Читать книгу Superhelden - Грант Моррисон - Страница 13

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1958 verkauften sich Superman-Comics nach wie vor gut, da sie die wilden Stürme der Hexenjagden dadurch überstanden hatten, dass sie sich genau an die Inhalte des Comic Codes hielten sowie die Formel der populären Fernsehserie nachäfften. Nachdem im selben Jahr Mortimer Weisinger ins Büro des Herausgebers eingezogen war, überholte Superman sogar die Titel aus dem Hause Disney, was ihn zur beliebtesten Comic-Figur der Welt machte. Mort Weisinger, den Comic-Autor Roy Thomas als „boshafte Kröte“ beschrieb, hatte als Story Editor für die Serie The Adventures of Superman fungiert, bevor er nach New York zurückkehrte, um den Comics einen neuen Anstrich zu verleihen. Während andere Comics versuchten, ihre Leserschaft um ein älteres Publikum zu erweitern, hatte es Weisinger auf die gigantische Zielgruppe der Kinder, die in den Nachkriegsjahren auf die Welt gekommen waren, abgesehen. Um die cleveren und aktiven Kids der Fünfziger bei der Stange zu halten, tauschten Weisinger und seine Schreiber den alltägliche Realismus der Fernsehserie gegen ein mehr an Science-Fiction orientiertes Spektakel, das sich in Film und Fernsehen nicht nachstellen lassen konnte. Es gab keine andere kreative Form des Ausdrucks, die Männer, die aufeinander mit Planeten schossen, mit einem gewissen Grad an Glaubwürdigkeit abzubilden in der Lage war. Unter Weisinger, einem Fan von Science-Fiction, erreichte Superman neue Kraftebenen, welche vorher bloß von Hindugöttern erreicht wurden.

Sogar die Covers wurden aufregender: Sie wandelten sich zu verlockenden, plakativen Ankündigungen des enthaltenen Inhalts. In den Vierzigern und frühen Fünfzigern bildete ein Cover von Superman üblicherweise den Helden in ikonenhafter Pose ab: Er stemmte ein Auto über den Kopf, schleppte ein Linienschiff ab oder schwenkte das Sternenbanner. Weisinger jedoch bevorzugte sensationelle Szenarien auf dem Cover, mit Sprechblasen und Setups, die sich nur dann gänzlich erschließen ließen, wenn man die Ausgabe auch erwarb, um weiterzulesen. Interessanterweise wurden die Geschichten in ihrer Wirkung aber auch intimer und universeller. Im Einklang mit der psychoanalytischen Welle (und um sich dem Code zu entziehen), entwickelte Weisinger die verblüffende Fähigkeit, jeden noch so schmutzigen Klumpen aus dem kollektiven Unterbewusstsein in eine seltsamerweise unwiderstehliche Geschichte zu verwandeln.

Superman war nun ein erwachsener, reifer Patriarch, gezeichnet in der klaren Linienführung der Fünfziger – und zwar von einem Zeichner mit dem unglücklichen Namen Wayne Boring.

Boring schenkte uns den klassischen Superman. Statisch. Konservativ. Reserviert. Verschwunden war der ruhelose Futurist, der sich gegen das Establishment auflehnte. Borings Zeichnungen teilten sich einige ihrer Eigenschaften mit römischen Fresken. Während Joe Shuster versucht hatte, die Geschwindigkeit der verfliegenden Zeit einzufangen, bremste Boring alles ein, um den einzelnen Moment zum Mythos zu überhöhen. Es entstand ein förmlicher Abstand, ein Bühnenportal, das die Distanz zwischen dem Leser und der Action absichern sollte. Wayne Borings gesamter Kosmos ließ sich auf einen 2 x 2 Zoll großen Raum reduzieren. Seine geschmeidigen, polierten Panelen flossen wie Billardkugeln über ein komprimiertes, flaches Universum, wo der Raum weder unvorstellbar groß noch einschüchternd, dafür aber geschlossen war und vor Farben und Leben nur so überquoll. Während er zuvor die gleiche Flugpose immer und immer wieder einnahm, sprang Borings Version von Superman gemütlich zwischen unglaublichen Distanzen, die sich zwischen zwei einzelnen Bildern befanden, hin und her, stets stoisch und ausdruckslos. Jahrhundertelange, epische Zeitspannen verflogen zwischen wenigen Panelen. Dynastien vergingen neben den Sprechblasen, und Sonnen konnten alt werden und sterben im Verlauf einer einzigen Seite.

