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Kapitel 2
Ein Blick von der Kommandobrücke
ОглавлениеEin guter Freund von mir war früher Offizier an Bord eines Atom-U-Bootes der US-Flotte. Er erzählte mir einmal von einem Erlebnis während eines Manövers im Mittelmeer. Da viele Schiffe an dem Einsatz teilnahmen, war das U-Boot gezwungen, zahlreiche heftige Ausweichmanöver zu fahren, um Kollisionen zu vermeiden.
In Abwesenheit des Kapitäns war mein Freund Offizier vom Dienst und musste sämtliche Befehle für die Positionsänderungen des U-Bootes erteilen. Da der Kurs abrupt und ungewöhnlich oft gewechselt wurde, erschien der Kapitän, der sich in seiner Kajüte aufgehalten hatte, irgendwann plötzlich auf der Kommandobrücke und fragte: „Ist alles in Ordnung?“
„Ja, Sir!“, lautete die Antwort meines Freundes. Der Kapitän schaute sich noch einmal kurz um und bewegte sich dann wieder auf das Schott zu, um die Kommandobrücke zu verlassen. Dabei meinte er: „Ja, ich habe auch den Eindruck, dass alles in Ordnung ist.“ Diese Worte und sein schnelles Verschwinden machten dem Offizier sein uneingeschränktes Vertrauen klar.
Dieser einfache Wortwechsel zwischen einem U-Boot-Kapitän und einem seiner verlässlichen Offiziere lieferte mir ein hilfreiches Bild für die Ordnung meiner Innenwelt. Dem U-Boot drohte die Gefahr einer Kollision, und zwar von allen Seiten. Das genügte, um die Aufmerksamkeit eines jeden wachsamen Kapitäns auf sich zu ziehen. Doch die Gefahr lag außerhalb des Bootes. Im Inneren des U-Bootes gab es währenddessen einen ruhigen Ort, von dem die Kontrolle über das Schicksal des Schiffes ausging. Dorthin zog es instinktiv den Kapitän.
In diesem Kommandozentrum gab es nicht die Spur von Panik, sondern nur eine Reihe ruhiger und überlegter Handlungen, ausgeführt von einer gut geschulten U-Boot-Besatzung, die ihre Arbeit tat. Entsprechend war, als der Kapitän auf der Kommandobrücke erschien, um sich zu vergewissern, ob alles in Ordnung sei, eben auch alles in Ordnung. „Alles okay?“, fragte er. Und nachdem man ihm versichert hatte, dass alles gut lief, blickte er sich um und bestätigte: „Ja, ich habe auch den Eindruck, dass alles in Ordnung ist.“ Er hatte die zuständige Stelle aufgesucht und dort die richtige Antwort erhalten.
Auf diese Art und Weise lenkt der Kapitän sein U-Boot bzw. die Besatzung. Die notwendigen Maßnahmen waren bereits tausendmal durchgeführt worden, wenn keine Gefahr bestand. Als nun in einer prekären Situation rasch reagiert werden musste, gab es für den Kapitän keinen Grund zur Panik. Er konnte von der Mannschaft auf der Kommandobrücke eine fehlerlose Leistung erwarten. Wenn dort alles seinen geregelten Gang geht, ist das U-Boot, ungeachtet der äußeren Umstände, sicher. „Ja, ich habe auch den Eindruck, dass alles in Ordnung ist“, sagt der Kapitän.
Aber es gab auch Fälle, in denen solche Übungsmanöver vernachlässigt oder überhaupt nicht geprobt wurden. Dann kann es zu einer Katastrophe kommen. Schiffe kollidieren oder gehen unter, und der Schaden ist immens.
Das Gleiche gilt für den einzelnen Menschen, wenn auf der „Kommandobrücke“ der Seele Durcheinander herrscht. Die dortigen Unfälle beschreibt man dann mit Begriffen wie zum Beispiel Burn-out, Zusammenbruch oder In-die-Luft-Gehen.
Ein Mensch kann Fehler machen oder auch einmal versagen. Schließlich lernen wir die wichtigsten Lektionen des Lebens unter solchen Umständen, und auch unser Charakter wird in diesen Augenblicken geformt. Aber es ist schrecklich, den Verfall eines Menschen mit ansehen zu müssen, der in Stresssituationen kein Fundament hat, das ihm inneren Halt geben kann.
