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Grußwort von Virginia Vanderbilt


Ich freue mich sehr über die Herausgabe des Buches zur Biografie meines Großvaters und zur Geschichte der Paul-Guenther-Schule. Autor und Herausgeber möchte ich herzlich dafür danken.

Ich war noch ein Kind, als Paul Guenther 1932 starb. Die Erinnerungen an meine Großeltern in Dover/ New Jersey sind daher lückenhaft. Die Zeit in Dover hat aber Spuren hinterlassen, die mein ganzes Leben mitbestimmt haben. Die Liebe zur Natur hat ihren Ursprung im Park um die „Villa Margarethe“ in der herrlichen, grünen Umgebung von Dover. Ich kann mich an Opa mit seinen Schäferhunden und an den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer mit den vielen Büchern erinnern. Auch die Liebe zur klassischen Musik ist in diesem Haus geweckt worden. Ich erinnere mich, dass dort viele Schallplatten der 1920er Jahre vorhanden waren. Noch heute gehe ich jeden Sonntag zur Wigmore Hall, um Konzerte zu genießen. Dieses Konzertgebäude wurde 1901 errichtet und hieß bis 1917 Bechstein Hall. Natur, Bücher und Musik haben in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. Ich war glücklich, dass mein Ehemann Robert diese Interessen mit mir teilte. Die Jahre in unserer Buchhandlung in New York gehören zu unseren schönsten Jahren.

Ich wünsche dem Buch eine gute Aufnahme durch eine interessierte Leserschaft.

Virginia Vanderbilt

London, im August 2016

1. Das Leben des Schulstifters

1.1 Kindheit in Geithain

Besucher der Geithainer Stadtbibliothek haben es sicher schon festgestellt: Der Blick aus den Fenstern des oberen Stockwerkes hinunter auf die Grünanlagen zwischen Leipziger und Nikolaistraße mit Kirche und Stadttor im Hintergrund ist beeindruckend. Und das nicht nur im Mai, wenn die Magnolienbäume blühen, oder am Vormittag, wenn die Morgensonne die Geithainer Unterstadt in ihr Licht taucht.

„Geithain – das sächsische Rothenburg o. d. Tauber“ – so wurde in den 1930er Jahren auf einer Ansichtskarte für unsere Stadt geworben! Ist man heutzutage gegenüber Werbeslogans auch skeptisch, der Winkel unten am Stadttor mit Kantorgasse, Kirchtürmen und Kirchhof hat seine Romantik bewahrt!

Hier „an der Heiste“, im Haus Leipziger Straße 23, wurde Paul Guenther am frühen Morgen des 13. Mai 1860 geboren. Warum im Geburtsregister von Sankt Nikolai ursprünglich der 12. Mai eingetragen war, wissen wir nicht. Auf Antrag von Vater Bruno Guenther wurde wenige Tage später die Änderung auf den 13. Mai vorgenommen. Sohn Paul war das erste Kind der Guenthers und blieb ihr einziges. (6)

Bruno Guenther und die junge Mutter Therese, aber auch die Paten und andere Gäste der Kindstaufe am 27. Mai, waren typische Vertreter der Ackerbürgerstadt Geithain. Der Handwerker hatte meist noch ein kleines Stück Land in Bewirtschaftung. Vielleicht deshalb wird in amerikanischen Quellen oft „Farmer“ als Beruf des Vaters von Paul Guenther angegeben. „Weber“ ist sicher treffender. Und diese Zunft war in Geithain seit vielen Jahrhunderten weit verbreitet. Auch in der Familie Guenther hatte der Beruf des Webers über drei Generationen seine Tradition. Da ist der Onkel und Taufpate Gottlob Guenther, Webermeister in Geithain; andere Familienwurzeln führen in die „Textilgegend“ um Lunzenau und Burgstädt. In diesem Beruf und in dieser Gegend liegen aber auch die Wurzeln für den späteren Werdegang unseres neuen Erdenbürgers Johannes Paul Guenther. Vater Bruno hatte den Weberberuf gelernt, übte ihn aber in seinen letzten Arbeitsjahren nicht mehr aus. In einem kirchlichen Dokument aus dem Jahr 1900 (25) ist „Bretthändler“ als Tätigkeit angegeben. Es ist ebenfalls ein Hinweis auf den Niedergang der Weberei in Geithain.

