Читать книгу Dr. Patchwork und die Insekten - Gordon Goh, Patrick Schuller - Страница 4
Kapitel 1: Der vitruvianische Dr. Steinberg
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In der Forschungsabteilung der interstellaren Eden-2 Kolonie forscht der exzentrische Dr. Adam Steinberg in seinem Labor nach den Geheimnissen der Plage. Bereits drei Jahre sind seit dem ersten Kontakt mit dieser außerirdischen Spezies vergangen, aber dennoch fehlen ihm die nötigen Proben zur Erforschung dieser, so bezeichnet Dr. Patchwork sie, wunderbaren Kreaturen, da bis jetzt kaum einer diesen Kontakt überlebt hat. Und wenn doch, dann nur, weil die militante Interstellar Force Hochleistungsplasma-Waffen eingesetzt hat. Aber was soll der arme Doktor mit verkohlten Überresten anfangen?
»Nutzlose Spasstis!« murmelt er vor sich hin, während er die schwarz verkohlten Chitin-Panzer analysiert, die die Interstellar Force ihm von ihrem letzten Außeneinsatz mitgebracht hat.
Abb. 2: Dr. Adam Steinberg alias Dr. Patchwork.
»Ihr hirnzelllosen Affen wollt mich drängen, meine Ergebnisse schnell auf den Tisch zu bringen? Dann riskiert verdammt nochmal eure nutzlosen Drecksleben! Mit dieser Scheißprobe kann ich nicht arbeiten.«
Aus der Richtung der Eingangstür vernimmt Dr. Steinberg eine bekannte, aber dennoch unwillkommene Stimme, die ihm antwortet »Wer soll hier sein Drecksleben riskieren, Steinberg?«.
Es ist Mr. Sinclair, der Leiter der Forschungsabteilung zur Entwicklung von Verteidigungsmitteln, Science of Defends, kurz SOD - jene Abteilung, für die Dr. Steinberg arbeitet.
Dr. Steinberg hebt die verkohlten Chitin-Panzer-Reste mit der Zange hoch und zeigt sie seinem Chef.
»Was soll ich mit dieser verschmorten Kampfdrohne machen? Wissen schaffen? Gewiss nicht! Ich brauche frisches Material und kein BBQ.« grummelt Dr. Steinberg seinem Chef entgegen.
»Ihre eigenbrötlerische Lebensweise schadet noch der Glaubwürdigkeit unseres Unternehmens Dr. Steinberg. Ich wette, auf der Erde würden Sie unter einer Brücke hausen und mit Mäusen reden.« zieht Sinclair ihn auf und fügt noch hinzu »Vielleicht würden Sie an der Probe mehr erkennen, wenn Sie mal hin und wieder das Licht anknipsen.«.
Steinberg rümpft die Nase und erwidert »Im Gegensatz zu euch Schlipsträgern, bevorzuge ich das Licht in meinem Kopf.«.
Steinberg gibt schließlich nach und kommt aus seiner dunklen Ecke vor dem Seziertisch, seinem Lieblingsplatz, hervor. Nun sieht Sinclair das seltene Gesicht seines zwielichtigen Mitarbeiters. Sie stehen sich gegenüber. Ein vom Schlafmangel geprägter Laborant im weißen Kittel steht einem Bürohengst im Anzug und lila grau gestreifter Krawatte gegenüber. Steinberg hat eine Augenschwäche auf dem linken Auge, weshalb er eine Schutzbrille trägt, die nur das linke Auge bedeckt. Dieses auf Eden-2 als Monoggle bekannte Design ist schon fast ein Markenzeichen Steinbergs. Seine rotblonden Haare stehen aufrecht und kurz. Schon ziemlich gepflegt. Gepflegter als sein Sechstagebart. Auf seinem Laborkittel hängt auf der linken Brusttasche ein Namensschild mit einer Stecknadel, auf dem das Wappen seiner Arbeitsabteilung steht. Jeder, der für SOD oder einem anderen Großunternehmen Edens arbeitet, trägt so eine Stecknadel mit dem entsprechenden Wappen. Steinberg arbeitet für die SOD in der Plageforschungsabteilung. Deswegen ist neben den schwarzen Initialen „SOD“ eine goldene Küchenschabe als Wappen abgebildet. Manche nennen diese Stecknadeln auch scherzhaft Familienwappen. Sinclairs Familienwappen ist ein goldenes SOD, was bedeutet, dass er zur Führungsabteilung gehört.