Es war auch wie eine Spielzeugwelt, die man durch das verkehrte Ende des Teleskops betrachtete. Boring ließ die Ewigkeit winzig wirken, als könnte man sie sogar in Händen halten. Er reduzierte die Unendlichkeit auf einen Cameo-Auftritt, denn – so die große Erkenntnis der Ära Weisinger – menschliche Emotionen können stärker sein als die unglaubliche Größe des Raums und die Grenzenlosigkeit der Zeit. Wayne Borings enge Linienführung war notwendig, um dem dionysischen Sturm und Drang, der die Seiten mit Leben erfüllte, Einhalt zu gebieten und Form zu verleihen.

Diese Storys konzentrierten sich gänzlich auf die Gefühle. Der Superman der Fünfziger plumpste in allumfassende Gefühlswelten, die so groß und unbezwingbar waren, dass sie ein junges Herz brechen oder sogar die Sterne blenden konnten. Die sozialistischen Machtfantasien, die chauvinistische Propaganda, die mit Gimmicks überladenen Abenteuer, welche die vorangegangen 20 Jahre in Supermans Karriere bestimmt hatten, machten Platz für Geschichten über Liebe und Verlust, Schuld, Trauer, Freundschaft, Terror und Sühne. Sie waren geradezu biblisch in ihren Ausmaßen und ihrer Reinheit. Und immer war Weisingers gottgleicher Superman uns dabei ähnlicher, als er es je zuvor gewesen war. Er verkörperte das Amerika der Fünfziger mitsamt seiner atomaren Faust, seinem tödlichen Erzfeind sowie seinen tapferen Verbündeten. Wie Amerika war auch er ein Koloss, der Fehler beging, die Welt vor Tyrannei schützte und doch von nagenden Schuldgefühlen heimgesucht wurde, innerlich zerrissen war und sich vor Veränderungen fürchtete.

Weisinger unterzog sich einer Psychotherapie und versorgte seine Schreiber mit dem in den jeweiligen Sitzungen angefallenen Material, damit sie es für ihre Geschichten verwenden konnten. Das Innenleben des Herausgebers wurde auf dem Seziertisch augebreitet, zerlegt und fand sich ohne jegliche Scham in den Comics wieder.

Zum Beispiel gab es da etwa die Flaschenstadt Kandor. Kandor war die Hauptstadt von Supermans Heimatwelt Krypton gewesen. Geschrumpft und gerettet durch den Schuft Brainiac, war Kandor nun eine winzige Stadt unter einer Glasglocke. Dieses lebende Diorama, diese Ameisenfarm mit Menschen, sprach gerade Kinder sehr an und trug zum Bild eines kindlichen Supermans in dieser Zeit bei. In Kandor waren verloren geglaubte Erinnerungen unter Glas konserviert – Superman konnte sich dorthin begeben, um eine Welt, die er zurücklassen musste, noch einmal zu erleben. Kandor stand für jede Schneekugel, jede Jukebox, jede bittersüße Erinnerung. Kandor war die klingende Stimme einer untergegangenen Welt, einer Vergangenheit, wie sie hätte sein sollen, unerreichbar. Kandor war das verkörperte Überlebenden-Syndrom.

Der Superman der Fünfziger fand sich inmitten einer absonderlichen, nuklearen Familie bestehend aus Freunden, Widersachern und Verwandten wieder. Weisinger hatte von Captain Marvel und seiner Familie gelernt. Viele seiner Lieblingsschreiber, z. B. Otto Binder und Edmond Hamilton, hatten zum Mythos des Captain Marvel beigetragen und waren in der Lage, diesen Stil an eine neue Fantasiewelt, die pointierte, verwinkelter und paranoider war, anzupassen. Dies war die nukleare Familie, die da in der Finsternis vor sich hin glühte. Nicht länger der letzte Überlebende einer untergegangenen außerirdischen Zivilisation, bekam Superman Gesellschaft von einem ganzen Fotoalbum an neuen Superbegleitern. Er hatte bereits seinen eigenen Superhund Krypto und entdeckte nun überdies, dass er eine hübsche blonde Cousine namens Kara Zor-El besaß, die es ebenso geschafft hatte, die Zerstörung von Krypton zu überleben, und zwar gemeinsam mit einem Superaffen namens Beppo. Es gab Storys rund um Superman als Jungen (Superboy) und als ulkiges Kleinkind mit Superkräften (Superbaby). Lois Lane war auch populär genug, um ihren eigenen monatlich erscheinenden Comic zu bekommen. Genauso wie auch Supermans Kumpel Jimmy Olsen.

