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Geschichte 5
ОглавлениеAloha in Papeete
Von Baltrum sind es zirka achttausendzweihundertzweiunddreißig Nautische Meilen bis zur traumhaften und paradiesischen Insel ‚Über dem Winde‘ in Französisch Polynesien. In zirka einundzwanzig bis fünfundzwanzig Stunden, je nach den Winden, war man mit dem Flugzeug von Deutschland in Tahitis Hauptstadt Papeete. Dort, in der Nähe des internationalen Flugplatzes Faa, gab es an der Strandpromenade mit einem wundervollen Blick auf das Meer eine deutsche Kneipe und Restaurant mit Namen ‚Zum alten Küfer‘. Der alte Küfer war einmal vor über 80 Jahren ein Käsebauer aus der Schweiz gewesen, der oben in den Bergen als amtlich bestellter Käsemeister einen guten Ruf gehabt hatte. Er selber hatte sein Dorf in den Bergen nie verlassen, denn nach den Erzählungen der Gäste hatte er eine Gänsehaut bekommen, wenn er daran gedacht hatte, in dem hektischen Treiben der Pferdefuhrwerke einer Stadt umherzulaufen.
Die Eheleute von Ahrenzburg hatten vor Jahren in den Bergen der Schweiz eine Wanderung unternommen und waren durch den kleinen Bergort des Herrn Küfer gekommen. Sie hatten schon lange vorgehabt, auf Tahiti ein Lokal zu eröffnen und ihre Kneipe mit einem Restaurant zu Ehren des Schweizer Käsebauers nennen zu wollen. Sie hatten sich erkundigt, es hatte keine Hindernissen zu seiner Namensübernahme aus der Schweiz gegeben.
Es handelte sich bei dem Wirt ‚Zum alten Küfer‘ um den ehemaligen Kapitän Hubert von Ahrenzburg, allerdings war er Flugkapitän einer amerikanischen Airline gewesen und hatte die großen Cargoflugzeuge von Amerika nach Südamerika und Ozeanien geflogen, ein Frachtkutscher der Lüfte also. Und jetzt war er mit sechzig Jahren Pensionär mit einer sehr guten Rente. In Amerika hatte er seine Ehefrau, Marie Hernandez von Ahrenzburg, von einer konkurrierenden Airline kennengelernt. Sie war ebenfalls Pilotin und flog die Fernstrecke Amerika, Afrika und Europa. Nach Asien und Ozeanien hatte ihr Beruf sie leider nie geführt. Auch sie war in Rente und diese war sogar noch üppiger als die Rente ihres Mannes, womit sie ihn gelegentlich aufzog und neckte, bis er seine Nase krauste. Ob sie nun die krause Nase so mochte oder wenn er langsam brummelig wurde, das blieb ihr Geheimnis.
Hubert von Ahrenzburg stammte aus der Nähe von Hamburg aus der kleinen Stadt Ahrensburg. Ob aber sein Name Ahrenzburg mit ‚Z‘ etwas mit diesem Ort zu tun hatte, konnte auch ein Heimatforscher aus ihrem Bekanntenkreis nie vollständig klären. Die Fliegerei war natürlich auch heute noch ihrer beider Hobby und sie flogen gelegentlich Gäste mit einem gemieteten Flugzeug über Tahiti zu den unzähligen Inseln. Besonders hatte es ihnen Bora Bora angetan. Welch ein Klang hatte alleine der Name Bora Bora. Das war doch der Inbegriff von weißen Stränden, Palmen und einheimischer Musik. Das Wohnen war ihnen dort aber einfach zu teuer. Beide hatten nämlich noch ein weiteres, kostspieliges Hobby. Sie besaßen ein großes Boot. ‚Groß‘ war dabei stark untertrieben. Es war eine stattliche Motoryacht von vierzehn Metern Länge. Sie liebten das Tauchen, wozu die Bedingungen hier vor Tahiti einfach paradiesisch waren. Die Yacht war hochseetauglich und sie könnten theoretisch über die Osterinseln bis nach Chile schippern, was sie einmal für die Zukunft wirklich geplant hatten. Beide aßen sehr gerne Fisch und dafür gab es auf Tahiti eine große Anzahl von Köchen, die ihr Handwerk wirklich gut verstanden. In ihrer Kneipe mit Restaurant ‚Zum alten Küfer‘ gab es aber keinen Fisch. Dafür gab es eine andere Spezialität, den vor allem die Franzosen, die als Touristen hierher auf die französisch sprechende Insel kamen, sehr schätzten: den Käse. Dieser kam vor allen Dingen aus der Schweiz und die wöchentliche Cargomaschine brachte jedes Mal ausgesuchte Köstlichkeiten für die Wirtsleute mit.
