Читать книгу Dr. Patchwork und die Insekten - Gordon Goh, Patrick Schuller - Страница 5

Kapitel 2: Einleitung

Оглавление

1


Abb. 4: Die Feinde der SOD; Matrix (oben), Plage (unten links), Flora (unten rechts)

Needle, Belgrad, Wolga, Erlmeyer, Sakurada, Spencer, Hubble, Voyage, Sinclair, Steinberg. Diese Typen werden noch Probleme bereiten. Doch erst einmal besprechen wir die Lage und stechen uns gegenseitig aus. Wir sind im Sitzungsraum und besprechen, wie wir diesen Planeten am besten kaputt machen können. Ich mache mir Sorgen um Ivy. Sie sitzt direkt neben mir und sieht sehr mitgenommen aus. Ich hätte sie nicht alleine vorschicken sollen. Ich habe ein hilfloses Nagetier in einen Käfig voller fauchender, gieriger Raubtiere geschmissen. Ich muss in Zukunft besser aufpassen. Aber jetzt erstmal Besprechung.

»Herr Erlmeyer! Wie sieht die Lage mit der Plage aus?« fragt Sinclair.

Kalle steht auf und legt einen Infrarotchip auf den Glastisch. Das ist ein etwa 5 cm breiter, 10 cm langer und 1 cm dicker rötlich schwarzer Quarzklotz, der wegen seiner Dreidimensionalität etwa 200 Terabyte Daten speichert. Der Glastisch hat eine transparente Elektronik unter der Oberfläche, die diesen Infrarotchip erkennt und seine Daten liest, sobald man ihn auf die Glastischfläche legt. In der Mitte des Tisches befindet sich ein 3D-Projektor, der ein Hologramm erzeugt, sobald der Tisch den Chip erkennt. Das SOD-Logo ist zuerst als Hologramm zu erkennen. Es ist so etwas wie das Startbild. Kalle schwenkt mit einer wischenden Handbewegung das SOD-Logo weg und öffnet damit das Menü. Er tippt mit dem Finger eines der vielen Symbole, die die verschiedenen Verzeichnisse darstellen. In seinem gewählten Verzeichnis wählt er wieder ein 3D-Icon. Nun öffnet sich eine 3D-Karte von Eden-2. Auf dem Holo-Bild sind rotmarkierte Stellen, die mir aus anderen Beiträgen bereits bekannt sind.

Kalle beginnt zu erklären »Meine Damen und Herren, die markierten Stellen, die Sie sehen, sind Aufenthaltsorte der Plage. Alle Orte, an denen sie gesichtet wurde. Seit den letzten paar Jahren hat sie sich immer weiter in unsere Richtung ausgebreitet, während wir den Aufenthaltsort der Matrix bis jetzt noch nicht genau wissen. Die Vulkanaktivität nimmt an den Polen stetig zu, während sie am Äquator, wo wir uns befinden, weiter abnimmt. Ich halte es daher für besser, die Gründung einer zweiten Stadt im Norden erst Mal auf Eis zu legen.«.

Gabriel erhebt die Hand und sagt »Die Gründung einer zweiten Stadt wäre gar kein Problem, wenn wir den Energiebedarf abdecken könnten. Wenn wir Belgrads Vorschlag wahrnehmen und eine mobile Kolonie gründen, wären wir auch nicht länger auf einen festen Standpunkt beschränkt.«.

»Und woher sollen wir diese Energie nehmen, Voyage?« fragt Charlotte.

»Na, von der Matrix natürlich.« antwortet Gabriel erweitert »Die Matrix ist eine hoch thermische, homogene Substanz, die in Richtung Kern immer wärmer wird. Unsere früheren Analysen haben das bestätigt.«.

»Und dann wolltet ihr sie abschöpfen und verbrennen.« kommentiere ich.

Gabriel erwidert »Haben Sie ein Problem damit, Steinberg?«.

Ich füge hinzu »Seit ihr versucht habt, die Matrix wie Erdöl abzusaugen, ist sie angeeiert und will uns an den Kragen. Das ist größtenteils Ihre Schuld. Wollen Sie das verleugnen, Voyage?«.

»Empfinden Sie etwa Mitgefühl für die Matrix?« fragt er mich.

Ich antworte ihm »Die Matrix ist eine lebende Tinktur. Sonst hätte Sie keinen Selbsterhaltungstrieb. Und anstatt sie in Ruhe zu lassen, jagen wir ihr hinterher und zetteln einen Krieg an.«.

Sinclair spricht dazwischen »Warten Sie bis Sie dran sind, Steinberg! Voyage, fahren Sie fort! Was haben Sie sonst noch für Erkenntnisse gesammelt?«.

