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Vorwort
Der Tag, an dem ich an meine Grenzen stieß
ОглавлениеIch habe den Mutterleib nicht von Natur aus ordentlich verlassen.
In meiner Kindheit räumte ich meine Spielsachen und Bücher nur selten auf. Und als ich älter wurde, ließ ich mein Fahrrad oft da liegen, wo mein Vater mit tödlicher Sicherheit mit dem Auto drüberfahren würde, wenn er zum Abendessen nach Hause kam.
Als ich dann ein Teenager war, standen die Leute, die mir einen Schülerjob gaben, meiner Arbeitsethik kritisch gegenüber. „Er ist nicht sehr gewissenhaft“, sagten sie über mich.
Ich enttäuschte Freundinnen, indem ich vergaß, einen Valentinsgruß, ein Geburtstagsgeschenk oder ein Anstecksträußchen zum Abschlussball zu kaufen.
Als ich dann in den Zwanzigern war, räumte ich selten meine Kleidung weg, verlegte ständig meine Autoschlüssel und den Geldbeutel und verließ das Badezimmer normalerweise nicht in dem Zustand, in dem ich es vorgefunden hatte.
Während meiner gesamten Schulzeit hindurch beklagten sich die Lehrer darüber, dass ich mit den Gedanken immer woanders war; ich sei ein Tagträumer und zerstreut. Einer schrieb in mein Zeugnis: „Gordon ist zwar körperlich im Klassenzimmer anwesend, aber seine Gedanken sind normalerweise irgendwo anders – das ist schade, denn er könnte mehr lernen, wenn sie ebenfalls hier wären.“
Irgendwann in meinen Teenagerjahren drängte mich ein frustrierter Jugendleiter in die Ecke und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: „Wann wirst du endlich erwachsen?“ Er fügte noch ein paar Kommentare über mein vergeudetes Potenzial, meinen Mangel an Zuverlässigkeit und mein kindisches Verhalten hinzu und ließ mich dann stehen. Ich hatte es satt, dass die Leute ständig von meinem sogenannten Potenzial sprachen.
Ich glaube auch nicht, dass ich in geistlichen Dingen Ordnung gehalten habe. Mein gesamtes Leben drehte sich um die Kirche (Mein Vater war Pastor!), ich kannte alle biblischen Geschichten und hatte haufenweise Bibelverse auswendig gelernt. Regelmäßig gewann ich in der Sonntagsschule irgendwelche Auszeichnungen und Anstecker für hundertprozentige Anwesenheit. Aber nichts davon veränderte mein Verhalten oder führte dazu, dass sich mein Charakter weiterentwickelte, etwas, das man von einem ernsthaften Jesus-Nachfolger erwarten würde (ich ziehe diesen Begriff dem Wort „Christ“ vor). Nun war ich in diesen frühen Tagen meines Lebens auch kein schlechter Mensch. Um es mit den Worten des Verfassers der Offenbarung zusagen: Ich war weder heiß noch kalt … nur irgendwie lauwarm. Durchschnittlich. Mittelmäßig. Wenig überzeugend.
In den ersten 20 Jahren meines Lebens und noch länger lebte ich also sowohl im persönlichen als auch im öffentlichen Raum in einem allgemeinen Zustand der Unordnung.
Doch als ich langsam älter wurde, hatte mein verantwortungsloses Verhalten immer schwerwiegendere Folgen. Ich erkannte, dass meine Zukunftsaussichten nicht gerade vielversprechend wären, wenn ich mein Leben nicht besser in Ordnung hielte.
Eines Samstagmorgens – ich war damals 30 Jahre – geschah etwas, das mein Leben grundlegend veränderte. Ich habe oft darüber gesprochen und geschrieben, was an jenem Morgen geschah, weil ich damals aufgerüttelt – im wahrsten Sinne aufgerüttelt! – wurde. Ich entdeckte einen großen und verborgenen Teil von mir selbst, dem ich nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte: meine Seele … oder das, was ich gern meine Innenwelt nenne.
Gail und ich hatten sieben Jahre zuvor geheiratet. Das Graduiertenkolleg lag hinter mir, und wir waren die Eltern von zwei Kindern. Ich war der noch ziemlich junge Pastor einer wunderbaren mittelgroßen Gemeinde, die im Wachstum begriffen war. Es kam mir so vor, als seien Gail und ich auf dem besten Weg, all unsere Träume zu erfüllen. Worüber wir in den ersten Jahren unseres gemeinsamen Lebens so begeistert gesprochen hatten, schien Wirklichkeit zu werden.