Das große Wohnhaus der von Ahrenzburg in dem tahitianischen Stil lag auf dem Gelände des örtlichen, exklusiven Yachtclubs und die imposante Yacht der von Ahrenzburg lag angetäut direkt in einer Schiffsgarage mit Anlieger an dem Anwesen. Man konnte von der einen Seite mit dem Auto das Haus erreichen und im Carport parken und auf der Rückseite des Hauses zum Wasser mit der Yacht tideunabhängig in die fantastische See zu einer der hundertachtzig Inseln schippern. Einfach wunderbar, das türkisfarbene Meer mit seinen unzähligen Fischen. Man musste nicht unbedingt ein Taucher sein, um die Fische zu entdecken und zu fotografieren, es reichte auch eine Maske mit Schnorchel aus. Vom Wohnhaus bis zur Kneipe mit dem Restaurant waren es mit dem Auto, einem Geländefahrzeug, zirka fünfzehn Minuten Fahrtzeit.
Heute kam Hubert mit einer Ladung einheimischer Lebensmittel, darunter auch Käse, früher in seine Kneipe. Einige Touristen saßen schon im Schatten und warteten auf ihn. Diesen Käse holte er selber aus dem Hinterland aus einer hiesigen Käserei. Hubert schloss seine Kneipe auf und einige Stammgäste halfen ihm, die schweren Kisten und die Laibe Käse in sein Lokal zu tragen. Kurz nach dem Öffnen sperrte er zum Lüften alle Fenster auf und der Luftquirl an der Decke nahm langsam seine Runden auf. Eine typische Kneipenkulisse aus Polynesien, sogar die Perlenvorhänge waren vorhanden.
Hubert stellte die ersten gekühlten Getränke auf den Tresen, als zwei braungebrannte Männer grußlos die Kneipe betraten, was auch hier als eine eklatante Unhöflichkeit galt. Sie zogen sich in die hintere Ecke zurück und schnippten mit den Fingern in Richtung Hubert. Er war ja Kummer gewohnt. Gleichzeitig kamen seine zwei Kneipenhilfen und bereiteten den Käse auf einer Platte für die Gäste vor. Hubert kam an den Tisch und fragte auf französisch, was es sein sollte. Sie bestellten eine Flasche Rotwein und versuchten krampfhaft, eine Seekarte vor ihm zu verbergen. Da Hubert auch ein exzellenter Taucher war, spitzte er die Ohren, gab sich jedoch als Taucher nicht zu erkennen. Hubert holte die Flasche Rotwein, die hier aufgrund der Wärme auf das vorgeschriebene Maß in einem Kühlraum gelagert werden musste. Beim Servieren mit einem stoischen Gesicht schnappte Hubert Tauchkoordinaten auf und tat völlig unbeteiligt. Er hatte eine unbestimmte Ahnung, dass die Beiden etwas im Schilde führten. Die Koordinaten kannte er, es handelte sich um eine gesunkene, spanische Galeere aus dem 17. Jahrhundert. Dieses Wrack lag in einem Wassersondergebiet, das die Vereinten Nationen unter Schutz gestellt hatten. Dort durfte nicht getaucht werden. Hubert ließ sich nichts anmerken. Er ging zum Tresen zurück, wo die Stimmung prächtig war. Dort wurde gescherzt und gelacht und auch einige Deutsche waren dort, die auf ihren Fahrer warteten, der sie zu einer Tour im Jeep in die Lavaberge abholen sollte.