»Du solltest dich frisch machen, Steinberg!« kommentiert Sinclair »Wir haben in weniger als zehn Minuten eine Sitzung. Die anderen Forschungsabteilungen präsentieren ihre Ergebnisse. Ich hoffe, du bringst auch welche mit. Wäre zu deinem Besten.«.
Steinberg rümpft die Nase und sagt »Bei den Scheißproben, die mir die Interstellar Force gebracht hat, war es nicht leicht, aber weil ich ein unschlagbarer Meister auf meinem Gebiet bin, mache ich eure Inkompetenz durch meine Kompetenz wett.«.
»Sollte das ein „ja“ sein?« fragt Sinclair.
»Das soll heißen, dass ihr ohne mich aufgeschmissen wärt. Und jetzt: raus aus meinem Königreich, Sie Insekt!«
Sinclair kehrt ihm den Rücken zu und erwidert mit erhobenem Finger »Zehn Minuten, Steinberg!«.
Steinberg erhebt zum Abschied ebenfalls einen Finger, aber nicht denselben.
Sinclair verlässt Steinbergs Labor mit wütenden Schritten und rennt dabei fasst Ivy um, die gerade das Labor betreten will und erschrocken vor Sinclairs griesgrämiger Fratze stehen bleibt. Auch Sinclair erschreckt kurz, aber nicht nur weil Ivy ihn überrascht hat, sondern auch weil er sich niemals daran gewöhnt, dass Ivy kein Mensch, sondern eine Ratte ist. Sie ist eine genetische Meisterleistung von Steinbergs Vater, einem genialen Genetiker, dem es gelungen ist, Ratten mit menschlicher DNA zu züchten. Ivy ist eine 1,8 m große Rattendame, die aufrecht auf zwei Beinen steht und ihr weißes Rattenfell und ihre prallen Brüste aus Scham unter einer Hose und einem Hemd versteckt. Darüber trägt sie einen Laborkittel mit derselben Anstecknadel, wie Steinberg sie trägt, da sie nicht nur in der selben Abteilung arbeitet, sondern Adam Steinbergs einzige Laborassistentin ist. Ihre schwarzen Pupillen und die rote Iris drumherum verfolgen die ungeduldigen Schritte von Sinclair, der soeben das Labor verlässt. Sie lassen ihn nicht aus den Augen, während sie weiter in Adams Labor hineingeht und fragt »Hast du ihn wieder provoziert«.
»Wen kümmert´s? Er ist ein Idiot, wie all die anderen in dieser bekloppten Kolonie.« antwortet Steinberg.
»Mich kümmert es, wenn du Ärger bekommst.«
»Mach dir keine Sorgen, Ivy! Mit dem komme ich klar.« sagt Adam, während er seine verkohlte Probe entnervt auf die Präparierschale schmeißt. »Ivy, nimm die „Protokolle“ und geh schon mal in den Sitzungsraum! Wir haben gleich eine Sitzung. Ich werde mich etwas verspäten, also will ich, dass du Sinclair etwas ausrichtest.«.
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Abb. 3: Ivy (Rattus sapiens), Laborassistentin von Dr. Adam Steinberg.