Bei meiner Arbeit hatte ich ein paar Monate lang viel (und ich meine wirklich viel!) zu tun. Nun gibt es eine Form von Geschäftigkeit, der ein Plan zugrunde liegt, bei der Prioritäten gesetzt werden und bei der man erkennen kann, welches Ziel erreicht werden soll. Diese Art von Geschäftigkeit ist sehr gut und befriedigend. Durch sie entwickelt man sich weiter und gewinnt an Erfahrung hinzu.
Aber es gibt auch eine Form von Geschäftigkeit (eigentlich eine destruktive Geschäftigkeit), die einen chaotischen Lebensstil widerspiegelt. Bei ihr geht es lediglich darum, die jeweils nächste, unmittelbar vor einem liegende Aufgabe anzugehen. Die nächste Aufgabe! Ganz gleich, ob diese wichtig ist oder nicht. Es steht einfach die nächste Aufgabe an, und man nimmt sie in Angriff, weil sie eben erledigt werden muss.
Ich war 30, und ich wurde von dieser zweiten Art der Geschäftigkeit hin- und hergeworfen wie von den Stromschnellen eines reißenden Flusses. Außer Kontrolle. Voller Angst davor zu kentern und mit dem Gefühl, ihr schutzlos ausgeliefert zu sein.
Seit Monaten brachte ich mich rund um die Uhr in die Gemeinde ein und tat alles, um den Menschen zu beweisen, dass ich als Leiter alles im Griff hatte. Es gab jede Menge öffentliche Reden, Beerdigungen, Hochzeiten, Ausschusssitzungen, Planungsgespräche und Problemlösungstreffen. Ein endloser Strom von Menschen, die alle etwas von mir wollten. Und um all diesen Anforderungen zu begegnen, sagte ich immer nur: „Ja, ja, ja … kein Problem … kein Problem … betrachten Sie es als erledigt … ich freue mich, Ihnen helfen zu können …“ Nein kam in meinem Vokabular nicht vor.
Und das Ergebnis all dieser Hektik?
Der unermüdliche Einsatz, meine trübe Stimmung und meine Unsicherheit darüber, ob ich einen guten Job machte, brachten mich fast um. Ich war geistlich, emotional, intellektuell und körperlich erschöpft. Erschöpft ist sicherlich das richtige Wort. Und das war ein überraschendes Gefühl, denn wie die meisten jungen Menschen nahm ich an, dass meine Kraft und meine Energie grenzenlos und unerschöpflich wären. Meine Gedanken rasten unablässig, und ich versuchte, allen einen Schritt voraus zu sein. Ich war emotional überempfindlich gegenüber Beschwerden und Kritik anderer Menschen. Körperlich war ich nicht mehr in Form und von einer ständigen inneren Unruhe getrieben. Vor allem aber war meine Seele – also zumindest der kleine Teil, der mir bewusst war – blockiert und vollgestopft, was mir natürlich auch alles andere als willkommen war. Jesus schien sehr weit weg zu sein. Ich konnte über ihn predigen und öffentlich zu ihm beten, aber das bedeutete nicht, dass ich seine Nähe spürte.
Ich muss hinzufügen, dass auch die Zeit für Gail, unsere Kinder und meine wenigen Freunde knapp bemessen war. Zurückblickend wird mir klar, dass ich ihnen nur die schlechte Version meiner selbst bot: müde, gereizt und überkritisch.
Nun war es, wie bereits erwähnt, Samstag. Ich eilte an diesem Tag die Treppe unseres Hauses hinunter und betrat die Küche. Gail bereitete dort gerade das Frühstück für die Familie vor.
„Ich muss das Frühstück ausfallen lassen“, sagte ich und schlüpfte in meinen Mantel. „Muss ins Büro. Ich bin mit den Vorbereitungen für die Predigt morgen noch nicht fertig. Oh, und ein paar Mitarbeiter wollen sich mit mir zum Mittagessen treffen, um über ein Problem zu sprechen, das sie haben. Also werde ich wahrscheinlich erst –“
„Tu, was du tun musst“, unterbrach Gail mich, „aber wenn du gehst, solltest du einmal darüber nachdenken, dass du in letzter Zeit kaum Zeit mit den Kindern verbracht hast. Wo wir gerade davon reden: du und ich auch nicht.“
Ich erstarrte und überlegte, was ich antworten sollte.
