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Kapitel 3

Im goldenen Käfig gefangen

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In meinen ersten Jahren als Leiter wusste ich die Arbeit eines Vorstands oder der Gemeindeältesten nicht wirklich zu schätzen. Eigentlich war ich der Auffassung, dass eine Vorstandssitzung für mich als Führungskraft wie ein Hindernislauf war: Die Vorstandsmitglieder verfolgten nur ein Ziel: mir das Leben schwerzumachen; und ich verfolgte ebenfalls nur ein Ziel: sie davon zu überzeugen, dass jede meiner Ideen richtig war und ihre absolute Zustimmung verdiente.

Wer seine Rolle als Führungskraft mit einer solchen Unkenntnis organisatorischer Strukturen und Aufgaben angeht, wird höchstwahrscheinlich wenig Freude daran haben. Und dann lernte ich eines Abends in einer einzigen Sitzung etwas über mich und die Organisation, für die ich arbeitete, was alles veränderte.

Der Ältestenrat unserer Kirchengemeinde war zusammengekommen, um sich meine abschließende Präsentation eines wichtigen Vorschlags unserer Mitarbeiter anzuhören. Die Zustimmung des Gremiums würde eine deutliche finanzielle Aufstockung mit sich bringen sowie ein oder zwei neue Mitarbeiter und eine Verschiebung der gemeindlichen Prioritäten.

Eine Stunde oder länger umriss ich den Vorschlag mithilfe von Unterlagen, Tabellen und Kritzeleien auf dem Whiteboard. Ich setzte meinen ganzen Charme ein und warf wahrscheinlich allen Einfluss in die Waagschale, den ich hatte. Nachdem ich geendet hatte, gab es Fragen. Jede Menge Fragen. Zu viele Fragen, um genau zu sein. Bei einigen Fragen fühlte ich mich in die Defensive getrieben, andere untergruben mein Selbstvertrauen. Einige Fragen kamen mir feindselig vor. Wo blieben denn die Fragen, die mein Anliegen unterstützten?

Schließlich kam der Zeitpunkt, an dem sie über meinen Vorschlag abstimmten – und der Vorstand stimmte mit Nein. Können Sie sich das vorstellen? Der Vorstand stimmte mit Nein! Auf meinen Antrag. Stimmte mit Nein. Gegen mich. Dann wandten sie sich anderen Angelegenheiten zu.

Ich war wütend. Ich hatte verloren. Ich fühlte mich abgelehnt. Ich war bereit, nach Hause zu gehen und meine Koffer zu packen.

Ohne darüber nachzudenken, welchen Eindruck das auf die anderen machte, schob ich meinen Stuhl vom Tisch zurück und starrte auf den Boden. Den Rest des Abends ließ ich still und unbeteiligt über mich ergehen, und als der Vorsitzende die Sitzung beschloss, versuchte ich, als Erster den Raum zu verlassen. Ich hätte es geschafft, wenn es da nicht einen Mann gegeben hätte, der in den kommenden Jahren einer meiner besten Freunde werden würde.

Al erreichte die Tür vor mir. Da er wesentlich größer war als ich, schob er mich mit Leichtigkeit in eine Ecke, wo niemand hören konnte, was er mir zu sagen hatte.

„Dein Auftritt bei diesem Treffen heute Abend war nicht gerade berauschend“, meinte Al. „Du hast dein Glück versucht, aber es ist schiefgegangen. Sie haben deinen Antrag abgelehnt, und ich für meinen Teil denke, du hast dieses Nein verdient. Du hast deine Hausaufgaben nicht gemacht, und wenn du ehrlich bist, dann wusstest du das ganz genau.

Nun“, fuhr Al fort, „wenn du willst, dass sie zu allem Ja und Amen sagen, na schön. Aber dann musst du auch ganz allein die Folgen tragen, wenn etwas nicht klappt. Du wirst dir eine Menge Kummer ersparen, wenn du erkennst, dass dieser Vorstand dich doch nur dabei unterstützen will, erfolgreich zu sein. Und das bedeutet eben manchmal, Nein zu sagen.“

Was Al mir an jenem Abend zu verstehen gab, ist etwas, das jeder Mensch hören muss, der auch nur ein kleines bisschen „Getriebensein“ in sich trägt. Er war einsichtsvoll (und mutig) genug, um mich zu tadeln – und dieser Tadel würde sich positiv auf den Rest meiner Zeit als Leiter auswirken. Al machte mir deutlich, dass ich lernen müsste, ein Nein zu schätzen. Dass ich dankbar dafür sein müsste, wenn mir jemand, der mehr Erfahrung und Durchblick besaß, die Wahrheit sagte.