Drei Minuten nachdem Adam seiner Rattenassistentin erklärt hat, was sie zu tun hat, ist sie bereits eilig auf dem Weg zum Sitzungsraum der SOD, der sich im selben Gebäudekomplex befindet, wie die Labore und der Rest der Forschungsabteilung. Sie rennt durch die Korridore und lässt dabei ein paar Seiten der Protokolle aus Versehen aus ihren Händen fliegen, fängt diese jedoch sofort mit ihrem 1,25 m langen Rattenschwanz wieder auf. Sie rennt an den anderen Angestellten vorbei, die ihr ausweichen müssen. Immer wieder entschuldigt sie sich beim Personal, den SOD-Beamten, den Sekretären und dem Reinigungsdienst, für ihre hastigen Sprints durch die Gänge und erwischt noch geradeso den nächsten Aufzug. Sie hat es eilig, weil Steinberg seine Gelder an seine Konkurrenten verlieren würde, falls nicht irgendein Fürsprecher rechtzeitig für ihn einspringt. Ivy hasst diese Eile und sie muss tief hecheln, weil sie nicht so viele Schweißdrüsen hat, wie ein Mensch. Im Lift neben ihr steht einer von Adams Konkurrenten. Es ist Jeremy Needle, der Projektleiter, der Floraabteilung. Seine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit der Entwicklung genetisch angepasster Pflanzen. Es ist seine Aufgabe, die Pflanzen, die sie mit nach Hause nehmen konnten, so zu modifizieren, dass sie nicht wieder die Oberhand übernehmen können, so wie es auf der Erde der Fall war. Dazu dienen Ihnen Pflanzen, die von Ilmatars Macht unberührt blieben und von den Kolonisten einfach kultiviert werden konnten und zum anderen isolierte Exemplare von mutierten Pflanzen, die aggressiv auf Menschen reagieren. Manche hielten es für einen Fehler, diese „Proben“ mitzunehmen und aufzubewahren, weil sie die Kulturpflanzen mit Ilmatars Macht anstecken könnten. Doch die Forschungsabteilung und auch SOD erhoffen sich durch die Erforschung der Flora eine wirksame Methode, die Flora eines Tages auf genetischer Basis kontrollieren zu können und so Ilmatars Macht entgegenzuwirken, sollten die Kolonisten ihr jemals wieder begegnen.
»Na, Steinberg schickt Sie wohl wieder vor!?« kommentiert Dr. Needle.
Ivy schaut mit schüchternem Blick in seine Richtung in sein sarkastisches Lächeln und der dunkelbraunen Igelfrisur. Seine Anstecknadel trägt neben den SOD-Initialen zusätzlich eine Tulpe aus Weißgold. Er ist schlank und 1,9 m groß. Er trägt immer dieses scheinheilige Lächeln auf, aber Ivy merkt nicht, dass es scheinheilig ist. Sie findet ihn dadurch sogar irgendwie sympathisch. Sie traut sich nur nie, das zuzugeben, weil sie Adam auch nicht in den Rücken fallen will. Immerhin sind Adam und Ivy wie Geschwister aufgewachsen. Ivy betrachtet Jemery Needle als sympathischen Konkurrenten. Leider hat Adam durch seine arrogante Haltung nicht besonders viele Freunde, wodurch auch Ivy nicht viele Freunde hat. Aber würde sie sich mit den Leuten anfreunden, mit denen Adam nicht klarkommt, müsste sie sich von Adam immer weiter distanzieren. Und wen hätte Adam dann noch, außer seiner Schwester, die bei der Interstellar Force als Major dient oder seinen Vater, mit dem er sich viel zu oft in die Haare kriegt. Und seine Mutter ist tot. Sie wurde vor Jahren bei einer Straßenschlägerei von religiösen Fanatikern getötet. Es gibt religiöse Fraktionen, die nicht wollen, dass sich unterschiedliche ethnische Gruppen miteinander vermischen. Adam ist nämlich ein Halbjude. Seit die Kolonisten das ringförmige Nemesisobjekt passiert und ihren neuen Heimatplanet Eden-2 betreten haben, reden viele der Kolonisten von einer göttlichen Fügung des Schicksals und fingen wieder an, sehr religiös zu denken. Sie konvertierten ins Christentum, ins Judentum, der Scientology oder traten der neugegründeten Präastronautiksekte bei. Einer der Gründe, weshalb Adam Steinberg seine Mitmenschen verachtet. Zum einen, weil deswegen seine Mutter sterben musste und zum anderen, weil er der Meinung ist, dass die Kolonisten unfähig sind, klare Zusammenhänge zu erkennen und nicht das Recht haben, sich Wissenschaftler zu nennen. Er empfindet Menschen als äußerst irrational, gedankenlos, dumm und unwürdig. Adam Steinberg ist ein Misanthrop. Wahrscheinlich versteht er sich deswegen so gut mit Ivy. Sie ist nicht menschlich. Aber man muss auch berücksichtigen, dass er sonst kaum jemanden hat. Er wäscht sich sogar die Hände, nachdem er jedes Mal mit einer anderen Person in Kontakt gerät, aber nicht bei Ivy.
