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1.5 Die ersten Jahre in Dover/N.J.
ОглавлениеDie ersten Jahre in der neuen Heimat nach 1890 waren nicht leicht, obwohl Paul Guenther hier Landsleute aus der Chemnitzer Gegend vorfand. Dover/N.J. war damals eine Kleinstadt mit etwa 6.000 Einwohnern. Inzwischen sind Dover und die Nachbarstadt Rockaway fast zusammengewachsen. In Dover allein leben heute rund 15.000 Menschen. Bis New York sind es ca. 60 Kilometer. (10, 12)
Als Paul Guenther nach Dover kam, mietete er sich ein Zimmer im oberen Stockwerk eines Hauses, in dem der Häusermakler Schwarz sein Büro hatte. Das Gebäude, Haus 28–30 North Sussex Street, steht heute noch, natürlich etwas um- und ausgebaut. Seit nunmehr über 100 Jahren ist es im Besitz der Familie Schwarz. Von dem über 90-jährigen Sydney Schwarz erhielt der in Kanada lebende Herr Sommer bei seinem Besuch 1991 in Dover die historische Aufnahme vom alten „Schwarz-Block“. Der Enkel des ersten Herrn Schwarz betreibt heute in dem Haus ebenfalls eine Immobilienfirma. (12)
Bild 10b: Möbliertes Zimmer im Hause des Maklers Schwarz in Dover/N.J.
Bild 10c: Haus des Häusermaklers Schwarz, Aufnahme 1996
Nicht nur die Unterkunft war gesichert. Paul Guenther fand auch Arbeit in seinem Beruf als Strumpfwirker. Und trotzdem könnte es sein, dass ihm der Anfang nicht leicht gefallen ist, weil „ihm nichts geschenkt wird“, wie die Mutter (s. o.) sich geäußert haben soll. Vielleicht haben ihm die Eltern dann und wann doch etwas „Geld hinübergeschickt“. Sicher hat er die erste Zeit als ganz einfacher Strumpfwirker in verschiedenen Fabriken der Gegend um Dover hart gearbeitet. Unglaubwürdig sind Erzählungen, wonach er die verschiedensten Tätigkeiten einschließlich der des Tellerwäschers ausgeübt hat. Das sind Legenden, die sich nachträglich um Leute ranken, die in ihrem Leben einen ungewöhnlichen Aufstieg nahmen. Die über zehnjährige Berufserfahrung in der deutschen Strumpfwirkerei konnte Paul Guenther nun mit den Methoden und Formen amerikanischer Produktion in der gleichen Branche vergleichen. Und abermals „von der Pike auf“! Kein Wunder, dass später, als er Chef über mehrere Fabriken war, über ihn erzählt wurde: „Es macht ihm gar nichts aus, beim Rundgang durch die Produktionshalle das Jackett auszuziehen, die Ärmel hochzukrempeln und selbst an der Maschine nach dem Defekt zu suchen oder eine Feineinstellung vorzunehmen.“ (10) Er wird sein Fach verstanden, fleißig und zuverlässig gearbeitet haben und bald zum Vorarbeiter bzw. später zum Produktionsleiter befördert worden sein.
Nach sechs Jahren harter Arbeit und Sparen fühlte sich Paul Guenther wohl so weit gesichert, dass die Gründung einer eigenen Familie nicht weiter hinausgeschoben werden musste. Er heiratete 1896 Olga Mechel, eine gebürtige Berlinerin und mit Bruder Richard ebenfalls um 1890 in die USA eingewandert. Beziehungen der jungen Familie Guenther zu der Berliner Verwandtschaft haben mit Sicherheit bestanden. Als nicht zutreffend erwies sich die Annahme, die in Berlin existierende Güntherstraße stünde im Zusammenhang mit der Familie Paul Guenther. 1897 wurde die Tochter Margarethe geboren. Sie blieb das einzige Kind der Guenthers. Das später erbaute große Wohnhaus der Guenthers in Rockaway bei Dover nannte der Hausherr „Villa Margarethe“.
Bild 11: Olga und Paul Guenther, 1898
Mit den amerikanischen Formen des Wirtschaftslebens so einigermaßen vertraut, wagte Guenther 1896 den Schritt zur Selbstständigkeit. In Paterson bei Dover gründete er die erste, ganz kleine Strickerei. Die befreundete Familie Reinhardt aus Dover lieh ihm 400 Dollar. Vielleicht wurde von den Eltern auch ein kleiner Beitrag zum Startkapital geleistet. Ohne Risiko wird es nicht angefangen haben. Aber das Geschäft ließ sich ganz gut an. Bald zog er um in ein größeres Gebäude der Swiss Knitting Co., wo er einige Räume mietete. Mit drei Mitarbeitern und zwei älteren Maschinen wurden Seidenstrümpfe, ein Produkt mit großer Zukunft, produziert. Doch lassen wir an dieser Stelle Paul Guenther selbst zu Wort kommen: „Nachdem ich dort als einfacher Strumpfwirker und sodann als Fabrikationsleiter tätig gewesen bin, gelang es mir, eine kleine Fabrik zu mieten, in der ich mit einigen alten Maschinen den eigenen Betrieb eröffnete. Durch Anschaffung neuer Maschinen wuchs in kurzer Zeit die Leistungsfähigkeit meines Betriebes und dadurch auch mein Kundenkreis so bedeutend, dass ich in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre meine erste eigene Fabrik bauen konnte. Diese vergrößerte sich im Laufe der Jahre so, dass sie jetzt (1919, G.S.) mit ihren Beamten- und Arbeiterhäusern einen besonderen Stadtteil von Dover/N.J. bildet.“ (18)