Der junge Olsen hatte eben erst seinen eigenen Comic erhalten, da erlebte er auch schon eine Reihe von außergewöhnlichen körperlichen Veränderungen, die typisch für das Silberne Zeitalter waren. Eine Auswahl seiner Metamorphosen umfasst seine Verwandlungen in ein Stachelschwein, eine riesige Schildkröte, einen Wolfsmenschen, einen äußerst biegsamen Burschen und einen „menschlichen Wolkenkratzer“ – ohne jegliche Pause zur Selbstreflexion. Diese Transformationen hinterließen aber zum Glück nie irgendwelche bleibenden körperlichen Schäden oder Neurosen.

Das Fantastische drang so tief in den Alltag der Welt Supermans ein, dass sogar Superboys alte Flamme aus der Kleinstadt, die rothaarige Lana Lang, ihr eigenes Doppelleben als insektoides Mädel erhielt. Sie benutzte einen „außerirdischen Ring“, um die schlanke Figur einer Schulballkönigin gegen das gewölbte Abdomen und die nervösen Fühler einer gigantischen Wespe oder Monstermotte zu tauschen, wobei sie aber ihren menschlichen Schädel und Oberkörper behielt, was das ganze zehnmal verstörender erscheinen ließ. Wie Jimmy erlitt Lana kein psychologisches Trauma, wenn sich ihre menschlichen Formen zu einem monströsen Spinnenbauch aufblähten, ihre aus Chitin bestehenden Vorderbeine gegeneinander klackten und superharte Seide aus der Spinndrüse schoss, die sich dort befand, wo eigentlich ihr Hintern hätte sein sollen. Wäre Franz Kafkas sanftmütiger Gregor Samsa im aufstrebenden DC-Universum zur Welt gekommen, hätte er wohl auch seine enormen neuen Kakerlaken-Kräfte für den Kampf gegen Verbrechen und Ungerechtigkeit eingesetzt. Innerhalb kurzer Zeit hätte man ihn eingeladen, sich der Gerechtigkeitsliga anzuschließen. Kafka kam es wahrscheinlich nicht in den Sinn, dass seine Verstoßenen auch heroisch wie die X-Men, auf abnorme Art glamourös wie Jimmy Olsen oder so hinreißende Trendsetterinnen wie die Pulitzer-Preisträgerin Lois Lane hätten sein können.

Wenn er nicht gerade unter fremdem Einfluss stand, konnte Jimmy Olsen es nur kaum länger als für fünf Seiten aushalten, er selbst zu sein, und er verfügte deshalb auch über ein viel genutztes „Verkleidungs-Kit“ für Notfälle, um dem Abhilfe zu leisten. David Bowie und Lady Gaga vorwegnehmend, wurde sein Leben zu einer Parade aus dauernden Kostüm- und Identitätswechseln. Und lange bevor diese beiden Performer die Grenzen zwischen „maskulin“ und „feminin“ ausloteten, dekonstruierte Jimmy Olsen Macho-Stereotype in einer Abfolge von Softcore-Travestie-Abenteuern für Kinder, die kaum zu fassen sind, wenn man sie sich heute durchliest.

Die drei unvergesslichen Travestie-Stories (u. a. „Miss Jimmy Olsen“) können durch den folgenden Text, der die Hauptstory in Jimmy Olsen #95 einleitet, zusammengefasst werden:

„FALLS IHR EUCH JEMALS GEWUNDERT HABT, WAS JIMMY OLSEN ALLES FÜR EINE GUTE STORY TUN WÜRDE, DANN WARTET, BIS IHR JIMMY IN ACTION ALS VERTRETER DES SCHWACHEN GESCHLECHTS SEHT! JA, LIEBE LESER, SUPERMANS JUNGER KUMPEL UNTERZIEHT SICH EINER DRASTISCHEN TYPENVERÄNDERUNG UND LANDET ALS GANGSTERLIEBCHEN MIT SEINEN HOCHHACKIGEN SCHUHEN IN SCHWIERIGKEITEN.“

Diese Worte werden von einer Illustration begleitet, die Jimmy zeigt, wie er gerade an einer Gruppe Männer vorbeiflaniert, die voller Anerkennung seinen Arsch bewundern.

„HA! HA! DIESE WÖLFE WÜRDEN TOT UMFALLEN, WENN SIE WÜSSTEN, DASS HINTER DIESER WEIBLICHEN VERKLEIDUNG DAS ÜBERAUS MÄNNLICHE HERZ DES DAILY PLANET REPORTERS JIMMY OLSEN SCHLÄGT!“, konnte man in der Sprechblase über dem Kopf des grinsenden Transvestiten lesen.