»Vielleicht sollten Sie sich einer besseren Forschungsabteilung anschließen.« sagt Dr. Needle kurz, bevor er zutraulich seine rechte Hand auf ihre linke Schulter legt. Ivy versteht, dass dahinter eine Taktik steckt, die es Dr. Needle ermöglichen könnte, Adams einzige Assistentin abspenstig zu machen. Ivy ist eine Ratte und gegenüber körperlichen Berührungen sehr beeinflussbar. Dr. Needle weiß das und verwandelt die simple Schulterberührung in eine sanfte Massage. Dann geht die Fahrstuhltür auf und Ivy verlässt irritiert, aber souverän den Lift, während Needle ihr hinterher geht. Sie hat es zwar geschafft Dr. Needles kleiner hinterhältigen Strategie aus dem Weg zu gehen, aber sie ist ihn nicht los, denn er muss in die gleiche Sitzung wie sie. Und es wird noch schlimmer, denn im Sitzungsraum warten noch zig weitere Konkurrenten Steinbergs. Einer unsympathischer als der Andere. Oft motzen sie sich gegenseitig an, aber vor allem sind sie gegenüber Adam sehr angriffslustig. Und heute muss sie ohne Adam in den Sitzungsraum. Mal wieder! Man möchte meinen, dass Ivy inzwischen daran gewöhnt sein sollte, doch sie gewöhnt sich nie an die stechenden Blicke, die unangenehmen Fragen und Vorwürfe, die Verachtung und den hinterhältigen Absichten, jemandem ein Bein zu stellen. Insofern kann sie Adam gut verstehen. Menschen können ekelhaft sein, wenn man sie in einen Raum pfercht und aufeinanderhetzt wie abgerichtete Hunde, die sich gegenseitig tot beißen sollen. Genau so will SOD seine Angestellten haben: Konkurrenzfähig und abgehärtet. Ivy ist beides nicht. Alles was sie hat, ist Adam, aber der ist nicht da. Warum ist er nicht da, verdammt? Adam ist ein fähiger und zuverlässiger Wissenschaftler. Aber als Mensch? Als Freund? Ivy könnte all diese Unsympathien ein für alle Mal beenden. Dafür müsste sie nur auf eines von Needles unzähligen Angeboten oder die der anderen Konkurrenten Steinbergs eingehen. Sie müsste ihm nur in den Rücken fallen. Ein Wort würde ausreichen. „Einverstanden!“. Aber das kann Ivy nicht. Dafür ist sie nicht hinterfotzig genug. Und nun betritt sie leider den Raum, in dem sie diese Entscheidung vielleicht bereuen könnte: den Sitzungsraum. Sie hebt die Hand und will die Tür mit ihrer ID-Karte öffnen. Doch Mr. Needle kam ihr schon zuvor und macht die Tür mit seiner ID-Karte auf, nur um sich wie ein scheinheiliger Gentleman aufzuführen und mit einer sympathischen Geste ihr den Vortritt zu lassen.
»Ma`am!« sagt er zu ihr und lässt sie vorgehen.
Eine scheinheilige Höflichkeit verdient ein scheinheiliges Dankeschön.
»Danke!« erwidert Ivy dementsprechend und betritt den Sitzungsraum.