Al bewahrte mich dadurch vor dem Zwang, immer gewinnen zu müssen, und vor einer Mentalität, die der Auffassung ist, dass es wichtiger ist, den eigenen Willen durchzusetzen, als gute Entscheidungen zu treffen oder, besser noch, sich mit Gottes Absichten vertraut zu machen.

Viele getriebene Menschen tun sehr gute Dinge. Getriebene Menschen sind nicht unbedingt schlechte Menschen, auch wenn ihre Getriebenheit bedauernswerte Folgen haben kann. Tatsächlich leisten getriebene Menschen oft einen großen Beitrag: Sie gründen Organisationen; sie schaffen Arbeitsplätze und eröffnen anderen tolle Möglichkeiten; sie sind oft sehr intelligent und entwickeln neue Vorgehensweisen, die vielen anderen Menschen zugutekommen. Nichtsdestotrotz sind sie letztlich getrieben, und so sorgt man sich darum, wie sie ihr Tempo halten können, ohne sich schlussendlich selbst zu gefährden.

Auf dem Nachhauseweg ging mir auf, dass ich getrieben genug war, um Gefahr zu laufen, eine toxische Führungspersönlichkeit zu werden. In den kommenden Tagen und Wochen machte ich meine Hausaufgaben und beschäftigte mich mit den Symptomen des Getriebenseins, die ich bei anderen und leider auch bei mir selbst festgestellt hatte.

Folgendes habe ich damals gelernt:

1. Ein getriebener Mensch findet häufig nur dann (zeitweilige) Befriedigung, wenn er sein Ziel erreicht. „Schau dir an, was ich alles mache. Ich muss etwas ganz Besonderes sein! Verstehst du es denn nicht? Ich bin etwas Besonderes!“ Im Laufe ihres Reifeprozesses entdeckt eine getriebene Person, dass sie sich nur dann gut fühlt und nur dann mit ihrem Leben zufrieden ist, wenn sie eine beeindruckende Liste von Errungenschaften vorzuweisen hat. Dieses Verhalten kann das Ergebnis von prägenden Einflüssen im frühen Kindesalter sein. Vielleicht hat der Betreffende nur dann die Bestätigung und Annahme von seinen Eltern oder einer anderen maßgeblichen Person erhalten, wenn er irgendetwas fertiggestellt hatte. Womöglich gab es erst dann ein Lob, wenn diese Aufgabe abgeschlossen war. Daher hat der Betreffende gelernt, dass er nur dann Liebe und Anerkennung bekommt, wenn er seine Ziele erreicht.

Dummerweise ist die Liste an Errungenschaften aber nie lang genug, wenn man eine getriebene Persönlichkeit ist. Sie muss länger und immer länger werden, beeindruckender und immer beeindruckender. Denn die getriebene Person ist der irrigen Auffassung: „Bestimmt werden mich andere (und auch mein Vater) mögen, wenn sie sehen, wie viel ich erreicht habe.“

Ich stand am Eingang zur Sporthalle, in der unsere Enkelin gerade Hallenfußball spielte. In diesem Augenblick kam ein kleiner Junge von etwa neun Jahren aus der Tür geschossen und entdeckte seinen Vater. „Papa, ich habe ein Tor geschossen!“, rief er begeistert. „Ja“, antwortete der Vater, „aber dafür hast du zwei weitere Torchancen verpatzt.“

Seit diesem Erlebnis frage ich mich, ob der Junge nicht von seinem Vater darauf getrimmt wird, das Leben und den Wert eines Menschen an seinen Leistungen zu messen. „Du hast zwar ein Tor geschossen, aber du hättest mehr leisten können.“ Auf diese Weise wurde eine nachhaltige Botschaft in die Seele des Jungen eingebrannt – und zwar durch eine wichtige Autoritätsperson.

In solchen Fällen entwickelt man manchmal ein Erfolgsdenken und die Auffassung: Wenn die Ausführung einer Aufgabe gute Gefühle und die Anerkennung anderer zur Folge hat, dann führt wohl der Abschluss von mehreren solcher Aufgaben auch zu mehr guten Gefühlen und mehr Anerkennung. Wenn aber ein erreichtes Ergebnis (wie in unserem Fall das erzielte Tor) nicht genug ist, dann sorgen vielleicht drei weitere Erfolgserlebnisse für das, was wir am nötigsten brauchen: Anerkennung.

