Читать книгу Superhelden - Грант Моррисон - Страница 10

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Zwei Monate vor dem 7. Dezember 1941, dem Datum der japanischen Attacke auf Pearl Harbor, erschien die Story „Wie Superman den Krieg beenden würde“ im Magazin Look. Sie zeigte, wie Superman in den Bunker des Führers eindringen, den wimmernden Diktator an der Gurgel packen und auf diese Weise die Wünsche so vieler Leser erfüllen würde: „ICH WÜRDE DIR GERNE EINE ABSOLUT UN-ARISCHE SOCKE ÜBERS GESICHT ZIEHEN; ABER DAFÜR IST JETZT KEINE ZEIT! DU KOMMST MIT MIR MIT, WÄHREND ICH EINEN GEWISSEN KUMPEL VON DIR BESUCHE.“ Der „Kumpel“ stellte sich als Josef Stalin heraus. Superman entführte beide Männer und brachte sie zum Sitz des Völkerbundes in Genf, wo die beiden Despoten schmollten wie zwei Kinder. Ein schulmeisterlich wirkender Mann mit Richterhammer verlas das Urteil: „ADOLF HITLER UND JOSEF STALIN – WIR FINDEN EUCH SCHULDIG DES GRÖSSTEN VERBRECHENS UNSERER ZEIT: GRUNDLOSE ANGRIFFE AUF WEHRLOSE STAATEN.“ Das war die Art und Weise, wie Superman den Krieg beenden wollte. Der Superman, der gewalttätige Ehemänner aus Fenstern baumeln ließ und gewählte Volksvertreter bedrohte, der Bekehrer der Outlaws des Jahres 1939, war irgendwie in einer Welt gelandet, die sich sehr von der Welt seiner Entstehung unterschied. 1941 war die Idee des revolutionären Working-Class-Heroes bereits einigermaßen suspekt. Raubeinige Kraftkerle, die das Gesetz auch mal in die eigenen Hände nahmen, waren potenzielle Revolutionäre und Verräter. In Kriegszeiten waren Patrioten die Helden, also musste auch der ultimative Held zum Superpatrioten werden. Der Mann vom Planeten Krypton war nun ein guter Amerikaner, ein entschiedener und enthusiastischer Verfechter des Status quo. So etwas wie ein betrügerischer Präsident oder korrupte Cops waren in der Welt des Superman der Vierziger nicht vorstellbar. Es war ein ähnlich radikales Umstyling wie jenes, dem sich Elvis Presley unterzog, als er 1958 seine geölten Haare und seine unangepasste Attitüde gegen die Uniform der US-Armee und einen militärischen Haarschnitt tauschte. Ein ausgesuchtes Cover zeigt den Mann aus Stahl, wie er im Stile eines Rodeo-Reiters eine phallische Rakete reitet – 20 Jahre vor Dr. Strangelove. Dieser nun domestizierte Superman posierte mit dem amerikanischen Adler auf seinem Arm, und in einer besonders geschmacklosen Episode fordert er die Leser auf, „Japsen zu verhauen“ („Slap a Jap!“), um die Kriegsanstrengungen zu unterstützen.

Schließlich, 1941, bahnte die erste Ausgabe von Captain America einem neuen Superhelden den Weg, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hatte, gegen die „Japanazi“-Bedrohung kompromisslos vorzugehen. Er, Captain America, dieser ultimative patriotische Superheld, war die Schöpfung eines weiteren großartigen Gespanns unter den kreativen Comic-Duos: Joe Simon und Jack Kirby.