Gabriel fährt fort »Also... Wie mein Kollege Steinberg bereits erwähnt hat, handelt es sich bei der Matrix tatsächlich um eine Art lebende, denkende Tinktur, die bereit ist, ihre Existenz mit aller Gewalt zu verteidigen. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass auch wir Menschen ums Überleben kämpfen. Die Matrix kann uns dabei helfen, unser Überleben auf diesen Planeten für lange Zeit zu sichern und sehr angenehm zu gestalten, so wie Gott es wollte, sonst hätte er uns nicht auf diesen Planeten geschickt.«.

Ich verdrehe die Augen und stöhne, so dass er es merkt. Nach einem zweisekündigen Räuspern redet der dumme Gabriel weiter »Die Matrix bildet zur Verteidigung und zum gezielten Angriff sogenannte Agenten. Das sind Gebilde, die der Matrix entspringen und meistens klare geometrische Formen annehmen. Die am häufigsten bekannte Form ist die sogenannte Metallosphäre. Eine metallisch glänzende Kugel im festen Aggregatzustand, die womöglich mit Hilfe von elektromagnetischen Ladungen nach Belieben in alle Richtungen schweben kann. Diese haben meistens einen Durchmesser von ein bis zwei Metern und erreichen manchmal sogar Schallgeschwindigkeit. Es wurden jedoch auch schon Exemplare mit einem Durchmesser von fünf Metern gesichtet. Wenn eine solche Metallosphäre die Kolonie angreift, benötigen wir alle schweren Geschütze, die wir kriegen können oder wir sind geliefert. Wir vermuten einen thermischen Kern im Innern jeder Sphäre, der die Kugel mit Energie und Anweisungen versorgt. Wenn es uns gelingt, diesen zu durchbohren und die Energie freizusetzen, würden wir der Sphäre den Hahn zudrehen und sie würde zu Boden fallen wie ein Stein. Eventuell können wir sogar die Energie der Agenten sammeln und als Energiequelle nutzen und wer weiß, was sonst noch. Eine weitere Agentenform sind die purpurnen Wolken. Sie haben einen gasförmigen bis plasmaartigen Zustand, der extrem energiereich ist und sie können elektrische Ladungen in Form von Blitze verschießen. Sie wurden bis jetzt von nur wenigen Zeugen gesichtet und dokumentiert. Eine dieser Wolken hat einen ganzen Außenposten in wenigen Sekunden in Schutt und Asche gelegt.«.

Sinclair wendet sein Gesicht in Gabriels Richtung und fragt ihn »Wie wollen Sie die Matrix bekämpfen und abbauen?«.

»Belgrad und ihr Team arbeiten derzeit an einem Projekt, das uns dabei weiterhelfen kann.« antwortet Gabriel und fordert mit einem kurzen Nicken Victoria zum Mitreden auf.

Victoria legt ihren Infrarotchip auf die Tischplatte, während Kalle seinen wegnimmt. Nun erscheint auf dem Holographie-Bildschirm eine 3D-Projektion einer Blaupause von einer Konstruktion, die einem Riesenrad ähnelt.

Victoria erhebt den Arm mit nach oben gerichteter Handinnenfläche und zeigt mit ihren geschlossenen Fingerspitzen in Richtung der bläulich weißen 3D-Projektion und beginnt zu erklären »Meine Damen und Herren! Ich präsentiere Ihnen den Zirkelpanzer. Dieses schwerbewaffnete Einrad ist 17 Stockwerke hoch und die Radbreite beträgt knapp 7 m. Er wird von einem Piloten im Cockpit gesteuert, der sich in der Radmitte befindet. Das Rad umgibt diesen sogenannten Kern mit einem Innendurchmesser von 37 m. Dieser Ring beinhaltet das elektronische Kugellager, das den Zirkelpanzer in Rotation versetzt und so nach vorne zieht. An beiden Seiten des Cockpits befinden sich jeweils vier Plasmakanonen, die dreidimensional in alle Richtungen bewegt werden können. Laterale Stützen können an den Seiten ausgefahren werden, um den Panzer wieder aufzurichten, falls er auf die Seite kippen sollte. Er wurde bis jetzt noch nicht getestet, denn wir bauen gerade den ersten Prototypen fertig. Der Zirkelpanzer könnte es locker mit der Plage und der Matrix aufnehmen. Er könnte in weniger als einem Jahr fertig sein, doch die Materialkosten sind für diese Konstruktion selbstverständlich wesentlich höher als für einen herkömmlichen Lehemoziz.«.