Also macht sich der getriebene Mensch darüber Gedanken, wie er mehr und immer mehr Anerkennung erlangen kann. Bald wird er zwei oder drei Dinge auf einmal tun, weil ihm das noch mehr von diesem zweifelhaften Vergnügen einbringt. Er wird einer dieser Menschen, die ein Buch nach dem anderen verschlingen und an Fortbildungen teilnehmen, wo er lernt, wie er seine Zeit effektiver nutzen kann. Wozu? Damit er umso effektiver Aufgaben erledigen kann, die ihm wiederum größere Befriedigung verschaffen.

Damit gehört er in die Kategorie der Menschen, die das Leben nur durch die Ergebnisbrille betrachtet. Das führt jedoch dazu, dass er wenig Verständnis für den Prozess hat, der ja erst zum Resultat führt.

2. Ein getriebener Mensch stellt seine Errungenschaften zur Schau. Titel, akademische Grade, die Größe eines Hauses, ein Chefbüro, ein standesgemäßer Partner, eine Einladung in die VIP-Loge beim Champions-League-Finale, ein Promi, dessen Name man beiläufig erwähnen kann: All dies sind die Werkzeuge einer getriebenen Person. Sie erwecken den Neid und die Bewunderung anderer. Ganz Allgemein stellt man fest, dass solche Menschen sich Gedanken machen um ihren eigenen Bekanntheitsgrad. Wer, fragt sich die getriebene Person, weiß, was ich tue? Wie kann ich mich besser mit den „Großen“ meiner Welt vernetzen? Diese Fragen beschäftigen den Getriebenen oft.

3. Ein getriebener Mensch verspürt meistens den unkontrollierten Drang, noch größer zu werden. Getriebene Menschen wollen an etwas teilhaben, das ständig wächst und erfolgreicher wird. Sie sind unablässig auf der Suche nach den größten und besten Angeboten. Sie nehmen sich selten Zeit, um bisherige Erfolgserlebnisse zu würdigen.

4. Getriebene Menschen kümmern sich meist wenig um moralische Integrität. Sie sind oft so mit ihrem Erfolg und den von ihnen erreichten Zielen beschäftigt, dass ihnen wenig Zeit bleibt, innezuhalten und sich die Frage zu stellen, ob ihr Innenleben noch mit ihren äußeren Prozessen Schritt halten kann. In der Regel ist das nicht der Fall. Und es kommt hier zu einer wachsenden Diskrepanz, zu einem Zusammenbruch dessen, was Stephen Covey einmal als prinzipienorientiertes Leben bezeichnet hat.1 Solche Menschen werden oft zunehmend betrügerisch; sie betrügen nicht nur andere, sondern auch sich selbst. In dem Versuch, ohne Rücksicht auf Verluste voranzukommen, machen sie sich wegen ihrer Motive etwas vor; sie schließen Kompromisse in Bezug auf Werte und Moral. Der schnelle Weg zum Erfolg wird zum Lebensstil. Weil das Ziel so wichtig scheint, sinken ihre ethischen Maßstäbe auf ein armseliges Niveau herab. Getriebene Menschen werden erschreckend pragmatisch.

5. Getriebene Menschen strotzen nicht gerade vor sozialer Kompetenz – außer, wenn es darum geht, andere zu manipulieren und einzuschüchtern. Sie fallen nicht gerade dadurch auf, dass sie ein Umfeld bieten, in dem man gern arbeitet. Programme, Projekte und Prozesse sind ihnen wichtiger als Menschen. Da sie so ziel- und zweckorientiert sind, nehmen sie ihre Mitmenschen kaum wahr, es sei denn, diese könnten ihnen bei der Erreichung eines ihrer Ziele nützlich sein. Scheint das nicht der Fall zu sein, werden sie oft als Hindernisse oder Konkurrenten bei der Erfüllung einer Aufgabe betrachtet.

Im Kielwasser von getriebenen Menschen bleiben andere oft auf der Strecke. Wo man den Getriebenen für seine scheinbar großen Führungsqualitäten lobt, wächst bald immer mehr Frustration und Feindschaft, denn jeder erkennt, dass sich der Getriebene wenig um das Wohlbefinden und die Weiterentwicklung des Menschen schert. Jedermann sieht: Der Betreffende hat eine nicht verhandelbare Agenda, und diese ist wichtiger als alles andere. Kollegen und Mitarbeitende im Umfeld des getriebenen Menschen ziehen sich allmählich zurück, einer nach dem anderen, erschöpft, ausgebeutet und desillusioniert. Von einem solchen Menschen sagen wir dann gern: „Es ist schrecklich, mit ihm zusammenzuarbeiten, aber er hat viel Erfolg.“

Und das ist der wunde Punkt: Er hat Erfolg – zerstört dabei aber unter Umständen Menschenleben. Und das ist nicht gerade eine schöne Vorstellung. Aber das Merkwürdige ist, und das lässt sich nicht ignorieren: In beinahe jeder großen Organisation findet man solche Menschen, gleichgültig, ob es sich dabei um ein konfessionelles oder säkulares Unternehmen handelt. Und obwohl sie den Samen der Zerstörung von Menschen und Beziehungen in sich tragen, gelten sie häufig als unverzichtbar.