Kindheit im damaligen Geithain! Die Straße vor der Tür, ein paar Schritte stadteinwärts die „Entenpfütze“, ein kleiner Tümpel, und hinterm Stadttor der Hospitalteich – was für ein Spielparadies! Das Verfüllen der Entenpfütze, die Einweihung des Kriegerdenkmals und das Entstehen der Anlagen in der Unterstadt erlebte der zehn- bis zwölfjährige Paul Guenther. Es spielte sich ja alles vor seiner Haustür ab. Aber noch eine andere, viel aufregendere Sache passierte: Die neue Eisenbahnstrecke von Leipzig über Borna nach Chemnitz berührte Geithain. Draußen auf dem „Pflanzberge“ entstand der Bahnhof. Eine neue Straße führte von dort in die Stadt. Der Sumpf dazwischen wurde mit einem hohen Damm aufgefüllt. Ein völlig neuer Stadtteil entstand im Norden. Später nannte man diese Zeit in Deutschland die „Gründerjahre“. Der aufgeweckte Knabe Paul Guenther nahm mit seinen Schul- und Spielkameraden das alles mehr oder weniger bewusst auf. Er besuchte die Schule von der ersten bis zur achten Klasse und wurde 1874 in St. Nikolai konfirmiert. Im Konfirmandenbuch „K2, Jahrgang 1874“ steht zu Paul Guenther: „Konfirmiert, Zensuren Sitte 2, Katechismus 2a“. Zur Geithainer Schule gehörten seit 1847 neben den Räumen in der Kantorgasse auch zwei Lehrzimmer mit einer Lehrerwohnung in der Chemnitzer Straße, im Haus des heutigen Elektrogeschäftes Löffler. (17) Als 1877 die wegen Schulraumnot neu gebaute „Bürgerschule“ (später Rathaus bzw. Rat des Kreises, Landratsamt) eingeweiht wurde, war Paul Guenther schon ein junger Bursche von 17 Jahren. Er ahnte nicht, dass ihn 45 Jahre später ein Brief aus seiner alten Heimat erreichen würde, in dem von großer Schulraumnot in Geithain die Rede war, denn 1922 war das Gebäude für die gestiegene Schülerzahl abermals zu klein!

Tischlermeister Martin Diebler, in Tautenhain geboren und heute in der Region Geithain durch seine „Erinnerungen“ bekannt, lernte in den 1920er Jahren in Geithain bei Meister Rudolph das Stellmacherhandwerk. Der Nachbar, Schmiedemeister Lohse, erzählte besonders in der Zeit des Schulbaus von Paul Guenther. Louis Lohse kannte ihn als Schulkamerad aus der Kindheit. Lohse beschrieb den Schüler Paul Guenther als einen sehr aufgeweckten Burschen, der „im Gaupeln“ (damals ein Ausdruck für „etwas aushandeln, verkaufen oder tauschen“) ganz groß war. An Selbstbewusstsein mangelte es dem Knaben keinesfalls. Details über Paul Guenthers Kinder- und Schuljahre konnten bis dato in den Quellen leider nicht gefunden werden. Umso bedeutender ist es, dass ein Kinderbild des Schulstifters auch heute noch existiert (s. S. 16).