Lehemoziz sind die flugfähigen Amphibienpanzer der Interstellar-Force. Auch diese Dinger halte ich für komplette Geldverschwendung. Würden wir mehr Geld und Arbeit in die Erforschung der einheimischen Lebensformen investieren, könnten wir eine Methode entwickeln, sie ohne viel Aufwand zu unterjochen und vielleicht sogar zu kontrollieren. So sehe ich das. Aber dieses russische Trockenbrot will ja nur demonstrieren, wie viele Tonnen Perlen sie mit ihren Spielzeugen in verbrannte Scheiße verwandeln kann.

Nachdem Belgrad ihren Vortrag beendet hat, entnimmt sie ihren Infrarotchip und lehnt sich in ihren weißen Fieberglasstuhl zurück. Sinclair drückt noch ein herzliches »Dankeschön!« aus und fordert mich mit einer ruhigen Handbewegung zum Vortragen auf und sagt mit sarkastisch höflichem Unterton »Steinberg!«.

Ich löse mich von meiner bequemen Sitzhaltung, um aufzustehen. Eigentlich ist das völlig unnötig, aber ich stehe lieber, wenn ich rede, um den anderen klar zu machen, dass ich über ihnen stehe und die Krümel leise zu sein haben, wenn der Kuchen redet. Ich bin zwar nicht der Chef in dem Laden, aber darauf pfeife ich einfach. Alles was ich erreiche, ist keine Unterwürfigkeit, sondern arrogante Blicke, die ich auf mich ziehe. Aber das ist OK, denn das heißt, die Flaschen haben meine indirekte Botschaft verstanden. Diese Verachtung ist auch nur eine Form der Unterwürfigkeit. Genau das brauche ich, um mich wohl zu fühlen. Nur so habe ich ihre Aufmerksamkeit, die ich brauche, um mit meinem Vortrag zu beginnen. Und jetzt hört mir gut zu, denn was ich gleich sage, ist von größter Wichtigkeit!

»Gabriel, dein Vortrag war scheiße! Kalle war ganz in Ordnung, aber du nicht. Du warst scheiße!« sage ich und richte mein Monoggle zurecht, damit ich besser auf die leeren Protokolle in meinen Händen starren kann, die Ivy mitgeschleppt hat, um so zu tun, als hätte ich etwas Handschriftliches.

Sinclair packt sich genervt an die Stirn und stöhnt »Steinberg, bitte...!«.

»Auch wenn Mr. Voyage der Meinung sein mag, die Matrix als Problem Nummer 1 festzulegen, sehe ich in der Plage wesentlich mehr Gefahr für die Kolonie als auch sehr viel Potential, das wir für unsere eigenen Zwecke nutzen könnten, wenn wir sie mehr erforschen würden.« sage ich, bevor mich Jeremy Needle vorlaut mit folgender Frage durchbohrt »Was genau haben Sie denn herausgefunden, wenn ich fragen darf?«.

Ich antworte, ohne Needle auch nur einen Blick zu würdigen »Obwohl die Proben von der Interstellar Force verkohlt und beinahe komplett nutzlos waren, konnte ich einige DNA-Reste extrahieren und analysieren. Sie besitzen zwar ein Genom, welches der Zusammensetzung unserer DNA gleicht, doch diese tauchen eher als kleine Fragmente im extrazellulärem Raum auf. Diese DNA-Fragmente treten immer im Zusammenhang mit einem Enzym auf, das an den DNA-Fragmenten koppelt, wenn sich diese im extrazellulärem Raum aufhalten. Im intrazellulären Raum existieren diese Enzyme nicht. Diese DNA-Fragmente verhalten sich wie Viren, werden durch das Enzym wie ein Hormon durch den gesamten Organismus oder an bestimmte Stellen im Körper transportiert und dann in bestimmte Zielzellen eingeschleust, um sich dort mit dem zellulärem Genom zu vereinen und dieses zu modifizieren, damit es neue Funktionen und Strukturen ausbilden kann. Auf diese Weise kann der gesamte Organismus noch im selben Lebenszyklus mutieren, um sich seiner Umgebung besser anzupassen. Wir reden von einem „genetischen Chaos“. Ich bin davon überzeugt, dass, egal welche Verteidigungsmittel wir auch entwickeln, die Plage immer einen Weg findet, dieses Hindernis zu umgehen oder zu eliminieren. Es kann keine Endlösung geben. Um die Plage als Bedrohung los zu werden, müssen wir sie erforschen und herausfinden, wie sie funktioniert. Was wir bisher wissen ist, dass die Plage kollektiv denkt. Es gibt ein Nest, aus dem die sogenannten Drohneninsekten ausschwärmen. Und sie mobilisieren die meisten Drohnen dort, wo sie am meisten gebraucht werden. Die einzelnen Insekten haben keine hohe Intelligenz, doch anhand ihres strategischen Vorgehens muss es eine Intelligenz geben, die alles überschaut und koordiniert. Entweder geht ihre Intelligenz von einer Königin aus oder sie ist ein Zusammenspiel aus kollektivem Bewusstsein, verankert in ihrem Genom und gesteuert durch pheromonelle Kommunikation, ähnlich wie bei Ameisen. Wir kennen bereits fünf bekannte Drohnen, die wir wie folgt klassifizieren. Da gibt es einmal die bis zu drei Meter großen Kampfdrohnen mit ihren zwei vorderen Fangarmen und den langen Mandibeln, mit denen sie sogar Edelstahl durchbeißen können. Von denen gibt es die meisten und sie tauchen auch leider meist in viel zu großer Zahl auf. Das Beste wäre, wenn wir denen einfach aus dem Weg gehen. Die sogenannten Orgaschinen sind bis zu zehn Meter hohe fünf- bis neunbeinige Panzerinsekten, die Laser verschießen können. Es wäre sogar möglich, dass es keine Lebewesen sind, sondern von anderen Drohnen gesteuert werden. Auch diesen Drohnen sollten wir aus dem Weg gehen. Die Explosionsdrohnen sind kleine flugfähige Wespen mit einer Sprengladung am Hinterteil, die explodieren, sobald sie ein feindliches Ziel berühren. Die Späher-Drohnen sind ebenfalls flugfähige wespenartige Insekten, die bestimmte Orte auskundschaften und Kampfdrohnen hinschicken, falls diese Orte für die Plage von Interesse sind. Die letzte Gruppe ist ein Mysterium, von denen noch nie lebende Exemplare gefunden oder beobachtet wurden. Wir wissen nur, dass an manchen Außenposten tote Offiziere der Interstellar Force mit aufgeschlitzten Kehlen vorgefunden wurden. Dabei handelt es sich um drei parallel verlaufende Kratzspuren am Hals, die mit Sicherheit, von einem wilden Tier stammen müssen. Ich benötige ein lebendes Exemplar, um die Plage besser zu untersuchen. Entweder sie schicken mir einen Späher oder sie suchen neue Exemplare, die sich nicht wehren können.«.