Vor vielen Jahren stand ich einmal im Eingangsbereich unserer Gemeinde und unterhielt mich mit einem unserer leitenden Mitarbeiter, als Marilyn das Gebäude betrat. Marilyn litt unter einer psychischen Erkrankung und stand unter starken Medikamenten. In ihrem benommenen Zustand erschien sie vielen als Belastung, weil sie nur langsam sprach und immer wieder Themen anschnitt, die für vielbeschäftigte Personen nicht wichtig sind – und da muss ich mich zu meiner Schande mit einbeziehen.

„Hallo, Marilyn, wie geht es dir?“, rief ich, als ich Marilyn sah. Dann wandte ich mich aber sofort wieder der Unterhaltung mit besagtem Mitarbeiter zu, in der Hoffnung, sie würde merken, dass ich gerade beschäftigt war und nicht gestört werden durfte.

Das war aber nicht der Fall. Plötzlich merkte ich, dass Marilyn näher kam und sich schließlich genau zwischen mich und meinen Gesprächspartner drängte. Sie sah zu mir hinauf – sie war sehr klein – und sagte mit ihrer langsamen, von Medikamenten verzerrten, ausdruckslosen Stimme: „Pastor Mac, Sie haben gesagt: ‚Hallo, Marilyn, wie geht es dir?‘, aber in Wirklichkeit wollen Sie das gar nicht wissen. Sie sind zu beschäftigt, um jemandem wie mir Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin einfach nicht wichtig genug.“

Und Marilyn hatte recht! Vielleicht erging es ja noch mehr Leuten so wie Marilyn, aber sie hatten nicht den Mut, es so offen zu sagen. Ihre Medikamente setzten die sozialen „Hemmstoffe“ außer Kraft, die Menschen sonst davon abhalten, einfach das zu sagen, was sie gerade denken; und daher sagte sie genau das, was ihr auf dem Herzen lag. Ich konnte mich lediglich bei ihr entschuldigen und darüber nachdenken, dass mir diese Erfahrung wieder einmal bewiesen hatte, dass ich getrieben war und eine Jesus-Nachfolgerin verletzt hatte.

6. Getriebene Menschen neigen dazu, Positionskämpfe auszutragen. Sie müssen immer gewinnen. Ein getriebener Mensch muss vor anderen gut dastehen. Je stärker er getrieben ist, desto größer muss sein Erfolg ausfallen. Dieser liefert nämlich dem getriebenen Menschen den unerlässlichen Beweis dafür, dass er im Recht ist, dass er wertvoll und wichtig ist. So sind andere für ihn Konkurrenten oder Feinde, die besiegt, vielleicht sogar gedemütigt werden müssen.

Ich erinnere mich an einen Mann, mit dem ich als Junge von Zeit zu Zeit Brettspiele spielte. Diesem Mann war es nicht nur wichtig zu gewinnen – er wollte haushoch gewinnen! Wenn wir Monopoly spielten, legte er alles daran, mich in den Bankrott zu treiben. Anschließend lieh er mir Geld (natürlich mussten die Regeln dafür abgewandelt werden!), sodass das Spiel weitergehen und er mich ein zweites Mal besiegen konnte. Wenn wir Scrabble spielten, baute er dank seines überlegenen Wortschatzes innerhalb kürzester Zeit einen riesigen Punktevorsprung aus und ließ mich weiterkämpfen, obwohl ich schon längst die Lust und das Interesse verloren hatte. Bis heute versuche ich tunlichst, jedes Brettspiel zu meiden (sehr zum Leidwesen meiner Familie), aber diese Demütigungen, die inzwischen schon Jahre zurückliegen, hallen immer noch in mir nach. So etwas lösen getriebene Menschen bei anderen aus.

7. Ein getriebener Mensch ist oft so mit Wut erfüllt, dass er ausrastet, sobald er bei anderen Widerstand oder mangelnde Loyalität festzustellen glaubt. Zu solchen Ausbrüchen kann es zum Beispiel dann kommen, wenn jemand eine andere Meinung hat, einen Alternativvorschlag zur Lösung eines Problems macht oder auch nur die leiseste Kritik äußert.