Hubert kannte diese Art der Tauchräuber, es waren nicht die ersten hier. Er griff zum Telefon in seinem Lagerraum und ein Anruf bei einem befreundeten General des französischen Militärs, den er aus dem Yachtclub her kannte und mit dem die von Ahrenzburg befreundet waren, würde die Lage klären. Die beiden tauchenden, braungebrannten Schönlinge im Muskelshirt lachten diebisch in der Ecke und freuten sich wohl schon auf die vielen Golddukaten, die sie aus der Galeere schleppen würden. Hubert fragte sich manchmal, ob die Tauchtouristen dachten, hier in Papeete würden nur Hinterwäldler wohnen! Es dauerte keine halbe Stunde, als vier Militärpolizisten der französischen Armee mit ihrem Fahrzeug vor der Kneipe hielten und ausstiegen. Sie kannten Hubert und begrüßten ihn herzlich und Hubert zeigte unauffällig auf den Tisch in der Ecke. Die Militärpolizisten gingen gemächlich an den Tisch und baten um die Ausweise der beiden Herren. Was diese nicht wussten, war, dass sie bereits von gutversteckten Unterwasserkameras am Wrack aufgenommen worden waren und anhand von eindeutigen Merkmalen an ihren Tauchanzügen leicht wieder erkannt werden konnten. Die beiden Gäste wurden von der Militärpolizei verhaftet und an den Tresen gebracht. Einer sah Hubert böse an: „Das wirst du bereuen!“ Der ranghöchste Militärpolizist lachte: „Wir haben genügend Beweise gegen Sie, dass Sie beide bereits Gegenstände aus der Galeere aus dem Schutzgebiet mitgenommen haben. Nach dem Überseerecht der französischen Republik sind Tauchräuber bei Galeeren dieses Alters nach gängiger Rechtsprechung mit mindestens dreißig Jahren Gefängnis zu bestrafen. Die werden Sie in Frankreich bis zum letzten Tag absitzen, wo es deutlich kühler als hier sein dürfte. Für das Bedrohen eines Einheimischen werden noch weitere fünf Jahre Gefängnis fällig. Hier gilt eine juristische Sonderzone zum Schutz der Bevölkerung und der Natur und nun zahlen Sie ihre Rechnung.“ Die beiden hätten sich selbst einmal sehen sollen, wie sie plötzlich blass und körperlich zusammengefallen aussahen. Als hätte man aus einem Luftballon die Luft abgelassen. In der Tat wird die Natur hier in Tahiti stark geschützt, denn ansonsten wäre das Paradies schnell zerstört und unsere Enkelkinder sollten ja hier auch noch ihren Urlaub unbeschwert verbringen dürfen.
Am Tresen des heutigen Spätnachmittags saßen noch zwei Deutsche, Detlef Liebermann, seines Zeichens Muschelsucher aus Passion, und der Insektenhobbyforscher Daniel Menger. Diese beiden waren absolute Gegensätze, nicht nur vom Hobby her, sondern vor allen Dingen von ihrer Mentalität. Sie versuchten sich gegenseitig, von ihrem Hobby zu überzeugen und in den hitzigen Debatten wurden schon einmal andere Gäste als Schiedsrichter bemüht.
In den letzten Wochen war Hubert nervöser und angespannter als sonst. Er war oft Tage nicht in seiner Kneipe, die Angestellten machten sich Sorgen, was denn los sei und ob er gar krank wäre. Seine Frau vertrat ihn immer des Öfteren und musste sich auch um die Bestellungen und Besorgungen der Kneipe kümmern. Sogar die Käselieferungen holte sie persönlich vom Flughafen Faa ab, etwas, was sich sonst Hubert nie nehmen ließ. Es war sein Steckenpferd. Auch die Thekengäste sorgten sich schon um Hubert und diese waren nicht gerade zart besaitet. Man sah ihn in Papeete immer öfter in Baugeschäften, bei Handwerkern und aus Europa kamen merkwürdige, längliche, sperrige Pakete an. Seine Yacht war auch immer mit einer riesigen Plane zugedeckt. Wenn er in der Kneipe wieder seinen Dienst versah, war eines klar: krank sah er nicht aus. Er pfiff zum Teil vergnügt vor sich hin. Dann aber war er wieder angestrengt, zeichnete und telefonierte Stunden in seinem Büro. Irgendwas war hier im Busch. Die bisherigen Kneipengäste, Freunde von Hubert, kamen auch immer seltener. Es waren zwei Brüder aus Australien, sehr reiche Leute, ein Amerikaner, auch