Aber bevor mir etwas einfiel, sprach Gail weiter: „Sag mal, Gordon: Willst du wirklich so leben? Möchtest du, dass die kommenden Jahre so verlaufen? Haben wir uns so unser Leben vorgestellt, als wir geheiratet haben?“
Gails Fragen erwischten mich kalt. Ich hätte sofort entgegnen sollen: „Nein! So will ich nicht leben.“ Aber dann hätte ich erklären müssen, warum ich genau das tat: auf diese Weise leben.
Stattdessen brach ich in Tränen aus. Und es flossen nicht nur ein paar Tränen, und sie flossen nicht nur kurz. Ich weinte mindestens vier Stunden lang … tiefe, heftige Schluchzer brachen aus den Abgründen meiner Seele empor.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich mich rasch abwandte, als ich hörte, dass die Kinder die Treppe hinunterkamen. Schlimm genug, dass Gail Zeugin meines Weinkrampfs war. Aber die Kinder mussten das nicht auch miterleben.
Ich stürzte ins Wohnzimmer, warf mich auf die Couch und weinte schließlich den ganzen Morgen ununterbrochen. Und gerade als ich dachte, der Tränenfluss würde enden, ging es wieder los. Es war beängstigend.
Eine solche Gefühlsexplosion hatte ich noch nie erlebt. Habe ich gerade einen Zusammenbruch? Ich erinnere mich noch, dass ich mich das fragte. Brauchte ich einen Arzt, sollte ich ins Krankenhaus fahren? Warum hatte mich niemand auf einen solchen Moment vorbereitet?
Ich hörte, wie Gail eine Nachbarin anrief und fragte, ob unsere Kinder den Morgen dort verbringen könnten. Dann kam sie zu mir. Sie umarmte mich und sagte immer wieder, wie sehr sie mich liebte. Und sie versicherte mir, dass Gott bei uns sei. Nur das. Es gab keine demütigenden Bemerkungen darüber, dass echte Männer nicht weinen, keinen Versuch, alles in Ordnung zu bringen, keine selbstgefällige Erinnerung daran, dass das alles meine Schuld sei – was es ja auch war. Sie stand mir einfach nur still zur Seite.
Ich erinnere mich noch erstaunlich gut an die Einzelheiten dieses Morgens. Mein Inneres war wie ein überfluteter Keller. Überflutet durch unverarbeitete Gefühle und das, was diese verursacht hatte. Und genau wie bei einem überfluteten Keller mussten sie „ausgepumpt“ werden. Dazu trug die Tränenflut bei.
Ich habe seither oft auf diesen Tag zurückgeblickt und mich gefragt, warum ich eigentlich weinen musste. Vielleicht wegen einiger Verletzungen und Sorgen, die bereits seit Generationen in meiner Familie vom Vater auf den Sohn weitergegeben worden waren? Aber vielleicht weinte ich auch aus Trauer über Dinge, die ich als Junge erlebt und nie verarbeitet hatte? Oder waren die Tränen schlicht und ergreifend die Folge von wochenlangem Stress, der pausenlos auf mir gelastet hatte, ohne dass ich einmal seelisch und geistlich aufgetankt hatte? Oder spielten alle diese Dinge eine Rolle?
An diesem Samstag lernte ich auf die harte und angsteinflößende Tour, dass ich nicht so weiterleben konnte wie bisher und gleichzeitig ein geistlicher Leiter für andere Menschen sein konnte. Ich bezeichne diesen Morgen gern als den Tag, an dem ich an meine Grenzen stieß.
Ich wollte immer schon Pastor werden. Mein Vater war einer und mein Großvater praktisch auch. Die Berufung lag mir also gewissermaßen im Blut. Und schon in jungen Jahren strebte ich dieses Ziel mit großer Vorfreude an. Selbst als Junge sah ich mich bereits eines Tages auf der Kanzel stehen. In meinen Teeniejahren verschloss ich mich eine Zeit lang trotzig geistlichen Dingen. Doch selbst dabei war mir klar, dass der Moment kommen würde, an dem ich der Einladung Gottes folgen würde, das zu werden, wozu er mich erschaffen hatte: ein Pastor, ein geistlicher Hirte für andere Menschen.