»Und wo sollen wir so einen Späher finden, Adam?« fragt mich meine eigene Schwester.

»Im Hive!« antworte ich direkt.

»Im Hive? Warum denn dort?« erwidert sie mit Entsetzen und erbosten Augenwinkel.

Ich antworte wieder direkt »Draußen sind nur die Drohnen, die sich wehren können. Die kleinen Schützlinge befinden sich dort, wo Mommy auf sie aufpassen kann.«.

»Du sagst deiner eigenen Schwester, sie soll sich in ein Himmelfahrtskommando stürzen?« fragt mich mein eigener Vater erzürnt.

Ich sehe ihm nicht in die Augen und schweige.

»Mal ganz davon abgesehen, warum sollten wir die Plage erforschen, wenn wir sie einfach vollständig eliminieren können? Ich denke, gegen den Tod können sie sich nicht anpassen.« ergänzt Gabriel.

»Einen Dreck können wir eliminieren, du Holzkopf! Selbst wenn wir sie flächendeckend bombardieren, können wir nie sicher sein, dass wir alles zerstört haben, was militärisch wichtig wäre. Jede Drohne könnte mit ihrem genetischen Chaos die Fähigkeit entwickeln, selbst ein Hive zu gründen.« sage ich als Vorwarnung.

Doch was ich jetzt sage, lässt mir fast ein Grinsen im Gesicht wachsen, was ich mir gerade noch so verkneifen kann.

»Außerdem könnten wir mit diesem genetischen Chaos Erkenntnisse gewinnen, die uns dabei helfen könnten, die dritte Bedrohung zu beseitigen. Ich rede von der Flora.«

Das hat gesessen. Anhand ihres verstörten, aber ehrfürchtigen Gesichtsausdrucks erkenne ich ihre volle Aufmerksamkeit, die sie mir nun schenken. Sogar Sinclair kann sich ein verblüfftes Stottern nicht verkneifen, als er mich fragt »W... W... Wie meinen Sie denn das jetzt?«.

Ich sehe zu seinem bleich gewordenen Gesicht und erkenne, dass er mir eine Frage stellt, auf die er die Antwort eh schon kennt.

Aber was er will, ist die verbale Bestätigung, die ich ihm darauffolgend gebe »Na, wenn die Flora ihre Fähigkeit zur spontanen Weiterentwicklung auf genetischer Ebene bezieht, dann könnten wir mit Hilfe des genetischen Chaos diese Fähigkeit ausschalten oder uns sogar zu Nutze machen. Wie würde Ihnen das gefallen?«.

Sogar Needle gibt dem Ganzen auch noch eine Befürwortung »Na ja! Mit den Proben aus meinem Labor wäre das durchaus machbar. Zumindest wenn Steinberg Recht behält.«.