Das Wall Street Journal gab in den Achtzigerjahren eine Reihe von Artikeln unter der Überschrift Managerkrise heraus, darunter auch die Geschichte von Jerald H. Maxwell, einem Jungunternehmer, der ein erfolgreiches Hightechunternehmen geleitet hatte. Eine Zeit lang galt er als Führungs- und Finanzgenie. Doch damit war es schlagartig vorbei, als es bei ihm zu einem dieser sogartigen Einbrüche kam. Die Aktien des Unternehmens brachen ein, und der Vorstand war zu drastischen Maßnahmen gezwungen:
Dieser Tag hat sich tief in Jerald H. Maxwells Gedächtnis eingegraben. Auch seine Familie wird ihn niemals vergessen. Für sie ist es der Tag, an dem Jerald begann, in seinem Zimmer zu weinen, an dem sein gesundes Selbstvertrauen sich verflüchtigt hatte und seine Depression begann, der Tag, an dem seine Welt – und die ihre – zusammenbrach.
Maxwell war entlassen worden! Alles war zu Ende, und er kam mit der Situation nicht zurecht. Der Artikel fährt fort:
Zum ersten Mal in seinem Leben war Maxwell ein Versager, und das ließ ihn zusammenbrechen. Das Gefühl der Niederlage führte zu einem emotionalen Zusammenbruch, zermürbte die Beziehung zwischen Maxwell und seiner Frau und den vier Söhnen und brachte ihn an den Rand der Verzweiflung … „Als alles auseinanderbrach, ging es ihnen so schlecht, dass ich mich schämte“, erinnert sich Maxwell. Er hält inne, seufzt und fährt fort: „In der Bibel steht, du musst nur bitten, und du wirst empfangen. Ich bat oft um den Tod.“1
Die meisten von uns haben sich nie den Tod gewünscht so wie Maxwell. Aber viele haben den Druck ihres Umfelds gespürt, der irgendwann so stark wurde, dass wir uns fragten, ob der Tod nicht doch eine Alternative sein könnte. In solchen Momenten stellen wir unseren Vorrat an inneren Reserven infrage – ob wir es schaffen, uns weiter durchzukämpfen, oder ob es an der Zeit ist, alles hinzuschmeißen und die Flucht zu ergreifen. Wir sind plötzlich nicht mehr sicher, ob wir noch genügend geistliche, psychische oder physische Kraft haben, um unser gegenwärtiges Lebenstempo beizubehalten.
Ich habe mich schon an dem gleichen Punkt wiedergefunden wie Maxwell in seiner dunkelsten Stunde. Unsere Geschichten unterscheiden sich natürlich voneinander, unsere Gefühle jedoch nicht. Für ein paar Stunden, vielleicht auch für ein paar Tage (bei manchen ist es auch viel länger) ist man wie betäubt. Alle Entschlossenheit ist verschwunden. Das eigene Selbstvertrauen verflüchtigt sich. Es scheint kein Morgen zu geben.
In Momenten wie denen, die Maxwell durchzustehen hatte und wie auch ich sie einmal erfahren musste, ist man dazu gezwungen, seinen Blick bis auf den Grund seiner Seele zu richten. Gibt es dort irgendetwas? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob man in besseren Zeiten dort einen Vorrat angelegt hat oder nicht.
Doch zurück zu unserem U-Boot. Denken Sie noch einmal darüber nach, was der Kapitän tat. Als es erste Anzeichen für Unruhe gab, begab er sich auf die Kommandobrücke, um herauszufinden, ob alles in Ordnung sei. Er wusste, dass er nur dort die Antwort finden würde. Er war sich bewusst: „Wenn dort alles in Ordnung ist, kann ich mich voller Vertrauen in meine Kajüte zurückziehen. Das Schiff wird mit den stürmischen Umständen fertigwerden, wenn auf der Kommandobrücke alles in Ordnung ist!“
Ich möchte Ihnen noch eine weitere Geschichte erzählen, die mit Wasser zu tun hat: Einer meiner biblischen Lieblingsberichte schildert einen Nachmittag, an dem die Jünger auf dem See Genezareth in einen Sturm gerieten. Schon bald waren sie völlig außer sich vor Angst. Diese Männer fischten seit Jahren auf dem See, sie besaßen ihre eigene Ausrüstung, und es war bestimmt nicht ihr erster Sturm. Aber aus irgendeinem Grund waren sie diesmal nicht in der Lage, mit der Situation fertigzuwerden. Jesus dagegen schlief seelenruhig im Heck des Bootes. Sie eilten zu ihm, wütend darüber, dass es ihm scheinbar gleichgültig war, dass ihr Leben auf dem Spiel stand. Allerdings sollten wir immerhin anerkennen, dass sie wussten, an wen sie sich in dieser Situation zu wenden hatten.
