Volksbücher“ erscheint auch – oft in Kombination mit geografischen Bezeichnungen – in vielen anderen Reihennamen wie Münchener VolksbücherVolksbücher, Münchener, Rheinische VolksbücherVolksbücher, Rheinische, Rosenheimer VolksbücherVolksbücher, Rosenheimer, Wiener VolksbücherVolksbücher, Wiener, Wiesbadener VolksbücherVolksbücher, Wiesbadener etc. Wie das Beispiel Meyers VolksbücherMeyers Volksbücher zeigt, handelt es sich jedoch nicht immer um Volksbücher in dem hier behandelten Sinn. Meyers Volksbücher versammeln vielmehr neben wenigen nichtfiktionalen Titeln vor allem in- und ausländische Klassiker sowie Autoren der Zeit. Mit „Volksbibliotheken“ wiederum wurden vor allem gegen Ende des Jahrhunderts Reihen für Jugendliche bezeichnet (Galle 2006b: 110–133).
Die dritte Gattung, die im oben beschriebenen Sinn für unser Thema wichtig ist, sind die Kolportageromane, oft auch als Lieferungsromane, zeitgenössisch häufig als „Hintertreppenroman“ bezeichnet. Ein Kolportageroman war ein Roman von einigem Umfang, der in Lieferungen portioniert war und über den Kolportagebuchhandel an sein Publikum gelangte. Die Zahl der Lieferungen schwankte zwischen 15 und maximal 200 Heften von zunächst 16 bis 48 Seiten, seit den 1880er Jahren von in der Regel 24 Seiten (Kosch/Nagel 1993: 6) Die einzelnen Hefte wurden in der Anfangszeit im Oktav-Format, später im Klein-Oktav-Format gedruckt, also mit einer Rückenhöhe zwischen 25 cm und 18,5 cm. Die gefalteten Druckbögen waren häufig nicht aufgeschnitten. Zum Lieferungsumfang gehörte auch eine Illustration; diese war teilweise auch mehrfarbig. Die Titelseite war verständlicherweise immer identisch gestaltet, um den Seriencharakter zu unterstreichen. Der Preis pro Lieferung betrug meist zehn Pfennig. Der Verlag stellte häufig Einbanddecken zur Verfügung, sodass der Abonnent die Hefte aufbinden lassen konnte.
Die ersten Hefte wurden kostenlos an die Kolportagebuchhändler abgegeben, denn deren Kolporteure mussten Abonnenten für das jeweilige Lieferungswerk gewinnen, und diese Freistücke stellten einen Teil der Provision der Reisenden dar. Entsprechend hoch waren zunächst die Auflagen. Ein zeitgenössischer Bericht nennt bei einem dieser Werke 2,5 Millionen gedruckte Exemplare für die erste Lieferung, 215.000 für die zweite und 175.000 für die fünfte Lieferung. Ab Heft 6 musste der Abonnent die Lieferungen bezahlen. Nun sank die Zahl der gedruckten Exemplare von 75.000 Exemplare auf 13.000 Exemplare bei der 150. und letzten Lieferung (Kellen 1899: 87f.).
Im Unterschied zum Kolportagebuchhandel ist der deutsche Kolportageroman kaum erforscht. Ausnahmen sind Schenda 1970, 241–248 und 310–314 und vor allem Galle 2006b: 134–177. Die Bibliografie von Kosch/Nagel 1993 verzeichnet über 1.500 Kolportageromane für den Zeitraum von 1842 bis 1960. Siehe dort auch die Einleitung.
Nach Vorbildern in den USA und England begannen in Deutschland die ersten Kolportageromane um die Jahrhundertmitte zu erscheinen. Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen 1860 und der Jahrhundertwende. In diesem Zeitraum erschienen rund 1.100 Lieferungsromane (Kosch/Nagel 1993: 1). Zeitgenössisch werden als Beispiele immer wieder genannt Kornblume und Veilchen oder Unser Wilhelm und Unser Fritz. Patriotische Erzählung (1888–1890) von N. J. Anders – ein Pseudonym von Nathan Jacob – im Verlag Werner GroßeGroße, Berlin, und Der Scharfrichter von Berlin. Sensations-Roman nach Acten, Aufzeichnungen und Mitteilungen des Scharfrichters Julius Krautz (1889–1890) von Victor von Falk, – ein Pseudonym von Heinrich Sochaczewsky – im Verlag August WeichertWeichert, Berlin. Kornblume und Veilchen soll in 200 Lieferungen mit insgesamt über 4.800 Seiten erschienen sein; der Scharfrichter hatte einen Umfang von über 3.000 Seiten in 130 Heften zu je zehn Pfennig und fand eine Viertelmillion Käufer (Kellen 1899: 85).
All diese Romane sind heute in Vergessenheit geraten. Am ehesten sind noch die fünf Lieferungsromane im literarischen Bewusstsein geblieben, die Karl May zwischen 1882 und 1887 für den Dresdner Verlag H. G. MünchmeyerMünchmeyer geschrieben hat. Den ersten Roman, Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde mit dem schönen Untertitel Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft, veröffentlichte May unter dem Pseudonym Capitain Ramon Diaz de la Escosura, die weiteren ohne Verfasserangabe. Der Roman erschien in 109 Fortsetzungen von Dezember 1882 bis August 1884 und umfasste 2.612 Seiten.