Ich nicke ihm zustimmend zu, während ich mit erhobenem Hauptes und ausgestrecktem Brustkorb auf seinen kleinen Affenkopf herabschaue. Auch wenn er sich jetzt auf meine Seite stellt, darf ich nie vergessen, dass auch er nur ein Sterblicher ist. Zumindest für diesen einen Moment bin ich für ihn wie ein Gott. Diesen Moment koste ich aus. Dann wird der triumphale Augenblick jedoch von seitens Gabriel ruiniert, als er sagt »Falls Steinberg Recht behält, Needle!«.

Der Blick, den Gabriel mir nun zuwirft, gleicht einer Speerspitze aus Verachtung und Gegenwehr.

»Erstens bezweifle ich, dass ein Trupp der Interstellar Force lebendig das Hive verlassen kann, zweitens sehe ich ein Problem darin, ein lebendes Exemplar der Plage zu fangen, geschweige denn in der Kolonie zu beherbergen und drittens glaube ich nicht daran, dass die Flora für uns ein Problem darstellt. Zumindest nicht auf diesem Planeten. Die Flora ist auf der Erde. Und wenn wir die Proben in Needles Labor beseitigen, wird es auch hier kein Problem mit der Flora geben. Ich habe schon viel zu oft sagen müssen, was für ein idiotischer Fehler es war, überhaupt Proben von ihr mitzunehmen.« fügt Gabriel hochnäsig hinzu.

Jeremy Needle steht auf und antwortet mit einem Finger, den er auf Gabriel richtet »Die Flora wurde von einem außerirdischen Wesen namens Ilmatar auf die Erde gebracht, das ganz offensichtlich ein Problem damit hatte, wie wir mit dem Ökosystem umgegangen sind.«.

Sinclair fügt hinzu »Bitte! Das sind doch alles nur Gerüchte. Ich sage, es war das jüngste Gericht, das die ungläubigen Sünder bestrafen sollte. Dann hat Gott uns auserwählt, damit wir eine neue Zukunft aufbauen können. Unsere Vorfahren wurden in den Himmel geschickt und haben uns durch das Tor in unsere neue Heimat gebracht. Gott allein hat uns diesen Ort hinterlassen, damit seine größte Schöpfung, der Mensch, aus seinen Fehlern lernen kann.«.

Charlotte Hubble fügt noch mit hoch wedelnden Armen ein predigendes »Gelobt sei Jesus!« hinzu.

Ich muss mich danach setzen und packe mir an die vor Wut pochende Stirn, während ich mir bei diesem Gespräch nicht sicher bin, ob ich lachen, weinen oder mal kräftig zuschlagen soll. Pah, jedes Mal wenn Hubble eine ihrer klischeehaften Kirchenmonologe von sich gibt, wird meine Neigung zur Menschenverachtung noch stärker. Ja, ich glaube sogar, dass mein größter Wunsch in Erfüllung ginge, wenn Polizeibeamte eines Tages ihren aufgedunsenen Leichnam im dreckigen Keller eines perversen Sexualtriebtäters identifizieren.

»Was soll dieser Blödsinn mit Jesus?« sagt ein jüdischer Interstellar Force-Soldat mit Davidstern um seinen Hals zu Hubble und fügt hinzu »Es ist ein Wunder, dass Gott so viele Heiden am Leben gelassen hat, die einen Propheten als Halbgott anbeten. Wegen Heiden wie euch, wird die Plage doch noch über unsere Kolonie trampeln.«.

Ach, zum Teufel! Auch ihn soll dieser Sexualtriebtäter erwischen. Ich kann einfach nicht glauben, welch einen Schrott ich da höre. Diese Torfnasen haben das Sagen über die Kolonie und benehmen sich wie Straßenprediger, die sich gleich mit ihren religiösen Protestschildern erschlagen. Aber in einem Punkt hat dieser jüdische Offizier namens David Recht. Diese religiösen Meinungsverschiedenheiten könnten tatsächlich mal der Grund dafür sein, weshalb die Kolonie eines Tages zu Grunde gehen könnte. Wenn die Plage oder die Matrix es nicht schaffen sollte, uns zu vernichten, dann geben wir uns einfach selbst den Rest. So eine verdammte gequirlte Scheiße! Und genau aus dem Grund gehe ich nicht gerne zu diesen Sitzungen. Weil eh nichts Intelligentes dabei herauskommt. Wie gerne würde ich doch einer anderen Spezies angehören. Dann rutscht es mir plötzlich aus dem Mund.

»Ihr Flachzangen seid der Grund dafür, wenn wir eines Tages noch vor die Hunde gehen! Ihr Arschlöcher!« rufe ich und die Nulpen in diesem Raum blicken alle verwirrt zu mir.