sehr reich, ein hiesiger Politiker, man konnte sagen, ebenfalls sehr reich, und ein Maler aus dem Elsass, der sich hier niedergelassen hatte. Durch seine Bilder war er sehr bekannt und auch sehr reich geworden. Wenn man Hubert mit diesen reichen Leuten vergleichen würde, war er so arm wie eine Kirchenmaus, die nicht einmal ein Stück Käse zum Leben hätte, obwohl Hubert zusammen mit seiner Frau schon auf gute schwarze Zahlen jeden Monat auf dem Bankauszug blicken konnten. Also, in diesem Pool der Reichen wäre zuerst der amerikanische Ölmagnat Paul Wilston zu nennen. Er kam aus Texas und verfügte über eine Anzahl Ölfelder, wie andere Menschen Haare auf dem Kopf hatten, nun ja, wie die meisten Menschen. Dann kamen die zwei Australier, einmal Rupert Muller, seines Zeichens Industrieller aus Sydney und sein Bruder Charles Muller, ebenfalls aus Sydney, ein Finanzmagnat, anders konnte man deren Reichtum nicht beschreiben. Unter diesen Herren in dem exklusiven Wirtschaftsclub war neben Hubert noch eine Ausnahme zu vermelden, was allerdings für die Weltoffenheit der zugereisten Herren auf Tahiti sprach. Der französische Maler und Bildhauer aus dem Elsass, Henry Smid. Seine Bilder waren die reinsten Kompositionen von Farben, die die Stimmung hier auf den verschiedensten Inseln in Französisch Polynesien so wunderbar wiedergaben. Wenn man die Werke mit den wunderbaren zarten und dann wieder kräftigen Farben betrachtete, so hatte man das Gefühl, am Strand zu stehen und durch die Palmen auf das im Vordergrund leicht und kräftig werdende türkisfarbene Wasser zu schauen. Im Horizont wurde das Wasser tiefblau. Man hörte förmlich die fröhliche, unbeschwerte Musik der lachenden Einheimischen. Einfach phantastisch. Seine bildhauerische Kunst mit Steinen und Holz musste man gesehen haben. In diesem Bunde der unterschiedlichen Herren war auch Hubert von Ahrenzburg zu nennen und der einheimische Politiker, Mantanilu Evujela, der sich anschickte, der nächste demokratisch gewählte Vertreter in Französisch Polynesien zu werden. Nun aber hatten alle diese Herren neben ihren beruflichen oder schöpferischen Tätigkeiten seit geraumer Zeit hektische und wichtige Arbeiten entweder selber zu erledigen oder von Fachleuten erledigen zu lassen, je nach Geschick oder Zeit. Auch bei den Adressen dieser Herren kamen mal aus Australien, Amerika oder Europa heiß ersehnte Fracht in Form von großen Paketen und sogar kleinen Containern an. Die Australier ließen sogar Fachleute samt den Paketen einfliegen. In geheimnisvoll abgeschotteten Domizilen wurde bis in die Nacht gewerkelt und schwer gearbeitet. Alle Herren hatten bei diesen Arbeiten etwas gemeinsam, sie waren wortkarg, und alles wurde mit einer Plane für die Blicke anderer unsichtbar verschlossen.
Die von ihnen selber angesetzte Karenzfrist war nun endlich vorbei und sie trafen sich alle in der Kneipe bei Hubert und waren wie ausgewechselt im Vergleich zu den letzten Wochen. Es wurde wieder miteinander gescherzt und gelacht und sie wollten ihr Geheimnis vor der Welt endlich lüften. Dazu waren in der Kneipe sogar Journalisten der örtlichen Zeitung sowie ein Fernsehteam vor Ort.
Aber der Reihe nach. Im Frühjahr hatten sie alle bei Hubert in der Kneipe alleine zusammengesessen, die anderen Gäste waren schon lange gegangen und der beginnende Morgen hatte sich angekündigt. Die Luft war lau gewesen und aus einer Bierlaune heraus hatten sie eine Idee gehabt. Sie alle verfügten über große Motoryachten und sie alle waren begeisterte sogenannte Yachtis. Bei den Seglern waren sie nicht so gut angesehen. Die Segler rümpften die Nase, wenn ihre schweren Yachtmotoren zum Leben erweckt wurden. Was für die Yachtis reine Musik war, wenn so ein großvolumiger Motor angelassen wurde, war für die Segler reine Umweltbelästigung und sie sagten nur: „Wir schippern im Wind wenigstens umweltfreundlich und leise daher!