Читать книгу Das Monster vom Eastend - Grace Madisson - Страница 3
1. Kapitel
ОглавлениеSie lag neben dem Holzschuppen im Schatten, in ihrem Blut und auf dem Rücken. Ihr Kleid war aufgerissen, der Rock nach oben gezerrt und der Leib war aufgeschlitzt, die Eingeweide ausgeräumt, als hätte der verrückte Menschenschlächter etwas gesucht, ihr fehlte die Leber. Ihr Gesicht, das wohl zu Lebzeiten anziehend gewirkt haben mochte, sah im Tod grauenhaft aus: grau angelaufen, die Augen aus den Höhlen getreten, der Mund in einem Hilfeschrei erstarrt. Weiter unten war der Anblick noch schrecklicher: Der Täter hatte den armen Körper längs aufgeschnitten und hatte die Eingeweide herausgenommen und damit, so schien es Inspector Lestrade, gespielt. Die Darmschlingen und das Herz bildeten ein bizarres Muster, im Dreck des gepflasterten Hinterhofes, wie schwimmende Inseln in einem Meer aus Blut auf dem Mondlicht beschienen seifigen Pflastersteinen. Die Inspektoren Teehrman und Willems hatte fast alles eingesammelt und in nummerierte Packpapiertüten gesteckt. Übrig waren noch eine schwarze Blutlache und winzige Fetzen des zerschnittenen Kattun Kleides. Der wahnsinnige Täter hatte mit Blut Obszönitäten in französischer Sprache gegen die Juden an die von Kohlenstaub verrußte Hauswand geschmiert. »Judee piger anglaise faire une prise de sang« und einen blutigen Handabdruck hinterlassen, nur schade, dass keiner der Polizisten auch nur, etwas französisch sprach. Gebildet muss der Teufel sein, war sich Inspector Lestrade von der Kriminalabteilung von Scotland Yard sicher. Fast alle Zeitgenossen, die Inspector Lestrade beschrieben, widmeten sich zu erst seinem merkwürdigen Gebaren und sonderbaren Aussehen. Man behauptete Inspector Lestrade habe ein so hässliches Gesicht, das es selbst dem abgebrühtesten Verbrecher weh tat, es anzuschauen. Beschriebe man ihn mit groß, ungelenk und hässlich sowie exzentrisch gekleidet und abrupt und ohne jede Höflichkeit in seiner Art, seine seltsame, oft beunruhigende Stimmungswechsel traf es sein Äußeres und nicht den vielschichtigeren schillernden Kern. Lestrade war keine Schönheit, war — dürr und besaß, Eulenaugen hinter großen Brillengläsern und einen Schnauzbart, der aussah, als wolle er einem die Augen ausreißen und verschlingen. Doch in seinem unerfreulich aussehendem Kopf war Inspector Lestrade ein Juwel an Wissen zu den Strukturen und Machtverhältnisse in den Slums von London. Inspector Lestrade stützte sich auf seinen eleganten Gehstock und betrachtete aus kurzer Entfernung die Schrift an der Wand. Seine Augen blinzelten. Gebildet musste der Teufel sein, der diese Metzeleien an den Gefallenen Weibern niedriger Klasse in London anrichtete. Der Irre besaß eine schöne Handschrift und hatte bitterkaltes Blut in den Adern, er mordete auf fast offener Straße ohne sich, auch nur einen Deut, um die Polizisten zu scheren. Hundert als Straßenverkäufer, Bettler, Arbeiter verkleidete Beamte überwachten die Straßen und Gassen die Obdachlosenasyle, Dosshäuser in den Armenvierteln von London. Erfolglos, wie jeder mit einem Blick auf die Kreideschrift sah. Metzelte das arme Ding, spielte mit den Innereien und fand noch Zeit ein kleines Epigramm an die Wand zu setzen. Constable Peters, war als erster Polizist vor Ort gewesen und hatte sich richtig verhalten, Inspector Lestrade nickte ihm freundlich zu. Peters stand am Straßenrand und übergab sich konvulsivisch in den Rinnstein, sein ganzer langer Körper bebte wurde durchgeschüttelt. »Ihre erste Leiche Constable?« Fragte Inspector Lestrade mitfühlend. »Nein Herr, aber … ich habe so etwas noch nicht gesehen, ich war im Burenkrieg 1880 Sir, aber das …«.
