Читать книгу Dr. Patchwork und die Insekten - Gordon Goh, Patrick Schuller - Страница 7
Kapitel 4: Material
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7:35 Uhr, Eden-2-Kolonie. Ein Tag ist es her seit Sinclair der Interstellar-Force den Auftrag gegeben hat, Frischproben der Plage für die Forschungsarbeit meines Bruders Adam Steinberg zu besorgen und ins SOD-Zentrum zu bringen. Ich, Major Maria Steinberg, begebe mich mit einem Außenteam zu einem der Nester der Plage, um die Proben von dort zu beschaffen. Zum Team gehören Private Nero Parrot, Private Vergil Colt, Private Cesar Winchester, Lieutenant Rafael Heckler, Sergeant Michael Browning und Doktor Noah. Wir fahren mit einem Lehemoziz-Amphibienpanzer zum Plagenest D-1Y. Erläuterung: Die Nummer der Plagenester werden wie folgt definiert. D steht für einen der vier Quadranten ausgehend von der Kolonie. A bedeutet nordwestlich, B nordöstlich, C südöstlich und D südwestlich der Kolonie. Die Zahl ist die jeweilige Nummerierung des Nestes eines Quadranten. Am Ende wird die Nummer mit einem Y für observiert und X für unbekannt gekennzeichnet. Wenn Nester zerstört sind, werden diese mit einem Z gekennzeichnet. Aber solche Nester gibt es nicht. Noch nicht! Zu unserer Ausrüstung gehören zum Einen die Interstellar Force-Standardausrüstung nach § 5 Abs. 2 des SOD-Militärhandbuches (Tab. 1) sowie ein Probensammel-Kit des Doktors, 100kg C4-Sprengstoff und einige individuelle Zusatzwaffen der Teammitglieder von jedem Mitglied selbst ausgesucht. Dazu gehören drei Elektroschockpistolen mit je 500 Watt-Leistung, eine Panzerfaust mit fünf Wärmelenkraketen (Wärmelenkfunktion optional), ein Kampfspaten und mein persönliches Teslaschwert, eine Hiebwaffe mit zwei seitlich angebrachten Blitzleiter-Kathoden. Für den Fall einer Konfrontation mit Orgaschinen oder Metallosphären ist der Lehemoziz mit einer 0,5 m-Mikrowellen-Langstreckenkanone und zwei 150 mm Maschinengewehren ausgestattet. Mein Team ist angetreten und steht bereit zum Aufbruch. Wir machen uns auf den Weg. Wir verlassen die Sicherheit der Kuppel und betreten die gefährliche Einöde von Eden-2 außerhalb der Kolonie, um meinem verrückten Bruder seine Insektenproben zu bringen. Lebendig wenn es geht. Ich hoffe, das geht gut für uns aus. Adam ist vielleicht der Nagel zu unserem Sarg.
Tab. 1: Interstellar Force-Standardausrüstung nach § 5 Abs. 2 des SOD-Militärhandbuches
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8:42 Uhr. Die Mannschaft steht am Hangar unserer Militärzentrale bereit. Wir steigen in den Lehemoziz. Der Hangar ist so groß wie zwei Fußballstadien. Unter unseren Stiefeln höre ich das Geräusch von betretenem Metallboden. Ein schönes Geräusch, wenn Kunsthartledersohlen auf Stahlplatten treten. Der Hangar, unsere Ausstattung an mobilen, tragbaren und stationären Waffen. All das erfüllt mich mit Stolz. Und es erfüllt mich mit Stolz eine dieser Waffen zu sein. Eine Waffe aus Fleisch und Blut und Knochen. Ich bin keine Frau. Ich bin eine Einheit. Ich gehöre zur Infanterie der Interstellar Force. Bei uns wird nicht gedacht, wie bei den Kittelträgern. Bei uns wird stillgestanden, geladen, entsichert, gezielt und gefeuert. Wir schießen mit Handfeuerwaffen, mit Gewehren, mit Kanonenrohren und mit Lenkraketen. Wir bombardieren die Plage, die Matrix, die Flora und, wenn es sein muss, auch feindliche Zivilisten. Zivilisten, die aus der