Mein Vater verstand es zu lehren. Er brachte mir alles bei, was man wissen musste, um eine Gemeinde zu leiten. Schon seit meiner frühesten Kindheit fiel es mir leicht, Reden zu halten. Und ich besaß soziale Kompetenz. Ich kam gut mit Menschen klar, konnte schnell mitdenken und Probleme aus dem richtigen Blickwinkel betrachten. Von Natur aus war ich immer ein Mensch mit Ideen, voller Visionen, und ich verstand es, andere davon zu überzeugen, mir zu folgen.
Das alles sind natürliche Begabungen oder Talente, zumindest würde ich es so bezeichnen. Sie entwickeln sich im Laufe unseres Lebens durch unser Temperament, unsere Lebenserfahrungen und den Einfluss unserer Familie und enger Freunde. Ich besaß in einem beträchtlichen Maße genau die Begabungen, die ich brauchte, um im Pastorendienst einen Blitzstart hinzulegen.
Wenn ich Blitzstart sage, meine ich damit all die Dinge, die ehrgeizige und leicht zu beeindruckende junge Männer und Frauen schnell blenden (es aber nicht tun sollten!), egal, welche Berufung sie haben. Der Begriff Blitzstart gehört in die gleiche Kategorie wie sichtbarer Erfolg: riesige Zahlen, das große Geld, plötzliche Erfolge, schnelle Anerkennung und „Vitamin B“ (die richtigen Leute treffen bzw. kennen). Heute halte ich all das für eher unbedeutend, während ich früher versucht war, diese Dinge ziemlich ernst zu nehmen.
Das war also mein Blitzstart: Im Alter von 28 Jahren berief man mich direkt von der Universität als Pastor in eine Gemeinde mit einigen hundert Mitgliedern im Mittleren Westen. Und in den ersten Jahren lief alles, was ich machte, auch richtig gut. Nun, natürlich nicht alles. Aber zumindest schien es so.
Zusätzlich zu den natürlichen Begabungen, die ich schon erwähnt habe, gab es aber auch noch einige andere Ursachen für meinen rasanten Einstieg. Zum einen hatte ich eine bemerkenswert reife und einsichtige Ehefrau, die sich nach Kräften (sowohl geistlich als auch in anderer Hinsicht) für meinen Dienst engagierte und mich vor unzähligen Fehlentscheidungen bewahrte. Zum anderen hatte mein Vorgänger einige gravierende Fehler in der Leitung der Gemeinde begangen, sodass nun fast alles, was ich tat, von der Gemeinde mit Wohlwollen betrachtet wurde.
Menschlich gesehen sah meine Zukunft rosig aus. Und selbst diejenigen, die mich schon seit der Schulzeit kannten und sich manchmal gefragt hatten, ob jemals etwas aus mir werden würde, begannen zu glauben, dass ein ganz besonderer Weg vor mir lag. Wenn Pastorendienst bedeutete, dass man natürliche Begabungen besitzt, rechtzeitig Gelegenheiten ergreift und von denen unterstützt wird, die einen mögen, dann war ich auf dem richtigen Weg. Wir alle haben natürliche Begabungen; manche wahrscheinlich mehr als andere. Sie können einen jungen Mann bzw. eine junge Frau eine ganze Zeit lang tragen. Bei mir war das zweifellos der Fall.
Natürliche Begabungen wie persönliche Ausstrahlung, Klugheit, emotionale Stabilität und Organisationstalent können andere eine ganze Weile beeindrucken und motivieren. Unter Umständen hält man diese Eigenschaften fälschlicherweise für Zeichen von geistlicher Vitalität und Tiefgründigkeit. Leider sind viele Christen heutzutage aber nicht mehr in der Lage, zwischen einer Person mit echter geistlicher Tiefe und einer mit bloßem Talent zu unterscheiden. Wie Getreide und Unkraut im Gleichnis von Jesus kann man sie oft nur schwer auseinanderhalten. Was dazu führt, dass viele Menschen einer Täuschung aufsitzen. Sie glauben, einem geistlichen Riesen zu folgen, während sie in Wirklichkeit nur von einem Zwerg manipuliert werden.
Wir müssen uns bewusst sein, dass es Führungspersonen gibt, die allein auf der Grundlage natürlicher Begabungen gewaltige Organisationen (auch Gemeinden) gründen. Wer die richtigen Worte gebraucht, klug genug ist, um die richtigen Dinge zu tun, und einen Blick dafür hat, sich mit den richtigen Leuten zusammenzutun, kann viel erreichen, ohne dass irgendjemand merkt, dass er innerlich praktisch leer ist.