Jack „King“ Kirby war der allereinflussreichste Superhelden-Künstler, den es gab, vielseitig ausgestattet, vor allem mit Vorstellungskraft. Geboren im August 1917 als Jakob Kurtzberg – Jack Kirby war nur einer von vielen Künstlernamen, aber dieser blieb hängen –, wuchs Kirby in einer Mietwohnung an der Lower East Side in Manhattan auf. Als Mitglied der Suffolk Straßengang war er vertraut mit dem Kick einer physischen Auseinandersetzung, was ihn von vielen seiner lebensfernen jungen Zeitgenossen unterschied. Tatsächlich, ganz anders als etwas Joe Shuster oder Bob Kane, die Kampfszenen mit etwas hochnäsiger Distanz zeichneten, zog Kirby seine Leser direkt hinein in die wilden Faustkämpfe und Tretereien, welche die echten Keilereien, die er miterlebt hatte, charakterisierten. Seine Figuren stellten authentisch dar, wie es sein musste, wenn man durch eine Gruppe von Antagonisten wirbelte. Seine Helden und Schurken trafen in knochenharten Prügeleien aufeinander – diese zogen sich mitunter über mehrere Seiten. Superman konnte zwar gegen einen übergroßen Affen über ein oder zwei Panelen kämpfen, aber in Kirbys Händen wurden Kampfszenen zum aufregenden Selbstzweck. Kirby diente als Gefreiter in der Kompanie F der elften Infanterie im Zweiten Weltkrieg. Er landete 1944 am Omaha Beach in der Normandie zwei Monate nach dem D-Day und zog mit seiner Einheit weiter durch das besetzte Frankreich. Er kämpfte in der Schlacht um Bastogne, erlitt Erfrierungen, die so ernst waren, dass er beinahe beide Füße verlor, und wurde dann, dekoriert mit mehreren Auszeichnungen, ausgemustert. Seine Kriegserfahrungen beeinflussten seine Arbeiten für den Rest seines Lebens, jedoch porträtierte Kirby Gewalt stets als vergnügliche Zurschaustellung natürlicher maskuliner Überschwänglichkeit. Als amerikanische Nazis in das Gebäude stürmten, in dem Simon und Kirby ihr Studio hatten, und das Blut der kreativen Köpfe hinter Captain America forderten, war es Jack, der die Ärmel hochrollte, um sich der Angelegenheit auf seine Weise anzunehmen.

Captain America selbst hieß Steve Rogers, ein dürrer Kümmerling, der sich freiwillig für ein Militärexperiment meldete, das einen normalen Mann in einen Superkrieger verwandelte. So wie mein Dad und Jack Kirby wollte Steve Hitler beseitigen. Und wie so viele Männer auf Seiten der Alliierten, glaubte er, dass er leichtes Spiel mit dem kleinen Schwächling hätte, wenn nicht tausende Meilen besetztes Territorium, Stacheldraht, Soldaten, Panzer und Minenfelder zwischen dem bibbernden Adolf und der stolzen Faust der Vergeltung lägen.

Anders als Superman oder Batman war Captain America ein Soldat mit der Lizenz zum Töten. Bis dahin hatten Superhelden zwar an den Grenzen der Legalität agiert, doch Captain Americas gewalttätige Arbeitsauffassung wurde von der Verfassung gestützt! Vom aktiven Dienst abgewiesen, bewarb sich Steve für eine experimentelle Behandlung mit einem Supersoldatenserum und Vita-Strahlen. Bevor das Serum in Massen hergestellt werden konnte, wurde sein Entwickler von Nazi-Agenten ermordet, was den neuerdings bullenstarken Steve Rogers zu Uncle Sams einzigem neuen Supersoldaten machte.

Jede Ausgabe von Captain America war kinetisch, brutal überdreht und reißerisch. Jedes Cover zeigte eine neue, kurz bevorstehende Abscheulichkeit: Ein Mädchen, ihre Bluse ist in Fetzen gerissen, windet sich auf einem mittelalterlichen Foltergerüst, während ein anzüglich grinsender Buckliger – vorzugsweise mit Hakenkreuz-Tätowierung – ihren Ausschnitt mit einem glühenden Schüreisen bedroht. Captain America betritt die Szene auf einem Motorrad durch die Wand, zertrümmert auf seinem Weg ein Porträt von Hitler und wehrt gleichzeitig eine Salve Kugeln mit seinem Stars-and-Stripes-Schild ab, während sein getreuer Teenager-Partner Bucky Nazis mit der raubtierhaften Begeisterung eines wild boy aus der Feder von William S. Burroughs niedermäht. Es galt ausnahmslos immer irgendeine Kombination aus kochendem Öl, tollwütigen Gorillas, Vampiren oder schlangenzähnigen Japanern zu überwinden. Jeder Quadratzentimeter der Illustrationen zeigte einen Moment der grotesken Bedrohung oder einer draufgängerischen Heldentat.

