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Geschichte 1
ОглавлениеDie Balken biegen sich doch nicht.
Erlebnisse in und um Kneipen in aller Welt
Kaschemme – Hort der Gemütlichkeit?
Der Ausdruck Kneipe ist eine Abkürzung des Begriffes ‚Kneipschenke‘, ein Hort des Ausschankes von geistigen und nicht-geistigen, sprich heute neudeutsch, von alkoholfreien Getränken. Hier treffen sich Menschen, um nach Feierabend ein Bier unter Kneipenbrüdern zu trinken, zu knobeln, Klatsch und Tratsch auszutauschen. Männer tratschen natürlich nicht, sie interessieren sich nur so ganz nebenbei für die Neuigkeiten in Dorf oder Stadt. So ein Kneipenbesuch war vor allem früher von besonderem Interesse, wenn sie nach harter Arbeit, z.B. aus dem Bergwerk gekommen oder den ganzen Tag hinter einem schwitzenden Gaul her gelaufen waren, um das Feld zu bestellen. So konnte der Durst gelöscht und die Wissbegierde befriedigt werden.
Ihre Frauen hatten ja schon eine Version des Klatsches morgens auf dem Markt erfahren. Natürlich tratschen und klatschen Männer genau wie alle Menschen, keine Frage, sie sind sogar oft neugieriger als die Frauen daheim. Soziologen würden es vielleicht vermutlich so formulieren: Kneipen sind ein gesellschaftliches Ventil im Auf und Ab der menschlichen Beziehungen, damit wir auch von anderen Menschen Meinungen und Reaktionen im zwischenmenschlichen Kontext als Feedback um die Ohren geschlagen bekommen. Das letzte war nicht mehr wissenschaftlich, sondern schon Kneipenjargon. Denn in Kneipen geht es oft deftig bis rustikal zu, man fackelt nicht lange, sondern sagt unverblümt seine Meinung. Es geht auch schon mal etwas zu Bruch, da können Wirte viele Strophen von Liedern singen und zwar im Massenchor der Wirtsleute und das weltweit. Die Kneipen haben eine lange Geschichte, denn der Mensch ist beim Trinken geistreicher, pardon, geistiger Getränke nicht gerne alleine. Es kommt einfach keine Stimmung auf, auch wenn es Kneipen gab und immer geben wird, in denen man mit dem Wirt alleine an der Theke sitzt. Der Wirt aber läuft immer wieder geschäftig in die Küche, weil er wohl mit dem einsamen Gast am Tresen nichts anfangen kann oder will. Dann kommt spätestens jetzt für den Gast der Augenblick, wo er trübsinnig in sein Glas starrt und sich fragt, warum er eigentlich nicht nach Hause gegangen ist, statt hier in das Getränk zu starren, als würde auf dem Grund des Glases ein fiktiver Gesprächspartner zu entdecken sein. Das nennt man einen Wechsel der Einsamkeit, zwischen dem leeren Zuhause und dem leeren Tresen in der Kneipe. Es kommt zwar auch vor, man kann es erleben, dass man an einem voll mit Gästen bestückten Tresen sitzt und mit keinem Gast ins Gespräch kommt. So etwas passiert aber nur im oberen Zipfel von Schleswig-Holstein an der dänischen Grenze. Nein, die Kneipe liegt noch in Deutschland, in Dänemark hätte man ja für die erlittene Sprachlosigkeit einen Grund - der dänischen Sprache war man nicht mächtig. Sozusagen sprachlos in der Masse! Dieses Phänomen sollten auch einmal die Soziologen untersuchen.