Reihe tanzen. Zivilisten, die falsche Entscheidungen treffen. Zivilisten, die meine Mutter getötet haben. Zivilisten, die mein Bruder noch mehr hasst als ich. Aber das ist kein Grund mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Ich bin stolz zu einer Einheit zu gehören, die solche schlimmen Dinge in Zukunft verhindern wird. Es erfüllt mich mit Stolz. Mit Stolz! Stolz!!! Ich bin keine Kriegerin. Ich bin eine Soldatin. Ein Werkzeug. Nein! Eine Waffe. So wie dieser Lehemoziz. Der fliegende Amphibienpanzer, der aussieht wie ein Tarnkappenbomber mit zentralem Übergewicht. Die Tragflächen sind riesig, aber ein- und ausfahrbar. Ein Flügel ist dreimal so breit wie die Panzeruntereinheit in der Mitte. Er besteht aus einem Polymer, was ihn leichter, aber trotzdem stabiler macht als Stahl. Trotzdem ist er kein eleganter Vogel. Er kann per Düsenantrieb fliegen. Zwei bewegliche Düsen sitzen zum Vorwärtsflug und zum Lenken am hinteren Bereich der Panzeruntereinheit, vier weitere direkt unter dem Panzer zum Abheben. Das verbraucht viel Energie, weshalb der Lehemoziz kein Langstreckenflieger ist. Zum Glück ist Eden-2 sehr warm. Das gibt zusätzlichen Auftrieb. Er ist abgesehen von den Tragflächen nicht sehr aerodynamisch und trotz des Polymers noch ziemlich schwerfällig. Das macht ihn langsam. Das Problem ist nicht die Außenhülle, sondern der Reaktor und die Bewaffnung. Würden wir auf den Reaktor verzichten, könnte der Lehemoziz gar nichts und ohne Bewaffnung würde niemand rausfliegen. Nicht bei all den Drohneninsekten, Orgaschinen und Metallosphären. Das wäre glatter Selbstmord. Wenn ich in den Lehemoziz einsteige, ist es, als würde ich zu einem Teil von ihm. Ich und die anderen Teammitglieder werden eins mit ihm, verschmelzen mit ihm zu einer Einheit. Er ist wie eine Verlängerung unserer Körper. Und wir vervollständigen ihn. Das macht uns stolz. Wir starten. Wir fliegen los. Wir brechen auf und unser Missionsziel ist eine frische bis lebende Probe eines Drohneninsektes. Dr. Noah weiß, was da zu tun ist. Aber ich hoffe, wir begegnen genug Plagen, um unseren Spaß zu haben. Ich liebe es Projektile auf bewegliche Ziele abzufeuern. Vollmantel- und Hohlspitzgeschosse. Halb- und Vollautomatik. Am liebsten Vollautomatik. Eine geölte Waffe mit langem Lauf und einem geschmeidigen Abzug. Ich liebe es, diesen Abzug zu drücken und das Magazin auf meinem Ziel zu entleeren. Den Druck rauszulassen. Ich liebe das kreischende Geräusch von sterbenden Rieseninsekten und das Knacken von Chitinpanzern. Knacks! Als würde man eine Walnuss öffnen. Oder eine Erdnuss, wenn es ein kleines Exemplar ist. Ich würde mal so gerne eine Orgaschine aufknacken, um zu sehen, was drin ist. Ich liebe es, wenn der Saft aus ihren Körpern spritzt. Der Saft ist hoch ätzend. Mein Bruder sollte mal herausfinden, wie ihre Körper den hohen Säuregehalt ihrer eigenen Körperflüssigkeiten standhalten. Wir könnten eine neue Rüstung damit bauen. Dann könnte ich mal ausnahmsweise einer Plage den Kopf weg schießen, während ich direkt davor stehe. Mit einer schönen Schrotladung mitten ins Gesicht. Das sind alles kranke Gedanken. Ich weiß das. Aber wir sind im Krieg. Und diese kranken Gefühle helfen mir dabei meine Missionen zu überstehen und sogar dabei Spaß zu haben. Es ist beunruhigend, aber zweckmäßig. Ich bin Maria Steinberg und mein Team hat soeben die Kuppel durch den Ausgang am Hangar verlassen.