Dann fahre ich fort »Zunächst einmal haben wir uns selbst in den Himmel geschickt. Die Raumflotte für das Exodus-Projekt haben wir selbst auf die Beine gestellt. Und dieses ringförmige Nemesisobjekt war nichts anderes als Alien-Technologie. Irgendeine außerirdische Pappnase hat das Teil dort positioniert, um interstellares Reisen zu ermöglichen oder zu beschleunigen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die ihr ja leider nicht für die Forschungsabteilung einstellt, weil sie eure religiösen Ansichten in Frage stellen, konnte das mit logischen Ansätzen rational erläutern. Und wenn die Recht behalten, existiert auch außerhalb dieses Sternensystems ein solches Nemesisobjekt. Das heißt, egal wer das Ding oder diese Dinger gebaut hat, kann sie jederzeit benutzen, um auch hier her zu kommen und uns einen Besuch zu bestatten. Womöglich ist dieses Ilmatarwesen so zu uns kommen. Also kann sie jederzeit hier aufkreuzen und das Spiel fortsetzen, das sie auf der Erde begonnen hat. Wenn das passiert, sollten wir besser gegen sie gerüstet sein und das Genom auf molekularer Ebene so beherrschen, dass wir gegen ihre Floramächte anstinken können.«.

Esa wirft mir einen neugierigen, aber dennoch arroganten Blick zu und fragt mich »Warum sollte Ilmatar hier herkommen?«.

Ich packe mir mit aller Geduld an die Schläfe und hebe erklärend die Hand, während ich diesem Vollidioten antworte »Warum? WARUM? OK, wo fange ich an? Ach ja, wie wär´s damit, dass ihr alle EIN HAUFEN GEISTLOSER UND SELBSTSÜCHTIGER SPINNER SEID? Ja, es stimmt, dass wir eine zweite Chance auf einem neuen Planeten haben. Wir können nochmal ganz von neu beginnen und alles besser machen. Wir könnten nachhaltige Ressourcen nutzen, unseren neuen Heimatplaneten pflegen und mit Bedacht fürs eigene Überleben nutzen, eine ordentliche kriegsfreie Zivilisation aufbauen und uns weniger gegenseitig anpimmeln ... ABER VON DIESEN GANZEN SACHEN DRINGT NICHTS IN EURE VERDAMMTEN HOHLSCHÄDEL EIN. NEIN! DEN GANZEN PROBLEMATISCHEN KURZSICHTIGEN SCHEIß, DEN WIR DAMALS AUF DER ERDE GEMACHT HABEN, MACHEN WIR GLEICH NOCHMAL AUF DIESEM PLANETEN. WIR HOLEN RESSOURCEN VOM KOHLENSTOFFPLANETEN, UM SIE ALS EMISSIONEN IN DIE SOWIESO SCHON VERSEUCHTE ATMOSPHÄRE ZU PUMPEN UND HETZEN ZU ALLEM ÜBERFLUSS AUCH NOCH DIE EINHEIMISCHEN LEBENSFORMEN AUF UNS. Ist euch eigentlich mal in den Sinn gekommen, dass das hier noch nicht einmal unser Planet ist? Wir haben hier noch nicht mal was zu suchen. Aber trotzdem machen wir uns hier gleich breit, als wären wir hier zu Hause wie ein ungebetener Schmarotzer, machen hier auch gleich alles kaputt und bauen eine Gesellschaft auf, die sich religiös so stark differenziert, dass religiöse Streitereien und Schlägereien zum Alltag werden.«.

Hubble unterbricht mich und sagt »Adam hat Recht. Es wäre alles viel einfacher, wenn wir alle der gleichen Religion angehören.«.

Sinclair erwidert diesen Kommentar »Gut, Hubble! Dann konvertieren Sie doch ins Judentum!«.

Ich rede einfach rein »Nein! Ihr dämlichen Hornochsen! Seht ihr? Genau diesen Scheiß meinte ich. Ich finde, wir haben momentan weitaus größere Probleme als uns mit religiösen Differenzen zu befassen. Auf der Erde haben wir uns tagtäglich darüber aufgeregt, dass ein anderer nicht denselben Glauben oder die gleiche politische Meinung hat wie man selbst oder weil er eine andere Hautfarbe hat oder einer anderen Kultur angehört. Dann haben wir uns deswegen gleich gegenseitig abgeknallt. Und genau den gleichen Scheiß machen wir jetzt schon wieder. Ihr wollt mich doch alle verarschen!«.

Sinclair erwidert meinen Kommentar mit folgenden Worten »Passen Sie auf, was Sie sagen, Steinberg! Ich weiß, dass Sie hinter unserem Rücken über unsere Glaubensrichtungen lästern, aber...«.

