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Ausweitung des Lesepublikums

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Die Ausweitung des Lesepublikums ist durch die Stichworte Bevölkerungswachstum, Alphabetisierung, Urbanisierung sowie Industrialisierung und die damit verbundene wachsende Freizeit der Menschen charakterisiert. Die Bevölkerung wuchs auf dem Gebiet des Deutschen Reichs zwischen 1848 und 1880 von 33 Millionen auf 45 Millionen, erhöhte sich also um rund ein Drittel, und wuchs bis 1900 um weitere elf Millionen auf 56 Millionen. Allein durch dieses explosionsartige Wachstum insbesondere seit Mitte der 1870er Jahre sowie die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung von 37 Jahren im Jahr der Reichsgründung auf 47 Jahre dreißig Jahre später stieg die Zahl der potentiellen Leser und Käufer deutlich, gleichgültig, von welchem Alphabetisierungsgrad man ausgeht. Im Allgemeinen dient als Unterscheidung zwischen Alphabeten und Analphabeten die Fähigkeit, den eigenen Namen schreiben und leidlich lesen zu können (Engelsing 1973: 96; insgesamt 96–100), was natürlich noch nicht bedeutet, dass die des Lesens Fähigen auch wirklich Lesestoffe konsumierten. Eine Zusammenschau der regional und national disparaten Daten spricht von einem Alphabetisierungsgrad von 75 Prozent im Jahr 1870 und von 90 Prozent um 1900 (Schenda 1970: 444). Zu bedenken ist auch das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land. Die Zahlen sind empirisch kaum fundiert und sind daher nur in Teilstudien zu verifizieren, aber auch nicht zu widerlegen (Wittmann 1999: 189f.). Durch Urbanisierung (mit zunehmender Bildungsintensität) und Industrialisierung (mit zunehmender Regulierung arbeitsfreier Zeiten) und Volksbildungsbestrebungen wie Arbeiterbibliotheken und Volksbüchereien entstehen Spielräume für kulturelle Aktivitäten, darunter auch Lesen. Jedoch lassen für die Unterschichten die „Existenzbedingungen und soziokulturellen Voraussetzungen […] vermuten, dass Lesen bis weit in die Gründerjahre hinein eine Ausnahme darstellte“ (Wittmann 1982b: 200). Insgesamt gilt, dass die Ablösung des ständischen Gesellschaftsmodells durch ein Stratifikationsmodell von ökonomisch fundierter Oberschicht, neuen Mittelschichten und diversen sozialen Unterschichten enge Relationen zwischen bestimmten Einzelmedien und bestimmten sozialen Gruppierungen nach sich zog (zur Stratifikation der Medien im 19. Jahrhundert siehe Faulstich 2004: 258). Von einer „Homogenisierung des literarischen Geschmacks, die kulturelle Assimilation aller Schichten“ (Wittmann 1999: 294) wird man nicht sprechen können.

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