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9:21 Uhr. Meine Kameraden reden über meinen Spitznamen. Sie nennen mich Tunnelblick-Marie, weil ich an den Gefahren vorbeigehe, als würde ich sie ignorieren. Das ist besorgniserregend, aber zweckmäßig. Denn so komme ich an mein Ziel. Ich verlasse mich auf die Rückendeckung meiner Kameraden. Privat Vergil Colt sieht die ganze Zeit aus dem Fenster, um den Außenposten zu erblicken, den wir nun überfliegen. Sein Bruder ist dort stationiert. Luke Colt. Nicht als Soldat. Als Sanitäter. Seine Sorge ist berechtigt. Man weiß nie, wann ein Außenposten angegriffen wird. Wir sind an ihr vorbei und Vergil hat die Bestätigung, dass der Außenposten noch steht. Er winkt seinem Bruder zu. Wer weiß, wie oft noch. Einer von beiden könnte sterben. Jederzeit. Wir fliegen weiter. Um uns herum - Rot violetter Himmel und karge Sanddünen.
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Abb. 7: Das Geheimnis von D-1Y
11:02 Uhr. Wir sind angekommen. Wir verlassen die Sicherheit unseres Lehemoziz und stehen nun vor dem Eingang des Plagenestes D-1Y. Vor dem Eingang liegen abgetrennte Fangarme und Beine von Kampfdrohnen. Sie sind alt und vertrocknet. Hier sind mal Orgaschinen patroulliert, aber mittlerweile sind sie weg. Hier werden meistens nur Kampfdrohnen und kleinere Exemplare gesichtet. Wir wissen nicht warum, aber vielleicht finden wir hier ein paar kleinere hilflosere Drohneninsekten, die wir leicht einfangen und transportieren können. Der Eingang steht unter einer Gebirgskette aus Sandstein und Geröll. Es macht keinen soliden Eindruck. Der Eingang selbst ist einfach nur ein dunkles schwarzes Nichts, eingebettet im Sandstein. Wir müssen unsere Taschenlampen einschalten. Lieutenant Heckler wartet mit Cesar im Lehemoziz. Der Rest von uns geht rein. Vergil, Nero, Sergeant Browning, der Doktor und ich begeben uns schwerbewaffnet in die Höhle. Der Doktor hat eine Zange, einen kleinen Käfig mit Polymerwänden und ein Kitt mit Probenbehältern. Hoffen wir, was da drin ist, ist klein genug für den Käfig. Wir Interstellar Force Einheiten tragen immer Helme mit großen transparenten Gesichtsschirmen. Ebenfalls aus Polymer. Die schützen zumindest vor Nahkampfangriffen ins Gesicht und kleinen Säurespritzern. Aber nicht ewig. Es war zuerst so schön ruhig. Dann musste Vergil jedoch sein dummes Maul auf machen.
»Habt ihr mal Berge des Wahnsinns von H.P. Lovecraft (1931) gelesen? Ich sag euch, ich hätte lieber die Finger davon gelassen. Aber wenn wir hier fertig sind, lese ich trotzdem weiter.«.
»Seit wann haben wir denn dieses Buch in unserer Datenbank?« fragt Nero.
»Wir haben alles in unserer Datenbank. Aber da lese ich es nicht.« antwortet Vergil mit vorgehaltener Waffe und fügt hinzu »Ich habe das Buch als Familienerbstück. Meine Vorfahren haben es vor dem Exodus mitgenommen. Echtes Papier und echtes Leder!«.
»Echtes Papier? Wenn du es mir verkaufst, gebe ich dir dafür ein Vermögen.« sagt Nero.
»Hahahaha!!! Damit du das Buch rauchen kannst? Vergiss es, Nero!« erwidert Vergil.
Ich verliere die Geduld und sag ihnen, sie sollen die Klappe halten »Könnt ihr zwei mal dicht halten? Wir sind in feindlichem Gebiet, ihr Schwachköpfe.«.
Vergil kommentiert weiter »Und wenn uns die Plage hören könnte? Wäre das so schlimm, wenn wir eh den Feindkontakt beabsichtigen? Wär doch besser, wenn sie zu uns zum Eingang marschieren, als wenn wir tiefer in dieses Kakerlakenloch kriechen.«.
Sergeant Browning mischt sich ein »Der Moment der Überraschung ist das Einzige, womit wir trumpfen können. Darauf will ich nicht verzichten. Also wenn Sie nicht sofort die Klappe halten, benutze ich Sie bei unserer Flucht als Ablenkungshappen für die kleinen Kotfresser.«.