Die Kneipe als Hort der Geselligkeit in der Stadt hat aber auch besonders auf dem Lande mit dem großen Saal eine weitere Funktion. Hier trifft man sich nicht nur, sondern feiert alle möglichen Feste. Von der Weihnachtsfeier, der Geburtstagsfeier, der Verlobungsfeier und der Hochzeitsfeier bis zur Beerdigung, alles kommt in dem Saal vor. Die Taufen der Kinder werden ausgiebig begossen, die Konfirmation, die Silberhochzeit, die goldene Hochzeit und wenn man es schafft, die Gnadenhochzeit und das, was dann zwangsläufig im Rad der Weltgeschichte kommen muss. Die Beerdigung mit Leichenschmaus und dem feucht fröhlichen anschließenden Gelage rund um den lieben verblichenen Menschen mit folgendem alkoholbedingten lauten Lachen, ist für den Betreffenden die letzte Feier auf der schönen Erde. Es ist unter den genannten vielen Feiern die einzige, wo die Hauptperson sozusagen nur fiktiv mit am Tresen anwesend ist. Die Dorfkneipe mit Saal ist schon etwas besonderes. Meist ist der Saal im Winter zu kalt und erst nach dem innerlichen Einheizen beim Danz op de Deel werden die Köpfe rot und die vorher schon schlecht sitzende und viel zu enge Krawatte gelöst und der rot gescheuerte Hals von dem ungewohnten Hemdkragen erlöst. Wer das nicht erlebt hat, weiß nicht, wie unangenehm ein wund gescheuerter Hals sein kann. Der oberste Knopf am Hemdkragen leistet Höchstarbeit und es ist ein Wunder, dass bei offiziellen Essen, wo die Männer alle brav das Jackett anhaben müssen und der Hals in dieser Enge durchhalten muss, der zu dicke Hals nicht die Knöpfe wie Geschosse über den Tellerrand abfeuert, wenn gesprochen oder Luft geholt wird. Mit der Länge der Reden wächst proportional die Gefahr eines Knopfabschusses nicht aus der Hüfte, sondern vom Hals her und damit ist man eine latente Gefahr für sein Gegenüber. Die andere Gefahr spielt sich tatsächlich mehr in der Hüfte ab, gemeint ist der eingeengte Bauch. Hier spielen sich im Verborgenen wahre Dramen der Quetschung mit allen Folgen ab. Ein verschämtes Lockern des Gürtels bringt hier zwar eine erste Linderung, sozusagen Rettung des schon gepeinigten Magens aus aller höchster Not, der schon im Inneren mit den Schnäpsen und dem zu fetten Essen zu kämpfen hat. Ein quasi luftgepolsterter Darm kann schon arg lästig sein, wenn man keine ungestörte und unhörbare Abhilfe schaffen kann. Der Magen empfindet dies als böse Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines souverän arbeitenden Organs des Körpers.
Die Kneipe hat, wie dargelegt, eine lange Geschichte. Es wurde schon im 14. Jahrhundert die berüchtigte Polizeistunde eingeführt und die Bezeichnungen für die Kneipe sind vielfältig. Sie wurden und werden abwertend als Spelunke, Pinte, Kaschemme, Schnapsbude oder Trinkhalle für wahrlich arme Schlucker oder Biertempel bezeichnet. Etwas besser sind die Bezeichnungen: Krug, Wirtshaus, Taverne, Wirtschaft, Schank- oder Gastwirtschaft, Schenke, Eckkneipe oder Wohnzimmerkneipe. Immer wenn Meldungen im Fernsehen oder in der Zeitung aus der „Wirtschaft“ kommen, muss man als Kneipengänger zuerst unwillkürlich an seine Kneipe denken. Natürlich war und ist die Kneipe auch ein Hort des Sündenpfuhls, eine Schmiede von dunklen Plänen und vor allem eine Stätte, wo Alkohol genossen und zu viel über den sogenannten Durst getrunken wird, was der Gesundheit nicht dienlich ist. Aber hier kann oder darf man Alkohol konsumieren, ohne dass einer mit erhobenem Finger auf denjenigen Konsumenten zeigt. Jeder ist für sich letztlich selber verantwortlich und was können die Räumlichkeiten einer Kneipe dafür, wenn dunkle Gesellen etwas im Schilde führen? Zum Glück ist das nicht die Mehrheit, sondern die meisten wollen fröhlich sein und Spaß haben. Doch das Leben vor der Kneipentür holt einen schon wieder ein, wenn man die Tür des Hortes der schlechten und, früher als man noch rauchen durfte, mit Zigaretten geschwängerten Luft, hinter sich schließt, das Lachen und Gejohle nicht mehr hört und schließlich in seinem öden Zuhause alleine sitzt oder wenn die eigene schlecht gelaunte Ehefrau einem die Leviten nach dem Kneipengang, leider oft zu Recht, liest. In der heutigen Zeit sieht man zum Glück immer mehr Frauen in Lokalen und in Kneipen. Sie kommen lieber in einer Gruppe mit anderen Frauen, um sich ungestört unterhalten zu können Und das ist gut so. So fühlen sie sich sicherer. Männer, lasst sie sich dort in Ruhe unterhalten, sonst verscheucht ihr sie wieder.