3
Im Sitzungsraum haben schon die anderen Konkurrenten an einem ovalen Glastisch Platz genommen einschließlich einiger Soldaten der Interstellar Force, einschließlich Adam Steinbergs älterer Schwester Maria. Sie sitzen jedoch nicht am Tisch, sondern stehen diszipliniert und diskret daneben. Die Interstellar Force macht es sich nicht bequem, denn sie haben noch einen Außeneinsatz vor sich. Das wissen sie. Und es kann blöd enden für einen Soldaten, der es sich schon vor seinem Einsatz bequem macht. Maria und die anderen drei Führungsoffiziere tragen schwarze Anzüge aus Vantablack, einer Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Folie und einigen anderen Materialien, die die Folie vor Verunreinigung und Leitfähigkeit schützen. Aber das geht zu sehr ins Detail. Die Anzüge gucken nur als schwarze Ärmel aus dem Rest der Uniform heraus. Sie tragen eine dunkelgraue Schutzweste mit waagerechten Rillen darüber. Ihre Waffen haben sie immer griffbereit in ihren Gürteltaschen. Am Tisch sitzen unter anderem Victoria Belgrad und Nikolai Wolga. Zwei russische Ingenieure, die für das SOD in der Waffen-Forschungsabteilung arbeiten. Ihre Stecknadel trägt neben den schwarzen SOD-Initialen ein rotes Fadenkreuz. Sie haben momentan ein sehr vielversprechendes Projekt am Laufen, das ihnen sicherlich einen großen Prozentsatz der Forschungsgelder einbringt, wenn ihre Präsentation die Führungsabteilung überzeugt. Victoria trägt lange kastanienbraune gebundene Haare und eine Brille mit spitzen schmalen Gläsern, die an eine verklemmte Sekretärin erinnern. Einen Laborkittel trägt sie immer, anders als der zwei Meter große Nikolai mit seiner blonden Igelfrisur und der vorstehenden Stirn. Sie sind im Gegensatz zu vielen anderen Kolonisten nicht religiös, sondern konservative Homo faber. Das heißt, sie legen mehr Wert auf Fortschritt und Zweckmäßigkeit und entwickeln ihre eigene mechanische und elektronische Philosophie. Eine weitere Person am Tisch ist Kalle Erlmeyer. Er ist der einzige Deutsche in der Forschungsabteilung. Er arbeitet für die Forschungsabteilung zur Analyse und Datensammlung der auf Eden-2 einheimischen Organismen, sowie den geologischen und astronomischen Zuständen. Auf seiner Anstecknadel ist ein schwarzes SOD nebst Orbitalringen des Eden-2-Sonnensystems abgebildet. Der pummelige Kalle mit seiner Halbglatze und den roten Wangen ist für die Datensammlung zuständig und soll Zusammenhänge zwischen den Gefahren der Kolonie suchen. Er steht außerdem in Kontakt mit den Mondstationen und soll überprüfen, ob fremde Himmelskörper, wie Asteroiden oder eventuell sogar unbekannte Flugobjekte sich Eden-2 nähern und das SOD schnellstmöglich darüber informieren. Er leitet außerdem die medizinische Abteilung. Er ist übrigens Präastronautiker. Mihamoto Sakurada ist der Firmenpräsident von BrainConnection. Dieser Konzern betreibt bereits vor dem Aufbruch des Exodus-Projektes auf der Erde und jetzt auf Eden-2 kommerzielle Hirnforschung und ist Erfinder und Administrativer des sogenannten NeuroNet. Das NeuroNet ist eine Technologie, die es Menschen ermöglicht, sich kognitiv zu verbinden und Gedanken auf eben dieser Ebene auszutauschen. Mit anderen Worten, das Internet findet auf Eden-2 im Gehirn statt. Der Konzern ist von der SOD unabhängig, aber fördert die Wirtschaft der Kolonie und sponsert SOD. Als Gegenleistung für Sicherheit und diversen Privilegien statten sie SOD und ebenso die Interstellar Force mit neuen Technologien aus, auch solche, die der Allgemeinheit verborgen bleibt. Der Konzern handelt manchmal korrupt und gewissenlos auf Kosten der Unterschicht, doch die Regierung der Kolonie sieht einfach weg. Jeder Angestellte von BrainConnection trägt als Anstecknadel ein weißes Neuronen-Symbol auf schwarzem Grund. Unter dem Symbol steht in weißen Buchstaben die Initialen BC. Am Tisch sitzt eine noch viel zwielichtigere Person namens Esa Spencer. Dieser