»Verstanden, Sir! Obwohl ich glaube, dass Tunnelblick-Marie nur eifersüchtig auf meinen hoch literaren Wissensdurst ist. Sie hat auch ein Buch, aber ein viel platteres als ich. Ich habe sie beobachtet, wie sie Starship-Troopers (Heinlein 1959) liest. Wenn ich mit H.P. fertig bin, leih ich es Ihnen mal aus, Major. Dann können auch Sie mal ein richtiges Buch lesen.« plappert der dumme Vergil.
Ich tu so als ignoriere ich ihn, aber der Sergeant redet weiter »Worum geht es denn in Berge des verfluchten scheiß Wahnsinns?«.
»Um etwa denselben Scheiß, den wir hier gerade machen. Ein Expeditionsteam geht in eine Höhle, findet ein paar Monster und dann verrecken alle.« antwortet Vergil.
Doktor Noah beginnt zu schlucken und sagt »Genau das brauchen wir jetzt. Danke, Privat!«.
Nero klopft dem Doktor auf die Schulter »Keine Angst, Doc! Die Wissenschaftler überleben immer und kriegen am Ende die Frau!«.
Vergil muss dem noch die Krone aufsetzen »Nicht bei H. P. Lovecraft!«.
Bei der heißen Diskussion um Monster und Tragödien haben wir gar nicht bemerkt, wie tief wir schon vorgedrungen sind. Die Atmosphäre der Höhle wird kühler und feuchter. Schon irgendwie angenehm im Vergleich zu draußen. Wir dringen noch tiefer vor. Um uns herum fossilisierte Kampfdrohnen. Viele müssen schon eine Ewigkeit hier liegen, wenn sie schon versteinern. Andere sind nicht versteinert, aber staubtrocken. Da liegen noch kleinere Exemplare. Ebenfalls steinalt bis furztrocken. Wir brauchen ein frisches totes Tier. Bitte! Hier wurden doch schon lebende Exemplare gesichtet. Und jetzt, wo wir mal hier in eine Höhle eindringen, finden wir keine Lebenden. Der Gang der Höhle wird immer breiter. Immer mehr versteinerte Leichen häufen sich an den Seiten des Ganges. Als hätte man sie vor langer Zeit beiseite gefegt, wie Falllaub. Warum liegen hier so viele tote Drohneninsekten? Beseitigen staatenbildende Insekten ihre verstorbenen Kameraden nicht? Das hat mir zumindest mein Bruder erzählt. Es ist, als hätte man das Nest ausgeräuchert. Aber müssten dann nicht alle Insektenleichen gleichermaßen alt sein? Als wäre dieses Nest ganz langsam gestorben. Plötzlich finden wir etwas völlig Außergewöhnliches. Es ist ein Totenschädel in Mitten all dieser toten Insekten. Nero hat ihn gefunden und aufgehoben. Er hält ihn in einer Hand nach oben und scheint mit der Gewehrlampe drauf und offenbart dadurch die Natur dieses Schädels. Er ist nicht menschlich. Der Schädel trägt ein Nackenschild, wie ein Triceratops. Riesige Augenhöhlen weisen auf große Augen hin. Aber dann findet Nero etwas noch viel Interessanteres. Es ist der skelettierte Arm des Aliens mit einem elektronischen Armreif. Wie ein Schmuckstück mit Knöpfen. Dann scheint Vergil auf die Höhlenwand direkt hinter mir und offenbart etwas noch viel Erstaunlicheres. Nero bekommt die Kinnlade nicht mehr hoch und weist mit einem Finger auf das, was er da direkt hinter mir sieht. Ich drehe mich um und sehe eine stählerne Luke in der Höhlenwand, wie der Eingang zu einem unterirdischen Bunker. Die Luke verfügt über eine besonders exotische Konstruktionsweise. Da ist ein verstaubtes Fenster an der Luke. Ich wische den Staub mit meiner bloßen Hand vom Fenster und erblicke eine noch tiefere Schwärze, als wir sie vor dem Eingang der Höhle sahen. Ich frage mich, was sich dahinter verbirgt. Hinter dieser Luke. Hinter der Dunkelheit hinter dem Fenster. Ich scheine mit meiner Gewehrlampe durch das Fenster, um besser reinschauen zu können. Was ich sehe, sind zwei tiefschwarze große Augen in einem Gesicht, das dem Schädel ähnelt, den Nero gefunden hat. Und sie blinzeln mich an. Ich bekomme einen Schock. Ich schreie wie ein ängstliches Mädchen. Vergil schreit noch viel mädchenhafter. Ich schrecke zurück. Ich stolpere über eines der toten Insektenbeine, die auf dem Boden liegen. Als wäre das nicht genug, stößt Nero plötzlich einen Schmerzensschrei aus. Alle drehen sich in seine Richtung, richten ihre Lampen auf ihn. Er steht immer noch auf dem Leichenhaufen, der Insekten und fuchtelt vor sich hin. Er hat eine tiefe Schnittwunde an seinem linken Unterschenkel. Nero lässt den skelettierten Arm fallen und fällt selbst auf die Knie.