Der kluge Constable hatte nach Auffinden der Toten, einen Boten zum Yard nach Whitehall gesandt, schlicht mit einer Adresse in Whitechapel und einem Zusatz, der hellhörig machte, aufgeschlitztes Opfer. Inspector Lestrade nickte kurz, drehte sich abrupt zum Hinterhof und rief:
»Gibt es Spuren von Geschlechtsverkehr?«
»Das kann ich Ihnen später verraten, mein Bester. Ich schreibe Ihnen einen hübschen kleinen Bericht zu diesem weiteren Missgeschick. Mein Bester Lestrade schicken Sie mir bitte noch eine Laterne, es ist immer noch sehr Dunkel hier, und ihre tollpatschigen Leute sind mir schon auf eine Niere getreten. Wer weiß, was Ihre Arbeiter mir für Spuren unter ihren Stiefeln bereits Zertreten haben.«
Der junge Polizeiarzt ignorierte die Tragödie, an der er nichts mehr ändern konnte, er konnte nur seine Arbeit sehr gut tun. Man sah ihm an, dass er kein richtiger Londoner war. Er war hochgewachsen, knochig, schwarzes Haar, breite Lippen und dabei agil wie ein Schauspieler. Und zu allem fehlte ihm der Kasernenhofton, den die Londoner sich angewöhnt hatten, zu viel Deutsche am Hof die Londoner der besseren Kreise redeten, nicht sondern forderten. Mit der gleichen sprachlichen Beredsamkeit den ein Feldwebel an den Tag legte. Wie angenehm war es dem Arzt zuzuhören. Inspector Lestrade sah mit Interesse zu, wie der geschundene Leib den Händen der Constables anvertraut wurde. Den Hartgesottenen, die nicht zitterten oder sich erbrachen.
»Na, Doktor, schnappen wir ihn diesmal, ich setze 5 Pfund!« Inspector Lestrade sah in seinem Portefeuille nach und zog die Banknote heraus. Inspector Lestrade arbeitete nicht das erste Mal mit dem Doktor zusammen. Ein angenehmer Herr, stets höflich und ein Lächeln auf den Lippen. Seinen scharfen, schwarzen Augen entging selten etwas. Dazu kam, dass er immer wie aus dem Ei gepellt erschien, auch heute hatte sich das Warten gelohnt, der Kragen Alabasterfarben, die Manschetten trotz des Blutes und Kotes noch Weiß. Ein sympathischer Ehrgeizling, der vor seiner ruhigeren Karriere Erfahrung in Londons Scotland Yard sammelte. Der Polizeiarzt ließ sich von seinem zwergenhaften Gehilfen Thomas parfümiertes Wasser über die Hände gießen. Er schrubbte so konzentriert seine Finger an der Wasserpumpe als wolle er, mit dieser Prozedur zugleich die Erinnerung an das Leiden des Mädchens wegschwemmen. »Ich habe immer gesagt, so einer macht, solange weiter bis er gestoppt wird!«
Dr. Helly sah sich auf dem Schlachtfeld um. »Das hier ist keine Aussicht für feinfühlige Augen, mein Bester. Sorgen Sie dafür, das einer das Blut wegwischt.«
Inspector Lestrade nickte und zwang sich zu brüllen:
»Peters Sie verdammte Heulsuse zack zack kommen Sie gefälligst her«, schnauzte er den unter Schock stehenden Polizisten an. »Gewöhnen Sie sich dran, glauben Sie etwa ihr Flennen, macht sie lebendig, bringt uns den Mistkerl an den Galgen?« Inspector Lestrade sah, das sich seine niveaulose Methode bewährte, der kluge Constable stand stocksteif vor ihm. Er klopfte ihm auf die Schulter.
»Du wirst in dieser wunderbaren Stadt noch weitaus Schlimmeres zu sehen bekommen. Schaff dir ein dickes Fell an, sonst bringst du es nie zum first class Constable. So und nun will ich, das du den Transport der Kleinen überwachst, keine Schlamperei, niemand, absolut niemand, fasst die Leiche an, bis Doktor Helly kommt!«
Der Polizei Constable salutierte und setzte sich neben die Tote in die Kutsche.