Mann ist ein sogenannter Cyberkinetiker. Das sind Menschen, die in der Lage sind, Software mit ihren Gedanken zu steuern. Diese Anomalie hat sich seit der Ankunft der Kolonisten auf Eden-2 entwickelt. Wie viele andere Cyberkinetiker ist auch Esa der Scientology beigetreten, nachdem er seine Fähigkeit bemerkt hat. Er ist ein narzisstischer Kontrollfreak und kann schlecht mit Kritik oder Beschämungen umgehen. Wie viele andere Scientologen auf Eden-2 trägt er einen blauen Trenchcoat mit goldenen und silbernen Flicken als Verzierung. Er gehört zur Forschungsabteilung, die für das elektronische Verteidigungssystem und der Kolonie zuständig ist und trägt als Anstecknadel einen goldenen Computerchip nebst den schwarzen SOD-Initialen. Er ist auch dafür zuständig, gesellschaftliche Freidenker aufzuspüren und gegen aufständische Gruppierungen vorzugehen. Am liebsten tut er das über das NeuroNet. Seine Forschungsabteilung arbeitet eng mit der von Victoria und mit BrainConnection zusammen. Er ist etwas blass im Gesicht und trägt kurze schwarze Haare mit einigen Haarsträhnen, die an seiner Stirn einzeln herunterhängen. Die nächste erwähnenswerte Person am Tisch ist Charlotte Hubble. Sie ist christlichen Glaubens und soll die Energieversorgung der Stadt, den Zustand der Stadtkuppel und Transportwege zu den Außenposten unter Beobachtung halten. Sie trägt fuchsrotes langes Haar und macht einen tollpatschigen, manchmal sogar sehr naiven Eindruck. Ihre Anstecknadel ist ein schwarzes SOD nebst einem goldenen Halbkreis, der die Stadtkuppel darstellen soll. Dann wäre da noch Adam und Marias Vater von der Genetik-Abteilung, die auch nicht direkt dem SOD untergeordnet ist, aber daran arbeitet, seine genetisch veränderten Menschenratten als Arbeiterklasse für gefährliche Einsätze zu züchten, die den Kolonisten ein angenehmeres Leben verschaffen sollen. Deshalb wird er, Kane Steinberg, vom SOD finanziell unterstützt. Er ist dunkelhaarig, etwas übergewichtig und Jude. Seine Anstecknadel ist eine silberne Doppelhelix. Die letzte und populärste Person ist Gabriel Voyage. Er ist Adams stärkste Konkurrenz. Mit ihm muss Adam bei jeder Sitzung ausdiskutieren, von welcher Lebensform die stärkste Bedrohung für die Kolonie ausgeht. Der Plage oder der Matrix. Er hat den Plan, die Matrix zu erforschen, abzuernten und als Energiequelle für die Kolonie einzusetzen. Er trägt einen lila Laborkittel und eine Stecknadel mit dem schwarzen SOD und daneben ein lila Dreieck mit einem lila Ring in dessen Mitte. Sieht aus wie ein Illuminatenabzeichen, doch jedes Mal, wenn man Gabriel fragt, was es damit auf sich hat, antwortet er „Das Dreieck ist nun mal die stabilste Form und der Kreis hat die perfekte Symmetrie. Die Matrix nimmt diese Formen stets an und erreicht damit ebenfalls einen nahezu perfekten Zustand. Die Matrix steht für alles, was vollkommen ist.“.
Wann immer ihn jemand eine Frage über die Stecknadel stellt, antwortet er immer exakt mit dieser Wortwahl und zwar in genau der Reihenfolge. Gabriel Voyage ist ein Neurotiker. Einer der Gründe, warum Adam Steinberg ein Misanthrop ist. Seine braunen Haare mit den grauen Strähnen hängen ihm links und rechts herunter, in der Mitte durch einen Scheitel getrennt und erreichen knapp vor den Augenbrauen ihre Haarspitzen. Vor dem Tisch steht noch Sinclair mit den Händen hinter dem Rücken und der Brust herausgestreckt, wie ein dominantes stolzes Kerlchen. Das ist SOD mit ihren Forschungsabteilungen.
Mit Sinclair an der Spitze.
Victoria Belgrad und Nikolai Wolga, die Waffen bauen.
Kalle Erlmeyer, der den Himmel und den Boden beobachtet.
Mihamoto Sakurada von BrainConnection.
Esa Spencer der Cyberkinetiker.
Die tollpatschige und naive Charlotte Hubble.
Adams Vater, der Ratten züchtende Kane Steinberg.
Adams Erzkonkurrent Gabriel Voyage.
Adams Assistentin, die Ratte Ivy.
Und Jeremy Needle, der Ivy schon etwas zu nahegekommen ist.