Kirby setzte auf seine außergewöhnlichen Zeichenkünste, um ein Auskommen für seine Familie zu verdienen, und meinte es ernst, als er mit seinem Comic-Buch auf einem überfüllten Markt aufkreuzte. Während Superman die Führer der Achsenmächte zu einem Internationalen Tribunal fliegen wollte, stand Captain America für eine viel befriedigendere Fantasie. Kirby setzte darauf, dass sich die Bilder von amerikanischen Superhelden, die Hilter die Zähne rausprügelten, gut verkaufen würden, und sollte damit Recht behalten. Mit Captain America schenkten Simon und Kirby den amerikanischen Truppen einen Helden, den sie einen der ihren nennen konnten.

Superhelden-Geschichten wurden universell und für jeden zugänglich gestaltet, aber zumeist, das muss man zugeben, wandten sie sich primär an Jungs und junge Männer. Möglicherweise hat sich dadurch der hartnäckige Mythos entwickelt, dass alle Superheldinnen vollbusige Playmates mit einer unnatürlich verschnürten Taille und überlangen Beinen auf hohen Absätzen sind. Obwohl es wahr ist, dass die Superheldenkostüme den Zeichnern erlauben, im Grunde nackte Körper in Bewegung zu Papier zu bringen, gab es tatsächlich unter den weiblichen Vertretern der Superheldenzunft mehr unterschiedliche Körpertypen als bei den männlichen Kollegen.

Die erste Superheldin – welche Überraschung – war keine wohlgeformte Sahneschnitte in hohen Stiefeln, sondern eine Hausfrau mittleren Alters namens Ma Hunkel. Bei ihrem Debüt (All-American #20, 1940) trug sie eine Decke als Umhang und einen Kochtopf als Helm. Als alter Hausdrachen mit dem Körperbau eines Backsteinklos war sie der erste Superheld der „realen Welt“ – ohne Superkräfte, in einem selbstgebastelten Outfit und einem strikt lokalen Wirkungsbereich. Ma Hunkel, auch bekannt als The Red Tornado, war die erste Parodie auf das Genre der Superhelden, welche den hochtrabenden Idealismus von Siegel und Shuster aufs Korn nahm. Der Mainstream hat Ma Hunkel zwar vergessen, trotzdem ist sie immer noch Bestandteil des DC-Universums und hat nun eine Enkelin namens Maxine Hunkel, eine redefreudige, realistisch proportionierte und sympathische Teenagerin, die sich geschickt gegen das Klischee der Superdummchen auflehnt.

Aber natürlich produzierte die Comic-Industrie inmitten der Kriegswirren auch eine ansehnliche Truppe von Sexbomben und kompromisslosen Damen mit Namen wie Spitfire und Miss Victory, oder die seltsam tröstliche Pat Parker, eine Kriegskrankenschwester. Sie war angetrieben von dem Begehren, sich wie ein Showgirl zu kleiden und in lebensbedrohlichen Missionen auf die Schlachtfelder Westeuropas zu begeben. Sie war bereit, es mit ganzen Panzerdivisionen aufzunehmen, um einen sich vor Schmerzen krümmenden Soldaten zu retten. Was ihre Aktionen so besonders tapfer machte, war der Umstand, dass diese Krankenschwester ohne Superkräfte auskommen musste und sich in ein höchst unpraktisches Kostüm zwängte. Aber so absurd sie auch scheinen mochte, sie war stets ein vorbildliches Beispiel für Willen, Einsatz und für die Tatkraft der Frauen.