»Verhüte Gott, dass man in einer Zeit leben soll, wo man sich an Barbarei gewöhnt zeigen soll, mein Bester«.
Flötete der Doktor und setzte seinen Abend Zylinder keck auf den Kopf und reichte seinen Arztkoffer dem stummen Gehilfen. Inspector Lestrade war ein alter Hase, der Dr. Helly für die Untersuchung angefordert hatte, obwohl der Polizei Chirurg des Polizei Distrikts zuständig war. »Das wär’s dann wohl«, sagte er und wählte sich eine Zigarette aus seinem silbernen Zigarettenetui heraus.
»Die Leiche ins Schauhaus der Polizei in High Street. Ich beginne mit der Untersuchung nach meinem, er sah auf seine Taschenuhr.
»Dejeuner, ich erwarte Sie dann dort, mein Bester!«
Der Leichenkutscher des Schauhauses Henriks half den Constable, die Leiche in das Transportbehältnis, eine zwei Meter lange Kiste zu legen. Er bekreuzigte sich und schüttelte angewidert den Kopf, »Schreckliche Sache, wenn er wo wieder da is!«, sagte der Leichenkutscher. Lestrade nickte, Hendriks war eine Kräftige ehrliche Haut, der nicht mit seinen Gedanken hinter dem Berg hielt. Aber er konnte sich seine Meinung auch erlauben als einziger Leichenkutscher des Leichenschauhauses, das Scotland Yard in London nutzte, hatte er mehr ermordete gesehen als viele kriegsgewohnte Soldaten. Viele Tote hatte er gesehen, viele Arten des Sterbens und des Mordes kennengelernt. Der arme Kerl hatte, Erfahrung mit den Opfern des Schlitzers schließlich hatte er das Privileg und transportierte sie. Inspector Lestrade nickte und gab bereits weitere Befehle:
»Den Hinterhof absperren und einen Constable davorstellen. Nur die Bewohner ein und auslassen. Alle Bewohner ringsum befragen, und zwar mit Druck, wegen meiner verteilt ihr Maulschellen. Ich will Wissen, welcher Nachbar«, Inspector Lestrade sah auf seine Taschenuhr, »zwischen 3 und 4 Uhr hier im Schlaf laut gefurzt hat! Ob sie etwas Verdächtiges gesehen oder gehört haben.«
Er beugte sich hinab zu dem Häuflein Elends vor ihm.
»Du hast das erste Mal um vier Uhr das Scheißhaus aufgesucht, richtig?«, fragte Inspector Lestrade den Postboten, der bedauerlicherweise unter einer chronischen Magensache litt. Der unglücklicherweise im Hinterhaus lebte und beim Gang vom Plumpsklo zu seinem Zimmer über die Leiche des Mädchens gestolpert war. Inspector Lestrade drehte sich zu den Constables, die sich beklommen im kleinen dunklen Hof sammelten.
Er rief: »Und der Tod ist nicht viel später als drei Uhr morgens eingetreten. Also interessiert uns die Zeit zwischen ein Uhr und vier Uhr nachts, ich will die Alibis von jedem.« Wieder zum Postboten: »Hast du vielleicht jemandem aus der Nachbarschaft gesehen, gehört?« Der Postbote stand da und knetete das Innere seiner Hosentasche und glotzte wie ein Fisch. »Was ist los, mach doch dein Maul auf Mensch!« Der Briefträger sah verlangend zu den beiden Plumpsklos am Ende des Hofes.
»Na hau schon ab, aber beeile dich!« befahl der Inspector und verfolgte mit amüsierter Miene dem Laufschritt des Mannes. Drei Minuten später erhielt die Antwort auf seine Frage. »Nein. Ich weiß nichts rein von gar nichts. Ich hab‘s mit dem Magen und musste erst aufs Häuschen und dann weiter zur Arbeit. Es war, die Kirche hat geschlagen, 3 Uhr 45 und ich war höchstens 5 Minuten auf dem Plumpsklo. Ich bin raus und habe das arme Ding liegen gesehen und bin dann gleich los um einen Polizisten zu suchen. Ich habe keinen gesehen und bin zur Polizeiwache in der Spitalsfield High Street gerannt, da haben sie mich nicht weggelassen, bis Sie gekommen sind. Die Bewohner, die haben geschlafen das heißt, ich habe keinen gehört oder gesehen. Es ist dunkel hier und ich hatte nur eine Kerze. Aber währe in den Fenstern Licht gewesen, hätte ich sie sofort gesehen. Aber von denen ist keiner zu so was imstande. Das hier ist ein anständiges Haus bewohnt von fleißigen Menschen.«
Der brave Postbote schielte furchtsam zu der Pfütze Blut, wo die Leiche gelegen hatte. Wie oft hatte Inspector Lestrade das gehört, für jedes Mal ein Pence und er hätte mittlerweile 200 Pfund auf der Bank.