“ Wenn sie aber auf ihren eigenen Motor im Segler angesprochen wurden, meinten sie: „Der dient nur als reines Hilfsgerät im Hafen und bei Flaute. Hier, mitten im Meer, haben wir aber immer Wind!“ Auch bei den Treffen in den gemeinsamen Clubs herrschte immer zwischen Seglern und Yachtis eine auf nette Art ausgetragene Rivalität. Nun wollten es die Yachtis den Seglern mit ihrem Flattertuch an Bord, das man als Segel bezeichnete, einmal zeigen. Die Idee aus einer Wein- und Bierlaune heraus war, einen Kurs in Französisch Polynesien abzustecken und diesen mit den Yachten, Kraftstoff sparend, in einer Mindestzeit abzufahren. Aus dem Grunde waren die Yachten jetzt vor allen Augen in Yachtgaragen oder unter Persennings und großen Planen versteckt, die nach den Arbeiten wieder darüber gelegt und fest verzurrt wurden. Sie hatten eine Frist für ihre Arbeiten festgelegt und zusammen den Kurs ausgearbeitet. Dann war die Zeit der Veröffentlichung bestimmt worden. Es war einiges an Umbauten an der Yacht erlaubt. Der Motor und die Yachtgröße durften allerdings nicht verändert werden. Abbauten an dem Schiff zur Gewichtsreduzierung waren ebenfalls nicht erlaubt. Jede Yacht war vorher durch Gutachter abgenommen und dokumentiert worden. Man durfte nicht-eingebaute Gegenstände entfernen, den Motor sparsam einstellen und zusätzliche Fahrhilfen, wie Segel einsetzen. Es durften aber keine weiteren Motoren oder Hilfsmotoren, mit welchem Antrieb auch immer, eingebaut werden. Man wollte damit zeigen, durch welche Einsatzmöglichkeiten es machbar wäre, eine herkömmliche große Motoryacht sparsam zu gestalten, ohne dabei an Komfort zu verlieren. Man könnte natürlich eine Crew an Bord nehmen, die zusätzlich paddelten, aber dann kam das Gewichtsproblem der Hilfskräfte zum Tragen und diese mussten auch ernährt werden, was ein weiteres zusätzliches Gewichtsproblem durch Nahrungsmittel hervorrufen würde. Ja, das leidige Gewichtsthema, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Yachten konnte das ein Thema sein. Bei dem Begriff Gewicht zogen die Yachtis ihre Stirn in Falten. „Ihr müsst euch und nicht die Schiffe verschlanken“, das sagte scherzhalber der Maler Smidt in einer Besprechung.
Hubert dachte bei langen Spaziergängen am Strand nach, was er mit seiner Yacht wohl alles anstellen könnte, um den Spritverbrauch zu senken. Alle waren bereits dabei, es wurde gehämmert, geschraubt und gebohrt, als Hubert immer noch nachdachte. Der Hintergrund dieser ganzen Fahraktion war nämlich, dass die reichen Leute im Bunde einen Preis ausgesetzt hatten. Es sollten auch noch Sponsoren gefunden werden, die natürlich auf diese Art und Weise für sich Werbung machen konnten. Das Preisgeld betrug sage und schreibe zwei Millionen Dollar, wovon eine Million für ein Kinderkrankenhaus in Papeete gespendet werden sollte. Hubert wurde schon von seinen Mitbewerbern gehänselt die meinten, ob seine Spaziergänge am Strand was bringen würden, er sollte doch lieber die Ärmel aufkrempeln und endlich anfangen zu sägen. „Von wegen“, dachte Hubert. „Erst nachdenken, dann handeln.“ Schließlich war er in der Fliegerei lange genug tätig und dort galt Sicherheit und Planung als oberster Grundsatz.
Sie hatten sich bis zum Beginn der Veranstaltung eine Frist von sechs Monaten gesetzt und keiner durfte vorher irgendeine Information preisgeben. Nur die Firmen sollten in dem jeweiligen Segment so viele Informationen, wie für ihre Arbeit nötig war, bekommen. Die Umsetzung und die Gestaltung der Yacht war jedem selber freigestellt. Man konnte die Yacht durch Firmen umbauen lassen oder selber an dem Boot werkeln oder sogar alles so lassen, wie es war. Jede Yacht bekam kurz vor dem Start ein elektronisches Gerät an dem Motor angebaut, der den Dieselverbrauch genau messen sollte. Dieser Dieselwächter wurde von Fachleuten eingebaut, verplombt und sollte nach dem Ende der Regatta abgelesen werden.