Von der Form her eng verwandt mit den Lieferungsromanen sind die Serienhefte und der Heftroman. Beiden gemeinsam ist – in der Abgrenzung zum Lieferungsroman –, dass die Hefte zwar auf Fortsetzung angelegt sind, jedoch jeweils eine in sich abgeschlossene Handlung hatten. Im Unterschied zum Serienheft hatte der Heftroman darüber hinaus eine durchgehende Zentral- und Titelfigur. Beide Formen waren vom Umfang her streng normiert, wobei Ausnahmen eher bei den Serienheften möglich waren. Der Vertrieb erfolgte zunächst weitgehend über den Kolportagebuchhandel, doch parallel zu dessen Rückgang wurden Straßenverkäufer, Bahnhofskioske, der Schreibwarenhandel sowie Zigaretten- und Tabakläden immer wichtiger.
Zur Einführung siehe Galle 2006a und 2006b sowie Buck 2010; ein Verzeichnis der zwischen 1900 und 1945 erschienenen Heftromane bei Wanjek 1993.
Serienhefte wie Heftroman hatten ihren Vorläufer in der amerikanischen dime novel (Cox 2012). Als erster Titel der Reihe Beadle’s Dime NovelsBeadle’s Dime Novels erschien 1860 Malaeska. The Indian Wife of the White Hunter von Ann S. Stephens. Diese frühesten dime novels hatten bei einem Preis von zehn Cent (einem „dime“) einen Umfang von 96 Seiten in drei Bogen zu je 32 Seiten; sie waren fadengeheftet. Am Anfang betrug das Format 4 ½ inches x 6 ½ inches (11,4 cm x 16,5 cm); später erschien die Mehrzahl der Hefte im Format 7 inches x 10 inches (17,8 cm x 25,4 cm, also etwas größer als DIN A5). Die Broschuren waren mit einem orangefarbenen Papier derselben Stärke wie der Innenteil umhüllt. Die Vorderseite zierte ein simpler Holzstich, der die Hauptfigur in einer sprechenden Szene zeigte. Erzählt wurden zunächst wahre Geschichten aus der Pionierzeit Amerikas und fiktionale Heldenlegenden. Der in den ersten Jahren konkurrenzlose Verlag BeadleBeadle verkaufte bis 1865 mehr als vier Millionen Exemplare, von Malaeska im Lauf der Jahre wohl eine halbe Million (Schick 1958: 50–54 und Bonn 1982: 29f.). Ab 1874 wurden die wenig attraktiven Umschläge durch grelle, farbige Cover ersetzt. Den Höhepunkt der Verbreitung fanden die dime novels im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden sie von der Bühne der populären Lesestoffe.
Thematisch erschienen auf dem deutschen Markt neben den Wildwest-, Detektiv- und Abenteuerromanen später sogenannte Sittenromane und Hefte für Jungen und Mädchen (Backfischliteratur), im Ersten Weltkrieg dann viele Reihen mit Kriegsabenteuern. 1908 kam mit Der Luftpirat und sein lenkbares LuftschiffLuftpirat und sein lenkbares Luftschiff, Der die erste Science-Fiction-Serie in Deutschland auf den Markt. Sie brachte es in den wenigen Jahren ihres Erscheinens auf 165 Hefte (Galle 2006a: 92).
Serienhefte gehen im deutschen Sprachraum weiter zurück als die nach der Jahrhundertwende entstehenden Heftromane. Die Themen in den frühen Serienheften sind breit gestreut. Fiktionale Stoffe stehen neben nichtfiktionalen. Umfänge und Formate variieren. Gängige Bezeichnungen sind „Romanbibliothek“, „Bücherschatz“, „10-Pfennig-Bibliothek“ etc. Die Hefte erschienen überwiegend ohne Titelillustration. Das Äußere war nüchtern, einfarbig, wie bei den Wiesbadener VolksbücherVolksbücher, Wiesbadenern oder teilweise bei der Volksbibliothek des Lahrer Hinkenden BotenVolksbibliothek des Lahrer Hinkenden Boten.
Serienhefte für ein jugendliches Publikum liefen in der Regel unter den Begriffen „Jugendbibliothek“, „Volksbibliothek“ oder vergleichbaren Formulierungen und erschienen ab den 1870er Jahren. Die Hefte waren im Unterschied zu den genannten Bibliotheken strenger normiert; sie hatten in der Regel einen Umfang von 32 oder 64 Seiten, erschienen im Klein-Oktav- oder im Sedezformat und hatten ein farbiges Cover. Zu Beginn dominierten die Indianergeschichten; später kamen Abenteuer- und Seemannsgeschichten hinzu.
Nach dieser Betrachtung des seriellen Buchs im 19. Jahrhundert ist im nächsten Kapitel nach dem Taschenbuch in diesem langen Jahrhundert zu fragen.