4
»Wo steckt denn Steinberg schon wieder?« fragt Sinclair.
»Er, äh... er müsste...« stottert Ivy nervös und fast schon verzweifelt.
Da unterbricht Victoria Ivy im Hintergrund und äfft sie scherzhaft und fies nach »„Äh, äh, äh!“«.
Ivy möchte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, beißt die Zähne zusammen und erhebt die Stimme, um zu verkünden »Ich soll ausrichten, dass er sich etwas verspätet, weil er sich einen Kaffee holt.«.
Das war alles genau so, Wort für Wort, wie Adam es ihr gesagt hat. Nur das „etwas“ hat sie selbst hinzugefügt. Sinclair verstärkt seine Stimme und brüllt laut aus »Einen Kaffee? Wir besprechen hier die Zukunft der menschlichen Zivilisation und dieser Penner verspätet sich wegen eines Kaffees?«.
Ivy zuckt vor Schreck den Kopf leicht nach unten mit zugekniffenen Augen und fügt noch hinzu »Ja, und ich soll ebenfalls von ihm ausrichten, wenn Sie ein Problem damit haben, dann sollen Sie nicht so eine Pussy sein und können sich ins Knie ficken. Zitat Ende!«.
Warum sie das jetzt auch sagen musste, hat Ivy selber nicht ganz kapiert. Es ist ihr einfach wie eine Tomatenscheibe aus einem zu grob belegtem Sandwich rausgeflutscht. Aber sie hat ihn nur zitiert und noch nicht mal übertrieben. Die Pussy hätte ein Affenficker werden sollen und die Sache mit der Kastration hat sie ganz weggelassen. Und dann waren da noch ein paar Sätze mit dem A-Wort, die sie sich eh nicht merken konnte. Sinclair kommt mit gesenktem Kopf nachdenklich auf sie zu spaziert und massiert sich die eigenen Finger. Er läuft ein paar Mal an ihr vorbei, während die anderen Sitzungsteilnehmer noch nicht ganz verarbeitet haben, was Ivy da bekanntgegeben hat. Ivy ist nervös. Da bleibt Sinclair direkt vor ihr stehen und hat einen Entschluss gefasst. Den Entschluss, ihr eine saftige Maulschelle zu verpassen, die auch sofort schneller auf ihre linke Rattenbacke zugeflogen kommt, als sie reagieren kann. Ihr Fell im Gesicht hat die Wucht etwas gedämpft, jedoch nicht die Schande, der sie sich bewusst wird, zwei Sekunden, nachdem sie den Schreck begriffen hat. Der Schreck wird zu einem psychischen Schock, der sich langsam in Unbegreiflichkeit und Verzweiflung entwickelt. Denn jeder hat es gesehen und schließlich verwandelt sich der Druck auf ihrer Wange zu einem pochenden Schmerz. Sinclair hat doch eine heftigere Maulschelle drauf, als sie anfangs bemerkt hat. Das merkt sie vor allem, nachdem sie ihre blutige Schnauze bemerkt. Ivy wurde geschlagen und sie kann sich nicht dagegen wehren. Sie würde den Kürzeren ziehen. Niemand würde hinter ihr stehen und sie unterstützen. Das tut auch jetzt niemand. Jetzt kommt auch noch ein freches schadenfrohes Kichern und Gelächter aus Seiten der russischen Homo faber und Esa. Sie lachen sie aus und das macht es nur noch schlimmer. Gabriel wirkt etwas genervt und rollt mit den Augen. Ein paar einzelne Tränen sind jetzt unvermeidlich, nur Geheule und Geseufze kann und muss sie sich verkneifen. Mit ganzer Kraft schluckt sie es runter und erduldet es. Sie richtet sich wieder auf und bemerkt erst jetzt, dass Sinclair sich bereits fünf Meter von ihr distanziert und ihr den Rücken zugekehrt hat. Er schenkt ihr keine Beachtung mehr. Dann öffnet sich die Tür und Adam betritt den Raum. Mit einer vollen Kaffeetasse in der einen Hand und zwei Donuts in der anderen. Einen Donut hält Adam zwischen Daumen und Zeigefinger und einen weiteren hat er sich auf den Mittelfinger gesteckt. Das erste was Adam sieht, ist die blutige Rattenschnauze seiner Assistentin. Das zweite sind die armseligen Arschgeigen, die er genau so nennt.