»WAS IST LOS, PRIVAT?« brüllt der Sergeant ihm entgegen.
Aber alles, was der Sergeant als Antwort bekommt, sind noch mehr Schmerzensschreie. Wir sehen wie etwas Transparentes auf seinem Rücken klettert und ihm die Uniform zerreißt. Feine kleine Schnitte entstehen. Nero versucht das Ding von seiner Schulter zu werfen, aber er bekommt es nicht gepackt.
»DA IST WAS AUF SEINER SCHULTER.« brüllt Vergil.
»SCHEIßE! WAS IST DAS?« brüllt der Sergeant.
»ES BRINGT IHN UM.« brüllt Vergil.
»KNALLT ES AB! KNALLT DAS VERDAMMTE TEIL AB!« brüllt der Sergeant.
Während ich starr vor Angst bin, weil ich noch über das Ding nachdenke, das sich hinter der Luke befindet und ich erneut mit der Lampe drauf scheine, um zu sehen, ob mich dieses Irgendetwas immer noch beobachtet, kommt der Doktor zu mir, um mir beim Aufstehen zu helfen. Ich sollte den anderen helfen. Aber ich bekomme diese tief schwarzen Augen nicht aus meinem Kopf, wie sie mich anblinzelten. Wie lange stand es schon hinter der Tür und hat mir in den Nacken geschaut, als ich noch mit dem Rücken zur Wand stand? Was ist bloß los mit mir? Ich bin völlig verängstigt. Und hinter mir diese Todesschreie. Die anderen haben das Feuer noch immer nicht eröffnet. Wie auch? Das unsichtbare Ding sitzt noch immer auf Neros Schulter. Doch dann beginnt Vergil zu schießen. Er trifft das unsichtbare Ding. Man sieht eine blutende Wunde und grünes ätzendes Blut, das Nero auf die Schädeldecke spritzt und sich in seinen Kopf ätzt.
»SCHEIßE! NERO! NEIN!« schreit Vergil in seine Richtung.
Wir können nur zusehen wie Nero vor Schmerzen schreiend zusammenbricht und sich sein Hinterkopf in eine blutige Vertiefung verwandelt. Ich kann sein Gehirn sehen. Ich seufze. Jetzt sehe ich gar kein Gehirn mehr. Das Gehirn ist weg. Vergil geht vor Schuldgefühl auf die Knie und lässt das Gesicht hängen. Dann richtet er sich wieder auf. Er reißt sich zusammen, sieht zu mir rüber und sagt »Sammelt das Ding ein und dann nichts w...«.
Sein Satz wird durch ein gurgelndes Keuchen unterbrochen, als ihm etwas Unsichtbares mit einem Zug die Kehle aufschlitzt.
»NEEEEEEIN!!! VERGIL!« dringt aus meiner Kehle hervor, während ich mit ansehen muss, wie magentafarbenes Blut aus der sauberen Schnittwunde austritt und sich in einem blutenden Wasserfall über seinen Hals und seinen Brustkorb ergießt. Der Sergeant eröffnet das Feuer und schickt gleich eine riesige Salve auf das Ding los. Doch er durchlöchert nur den sterbenden Vergil und treibt das Unsichtbare in meine und Noahs Richtung. Der Doktor greift nach seiner Zange und schnappt sich das etwa hundegroße Ding, das auf uns zu sprintet.
»KÄFIG!« brüllt er.
Ich greif nach dem Käfig und öffne ihn. Noah hat stark zu kämpfen mit dem Vieh. Es faucht wie eine Katze und man hört Peitschengeräusche. Hat das Vieh einen Peitschenschwanz? Ja, hat es. Das merke ich, als es mir damit ins Gesicht schlägt und eine blutende Wunde hinterlässt.