Wut muss sich nicht zwingend in körperlicher Gewalt äußern, kann aber Formen verbaler Gewalt annehmen: zum Beispiel Fluchen oder demütigende Beschimpfungen. Der Zorn kann sich aber auch durch rachsüchtiges Verhalten zeigen: Leute werden entlassen, werden in Gegenwart anderer Mitarbeiter schlechtgemacht, oder es werden ihnen Dinge vorenthalten, die sie erwartet haben, wie Zuneigung, Geld oder einfach nur Kameradschaft.

Ehrlich gesagt, hätte ich die folgende Geschichte nicht von jemandem gehört, dem ich vertraue – ich hätte sie nicht geglaubt. Er erzählte mir, wie er gemeinsam mit einigen Mitarbeitern in einem Großraumbüro saß, als eine der leitenden Angestellten, die bereits seit 15 Jahren für die Firma tätig war, eine Woche Urlaub erbat, um sich um ihr krankes Kind kümmern zu können. Großer Fehler! Der Vorgesetzte schlug ihre diese Bitte ab. Sie fing an zu weinen und bat ihn, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Als er sich umwandte und ihre Tränen bemerkte, stieß er wütend hervor: „Packen Sie Ihre Sachen, und hauen Sie ab. Ich brauche Sie sowieso nicht.“ Nachdem sie den Raum verlassen hatte, wandte er sich den erschrockenen Kollegen zu und sagte: „Damit das klar ist: Sie sind alle nur aus dem einen Grund hier: um dem Unternehmen Geld einzubringen. Und wenn Ihnen das nicht passt, dann verschwinden Sie!“

Tragischerweise nehmen viele gute Menschen im Umfeld eines Getriebenen solche Wutausbrüche ohne Zögern in Kauf, obwohl es sie sehr schmerzt. Doch sie sind bereit, diese hinzunehmen, weil der Vorgesetzte oder Leiter einfach gut in dem ist, was er tut. Manchmal werden die Wut und ihre schrecklichen Folgen auch deshalb in Kauf genommen, weil niemand den Mut besitzt oder fähig ist, dem getriebenen Menschen die Stirn zu bieten.

Kürzlich erzählte mir jemand, der im Vorstand einer bedeutenden christlichen Organisation saß, von Auseinandersetzungen mit dem Geschäftsführer, die von Wutausbrüchen und Schimpfkanonaden begleitet wurden. Als ich mich erkundigte, warum die Vorstandsmitglieder ein derartiges Benehmen hinnahmen, das er häufig an den Tag legte und wofür er sich nie entschuldigte, entgegnete er: „Ich glaube, wir waren so beeindruckt von der Art und Weise, wie Gott ihn in seinem öffentlichen Dienst zu gebrauchen schien, dass wir ihm nicht widersprechen wollten. Ich denke, wir meinten, wir könnten es uns nicht leisten, ihn zu verlieren.“

8. Getriebene Menschen prahlen damit, wie viel sie um die Ohren haben. Sie haben vergessen, wie man sich amüsiert und abschaltet und halten geistliche Aktivitäten für Zeitverschwendung. Sie sind meist zu beschäftigt, um normale Beziehungen mit Partner, Familie, Freunden oder sogar mit sich selbst aufrechtzuerhalten – von einer Beziehung zu Gott ganz zu schweigen. Da getriebene Menschen selten das Gefühl haben, genug getan zu haben, ergreifen sie jede Gelegenheit, um an noch mehr Treffen teilzunehmen, noch mehr Fachliteratur zu lesen, noch mehr Projekte ins Leben zu rufen. Sie leben und arbeiten nach dem Motto: Geschäftigkeit ist ein Zeichen für Erfolg und persönliche Wichtigkeit. Daher wollen sie andere mit ihrem vollen Terminkalender beeindrucken. Womöglich baden sie dabei gleichzeitig in Selbstmitleid, stöhnen unter dem Joch ihrer angeblich so großen Verantwortung und fragen sich mit lauter Stimme, ob ihnen nicht jemand ihre Last abnehmen könnte. Aber versuchen Sie doch einmal, ihnen einen Ausweg vorzuschlagen!

Das Schlimmste, was diesen Menschen passieren könnte, wäre in der Tat, wenn ihnen wirklich jemand einen Ausweg zeigte. Wenn sie auf einmal viel weniger zu tun hätten, wüssten sie nämlich nicht, was sie mit sich anfangen sollten. Geschäftigkeit wird für getriebene Menschen zur Gewohnheit, zum Lebensstil und prägt ihr gesamtes Denken. Es macht ihnen fast Freude, sich zu beschweren und um Mitleid zu heischen. Ansonsten würden sie sich vermutlich schlecht fühlen. Aber erzählen Sie das einmal einem getriebenen Menschen – das würde ihn wütend machen.