Am Strand brach Hubert plötzlich seinen Spaziergang ab und fuhr in sein Haus an den mit Schiffsunterlagen übersäten Schreibtisch zurück. Er wurde von einer kribbeligen Spannung gepackt. Da es in Europa tiefe Nacht war, brachte er seinen Wusch zu Papier und faxte es an eine große Werft nach Bremen, die ihn von anderen Aufträgen her kannte. Er hatte die Vorstellung, den Motor seiner Yacht auf Gas in einem großen Tank umbauen zu lassen. Den Dieselmotor würde er nur zum Anlassen des Gasmotors gebrauchen. Da der Gasverbrauch ja auch eine Antriebsquelle ist, die zwar umweltfreundlicher als Schiffsdiesel war, aber letztlich auch fossilen Ursprung hatte, wollte er neben dem Umbau ein Großsegel einbauen lassen. Er hatte auf Fotos in einem Schiffsmagazin diese Antriebsart für große Containerschiffe auf den Weltmeeren gesehen. Dort wurde computergesteuert ein großes Spinnaker Segel ausgefahren und hoch in den Wind zum Vortrieb des Schiffes gesteuert und so unterstützte das Segel den Motor. Da der Schiffsdiesel in der Yacht auch mit einem Generator den Strom für die Elektrik hergab, konnte man also den Motor nicht abstellen. „Was tun?“, dachte Hubert. Hier kamen ihm auf dem Schiff installierte Solarzellen in den Sinn, die die Batterien speisen sollten. Er kümmerte sich also um leistungsstarke Batterien. Aber eine Yachtfirma sagte ihm, das würde für die ganze Elektrik mit der Navigation nicht ausreichen. Hubert dachte wieder nach und wie ein Blitz traf ihn der Gedanke, der ihm bei einem weiteren Strandspaziergang, diesmal mit seiner Frau, kam. Er machte sich noch während des Laufens Notizen. Hubert erinnerte sich an sein Flugzeug. Wenn die Elektrik durch einen Defekt in einem Flugzeug ausfiel, wurde eine Art Staurohr unterhalb der Tragfläche ausgeklappt und ein Propeller trieb durch den Fahrtwind in diesem Rohr einen Generator an. Dadurch wurde der Hilfsstrom hergestellt. Nun, der Fahrtwind auf einer Yacht würde so unter normalen Umständen nicht ausreichend sein. Hubert dachte an das gleiche Prinzip des Staurohres, das bei Bedarf an der Bootswand in das Wasser ausgefahren wurde. Durch diese Technik würden die Batterien mit Strom versorgt werden können. Hubert wollte, während das Segel seine Yacht über das Wasser zog, den Motor der Yacht komplett abstellen können. Und so mit möglichst wenig Diesel- und Gasverbrauch das Rennen gewinnen.
Nun, jetzt waren alle Yachten fertig und lagen unter Verschluss im Yachthafen. Die Presse und das Fernsehen waren informiert, die alle von dem Rennen berichten wollten. Sogar aus Frankreich war ein Fernsehteam angereist. Es ging los und die Teams waren angespannt. Alle Teams hatten genaue Kartenunterlagen und das Navigationssystem sollte sie unterstützen. Der Kurs ging von Papeete auf Tahiti nach Maupti, Rurutu, Tubuali, Totegegie, Reao, Napuka, Manihi und nach Papeete zurück. Dabei wurden die Inseln nur als Eckpunkte genommen und nur im Notfall durfte eine Insel angelaufen werden. Pro Boot waren aus Sicherheitsgründen nur drei Besatzungsmitglieder vorgesehen. Einige nahmen das Gewichtsproblem ernst und fingen zu hungern an, was für Hubert und seine Frau aber nicht in Frage kam. Huberts Frau fuhr mit und ein weiterer exzellenter, einheimischer Segler komplettierte die Crew von Hubert.
Der nächste Morgen knisterte bei Hubert und seiner Frau vor Spannung. Sie waren schon sehr früh aufgestanden und hatten beide vor Aufregung keinen Hunger. Viel zu früh fuhren sie zum Yachthafen und durften den ‚Park Fermé‘ noch nicht betreten. Das örtliche Fernsehteam hatte schon die Kameras aufgebaut und die Mullerbrüder gaben, locker wie sie waren, schon ein Interview. „Hoffentlich kommen sie nicht zu uns, ich bin viel zu aufgeregt“, sagte Marie zu ihrem Mann und zupfte dabei an ihrem wasserfesten Hochseeoverall. Großer Jubel brandete auf, als das Tor geöffnet wurde. Nach und nach erschienen die Teams, begrüßten sich und wünschten sich grinsend viel Wind unter ihrer Yacht. Marie und Hubert überprüften ihr Schmuckstück, das übrigens ‚Spirit von Morelia‘ hieß. Morelia war Maries Heimatort in Mexiko. Der Bootsmotor wurde angelassen und die große Maschine brummte satt und zufrieden im Inneren der Yacht. Ein kleines Klacken war zu hören und damit sprang nach einer Aufwärmphase