»SCHMEIßEN SIE ES REIN!« schreie ich.
Der Doktor tut genau das und schließt die Käfigtür. Doch vorher hinterlässt das Ding auch noch bei ihm ein Abschiedsgeschenk und durchbohrt ihm mit einem Stachel oder so etwas in der Art, man kann es ja nicht sehen, die Schulter. Das Tier wütet und bringt den Käfig zum Tanzen, während es weiter faucht, wie eine Eidechse und der Doktor seine Hand gegen seine Wunde drückt.
»Nichts wie weg hier!« sagt der Sergeant und er hat vollkommen Recht. Mit den Taschenlampen bemerken wir, dass die Stelle, an der wir stehen, eine Höhlengabelung ist und aus den verschiedenen Verzweigungen vernehmen wir weiteres Fauchen. Auch pulsierendes Zirpen hören wir. Das verheißt nichts Gutes. Dieses Geräusch bedeutet für uns „Kampfdrohnen im Anmarsch!“. Hier sind immer noch lebende Kampfdrohnen und sie haben die Schüsse gehört. Wir schnappen den Käfig, lassen die Toten zurück und rennen in Richtung Ausgang. An den Wänden und an der Decke sehe und höre ich weitere Unsichtbare. Ich sehe nur ihre Umrisse und die Lichtbrechung an ihren Körpern. Aber ich sehe sie. Nicht wenn sie stehen bleiben. Aber wenn sie sich bewegen. Ich greife nach meiner Pumpgun und schieße sie von der Wand, wo sie auf uns lauern. Einer lässt sich von der Decke auf mich herunterfallen. Ich weiche aus und schieß dem Vieh ins Gesicht oder so. Kleine Säurespritzer fliegen gegen meine Gesichtsbedeckung. Auch der Sergeant muss Salven verschießen. Eines der Dinger lauert dem Sergeant an der Wand auf. Aber der hat ihn bereits bemerkt und zerquetscht es mit seinem Stiefel gegen die Wand. Rückblickend betrachtet war das eine sehr dumme Idee. Denn jetzt frisst sich die austretende Säure durch seine Sohle. Er muss den Stiefel schnell ausziehen. Dann rennt der Sergeant halb barfüßig durch die Höhle. Ich werfe die Pumpgun zur Seite, weil ich sie leer geschossen habe, und greife nach meinem Teslaschwert. Ich aktiviere es und schon erscheinen zwei strahlende Blitze an den Kathoden. Ich trage einen Faraday Handschuh. Schutzkleidung, damit ich von der Waffe nicht selbst versehentlich eine gewischt kriege. Eines der Unsichtbaren überrascht mich kurz vor dem Ausgang. Bevor es mir ins Gesicht springen kann, halte ich das Teslaschwert schützend vor mich und das blöde Teil springt genau rein. Ich sehe, wie die elektrische Ladung das Ding erwischt und es fliegt fast zehn Meter weit zurück. Ein weiterer Unsichtbarer kriecht dem sandigen Boden vor dem Ausgang auf mich zu. Ich spiele Golf mit dem Vieh und schlag es gegen die Wand vom Höhleneingang. Natürlich mit Stromschlägen. Wir verlassen die Höhle und der Sergeant wirft noch eine Handgranate gegen den Eingang. Sie explodiert und tatsächlich erwischt die Explosion noch ein paar Unsichtbare, die wir gar nicht bemerkt hatten. Auch ein paar Steine an der Decke stürzen herab. Lieutenant Heckler steht vor dem Lehemoziz, macht aber einen erschrockenen Eindruck. Er sieht nicht nur uns, sondern auch die riesige Orgaschine, die fünfbeinig auf dem Berggipfel über dem Eingang steht. Sie hat uns bemerkt. Der Lieutenant greift nach seiner Panzerfaust und will auf die Orgaschine schießen. Bevor er den Abzug betätigen kann, beschießt die Orgaschine den Lieutenant mit einem sauberen Laserstrahl und schneidet ihn direkt vor unseren Augen schräg in zwei Teile. Als sein Torso herunterfällt, betätigt seine Leiche durch einen letzten Reflex doch noch den Abzug der Panzerfaust und eine Rakete schießt an unseren Köpfen vorbei zum Eingang, wo schon die ersten Kampfdrohnen heraus krabbeln. In einer Komposition