Das sind also die Merkmale eines getriebenen Menschen – nicht gerade ein erfreuliches Bild. Was mich bei der Betrachtung dieses Bildes oft stört, ist, dass vieles in unserer Welt von getriebenen Menschen gesteuert wird. Wir haben ein System geschaffen, das auf diese Art Menschen zugeschnitten ist. Und da, wo sie im Geschäftsleben, in Kirchengemeinden und Familien am Werk sind, bleibt häufig persönliche Entwicklung von Menschen auf der Strecke, weil Leistung, Errungenschaften und Gewinnmaximierung wichtiger sind.

Getriebene Pastoren haben Scharen von haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verheizt, weil sie Organisationen und Gemeinden vorstehen wollten, die die größten, besten und bekanntesten sind. Es gibt auch Geschäftsleute, die behaupten, sie seien Christen, und die in Gemeinden den Ruf genießen, fromme Menschen zu sein. Doch im Geschäftsleben handeln sie skrupellos, schubsen Mitarbeiter herum und saugen ihnen auch das letzte bisschen Energie aus, um selbst den Erfolg einzuheimsen oder sich zu profilieren.

Die Erkenntnis, dass ich im Grunde ein Getriebener bin, war eine der schmerzlichsten Erfahrungen meines Lebens. Ich habe fast jede dieser Eigenheiten, die ich hier aufgelistet habe, schon einmal an mir entdeckt. Dieses Getriebensein hat mich im Laufe der Jahre auch in einige Lebenskrisen gestürzt. Und jedes Mal musste ich neu mit der Erkenntnis klarkommen, dass irgendeine heimtückische Kraft tief in mir Dinge erreichen und fertigbringen wollte, und zwar aus Gründen, die nichts damit zu tun hatten, dass ich Jesus gehorsam sein oder Gott Ehre machen wollte.

Ich musste lernen, mich täglich mit diesem Problem des Getriebenseins auseinanderzusetzen. Ich musste meine Frau und diejenigen, die mir am nächsten stehen, fragen, ob sie irgendwelche Anzeichen von unkontrollierter Getriebenheit an mir entdeckten. Ich musste mich regelmäßig selbst überprüfen, um sicherzugehen, dass meine Pläne, meine Art der Führung und meine Ziele stärker an meiner Berufung und weniger an meinem Getriebensein ausgerichtet waren. Ich musste lernen, auf Gott zu hören, und darauf achten, dass ich seine Absichten verfolgte und nicht meine. Wenn ich die Möglichkeit ignorierte, dass die Getriebenheit das Steuer in meinem Leben übernahm, hätte das gravierende Konsequenzen für mich.

Kürzlich erzählte ein guter Freund von mir einem Geschäftsmann von Jesus. Kurz nachdem er die Entscheidung getroffen hatte, Jesus nachzufolgen, schrieb dieser meinem Freund, der ihn zum Glauben geführt hatte, einen langen Brief. Er beschrieb darin einige der Kämpfe, die er aufgrund seiner Getriebenheit auszufechten hatte. Ich bat darum, den Brief teilweise veröffentlichen zu dürfen, weil er ein so anschauliches Bild eines Menschen zeichnet, der getrieben ist. Er schrieb:

Vor einigen Jahren hatte sich in meinem Leben große Frustration breitgemacht. Obwohl ich eine wunderbare Frau und drei tolle Söhne hatte, ging es mit meiner Karriere bergab. Ich besaß nur wenige Freunde. Mein ältester Sohn geriet in Schwierigkeiten – seine schulischen Leistungen wurden immer schlechter. Ich litt an Depressionen, meine Familie war oft unglücklich; zwischenmenschliche Spannungen waren bei uns an der Tagesordnung. Während dieser Zeit hatte ich die Möglichkeit, für eine Weile nach Übersee zu gehen, wo ich für ein ausländisches Unternehmen tätig sein würde. Diese Position war in finanzieller und karrieretechnischer Hinsicht so vorteilhaft, dass ich ihr Priorität einräumte und alle anderen Werte über Bord warf. Ich tat viele schlechte Dinge (das heißt Sünden), um Erfolg zu haben und beruflich weiterzukommen. Ich rechtfertigte das damit, dass es nur positive Auswirkungen für meine Familie hätte (höheres Einkommen usw.), belog mich und meine Familie und machte vieles verkehrt.