»Hinter eurem Rücken? Ich sage euch das ins Gesicht!« rede ich dazwischen.

»...,ABER« ergreift Sinclair erneut das Wort »...denken Sie daran, dass sich der Mensch immerhin durch seinen Glauben definiert! Denken Sie daran, dass uns der Glaube immer vorangetrieben hat! Gerade in solchen Zeiten dürfen wir nicht den Glauben aufgeben, dass wir aus einem bestimmten Grund hier sind. Und ich glaube, Gott will, dass wir diesen Planeten nutzen. Alles, was wir über die Plage und die Matrix wissen müssen, ist wie wir sie besiegen und nutzen können. So will es Gott! Daran glaube ich fest und mein Glaube wird uns die Kraft geben dieses Ziel zu erreichen.«.

Ich gebe noch einen philosophischen Denkzettel von mir und schmeiße ihn in Sinclairs dumme Visage »Menschen, die mehr glauben als sie denken, reden mehr als sie verstehen.«.

Sinclair erhebt seinen Finger vor mir und will mir jähzornig etwas mitteilen, aber ich lasse es nicht darauf ankommen und rede ihm dazwischen »Ich will Ihnen mal meine Meinung über diese ignorante Denkweise des Menschen erläutern. Ich habe da eine Theorie, was die menschliche Dummheit angeht. Der Mensch war den anderen Spezies auf der Erde gegenüber im Vorteil, weil er intelligent war. Er war so intelligent, dass er sich als Einziger darüber bewusst war, was er seiner eigenen Umwelt antut. Und das war nicht schön und das wusste er auch. Aber der Selbsterhaltungstrieb des Menschen zwang ihn dazu etwas zu entwickeln, das ihn davon abhielt aus Schuldgefühlen seinen Egoismus aufzugeben, den er fürs Überleben braucht. Was er entwickelte war die sogenannte Ausrede und die Rechtfertigung. Alles, was er auf Kosten anderer zerstören musste, um sein Überleben und seine Bequemlichkeiten zu sichern, konnte er sich mit Ausreden schönreden. Aber die Logik machte dem Menschen immer wieder einen Strich durch die Rechnung und erzeugte Widersprüche. Aber auch dagegen hat der Mensch eine geistige Barriere entwickelt, die wir heute Irrationalität nennen. All die schlimmen Dinge, die wir täglich anrichten, die wir uns selbst und unserer Umwelt antun, reden wir uns schön und wenn es uns unlogisch erscheint so zu denken, konstruieren wir irgendwelche Ausreden, wie Männerstolz, Tradition, Patriotismus, Kultur und auch Religion, die uns davor abhalten klar nachzudenken und um so weitermachen zu können wie bisher, um unser Überleben und all den bequemen Luxus vor Vernunft und Schuldgefühle zu bewahren. Das heißt, die Dummheit ist ironischerweise eine Weiterentwicklung der menschlichen Intelligenz. Und deswegen ist der Mensch heute das, was er ist und tut das, was er tut. Er ist eine selbstsüchtige Gedankenmaschinerie, die ihr Überleben auf Kosten natürlicher Schönheit bewahrt, indem er seine Schandtaten mit Blumen und Perlen verziert und Puderzucker über die eigenen Hände verstreut, damit man das Blut nicht herausschmecken kann. Damit der Mensch noch leichter überleben kann, beutet er sogar andere Menschen aus und spaltet sich in weitere Kulturen, Nationen und Religionen auf, um jene ausbeuten oder als Konkurrenten ausrotten zu dürfen. So hat sich Rassismus entwickelt. Es ist ein Nebenprodukt der Dummheit, die wir zum Überleben brauchen. Und das beste Beispiel dafür sind die närrischen Insekten mit denen ich diesen Raum teilen muss. Aber nicht die Plage! Die Plage braucht keinen Rassismus. Sie existiert nicht als Population. Sie existiert als ein Kollektiv, als eine Einheit. Eine Gesellschaft, die perfekt zusammen lebt. Und es existiert auch kein Rassismus, weil es keine Rassen, keine Gruppierungen, keine Minderheiten, keine Diversität in der Plage gibt. Denn sie mutieren so schnell und gezielt und können daher alles sein, was sie sein müssen, um sein zu können. Und deswegen können wir, eine Gesellschaft, die sich noch nicht einmal selbst in Ruhe lassen kann, niemals einen Krieg gegen die Plage gewinnen. Im Gegensatz zu uns, ist die Plage nämlich eine perfekte Gesellschaft.«.

Gabriel sieht mich mit Erstaunen an und fragt mich »Das klingt ja fast so, als ob Sie die Plage beneiden, Steinberg! Ich meine, Sie empfinden ein bisschen zu viel Sympathie für diese Käfer. Liege ich da richtig?«.