»Hey, Arschgeigen!« begrüßt er seine Kollegen und wendet sich dann seiner Schwester und seinem Vater zu »Maria! Dad!«. Dad schüttelt seinen gesenkten Kopf und stöhnt.
Nun kommt Adam zur Sache und fragt »Also, wer war der intelligente Vollidiot, der meine Ratte geschlagen hat?«.
Sinclair neigt seinen Kopf in seine Richtung und antwortet erbost »Setzen Sie sich, Steinberg!«.
»Ach kommen Sie, Sincli! Ich hab mir nur einen Donut geholt. Sehen Sie?« erwidert Adam.
Sinclair blickt zu ihm rüber und sieht dabei, wie Adam ihm den Donut zeigt, den er sich um den Mittelfinger gesteckt hat, nur damit er Sinclair den Mittelfinger ausstrecken kann, ohne dass es zu offensichtlich wird.
»SETZEN SIE SICH, STEINBERG!« brüllt Sinclair.
Damit das Ganze nicht eskaliert und Adam wissen will, was die anderen Vollidioten zu sagen haben, geht er ohne weiteres Aufsehen auf den Tisch zu. Jeremy sitzt zwischen den zwei einzigen unbesetzten Stühlen, so dass sich Adam und Ivy separieren müssen. Jeremy zieht einen Stuhl nach hinten und bietet diesen Ivy an. Ivy denkt nicht lange nach und nimmt den Stuhl an. Doch Adam zieht den letzten Stuhl mit dem Fuß heraus, macht dabei einen großen Bogen um Jeremy und platziert ihn hinter Ivys weiße Rückenlehne und zwar so, dass die Rückenlehne seines Stuhls in Sinclairs Richtung zeigt, damit er sich verkehrt rum auf den Stuhl setzen kann. Die Stühle haben nämlich keine Armlehne, deswegen ist es praktisch sich verkehrt herum hinzusetzen, um seine Arme auf das Ende der Rückenlehne zu schonen. Nur kluge Menschen machen das so. Ansonsten müsste man die Hände auf den Schoß legen wie ein braves Schulmädchen oder man steckt sie sich beim Sitzen in die Hosentaschen, so dass man wie ein Penner wirkt. Oder, was noch viel schlimmer wäre, man lässt die Arme wie zwei tote Fische von den Schultern hängen und sieht dabei aus wie der letzte Vollidiot. Nur Sinclair hat einen eigenen Privatstuhl mit Armlehnen, wodurch er mehr Würde ausstrahlen kann als die Anderen und das darf Adam nicht zulassen. Auf gar keinen Fall. Er muss den Stuhl verkehrt herum besetzen und seinen eigenen Stolz präsentieren. Die anderen haben es nicht gemacht, weil sie es für kindisch hielten, doch jetzt bemerken sie, wie stolz sich Adam auf dem Stuhl präsentiert und können es ihm nicht nachmachen, da dies nur plagiater Nachäfferei gliche. Tja, zu spät. Jetzt müssen sie ihre Arme auf den Tisch lehnen, bis sie Rücken und Schulterbeschwerden bekommen. Adam hofft von ganzem Herzen, dass seine Kollegen daran fürchterlich zu Grunde gehen und vollzieht dabei ein schadenfrohes Grinsen.
Dann bietet er Ivy einen Donut an und sagt »Hier, der ist für dich!«.
Adam weiß, dass Ivy eine Vorliebe für Erdbeerglasur hat. Deshalb hat er ihr einen mit genau dieser Zuckerglasur besorgt. Und genau aus diesem Grund ist Ivy ihm gegenüber so loyal. So viel Fürsorglichkeit würde sie bei der Konkurrenz nie bekommen. Ein Adam Steinberg denkt an sein Rattenmädchen. Diese kleine freundliche und aufmerksame Geste lässt sie die Schande und den Schmerz in ihrem Gesicht wieder vergessen und die letzte Träne vergießt sie aus Freude. Dann wischt sie sich die Tränen und das Blut mit einem Taschentuch weg, das ihr Jeremy überreicht.