Und dann gab es noch die berühmteste unter den Superheldinnen. Wonder Woman war eine Kreation von William Moulton Marston, dem Mann, der auch den nicht unumstrittenen Lügendetektortest, der immer noch in Verwendung ist, erfand. Marston war Professor an den Universitäten Columbia und Tufts und am Radcliffe College – und Berichten aus dieser Zeit zufolge sogar ein guter – sowie außerdem Autor von einigen Arbeiten auf dem Gebiet der Populärpsychologie. Wie andere Vordenker sah auch Marston das Potenzial der Comics darin, komplexe Ideen in der Form von aufregenden, gewalttätigen und symbolischen Dramen zu transportieren. Er beschrieb diesen Umstand in einem Artikel mit dem Titel Don’t laugh at the Comics (Lacht nicht über die Comics), welcher 1940 in der populären Frauenzeitschrift Family Circle erschien, was schließlich dazu führte, dass ihn DC als pädagogischen Ratgeber anheuerte.

Seine Frau Elizabeth war auch Psychologin und soll den Superheldinnen-Charakter vorgeschlagen haben. Beide waren begeisterte Verfechter einer fortschrittlichen Einstellung zu Sex und Beziehung. Sie teilten sich eine gemeinsame Liebhaberin namens Olive Byrne, die angeblich auch das optische Vorbild für Harry Peters originale Entwürfe von Wonder Woman gewesen sein soll. Gemeinsam entwickelten Marston und Peters (inspiriert durch Elizabeth und Olive) eine Fantasiewelt von faszinierender Tiefe.

Der Comic rund um Wonder Woman übertrumpfte spielend sein Konkurrenz in puncto Einfallsreichtum und unnachgiebiger Hingabe.

Aber anders als traditionelle Pin-ups, waren die Girls in Wonder Woman athletisch und kraftvoll. Sie trugen Tiaras und Togas, während sie sich auf Gladiatorenkämpfe auf dem Rücken eines genetisch veränderten Monster-Känguruhs einließen. Wonder Woman war im herkömmlichen Sinne sexy – es gab sie auch als Pin-up für den Spind –, aber in den meisten Panelen balgte und prügelte sie sich wie eine Königin der Kampfkünste und überholte zum Spaß Autos im Sprint.

Die erste Folge, Introducing Wonder Woman von 1941, beginnt mit den Absturz eines Air-Force-Flugzeuges auf einer nicht verzeichneten Insel, die ausschließlich von schönen, leicht beschürzten Frauen bewohnt wird, die in der Lage sind, den Piloten zu tragen, als ob er ein Kind wäre. Der Mann, es handelt sich um Captain Steve Trevor vom Armeegeheimdienst, war der Erste, der jemals seinen Fuß auf Paradise Island setzte, und prompt verliebte sich die Tochter der Königin, Prinzessin Diana, in ihn.

Ein zwei Seiten langer, illustrierter Text enthüllte die Geschichte der Amazonen, seitdem sie von Herkules versklavt worden waren. Durch ihre Patronin Aphrodite ermutigt, befreiten sie sich selbst und segelten auf eine magische Insel, wo sie eine neue weibliche Zivilisation gründeten, fernab von der Grausamkeit, der Gier und der Gewalt, welche die „Welt der Männer“ kennzeichneten. Auf der Paradiesinsel entfalteten die unsterblichen Frauen ihre fabelhafte Alternative zur patriarchisch geprägten Gesellschaft.

In dieser ersten Ausgabe suchte Hippolyta, die Amazonen-Königin, Rat bei Aphrodite und Pallas-Athene, die ihr mitteilten, dass Trevor von den Göttern geschickt wurde. Anscheinend war es Zeit für die Amazonen, sich der Welt zu öffnen und sich dem Kampf gegen die Tyrannei der Achsenmächte anzuschließen. Trevor musste man zurückschicken, damit er seine Mission erfüllen konnte – aber man entließ ihn nicht ohne Begleitung.

