Читать книгу Durch den Eisernen Vorhang - Gottfried Niedhart - Страница 9

Entspannung als Deeskalation des Ost-West-Konflikts

Оглавление

Angesichts dieser Entwicklung erscheint der Begriff Kalter Krieg zur Bezeichnung der gesamten Epoche als wenig geeignet. An seine Stelle tritt daher im Folgenden der Terminus Ost-West-Konflikt, der die fortwährende Konflikthaltigkeit der Auseinandersetzung ebenso anzeigt wie die größere Bandbreite in der Art des Konfliktaustrags. Auf die statische Konfliktkonstellation des kurzen Kalten Kriegs folgte während der jahrzehntelangen Détente eine vielschichtige Auseinandersetzung zwischen Ost und West, in welcher die friedliche Koexistenz der Staaten und die ideologische Konfrontation der Gesellschaften, die Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs und die misstrauische Abgrenzung, Rüstungskontrolle und Wettrüsten nebeneinander bestanden. Der Konflikt ähnelte fortan nicht mehr einem Nullsummenspiel, was zum Spannungsabbau führte und aus Feinden Gegner machte, die sich überschneidende Interessen bestimmen und Kontakte aller Art über trennende Demarkationslinien hinweg anbahnen konnten.

Im Sog der Annäherung zwischen den Supermächten ergab sich für kleinere und mittelgroße Staaten die Chance, nach erhöhter Eigenständigkeit im Rahmen ihrer jeweiligen Bündnisse zu streben und das rigide Denken in Blöcken in Frage zu stellen. Der rumänische Parteichef Nicolae Ceaus¸escu verlangte von der sowjetischen Hegemonialmacht die Anerkennung größerer nationaler Eigenständigkeit. Seine Entscheidungen, Anfang 1967 gegen den Willen der Bündnispartner diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen oder 1968 die Intervention in der Tschechoslowakei zu missbilligen, zeigten, dass der Warschauer Pakt nicht mehr als monolithischer Block wahrgenommen werden konnte. Die DDR befand sich in existenzieller Abhängigkeit von der Sowjetunion. Doch wollte Walter Ulbricht 1970 nicht einfach Weisungen entgegennehmen und mahnte „echte Kooperation“ an: „Wir sind nicht Bjelorussland, wir sind kein Sowjetstaat.“9 Im westlichen Bündnis war es Frankreich, das die Betonung nationaler Identität mit Ansätzen zur Neugestaltung der Ost-West-Beziehungen kombinierte. Staatspräsident Charles de Gaulle wollte schon Mitte der 1960er-Jahre zu einer „Verständigung“ und „Kooperation“ mit den Ländern des europäischen Ostens kommen. Als ersten Schritt empfahl er eine Politik der „Entspannung“. Détente wurde zum festen Begriff, der – wie kurz danach Ostpolitik – Eingang in die Sprache der internationalen Politik fand.10 De Gaulles programmatischer Dreischritt zeigt bereits, dass Détente nicht mit dem Zustand eines stabilen Friedens zu verwechseln ist. Aber es war eine Form des Umgangs miteinander, bei der auf die Androhung und Anwendung von Gewalt ausdrücklich verzichtet wurde.

All dies unterschied sich gravierend vom Kalten Krieg der 1950er-Jahre mit seinen vereinzelten, recht flüchtigen Hoffnungsschimmern auf eine ost-westliche Annäherung. Der Eiserne Vorhang war auch während des „kurzen“ Kalten Kriegs keineswegs hermetisch geschlossen. So gab es schon ein Jahrzehnt vor dem berühmten „Prager Frühling“ in der tschechoslowakischen Hauptstadt jährlich ein Musikfestival gleichen Namens, bei dem Teilnehmer aus Ost und West zusammenkamen. „Eiserner Vorhang für ‚Prager Frühling‘ gelüftet“, titelte die New York Times am 24. Juni 1956. Derartige Begegnungen blieben jedoch die Ausnahme. Erst im Zuge der Entspannungspolitik wurde die Ost und West trennende innereuropäische Grenze durchlässiger. Auf höchster politischer Ebene sprach man anlässlich der Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955 zwar vom versöhnlichen „Geist von Genf“, greifbare Ergebnisse waren allerdings nicht zu verzeichnen. Immerhin kehrten die Gipfelteilnehmer mit dem Eindruck nach Moskau, Washington, London und Paris zurück, dass keine Seite auf einen Krieg zusteuere. Diese Einschätzung resultierte allerdings nicht aus der Einsicht in die aufrichtige Friedfertigkeit der Gegenseite, sondern aus der Erkenntnis, dass zwischen Atommächten Krieg nicht länger ein Mittel der Politik sein konnte. Es herrschte der Zwang zur „friedlichen Koexistenz“, wie Chruschtschow 1956 während des XX. Parteitags der KPdSU ausführte: „Es gibt tatsächlich nur zwei Wege: entweder friedliche Koexistenz oder den furchtbarsten Vernichtungskrieg der Geschichte. Einen dritten Weg gibt es nicht.“11

Durch den Eisernen Vorhang

Подняться наверх