Ich blicke mit runzelnder Stirn zu ihm hin und antworte mit einer Gegenfrage »Sollte ich lieber Sympathie für eine Gesellschaft empfinden, die mich entweder verachtet, weil ich nur ein halber Jude bin oder nur, weil ich ein halber Jude bin?«.

Sinclair greift mit den Fingerspitzen nach der Tischoberfläche und sagt zu mir mit gesenktem Kopf »Ich muss Ihnen jetzt mal diese Frage stellen, Steinberg. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«.

Ich antworte mit abwendendem Blick »Ich stehe auf der Seite der Menschen, aber ich bin nicht stolz drauf.«.

Mein Vater mischt sich in das Gespräch ein »Aber du bist doch auch ein Mensch.«.

Darauf antworte ich mit leichter Verzögerung »Es ist ja nicht so als ob ich mir das aussuchen durfte.«.

Mein Vater erwidert »Du bist, was du bist! Akzeptiere das!«.

Ich erwidere wiederum »Die Worte eines beschränkten Mannes! Ja ich beneide die Plage. Wegen ihrer Fähigkeit die Grenzen des Darwinismus trotzen und alles sein zu können, was sie sein will. Kann man mir dafür wirklich Vorwürfe machen?«.

Esa fängt lachend und lästernd an sich in das Gespräch einzumischen »Ja, das wäre praktisch. Überlegt mal! Dann wird unser Patchwork-Mensch zu einem Nager und kann seine eigene Ratte ficken. Und das wäre dann keine Sodomie.«.

Man sieht es Ivy nicht an, weil ihr Gesichtsfell ihre Wangen verdeckt, aber an ihrem Gesichtsausdruck erkennt man, dass sie vor Scham errötet und dass es ihr peinlich ist, dass ihr Name nur erwähnt wird, um sie in den Topf der Unzüchtigkeiten zu stecken.

Nun quatscht Gabriel wieder dazwischen »Jetzt kommt mal wieder runter! Steinberg, auch wenn es Ihnen nicht passt, aber wir sind nun mal Menschen und sind an gewisse Grenzen gebunden. Und ob geistige Ausrede oder nicht. Wir müssen ums Überleben kämpfen und meine Idee sichert uns dieses Überleben. Wir fressen oder werden gefressen. Das nennt man eine Nahrungskette. Die Matrix ist eine potentielle Energiequelle, die wir effizient nutzen könnten. Die Matrix steht in der Nahrungskette unter uns. So ist das einfach. Und die Plage steht uns im Weg. Das ist das Konkurrenzausschlussprinzip. Unser Volk braucht Raum (Hitler, 1938).«.

»„Hitler, 1938 (Shatner, 1991)! Ich glaube, Sie müssen noch realisieren, dass wir in der Nahrungskette unter der Plage stehen. Die würden uns nur zu gerne in der Kuppel besuchen und fressen. Sie stehen trophisch über uns.« predige ich, während ich mit erhobenem Haupt und aufgerissenen Augen durch die Fensterfassade starre, durch die man eine Aussicht auf die Kolonie hat.

Sinclair erkennt, wie sehr ich mich mitreißen lasse und versucht mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen »Jetzt kommen Sie mal wieder runter, Patchwork, äh ich meine Steinberg!«.

Ich steige auf den Glastisch und schnappe mir das Wasserglas von Hubble und trinke es aus. Alle starren mich an, als wäre ich blöd, ob wohl sie es selber sind. Dann fahre ich aufrechtstehend fort »Erkennt ihr denn nicht den Goldesel, der vor unserer Haustür steht? Die Plage ist die Antwort auf alles.«.

Sakurada ergreift auch mal das Wort und versucht mich mit folgenden Worten zu überzeugen »Jetzt machen Sie mal halblang! Das sind bloß dumme Insekten.«.

Ich schmeiße das Wasserglas. Aber nicht auf Sakurada, weil er Scheiße gelabert und es deshalb eigentlich verdient hätte, sondern auf Sinclair, weil er meine Ratte geschlagen und es deshalb noch mehr verdient hat. Er weicht aus und ich verfehle nur knapp seinen Hohlschädel. Das Glas prallt gegen die Wand hinter Sinclair und zerspringt in viele Scherben. Während mein Vater voller Enttäuschung die Kinnlade runterhängen lässt und den Kopf schüttelt und Ivy und Maria vor Ratlosigkeit und Fremdschämen mit gesenktem Blick sich die Hand vors Gesicht halten, richte ich meinen Zeigefinger auf Sakurada und den Rest dieses Versagervereins und spreche mit röhrender Stimme mein Fazit »IHR SEID NUR DUMME INSEKTEN!«.

Dr. Patchwork und die Insekten

Подняться наверх