„IHR MÜSST DIE STÄRKSTE EURER WUNDEFRAUEN MIT IHM MITSCHICKEN! AMERIKA – DIE LETZTE HOCHBURG DER DEMOKRATIE – UND DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER FRAUEN BRAUCHEN EURE HILFE!“

Sogleich wurde ein Wettbewerb zur Ermittlung der passendsten Kandidatin ausgerufen. Dieser bestand u.a. darin, Rotwild nieder­zusprinten, und gipfelte im Lieblingssport dieser unsterblichen Gesellinnen: einer Art Russischem Roulette, bei dem die Finalgegner einander mit geladenen Revolvern beschossen (woher die rigorosen Kriegsgegnerinnen diese Feuerwaffen hatten, blieb im Unklaren). Es wurden Kugeln auf die Gegnerin gefeuert, welche diese mit ihrem Armband abwehren musste, um das Spiel für sich zu entscheiden. Die Verliererin musste eine Fleischwunde an der Schulter hinnehmen. Am Ende blieb eine Siegerin übrig: eine maskierte Brünette, die sich in einer unerwarteten Wendung als Prinzessin Diana herausstellte.

„UND SO GAB DIANA – WONDER WOMAN – IHRE ERBRECHTE UND IHRE UNSTERBLICHKEIT AUF, VERLIESS DIE PARADIESINSEL, UM DEN VON IHR GELIEBTEN MANN ZU BEGLEITEN. NACH AMERIKA, DAS SIE LIEBEN UND BESCHÜTZEN UND ALS IHRE NEUE HEIMAT ANNEHMEN WIRD!“

Jedoch lauerten in dieser Welt spärlich verschleierte triebhafte Elemente. Man kann nur betonen, dass die Amazonen äußerst sexy gezeichnet waren. Während Siegel in futuristisch anmutender Strichführung zeichnete und Bob Kane Batman teilweise wie Kartoffeldruck aussehen ließ, setzte Peters auf eine fließende Qualität, um Wonder Woman in Action und beim Vergnügen darzustellen. Alles mutete kurvig und kalligraphisch an. Die Lippen seiner Frauen waren aufgespritzt und glänzend, als ob er unterstreichen wollte, dass glamouröses Make-up im Stile Hollywoods immer Saison hatte bei den wehrhaften Frauen und Philosophen-Prinzessinnen auf Paradise Island.

Wie man sich das bei einer Gesellschaft unsterblicher Frauen, seit der klassischen Antike abgeschnitten vom Rest der Welt, erwarten darf, stellten sich die Gepflogenheiten der Amazonen als äußerst – wie soll man sagen? – „besonders“ heraus. Als sich die Strips langsam entwickelten, schwärmte Marstons Prosa detailliert von den Jagd- und Fangritualen, bei denen einige Mädchen von anderen „verspeist“ wurden.

Einige tausend Jahre des gehobenen Lebensstils ohne Männer hatte jedes phallozentrische Denken aus ihrer Sexualität verschwinden lassen und zu einem speziellen rituellen Erotizimus in Form von Anleinung und Fesselungen geführt.

Als die Serie voranschritt, rückten die Bondage-Elemente immer mehr in den Vordergrund und kurbelten die Verkaufszahlen an. Wonder Womans liebste Friedenswaffe war ein magisches Lasso, das jeden, der damit gefesselt wurde, dazu zwang, die Wahrheit zu sagen – was wohl auch Marstons andere Erfindung, den Lügendetektor, reflektierte. Kurze Zeit später demonstrierte sie die Freuden der Unterwerfung gegenüber einer „liebenden Autorität“: Sie befreite die Sklavenmädchen eines ihrer Nazi-Widersacher, die in Folge nichts mit ihrem Leben außerhalb der Gefangenschaft anzufangen wussten. Wonder Woman erlaubte ihnen daher, ihre angeborene Sklavennatur weiterhin auszuleben, indem sie sie auf die Paradiesinsel umsiedelte, wo sie ihre Vorliebe für Fesselungsspiele unter der fürsorglichen Aufsicht einer liebevollen Gebieterin anstelle der peitschenknallenden Hitler-Freundin Paula von Gunther ausleben konnten.