»Genau das werden wir überprüfen«, sagte Inspector Lestrade und wurde unterbrochen. »Die Herren ... Ich bitte ... «, erklang von hinten, vom Tordurchgang eine leise Stimme. Alle drehten sich um. Selbst im Halbdunkel war zu sehen, wie blass und verstört der Staatssekretär war, doch seine Stimme strahlte vor Gelassenheit als wäre nicht das Geringste vorgefallen. »Herr Lestrade hat begriffen, dass es sich aus Gründen die niemanden etwas angehen verbietet, über den Unfall mit dem entlaufenen Zirkus Tiger, der von uns erschossen wurde, zu sprechen«, sagte der Berater Queen Victorias streng.
»Geheimhaltung. Befragungen nur zu Zirkus, Zigeunern und Tigern. Unsere Pflicht zwingt uns im Interesse des Staatswohls diesen Schritt zu tun, Ihre Hoheit, verpflichtet alle Beteiligten ihr Stillschweigen zu wahren. Es ist zu erklären, dass ein entlaufener Zirkustiger erschossen wurde.« Von Bülow wies mit dem Daumen zur Strasse. »Der andere Kadaver liegt in meiner Kutsche, wenn jemand so freundlich währe, ihn zu drapieren«. Zwei Constables folgten dem Daumen zu der eleganten Kutsche des Staatssekretärs. »Inspector Lestrade, man verlässt sich auf Ihre geschickte Methodik diese unerfreulichen Morde aufzuklären ohne allzu viel trallala.«
Die Constables starrten sich im Licht der aufgehenden roten Sonnenkugel fassungslos an, Entsetzen machte sich breit, wie sollte man solchen Mist verabreiten, wenn sie nicht darüber reden, konnte, diese Geschichten schwollen in ihnen zu Tumoren.
»Immer mal was Neues!« Kleidete Inspector Lestrade einen Fluch in Richtung Monarchin in eine sachliche Feststellung. Er begann, seinem Schnurrbart zu zwirbeln. »Moment bitte meine Herren ist der Kadaver bereit?« fragte Bülow, der für alle offensichtlich, geradezu in übereilter Hast aufgebrochen sein musste, er trug einen neumodischen Pyjama unter seinem Mantel. Zwei Männer aus seinen Diensten, die Inspector Lestrade am liebsten für ihre Verbrechervisagen eingelocht hätte, trugen einen Tierkadaver in den Hinterhof und warfen ihn auf den Boden. Von Bülow zog eine zierliche Duellpistole und schrie, »Hilfe, Hilfe ein Tiger, schieß doch um Gottes willen ein entflohener Tiger!« zwei Schüsse peitschten in die Luft und dann trat urplötzlich Stille ein. Fenster wurden zaghaft im Halbschlaf aufgeschoben. Von Bülow grinste und zog seinen Strohhut und verabschiedete sich und verschwand wie ein schlechter, umso stolzerer Bühnenzauberer. Inspector Lestrade kratzte sich den Kopf und versetzte dem Tiger wütend einen Tritt. Er beugte sich über den Kadaver, der mindestens seit einer Woche tot sein musste. »Was fehlt an diesem Schaustück von Unvernunft?«
Der Postbote zuckte mit den schmalen Schultern.
»Kein Schwanz das Exemplar eines Tigers ist schwanzlos und kein Blut fließt aus einer der Schusswunden, außerdem wurde dem armen Tier die Kehle durchgeschnitten, was vermutlich wieder einer dieser typischen von Bülow Scherz sein soll.«
Inspector Lestrade sah sich im nach Blut und Unrat riechenden Hinterhof um, »Aber hier gibt es ja wieder einmal Blut im Überflusse.«