die Maschine schon auf den Gasbetrieb um. Am Strand war ein Menschengewusel und wie bei einem Jahrmarktfest herrschte dort schon reges Treiben. Musikfetzen drangen bis hier auf das Wasser. Die Yachten glitten alle langsam in die Startposition und die Mannschaften winkten sich gegenseitig zu und brüllten irgendetwas in den Wind. Ein heftiger Knall ertönte als Startschuss und es ging los. Kein Aufheulen und Losbrausen wie bei einem Autorennen. Es musste zwar eine festgesetzte Gesamtzeit eingehalten werden, sonst drohten Strafpunkte, aber der Hauptgrund war ja der sparsame Spritverbrauch bei dieser Route. Später, auf hoher See, zogen sich die großen Yachten langsam auseinander und man sah jetzt schon das eine oder andere kleine Segel am Bug des Wasserfahrzeuges. Es lag natürlich auf der Hand, dass alle auf irgendeine Art die sich anbietende Windkraft ausnutzen würden. Hubert suchte mit dem Fernglas den Horizont ab und beobachtete genau die anderen Boote. Der Kurs war wie bei einem Flugzeug per Autopilot eingestellt worden und per Satellitennavigation wurde der Kurs vom Bordcomputer gesteuert. Mit Marie war noch José von der Insel Bora Bora auf dem Boot, da die Crew ja aus drei Personen bestehen musste. José war der Sohn eines Fischers und hatte die Seefahrt bereits mit der Flasche verabreicht bekommen. Hubert fiel bei seinen Rundblicken mit dem Fernglas auf, dass keines der Boote seine Segeltechnik hatte. Jetzt waren sie mit der Yacht weit genug auf dem Wasser und hier wehte der Wind gleichmäßig in die gewünschte Richtung. Jetzt ging es los. Vorne auf der Yacht war eine große Kiste angebracht und die Mitstreiter hatten bereits heimlich gerätselt, was Hubert da wohl für die Regatta versteckt haben mochte. Das Geheimnis wurde jetzt per Computerbefehl gelüftet. Hubert löste den Deckel und ging in die Kajüte. Und nun passierte es. Aus der Kiste hob sich ein raffiniert gewickeltes Segelpaket und entblätterte sich langsam wie bei einem Kokon einer Raupe und gab das Segel frei, das sich an einem starken Seil haltend mit einem zweiten Stromkabel parallel an dem Halteseil in den Himmel reckte und sich wie ein schmaler und halbrunder Fallschirm wie bei einem Drachenflieger in rund fünfzig Meter Höhe imposant aufblähte. Der Computer steuerte die optimale Höhe und alles wurde mit dem Navigationsgerät ausgerichtet. Bei einem zu starken Wind wurde der Ziehdrache automatisch in eine bessere Position eingefahren oder von selber ganz zurückgeholt. Hubert klappte an der Backbordseite und an der Steuerbordseite der Yacht jeweils die leichten Zylinder in das Wasser, damit der Dampfer für die Bordelektrik Strom bekam. Und als alles funktionierte, stellte Hubert komplett die Yachtmaschine ab und alles war herrlich ruhig. Nur der Wind und das Plätschern an der Bordwand waren zu hören. Ein tolles Segelgefühl auf einer Hochseejacht. Die Fahrt verlief ohne Probleme und nur ab und zu kreiste ein kleines Flugzeug über sie hinweg, danach kamen noch zwei Hubschrauber und weitere Flugzeuge. Sie erkannten Fotografen an der offenen Tür des Hubschraubers und wunderten sich über das rege Interesse an ihrem Boot. Von den anderen Booten war nichts mehr zu sehen. Sie machten mit ihrem Drachensegel richtig Fahrt und näherten sich dem nächsten Wendepunk. Jetzt waren sie schon auf Heimatkurs und als nächster Punkt kam die Insel Reao an die Reihe. Hubert bekam einen Handyanruf, der aber kurz danach wieder abbrach. Er saß völlig entspannt in seinem Kommandostand und trank genüsslich seinen frisch aufgebrühten Kaffee. José war auf dem Deck, prüfte ständig alle Rollen, war oft am Bug des Schiffes und sah so oft zum Segel in die Höhe, dass Marie schon Angst um seinen Nackenwirbel hatte. Marie wechselte den Sitz mit Hubert und saß jetzt auf dem Kommandostand. Sie hatte nach den Regeln der Seefahrt den Kapitänsstatus, bildlich gesprochen, zuzusagen die weiße Mütze auf dem Kopf. Sie rief aus dem geöffneten Fenster José zu: „Wenn du so weiter nach oben starrst, bekommst du eine Halslähmung und musst bis ans Ende deiner Tage so nach oben sehend herum laufen.“ Hubert verschüttete fast vor Lachen seinen leckeren Kaffee und rief aus dem Fenster ergänzend an José: „Genau, wenn du nach oben schaust und eine Uhr zum selben Augenblick schlägt, so bleibst du für immer in dieser Nackenhaltung. Lege dich doch auf das Deck, so kannst du besser nach oben sehen.