aus Feuer und Druckwelle fliegen brennende Insektenkörperteile und staubige Felsbrocken aus dem Eingang. Wir rennen an dem toten Lieutenant vorbei, dessen Leiche uns um ein Haar mit einer Rakete erwischt hätte. Wir steigen in den Panzer, während dieser von Cesar gesteuert wird und mit der Mikrowellenkanone auf die Orgaschine zielt. Sie scheint eine Wirkung zu erzielen. Die Orgaschine schießt in unsere Richtung, aber unkoordiniert an uns vorbei. Die Mikrowellen scheinen sie blind zu machen und die Orgaschine fängt sogar Feuer. Ich ergreife die Chance und bediene eines der 150 mm Maschinengewehre. Ich schieße auf das, was so aussieht wie ein Kopf. Ich durchlöchere dieses Ding, das so aussieht, als käme es aus einer ekelhafteren Version von Krieg der Welten (Wells 1898). Eigentlich sieht es aus wie ein grüner Radarturm auf fünf Krebsbeinen. Wir fahren weg, während ich und Cesar weiter feuern. Der Orgaschinenkopf explodiert und ich lächele. Ich habe meinen Traum erfüllt. Irgendwann kehre ich zurück und sehe nach, was drin war. Ich bin Tunnelblick-Marie und ich habe soeben eine Orgaschine geplättet.
Abb. 8: Maria Steinberg alias „Tunnelblick-Marie“.
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Uhrzeit ist mir gerade egal! Ich habe drei Kameraden verloren. Noah behandelt seine verletzte Schulter und Cesar begutachtet das Unsichtbare in der Kiste, das wie wild hin und her wackelt. Es hat eine scheiß Wut. Wir haben auch schon einen Namen für den kleinen Teufel. Wir nennen ihn Schlitzi die Stealth-Drohne. Ich bin Tunnelblick-Marie und ich habe soeben eine neue Art entdeckt. Wir fahren an dem Außenposten vorbei, an dem Vergils Bruder stationiert ist. Aber der Stützpunkt ist völlig zerstört. Wir sind fassungslos. Wir halten an. Wir steigen aus. Wir sind immer noch fassungslos.
»In Deckung!« flüstert der Sergeant.
Wir ducken uns und sehen, was er sieht. Hinter den Trümmern des etwa 500 m² großen Stützpunktes schwebt am Himmel eine fast 10 m dicke Metallosphäre vorbei. Wir versuchen unbemerkt zu bleiben und meiden jeden Kontakt. Sie anzugreifen wäre töricht. Eine schwebende Metallkugel ist zwar längst nicht so gruselig, wie das, was wir in der Höhle entdeckt haben oder das Teil, das wir in der Box eingesperrt halten. Dennoch darf man die Agenten der Matrix nicht unterschätzen. Sie kann sofort beschleunigen und uns alle zermalmen. Wir warten bis das Ding weiterfliegt und den Trümmerhaufen verlässt. Wir beobachten, wie es am Horizont verschwindet. Das Teil sieht nicht nach viel aus, aber dieser Anblick ist einfach bizarr und beeindruckend. Eine perfekt geometrische Struktur fliegt, scheinbar ohne Antrieb, quasi wie durch Magie, zum Horizont und verschwindet dort. Manchmal frag ich mich, ob die Dinger wirklich denken können. Jetzt kommen die Überlebenden aus ihrem Versteck hervorgekrochen und direkt auf uns zu. Sie sind verängstigt und völlig traumatisiert. Es liegen sogar viele Tote zwischen den Trümmern. Einer scheint sogar von der Sphäre völlig zermatscht worden zu sein. Sein blutiger Körper liegt platt auf dem Sandstein. Armer Teufel! Aber sie hatten Glück. Hätte sie eine purpurne Wolke besucht, hätte sie keine Überlebende hinterlassen. Nur ein Friedhof voller verkohlter Leichen, wäre übriggeblieben. Unter den Überlebenden ist Vergils Bruder Luke. Scheiße! Wie soll ich ihm das jetzt mit Vergil erklären? Dieser Tag kotzt mich an! Ich bin Tunnelblick-Marie und ich habe soeben einen Scheißtag erlebt. Aber eines war gut! Ich habe eine Orgaschine zum Knacken gebracht. Knacks!
Abb. 9: Metallosphäre