Als Jesus dann den Sturm gestillt hatte, stellte er eine Frage, die für ihr persönliches Wachstum und ihre Entwicklung zu geistlichen Leitern von zentraler Bedeutung war: „Warum habt ihr Angst? Ist euer Glaube denn so klein?“ Um in meinem Bild von dem U-Boot zu bleiben: „Warum ist die Kommandobrücke eurer Innenwelt nicht in einem besseren Zustand?“
Warum begeben sich so viele Menschen bei Spannungen und Druck nicht auf die Kommandobrücke ihres Lebens? Warum versuchen sie stattdessen, noch schneller zu rennen, noch heftiger zu protestieren, noch mehr Besitztümer anzuhäufen, noch mehr Termine zu machen, noch mehr Fachkenntnisse zu erwerben? Wir leben in einer Zeit, in der man offensichtlich instinktiv allem anderen mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem eigenen Seelenleben – dem einzigen Platz, an dem wir die nötige Kraft finden können, um jedem Sturm die Stirn zu bieten oder ihn sogar zu überwinden.
Bei den Verfassern der biblischen Bücher war dies anders. Sie suchten die „Kommandobrücke“ auf, wenn ein Sturm heraufzog. Sie wussten und lehrten, dass die Entwicklung und Pflege unseres Seelenlebens höchste Priorität haben muss. Das ist sicher einer der Gründe dafür, warum ihre Werke die Jahrhunderte und Kulturen überdauert haben. Denn das, was sie schrieben, hatten sie von dem Schöpfer empfangen, der uns so erschaffen hat, dass wir die äußere Welt am effektivsten aus unserer inneren Welt heraus meistern können. Bestsellerautor Stephen Covey bezeichnet dies in seinem Buch Die sieben Wege zur Effektivität als den „Von-innen-nach-außen-Ansatz“.
Der Verfasser der Sprichwörter fasste das Prinzip des Seelenlebens in folgende Worte:
Vor allem aber behüte dein Herz, denn dein Herz beeinflusst dein ganzes Leben (Sprüche 4,23).
Mit diesem einfachen Satz vermittelt uns der Verfasser der Aussage eine bemerkenswerte Einsicht. Was ich „Kommandobrücke“ nenne, nennt er das „Herz“. Er vergleicht es mit einer Quelle, aus der die Energie, das Verstehen und die Kraft fließen können, die nicht den äußeren Unruhen unterliegen, sondern diese beeinflussen können. Behüte dein Herz, macht er deutlich, und es wird zu einer Quelle des Lebens werden, von der du und andere trinken können.
Aber was bedeutet denn nun „behüte dein Herz!“? Einerseits geht es dem Verfasser offensichtlich darum, dass das Herz vor äußeren Einflüssen geschützt wird, die seine Unversehrtheit bedrohen könnten. Andererseits geht es um die Kraft und die Entwicklung des Herzens, damit es fähig ist, das Leben besser in Ordnung zu halten.
Aber der Verfasser der Sprüche denkt über diese beiden Gedanken noch hinaus. Er möchte, dass der Leser eines versteht: Die Bewahrung oder das Behüten des Herzens, das ich als die „Kommandobrücke“ der menschlichen Erfahrung bezeichne, ist eine bewusste und disziplinierte Entscheidung, die eine Frau oder ein Mann treffen muss. Verstehen Sie, was ich meine? Wir müssen uns bewusst dafür entscheiden, unser Herz zu schützen. Treffen Sie diese Entscheidung! Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Herz heil und kräftig ist; es muss ständig beschützt und gepflegt werden.
Erinnern wir uns noch einmal daran, was der Kapitän des U-Bootes tat, als er spürte, dass etwas Außergewöhnliches vor sich ging: Er eilte, ohne zu zögern, auf die Kommandobrücke. Warum? Weil er wusste, dass dies der Ort war, an dem alle Fähigkeiten mobilisiert werden konnten, um der Gefahr die Stirn zu bieten. Er hätte das Kommando über das tollste U-Boot der Flotte haben können. Ein U-Boot mit besonders schönem Außenanstrich, eines, das besonders schnell fährt und von einer sympathischen Crew bemannt wird. Hätte jedoch auf der Kommandobrücke Durcheinander geherrscht, dann wäre alles andere an Bord – der schöne Anstrich, die Schnelligkeit und die nette Mannschaft – völlig unbedeutend gewesen.