1.2 Ausbildung in Limbach

Der Sohn trat in die Fußstapfen von Vater und Großvater und wollte ebenfalls in der Textilbranche arbeiten. Aber Geithains große Zeiten, da die Stadt ein Zentrum der sächsischen Leinwandproduktion war und über die Leipziger Messe Geithainer Leinwand bis nach Spanien und Italien exportiert wurde, lagen lange zurück. In der Chemnitzer Gegend werden die Ausbildungsmöglichkeiten besser gewesen sein. Auch die Chancen, später Arbeit zu finden, waren dort wesentlich größer. Textilindustrie und Textilmaschinenbau, insbesondere auch die Strumpfwarenproduktion, entwickelten sich in rasanter Weise. Kein Wunder, dass der Vater den Sohn dorthin zur Ausbildung gab. Ein Unterkommen bei Verwandten war auch gesichert.

So besuchte Paul Guenther nach seiner Konfirmation von 1874 bis 1878 die Strumpfwirkerschule in Limbach. Wahrscheinlich hatte es sich bis Geithain herumgesprochen oder die Verwandten der Guenthers in der Chemnitzer Gegend übermittelten die Nachricht: Am 6. April 1869 wurde die Wirkschule Limbach unter Leitung von Professor Willkomm eröffnet. Die Eltern Paul Guenthers hatten eine ausgezeichnete Ausbildungsstätte für ihren Sohn gewählt. Die Schule in Limbach war weltweit die erste Fachschule für Strumpfwirkerei. „Man hatte damit (mit Direktor Willkomm, G.S.) eine gute Wahl getroffen, denn in zäher und emsiger Arbeit … schuf er einen neuen Wissenschaftszweig der Textiltechnologie, die Technologie der Wirkerei. … Die Einrichtung wuchs über Limbachs Grenzen hinaus. Sie wurde in aller Welt bekannt. So besuchten Schüler aus Amerika, Frankreich, Russland, England, der Schweiz und anderer Länder die Schule.“ (23)

Bild 2: Paul Guenther als Kind im Alter von 9 oder 10 Jahren neben seinem Vater, aufgenommen um 1870. Das Bild dürfte zu den ersten und ganz wenigen Fotografien gehören, die überhaupt damals in Geithain entstanden sind. Wir verdanken es Herrn Werner Pechstein aus Geithain, Großcousin mütterlicherseits von Paul Guenther.


Bild 3: Gebäude der ehemaligen Wirkschule Limbach, um 1995


Bild 4: Gedenktafel für Prof. Willkomm


Bild 5: Historische Aufnahme „Höhere Wirkschule“ Limbach

Zur Geschichte der Wirkschule ist vom Heimatverein Limbach-Oberfrohna viel Informationsmaterial herausgegeben worden. Die vier Ausbildungsjahre Paul Guenthers können anhand von Lehrplänen, Stundentafeln, Angaben zur Ausstattung der Schule für den theoretischen Unterricht und der praktischen Ausbildung an Maschinen gut nachvollzogen werden. Es haben sich auch eine Reihe von Schülerlisten erhalten, leider nicht die aus den 1870er Jahren.

Das hohe Ausbildungsniveau und die Forderungen bezüglich Gründlichkeit und Disziplin während der Lehrzeit waren mit Sicherheit auch für Paul Guenther gute Voraussetzungen für die sich anschließende Tätigkeit in der Chemnitzer Region, aber ebenso entscheidend für sein späteres erfolgreiches Wirken in den USA. Wir dürfen annehmen, dass die Jahre in Limbach Impulse gaben für die 1890 erfolgte Auswanderung. In den vorhandenen Schülerlisten ist der hohe Anteil ausländischer Schüler bemerkenswert. Bereits im Gründungsjahrgang 1869/70 waren es 8 von 23 Schülern! Das ist einerseits erstaunlich, andererseits sind die Attraktivität und der gute Ruf deutscher Technikerschulen im Ausland für die damalige Zeit typisch.

Sicherlich lernte Paul Guenther in seiner Ausbildungszeit ausländische Mitschüler kennen, vielleicht sogar einen jungen Amerikaner?

Paul Guenther und seine Schule in Geithain

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