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1.7 Guenthers soziale Leistungen
ОглавлениеDie Ein- und Zweifamilienhäuser in „Germantown“ von Dover, welche von 1900 bis etwa 1920 auf Veranlassung des Fabrikbesitzers Guenther für Arbeiter und Angestellte seiner Betriebe errichtet wurden, stehen fast alle noch und prägen das Stadtbild mit. Sie waren nach modernen Gesichtspunkten, komfortabel und bequem zugleich, gestaltet. Die zunächst vermieteten Häuser konnten von den Bewohnern zu besonders günstigen Bedingungen gekauft werden. Eine Turnhalle mit Räumen für Bowling, Billard, Gymnastik und Tanz entstand ebenfalls in diesen Jahren, wurde sehr lange kommunal genutzt und ist erst in den 1980er Jahren abgerissen worden. Paul Guenther hat die Stadtverwaltung und die Kirche in Dover kontinuierlich finanziell unterstützt. So stellten die Guentherschen Betriebe für die kleine Stadt nicht nur einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, sondern waren indirekt auch für das kulturelle und gesellschaftliche Leben von Bedeutung. Sein großes Engagement gerade für das Bildungswesen, für religiöse und kulturelle Vereinigungen (z. B. die Deutsche Gesellschaft in New York und die Germanistenvereinigung von Amerika) sowie für Krankenhäuser, z. B. das Dover General Hospital, währte über viele Jahre nach 1900 und endete mit den großzügigen Verfügungen in seinem Testament von 1932. (5, 10, 12)
Das alles war nun keinesfalls selbstverständlich, heute nicht und damals erst recht nicht! Der Unternehmer Paul Guenther in Amerika und seine Art, hartes Management mit sozialem Verantwortungsbewusstsein zu verbinden, ist vielleicht vergleichbar mit dem Wirken von Carl Zeiß und Ernst Abbe in Jena. Natürlich hat es weltweit seit Beginn unseres Jahrhunderts im Verhältnis von Kapital und Arbeit auf den Gebieten Mitbestimmung und Mitbeteiligung sowie bei der sozialen Absicherung der Arbeiter und Angestellten grundlegende Veränderungen gegeben.
Bild 17: Turnhalle für die Angestellten der Guentherschen Fabriken in Dover/N.J., historische Aufnahme
Andererseits bestehen auch heute noch z. B. zwischen Amerika und Deutschland gravierende Unterschiede. Das soziale Netz in Deutschland ist wesentlich enger geknüpft als dort.
Bild 18: Wohnhäuser für die Angestellten, German-District in Dover/N.J., Aufnahme 1996
Kranken- und Arbeitslosenversicherung unter Beteiligung des Arbeitnehmers sind seit Bismarcks Zeiten in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Das gilt für Amerika heute noch nicht – s. Obamas Bemühungen um eine allgemeine Krankenversicherung in den USA – und für die Jahre nach 1900 war es dort völlig undenkbar. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass die Gewerkschaften dort eine andere Entwicklung nahmen und dass es in den USA nie zu einer wirklich handlungsfähigen sozialdemokratischen Partei gekommen ist. Nach wie vor dominiert eine Haltung, jeder könne durch harte Arbeit reich werden und jeder sei seines Glückes Schmied. Die Denkart Paul Guenthers, der ja nun geradezu als Muster des Self-made-Man gelten konnte, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich gewesen. Mit den „Unions“, wie die amerikanischen Gewerkschaften heißen, hatte Paul Guenther nur wenig im Sinn.
Bild 19: Ehemaliger Bürgermeister von Dover, Mr. Willard Hedden mit Gattin, 1991
Bei den Besuchen in Dover 1991 (Herr Sommer) und 1996 (Sommer/Senf) lebten verständlicherweise nur noch ganz wenige Menschen, die Paul Guenther persönlich gekannt hatten. Vom Häusermakler Sidney Schwarz war schon weiter oben die Rede. Der ehemalige Bürgermeister von Dover, Mr. Hedden, 92 Jahre alt, gehörte zu jenen Wenigen. Er überraschte mit der Übergabe des Originalrasierbechers Paul Guenthers (s. S. 176). Auch Mr. Anthony Nazzaro war trotz seines hohen Alters noch recht mobil. Er war als 23-Jähriger bei Guenther beschäftigt gewesen. Über die Begegnung 1991 schreibt Herr Sommer: „Dieser alte Herr hatte mit seinen mehr als 90 Jahren noch so viel Pfeffer, dass ich mir gut vorstellen kann, wie er dem alten Paul Guenther auf die Nerven gegangen ist. Für Guenther waren seine Arbeiter Kinder, für die er vorbildlich sorgte, von denen er aber auch unbedingten Gehorsam verlangte. Nazzaro war einer dieser Menschen, die von ‚Partnerschaft‘ träumten, von Verträgen zwischen freien und gleichberechtigten Menschen. Die Arbeiter der Guentherfabrik in einer ‚Union‘ zu organisieren, war für Nazzaro der erste Schritt zu einer Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit. Für Guenther hingegen war es eine persönliche Beleidigung, als sich seine Arbeiter den jungen Nazzaro zum Vertrauensmann kürten. Er soll in seinem Büro geweint haben.“ (19)
Bild 20: Brief von Anthony Nazzaro vom 28. April 1995
Es ist sehr interessant, wie Herr Nazzaro viele Jahrzehnte nach diesen Ereignissen über seinen damaligen Chef urteilt. Nazzaro hatte sich in den 1930er Jahren selbstständig gemacht und besaß selbst eine Textilfabrik. Achtung und hohe Anerkennung gegenüber seinem einstigen Interessengegner sprechen aus jeder Zeile seines Briefes (22) vom 28. April 1995.