“ José lachte und winkte ab. Marie meinte: „Das mit der Uhr hat er wohl nicht verstanden, ihr habt in Deutschland schon merkwürdige Redensarten, die stammen bestimmt aus der Periode der Märchen und Sagen aus den dunklen Wäldern von euch Germanen.“ Marie lächelte ihn so süß an, dass er sie in den Arm nahm und ihr Haar zärtlich streichelte. Sie sagte zu ihm: „Komm, mein Kapitän, wir wollen die Regatta gewinnen, denn ich möchte von dem Kuchen ein großes Stück für uns abhaben.“ Marie konzentrierte sich auf den elektronischen Kurs, denn es stand ein Kurswechsel an. Hubert entgegnete liebevoll: „Du bekommst eine ganz große Torte von mir, wenn wir das Boot erfolgreich nach Papeete schaukeln.“ Plötzlich rief José vom Deck und der erste Blick der beiden galt dem Drachen am Bug, ob dort alles in Ordnung war. „Haie, dort sind Haie.“ José stand an der Reling und zeigte wild fuchtelnd nach Backbord. Tatsächlich, Hubert und Marie sahen sie. Es schwammen mehrere Haie in nächster Entfernung an ihnen vorbei, so dicht waren sie Haien noch nie gekommen. Aber hier an Bord waren sie aber alle sicher aufgehoben. Das Handy von Hubert meldete sich wieder und diesmal klappte der Empfang. Ein Thekengast aus der Kneipe war am Telefon und nach dem Lärm zu urteilen, saßen sie alle bei Hubert in der Kneipe und verfolgten aufgeregt das Rennen. Die Stimme des Kneipengastes überschlug sich förmlich: „Ihr seid vorne, juhu“, brüllte er und danach war die Verbindung wieder unterbrochen. Hubert schaute verblüfft seine Frau an und wiederholte die Worte. Der Rest der Fahrt zu den einzelnen Wendemarken verlief wie die ganze Reise ohne Probleme und kurz vor Papeete kamen ihnen unzählige Boote entgegen, wo die Leute so heftig winkten, dass ihre Boote wild im Wasser schaukelten. Das Drachensegel wurde eingeholt, der Motor wurde wieder gestartet und ganz sanft und vorsichtig wurde Gas gegeben. Sie kamen im Hafen an, wo eine große Menschenmenge versammelt war, die alle riefen, sangen und winkten. Es war ein tolles Gefühl, so im Rampenlicht zu stehen. Als sie ihre Yacht festgemacht hatten, kam ein Gutachter an Bord, nahm das Prüfgerät vom Motor und murmelte nach der Prüfung ein „Ganz beachtlich“ in seinen Bart. Sie mussten die anderen Yachten abwarten. Die Brüder Muller fielen beide mit ihren Yachten aus. Es waren in dem Rennen die teuersten Yachten. Rupert Muller hatte Rapsöl getankt und die Yacht roch wie eine Pommesbude und er wurde zum Gespött des ganzen Yachtclubs. Sein Bruder hatte sich etwas ganz Schlaues ausgedacht. Er hatte auf hoher See ohne Fachwissen die Dieselzufuhr verändert, wodurch der Motor mehrfach abgestorben war und schließlich nicht mehr gestartet werden konnte. Das Segel verhedderte sich am Bug, weil es zu niedrig gesetzt worden war und die Brüder waren sich an Deck ordentlich in die Haare geraten. Die Folge von Allem war ihr Abbruch der Regatta. Die anderen Yachten kamen an. Jedoch hatte keine Yacht den von Hubert genommenen Drachen installiert gehabt. Sie alle zollten Hubert mit seiner Crew und der Yacht ‚Spirit von Morelia‘, die mit Abstand die Regatta gewonnen hatte, mit ihrem Beifall höchstes Lob. Aus Europa kam ein Telegramm, womit die Herstellerfirma des Drachens ihnen ganz herzlich gratulierte. Hubert wurde ein Exklusivvertrag für den Vertrieb dieses Drachens auf Booten für ganz Ozeanien angeboten.
Nachdem sie sich erholt und ausgeschlafen hatten, wurde in der Kneipe mit allen der Sieg begossen, wobei Hubert und Marie überhaupt keinen Alkohol zu sich nahmen. Sie planten schon die nächsten Touren, denn es kündigten sich Vulkanforscher aus Amerika an, die mit Hubert und seiner Frau die Vulkane erforschen wollten. Hubert kannte sie von seinem Dienst als Pilot her. Einige Personen lernten sie über den Tauchsport kennen. Sie wollten auch mit seiner Gewinneryacht auf Tauchexkursion gehen und Hubert plante schon die Vertretung für seine Kneipe. Der Vertrag mit der Drachensegelfirma war auch unter Dach und Fach. Von dieser Firma kamen in der nächsten Zeit drei Führungskräfte, um die sich Hubert als Fremdenführer kümmern würde. Er freute sich schon auf sie.