Als meine emotionale Überschwemmung schließlich nachließ, blieb ich für den Rest des Tages, wo ich war. Ich wollte verstehen, was geschehen war.
Ich erinnere mich noch, dass ich damals betete: „Jesus, gibt es etwas, das ich aus dieser Erfahrung lernen soll?“ Ich betete dieses Gebet mehrmals im Laufe des Nachmittags, und die Antwort war: Ja. Es gab tatsächlich eine Botschaft, die ich nicht ignorieren durfte, wenn mein Leben und meine Berufung nicht im Chaos enden sollten. Die Botschaft – stille Worte in meinem Herzen – kam plötzlich, klar und überzeugend, so wie die Textnachricht eines Freundes. Ich habe sie nie vergessen.
Jetzt weißt du, wie es ist, aus einer leeren Seele heraus zu leben.
Dieser eine Satz war die Botschaft!
Eine leere Seele. Was bedeutet es, eine leere Seele zu haben?
Meine Antwort auf diese Frage? Eine Seele – unser geistlicher Raum – ist leer, wenn man versucht, Dinge zu tun, für die sie die Grundlage bildet, aber wenige oder gar keine Anstrengungen unternimmt, dafür zu sorgen, dass diese Seele gefüllt ist. Das wäre so, als würde man versuchen, ein Rennauto mit leerem Benzintank zu fahren.
Die Vorstellung, dass meine Seele in einem gefährlichen Maße leer und unorganisiert sein könnte, wirbelte an jenem Nachmittag in meinem Kopf herum. Und zum ersten Mal begann ich zu begreifen, wie sehr ich diesen inneren Raum vernachlässigt hatte.
Die Wahrheit war, dass ich die frühen Jahre meines Erwachsenenlebens damit verbracht hatte, mich selbst in den Vordergrund zu spielen – die Menschen hatten einen Gordon zu sehen bekommen, der potenziell beeindruckend war. Ich verließ mich auf meine Talente: Ich konnte gut reden, versuchte, es allen recht zu machen und sie mit meinen Träumen und Visionen und meiner Begeisterungsfähigkeit zu bezaubern. Kurz gesagt, eine erstklassige, leistungsstarke Führungskraft zu sein.
Ich schäme mich zuzugeben, dass die Menschen in diesen ersten Jahren vor allem mehr diesen tollen Leiter sahen als den Mann, den Jesus aus mir machen wollte: tiefgründig, liebevoll, ruhig und sanft.
Letzten Endes kann man wohl sagen, dass ich an diesem Tag so etwas wie eine Lebenswende hatte. Ich beschloss, mein Leben umzukrempeln. Ich wollte alles daransetzen, mein Leben und meine Arbeit von nun an nicht mehr auf natürliche Begabung zu gründen, sondern auf Disziplin und einen Plan. Oder um es mit dem Titel des Buches auszudrücken: Ich wollte mein Leben ordnen.
In den folgenden Stunden versuchte ich nun, so gut ich konnte, Gott mitzuteilen, wie leid es mir tat, dass ich bisher nicht verstanden hatte, wie ich mein Leben führen und meine Begabungen einsetzen sollte. Das wollte ich ändern. Und wenn er meine geistliche Reise lenken und mir die Art von Disziplin zeigen würde, die für mich dran war, wollte ich so gut wie möglich auf ihn hören. Oder um es anders auszudrücken: Ich wollte eine Grunderneuerung meines Lebens.
Bitte glauben Sie nicht, dass sich alles sofort änderte. Das war nämlich nicht der Fall. Vor mir lag eine Menge harter Arbeit. Genau genommen lagen Jahre harter Arbeit vor mir. Ich sage „harte Arbeit“, weil es keine geringe Herausforderung ist, die eigene innere Welt und das, was andere von außen sehen können, neu zu ordnen.
Und eigentlich ist diese Aufgabe auch nie ganz erledigt. Mittlerweile habe ich begriffen, dass es Probleme gibt, die ich wahrscheinlich mit ins Grab nehmen werde.
Der erste Schritt in meinem Prozess der Lebenserneuerung bestand darin, dass ich ein spiralgebundenes Notizbuch zur Hand nahm. Darin wollte ich von nun an Tagebuch führen. Ich hatte schon früher ab und zu davon gehört, dass viele große Männer des Glaubens Tagebuch geführt und ihre Gedanken und Erlebnisse an spätere Generationen überliefert hatten. Außerdem stellte ich fest, dass auch einige zeitgenössische Autoren, die ich sehr schätzte, seit Jahren Tagebuch schrieben.