Im Neuen Testament macht Paulus eine ähnliche Beobachtung, als er Christen auffordert: „Deshalb orientiert euch nicht am Verhalten und an den Gewohnheiten dieser [äußeren] Welt, sondern lasst euch von Gott durch Veränderung eurer Denkweise in neue Menschen verwandeln“ (Römer 12,2). Damit meint er unser Innenleben, unsere Seele. Eine andere englische Bibelübersetzung gibt diese Worte treffend wieder; dort heißt es: „Lass nicht zu, dass dich die Welt in ihre Form presst.“
Der Apostel spricht hier eine zeitlose Wahrheit aus. Er will, dass die Empfänger seines Briefes die richtige Entscheidung treffen. Wollen wir unser Innenleben so in Ordnung bringen, dass es auf das Außenleben Einfluss ausübt? Oder wollen wir unsere Innenwelt vernachlässigen und so der Außenwelt erlauben, uns zu formen? Diese Entscheidung müssen wir täglich fällen.
Das ist ein verblüffender Gedanke, der ein grundsätzliches biblisches Prinzip widerspiegelt. Und das ist die Art von Einsicht, die der gekündigte Manager, von dem im Wall Street Journal berichtet wurde, ignoriert hatte. Der Beweis: sein Zusammenbruch, als die äußere Welt Druck auf ihn ausübte. Er hatte keine inneren Kraftreserven, keine Ordnung in der verborgenen Welt seines Innenlebens.
Unter den bekannteren Missionaren der letzten gut hundert Jahre findet sich ein großer Name: Mary Slessor. Mary Slessor war eine junge, ledige Frau, die Schottland um die Wende zum 20. Jahrhundert herum verließ, um in einen Teil Afrikas zu gehen, der von Krankheit und unbeschreiblichen Gefahren beherrscht wurde. Aber sie war unbeugsam und reiste dort weiter, wo schwächere Männer und Frauen zusammenbrachen, davonrannten und nie wieder zurückkehrten. Nach besonders großen Strapazen zog sie sich einmal für die Nacht in eine provisorische Hütte im Dschungel zurück. Später schrieb sie Folgendes darüber:
Ich stellte eigentlich keine allzu hohen Ansprüche mehr an mein Bett, aber während ich so auf einem Stapel dreckiger Bretter lag, die mit schmutzigen Maishülsen bedeckt waren, umgeben von unzähligen Ratten und Insekten, drei Frauen und einem drei Tage alten Baby neben mir und mehr als einem Dutzend Schafe und Ziegen draußen, wunderte ich mich nicht mehr darüber, dass ich kaum schlafen konnte. In meinem Herzen hatte ich jedoch eine durchaus gemütliche und ruhige Nacht.2
Um diese Art des Denkens geht es, wenn wir uns mit der Frage nach der Ordnung unserer Innenwelt befassen. Ob man es jetzt in der Schiffssprache „Kommandobrücke“ oder in der Sprache der Bibel „Herz“ nennt – es geht letztlich um dasselbe: Es muss einen Ort geben, an dem alles in Ordnung ist, einen Platz, von dem die Kraft ausgeht, die mit Unruhen fertig wird und die sich nicht von äußeren Umständen einschüchtern lässt. Diesen Ort kann es nur in unserem Innenleben geben.
Auch wenn Ralph Waldo Emerson wohl nicht unbedingt eine christliche Aussage machen wollte, so finde ich seine folgenden Worte dennoch sehr herausfordernd: „In der Gemeinschaft ist es leicht, nach fremden Vorstellungen zu leben. In der Einsamkeit ist es leicht, nach eigenen Vorstellungen zu leben – aber bewundernswert ist nur der, der sich in der Gemeinschaft die Unabhängigkeit bewahrt.“ Und damit ist meines Erachtens das Herz gemeint.
Wir wissen, dass wir diesen wesentlichen Grundsatz verinnerlicht haben, wenn wir an den Punkt kommen, an dem die Entwicklung und die Pflege eines starken Innenlebens zur wichtigsten Aufgabe unserer Existenz geworden sind. Wenn der äußere Druck größer wird und die Spannungen ansteigen, können wir uns dann die Frage stellen: „Ist alles in Ordnung?“ Und wenn wir entdecken, dass dem so ist, können wir von Herzen antworten: „Ja, ich habe auch den Eindruck, dass alles in Ordnung ist.“