Natürlich war mein Verhalten für meine Frau unerträglich, und so kehrte sie mit den Kindern in die USA zurück. Trotz alledem erkannte ich nicht, dass ich die Schuld an diesen Problemen trug. Mein Erfolg, mein Einkommen, meine Karriere – alles ging steil nach oben. Ich war in einem goldenen Käfig gefangen …

Obwohl mir äußerlich viel Positives zuteilwurde, verlor ich innerlich alles. Meine Fähigkeit, logisch zu denken und vernünftige Entscheidungen zu treffen, war beeinträchtigt. Ich wägte ständig Alternativen und Möglichkeiten ab und suchte mir dann die heraus, die den größten Erfolg versprachen und meine Karriere vorantrieben. Innerlich spürte ich, dass etwas vollkommen verkehrt lief. Ich ging zwar in eine Kirchengemeinde, aber die Predigten konnten mein Herz nicht erreichen. Ich war zu sehr in meiner eigenen Welt gefangen.

Nach einem schrecklichen Familienstreit beschloss ich, meine Denkweise zu ändern, und zog mich neun Tage lang in ein Hotelzimmer zurück, um herauszufinden, was ich tun sollte. Je mehr ich nachdachte, desto schwieriger wurde alles für mich. Ich begann zu begreifen, wie tot ich innerlich in Wirklichkeit war, wie viel Dunkelheit in meinem Leben herrschte. Und das Schlimmste von allem: Ich sah keinen Ausweg. Ich sah nur eine Lösung: die Flucht zu ergreifen, alle Brücken hinter mir abzubrechen und an einem anderen Ort neu anzufangen.

Diese brutal ehrliche Geschichte eines Mannes, der am Boden war, fand glücklicherweise einen positiven Ausgang. Denn kurz nach dieser neuntägigen Erfahrung begegnete er Gott. Er machte die Bekanntschaft von Gottes Liebe und erlebte am eigenen Leib, dass dieser sein Leben völlig umkrempeln konnte. So wurde aus einem getriebenen Mann das, was wir im nächsten Kapitel einen berufenen Menschen nennen. Er konnte seinem goldenen Käfig entfliehen.

In der Bibel gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel für einen getriebenen Menschen als Saul, den ersten König von Israel. Im Gegensatz zu der obigen Geschichte, die einen glücklichen Ausgang hatte, hatte seine einen sehr tragischen, denn Saul konnte seinem goldenen Käfig nie entfliehen. Sein Leben wurde zunehmend stressiger und belastender, worunter er dann schließlich auch zusammenbrach.

Die Art und Weise, wie Saul uns eingangs in der Bibel vorgestellt wird, stellt bereits eine Warnung dar, dass dieser Mann wegen einiger Schwächen bald die Kontrolle über sich selbst verlieren würde, es sei denn, er würde sich mit seiner Innenwelt auseinandersetzen und gewisse Dinge ändern:

Kisch war ein reicher Mann aus dem Stamm Benjamin. Er war der Sohn von Abiël und Enkel von Zeror, Urenkel Bechorats und Ururenkel Afiachs. Sein Sohn Saul war ein stattlicher junger Mann, der am besten aussehende Mann in ganz Israel – er war einen Kopf größer als alle anderen im Volk (1. Samuel 9,1–2).

Saul wies zu Beginn seines Lebens in der Öffentlichkeit drei unverdiente Merkmale auf, die entweder von Vorteil sein oder sein Verhängnis werden konnten. Diese Entwicklung lag allein in seiner Hand. Und die Grundlage für Sauls Entscheidungen war die tägliche Ordnung seines Innenlebens.

Welche drei Eigenschaften waren dies? Erstens Wohlstand, zweitens eine attraktive Erscheinung und drittens ein stattlicher, wohlgeformter Körper. Das alles waren Äußerlichkeiten. Um es mit anderen Worten zu sagen: Wenn man Saul zum ersten Mal traf, dann vermittelte dieser den Eindruck eines Mannes, der besser war als andere. Alle drei Charakteristika zogen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich und brachten ihm rasch viele Vorteile ein. (Jedes Mal, wenn ich an Sauls natürliche Gaben denke, erinnert mich das an den Vorsitzenden einer Bank, der mir vor einigen Jahren sagte: „MacDonald, Sie könnten beruflich weit kommen, wenn Sie nur fünfzehn Zentimeter größer wären.“) Und vor allem verliehen sie Saul eine Art natürlicher Ausstrahlung, was ihm einige frühe Erfolge verschaffte, ohne dass er dafür weise oder besonders geistlich sein musste. Er war einfach ein Aufsteiger.

Wenn wir die Geschichte von Saul in der Bibel weiterverfolgen, lernen wir noch einige andere Dinge über ihn, die entweder zu seinem Erfolg oder zu seinem letztlichen Scheitern beigetragen haben. So wird uns beispielsweise berichtet, dass er sich gut auszudrücken wusste. Sobald ihm die Gelegenheit geboten wurde, vor einer Menge zu sprechen, ergriff er das Wort. Das waren allesamt gute Voraussetzungen, dass dieser Mensch seine Macht festigen und Anerkennung erlangen konnte, ohne sich jemals mit seinem Innenleben beschäftigt zu haben. Und gerade darin lag die Gefahr.