So listete ich in meinem Tagebuch auf, was dazu geführt hatte, dass meine Innenwelt leer war:
Mein Lebenstempo ist zu hoch.
Mir bieten sich zu viele Möglichkeiten, und ich kann einfach nicht Nein sagen.
Die Komplexität meiner Organisation wächst mir über den Kopf.
Ich vergleiche mich mit anderen Menschen … und habe immer das Gefühl, dabei den Kürzeren zu ziehen.
Ich rechne damit, dass Technologie und Talent meine Probleme lösen können, aber das stimmt nicht.
Ich neige dazu zu glauben, dass ich nur predigen muss, und schon haben die Menschen ihr Leben wieder im Griff.
Ich habe unterschätzt, wie stark der Gegenwind ist, den viele Christen heute in unserer Gesellschaft erleben.
Ich verbringe keine Zeit mit Anbetung und Gebet oder bewusst in der Gegenwart von Jesus.
Es fiel mir nicht leicht, diese und andere Einlassungen zu machen, weil sie auf meine mangelnde Ordnung hinwiesen. Ich habe ja bereits erwähnt, dass ich von Natur aus nicht sehr organisiert bin. Ich hebe herumliegende Gegenstände nicht automatisch auf. Ich beende Aufgaben nicht unbedingt, bevor ich etwas anderes beginne. Ich habe kein Auge für Details. Es kann vorkommen, dass ich vergesse, Dinge zu erledigen, die ich zu tun versprochen habe. Ich lasse mich schnell ablenken. Ich bin ein Tagträumer (und habe eine blühende Fantasie). Ich bin sehr lebhaft und ausgelassen. Und außerdem laufe ich unheimlich schnell Gefahr, es immer allen recht machen zu wollen. Wie Sie sich wohl vorstellen können, gab es einiges an mir, was von Grund auf erneuert werden musste.
Mehr als einmal sind Leute auf mich zugekommen, die eine frühere Version von Ordne dein Leben gelesen hatten: „Es muss großartig sein, wenn es einem so leicht und natürlich von der Hand geht, das eigene Leben zu ordnen.“ Und jedes Mal waren sie völlig überrascht, wenn ich ihnen sagte: „Dieses Buch wurde nicht von jemandem geschrieben, der von Natur aus diszipliniert und ordentlich ist. Nein, es wurde von jemandem geschrieben, der von Natur aus das komplette Gegenteil ist, von jemandem, der sein Leben erst in Ordnung bringen musste, wenn er es jemals zu etwas bringen wollte.“
Die meiste Zeit ermutigte diese Aussage die Menschen.
Bevor ich dieses Vorwort abschließe, muss ich auf jeden Fall noch auf ein wesentliches Prinzip hinweisen: Wenn man das eigene Leben neu ordnen will, muss man damit in seinem Inneren beginnen, dann werden die Auswirkungen auch nach außen hin sichtbar werden – nicht umgekehrt. Wir würden uns alle gern irgendwelche technischen Spielereien anschaffen, in der Hoffnung, dass sie in unserem Leben für Struktur und Ordnung sorgen. Aber so funktioniert das nicht. Vergessen Sie diese Spielereien, und beginnen Sie in sich drin – mit Ihrer Innenwelt.
Die Ordnung, von der wir hier reden, beginnt damit, dass wir erst einmal in unserem Innersten gründlich aufräumen. Und mit unangenehmen, schwierigen Fragen anfangen, bei deren Beantwortung wir möglicherweise andere um Hilfe bitten müssen. Damit, dass wir uns mit Überzeugungen und Prinzipien auseinandersetzen müssen, die Gift für uns sind und uns kaputt machen. Damit, dass wir auf Gottes Stimme hören, der weitaus bessere Dinge für uns im Sinn hat.
Heute betrachte ich diesen Samstag in meinem dreißigsten Lebensjahr – den Tag, an dem ich an meine Grenzen stieß – als einen der wichtigsten Tage in meinem Leben. An diesem Tag heulten meine inneren Sirenen auf. An diesem Tag erkannte ich mit aller Deutlichkeit, worauf ich zusteuern würde, wenn sich in meinem Innenleben nichts änderte. An diesem Tag fing ich an, an meiner inneren (und in der Folge an meiner äußeren) Ordnung zu arbeiten. Und dieser Prozess dauert bis heute an.