Die Kehrseite der prinzipiell gutartigen Befürwortung von gesundem Sadomaso war die kerkermäßige Albtraumwelt des sadistischen Bondage, der Erniedrigung und Gedankenkontrolle, welche abseits der Idylle der Paradiesinsel existierte. Sie wurde durch Doctor Poison verkörpert, einen verschlagenen Zwerg im Gummimantel. Poison hasste die Frauen und liebte es, sie zu demütigen. Eine überraschende Wendung brachte schließlich ans Tageslicht, das „er“ in Wirklichkeit eine geistesgestörte Frau war, die aus Frustration handelte.

Die Frauen der Paradiesinsel verkörperten gleichzeitig das politisch Angesagte wie die Welt der Triebe. Sie waren Vertreterinnen eines radikalen separatistischen Feminismus, in dem Männer keine Rolle spielten und als Konsequenz daraus alles andere besser werden würde.

In der Tat fand man in Marstons Frauenparadies Glück und Geborgenheit in viel größerem Maße als irgendwo sonst in der Welt der Superhelden. Mit Blick auf die anderen Superhelden-Comics hatte er notiert: „Vom psychologischen Standpunkt scheint der größte Makel der Comics ihre blutrünstige Maskulinität zu sein. Einem männlichen Helden fehlen, bestenfalls, die Qualitäten der mütterlichen Liebe und Zärtlichkeit, welche für das Kind so überaus wichtig sind.“

Während also Batman ein brütender Waise war und die Zerstörung seiner Heimatwelt Superman seine leiblichen Eltern genommen hatte, flog Wonder Woman über den Regenbogen nach Paradise Island und besuchte ihre Mama, so oft sie wollte. Königin Hippolyta hatte sogar einen Zauberspiegel, der ihr erlaubte, ihre Tochter an jedem erdenklichen Ort zu beobachten.

Es gab ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Wonder Woman und den männlichen Genre-Vorreitern. So wie Batman verteidigte auch Wonder Woman furchtlos alternative Weltanschauungen und stellte sich auf die Seite der Außenseiter. Und wie Batman war sie eine fortschrittlich gesinnte Aristokratin. Sie predigte den Frieden in Kriegszeiten, obwohl sie, wie jeder andere Superheld auch, eine beträchtliche Zahl von Nazis abfertigte.

Als Kontrast zu den großteils solo operierenden Batman und Superman, hatte Wonder Woman eine breite Palette an Freunden. Ihre Verbündeten, die Mädchen von Beta Lambda, waren eine ungestüme Truppe von Verbindungsschwestern, die vom rundlichen, sommersprossigen Rotschopf Etta Candy angeführt wurden. Ihre positive Energie und körperliche Gestalt stellten eine bodenständige und wohltuende Ergänzung zu Dianas cooler Anmut und ihrem perfekten Äußeren dar.

Als Marston 1947 dem Krebs erlag, kam dem Wonder-Woman-Comic seine erotische Spannung abhanden, worauf die Verkäufe zurückgingen und sich der Absatz nie mehr erholte. Ohne die Originalität und die Energie, die Marstons Obsessionen beisteuerten, war Wonder Woman wie eine exotische Blüte, der man ebenso essenzielle wie rare Nährstoffe entzogen hatte. Die einst so frivolen Untertöne wurden getilgt, das Profil der Figur verflachte. Die Paradiesinsel wurde saubergefegt und ungebührliches Verhalten nicht toleriert, somit endeten alle Mädchenjagd-Rituale, was auch die Bindung des Lesers an Wonder Woman beendete. Es sollte gar nicht lange dauern, bis Wonder Woman wie eine alte Jungfer rüberkam – eine verstörende Mischung aus Mary Tyler Moore in einem Werbespot für Küchengeräte und der Heiligen Muttergottes. Aber ­Elizabeth und ihre Liebhaberin Olive, die Pioniere einer freien Sexualität, die sie ursprünglich inspiriert hatten, setzten ihre Beziehung fort und lebten weiter zusammen. Die unkonventionelle und freiheitsliebende Elizabeth war 100, als sie 1993 verstarb. Sie ist die wahre Wonder Woman dieser Geschichte.

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