Als Saul König von Israel wurde, genoss er den plötzlichen Erfolg zu sehr. Offenbar verlor er aus den Augen, dass auch ihm Grenzen gesetzt waren. Er nahm sich wenig Zeit, um darüber nachzudenken, dass auch er auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen war, wie er eine Verbindung zu Gott aufbauen konnte oder auch wie er die Verantwortung gegenüber den Menschen wahrnehmen sollte, über die er herrschte. Anzeichen von Getriebenheit stellten sich zunehmend ein.

Saul wurde ein vielbeschäftigter Mann; er sah Welten, die er glaubte, erobern zu müssen. Als ihm eine Schlacht gegen die Philister bevorstand, Israels großem Feind zu jener Zeit, und er in Gilgal auf den Propheten Samuel wartete, der die nötigen Opfer darbringen sollte, wurde er zunehmend ungeduldig und nervös, weil der heilige Mann nicht pünktlich erschien. Saul merkte, dass sein Zeitplan durcheinandergeriet; er musste doch weiter, musste loslegen. Und was tat er? Er brachte das Opfer einfach selbst.

Das führte zu einem äußerst schwerwiegenden Bruch seines Bundes mit Gott. Opfer darzubringen war Aufgabe eines Propheten wie Samuel, nicht die eines Königs wie Saul. Aber Saul hatte das aus den Augen verloren, weil er sich zu wichtig nahm.

Von da an ging es mit ihm bergab. „So aber wird deine Herrschaft nicht von Dauer sein, denn der Herr hat sich einen Mann nach seinem Herzen ausgesucht“ (1. Samuel 13,14). So enden die meisten getriebenen Menschen.

Da Gott ihm seinen Segen und seinen Beistand entzogen hatte, trat Sauls Getriebensein immer deutlicher zum Vorschein. Bald verwandte er all seine Energie darauf, seinen Thron zu verteidigen; er konkurrierte mit dem jungen David, der das Herz der Menschen in Israel erobert hatte.

In der Bibel finden wir einige Beispiele für Sauls heftige Wutausbrüche, die ihn bald zur Raserei trieben, bald in lähmendes Selbstmitleid versetzten. An seinem Lebensende hatte er die Kontrolle über sich selbst verloren und vermutete hinter jedem Busch einen Feind. Und warum? Weil Saul von Anfang an ein Getriebener war, der niemals darauf geachtet hatte, Ordnung in seine Innenwelt zu bringen.

Saul bekam sein Getriebensein niemals in den Griff. Wenn er einer der zwölf Jünger gewesen wäre, die Jesus erwählte, hätte er diese Rolle nicht lange innegehabt. Seine eigenen Zwänge waren viel zu stark ausgeprägt. Das, was ihn dazu getrieben hatte, nach Macht zu streben und sie nicht mehr loszulassen, was ihn dazu motiviert hatte, sich gegen seine treuesten Anhänger zu stellen, und das, was ihn dazu gebracht hatte, eine ganze Reihe unkluger Entscheidungen zu fällen, bescherte ihm schließlich einen erniedrigenden Tod. Er ist das typische Beispiel für einen getriebenen Menschen.

Wenn wir uns in dem einen oder anderen Wesenszug von Saul wiedererkennen, müssen wir an unserer Innenwelt arbeiten. Denn wenn wir so getrieben sind, werden wir nicht in der Lage sein, Gottes Stimme zu vernehmen, wenn er uns beruft. Der Lärm und der Schmerz, die der Stress in unserem Leben verursachen, werden zu laut und zu groß sein.

Leider gibt es in unserer Gesellschaft viel zu viele Sauls, Männer und Frauen, die in goldenen Käfigen gefangen sind, dazu getrieben, Macht anzuhäufen, nach Anerkennung zu streben und etwas zu erreichen. Auch in unseren Kirchen wimmelt es von diesen getriebenen Menschen. Viele Gemeinden sind nur noch ausgetrocknete Brunnen. Anstatt Quellen Leben spendender Kraft zu sein, die Menschen dabei helfen, geistlich zu wachsen und mit Gott unterwegs zu sein, werden sie zu Stressquellen. Die verborgene Welt eines getriebenen Menschen ist in Unordnung geraten. Sein Käfig mag aus reinem Gold bestehen, aber das ändert nichts daran, dass er in einer Falle steckt; es befindet sich nichts darin, was bleibenden Wert hätte.

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