Die anzügliche, augenzwinkernde Phrasierung deutete auf eine einwandfreie Dekonstruktion des maskulinen Abenteuer-Genres hin, welche eine Wendung hin zu Showbiz, Identitätentausch und einer Sexualität, in der alles möglich war, bewirkte.

Jimmy wurde eine Gangsterbraut und schloss sich sogar einer Revue an, in der er mit den Tanzeinlagen der besten Showgirls mithalten konnte. Ein Hauch von Sodomie hing in der Luft, als Jimmy gezwungen war, in einem aufgeladenen romantischen Moment, der sich in einem nur schwach ausgeleuchteten Apartment zutrug, seine Lippen durch die des sabbernden Schimpansen Dora auszutauschen. Der Gauner Big Monte McGraw hielt den fraglichen Affenmund für die wollüstigen, rot geschminkten Lippen von Jimmy Olsen und schmolz förmlich vor Leidenschaft dahin, während sich Jimmy zügig aus dem Staub machte. Das Durcheinander war an Absurdität kaum zu toppen. Dies waren Geschichten, die sich so nie in der realen Welt zutragen würden, sogar wenn es einen Superman gäbe. Dies war nun eine ganz eigene Welt, die wuchs, immer gewitzter und durchdachter wurde.

Curt Swan zeichnete den jungen Reporter mit seinem Make-up und seiner Perücke als hinreißende Schönheit. Mit hohen Absätzen und Strümpfen sah Olsen aus, als ob er aus einem Video der Pussycat Dolls entsprungen wäre. Darüber hinaus gab es ein paar herrlich verwirrende Panelen, in denen Olsen, ohne Perücke, sich mit Superman unterhielt, während er immer noch zwanglos mit einem pinken Bademantel bekleidet war, flauschige Slipper trug und Filmstar-Make-up im Gesicht hatte. Und war das nicht auch okay, wenn es für Olsen okay war? Ich wuchs mit dem Konzept von Olsens verschiedenen Verkleidungen auf bzw. mit der Vorstellung, sowohl den Körper als auch die eigene Identität als eine Art Leinwand zu gebrauchen. Als ich mir den bisexuellen, chamäleonhaften Jerry Cornelius aus den Romanen Michael Moorcocks als Vorbild auserkor, wandelte ich auf den Spuren Jimmy Olsens. Olsen spielte in Bands, genau wie ich. Olsen war unbekümmert und unvoreingenommen, sogar in den Fünfzigern, und so war ich auch drauf. Wenn es für Supermans Kumpel passte, dann war es auch okay für mich. Klarerweise wurden diese Storys von verkommenen Perversen verfasst, die beabsichtigten die Jugend zu pervertieren. Ihr Erfolg dabei ist nicht von der Hand zu weisen.

Die Geschichten des Olsen-Transvestiten scheinen tief in der Underground-Welt der Pornoheftchen und Bondage-Comics eines Ed Stanton verwurzelt zu sein, dessen Studio auch einen gewissen Joe Shuster, seines Zeichens Supermans Erfinder, beschäftigte. Ihre Sprache erinnerte an Geschichten wie Panty Raid und andere Transgender-Erzählungen aus den Fünfzigern, in denen stattliche junge Sportskanonen mehr erlebten als ihnen lieb war, und ein kleiner Ausflug in die Studentinnenverbindung mit einer unfreiwilligen Einführung in die Freuden von Mädchenunterwäsche und Make-up endete. Der Unterschied bestand darin, dass Olsen die Kontrolle über seine Verwandlungen behielt und nie länger als ein paar Seiten warten konnte, wieder damit loslegen zu dürfen.

Zur selben Zeit wurde Supermans Verhalten gegenüber Lois immer gemeiner und misogyner, zeigte geradezu krankhaften Frauenhass, während sie im Gegenzug immer zänkischer und schnüfflerischer wurde. Es war schwierig, diesen oft flegelhaften, doppelzüngigen Grobian von einem Mann mit irgendeiner Vorstellung von Superman in Verbindung zu bringen, und doch war es offensichtlich er, der sie da schamlos beschwindelte und ihre Hochzeitsträume immer und immer wieder platzen ließ, was sie regelmäßig zur Weißglut trieb.

Supermans Angst vor Hingabe und Verantwortung war ein signifikantes, vielleicht sogar dominantes Merkmal seiner Abenteuer während des silbernen Zeitalters. Es war so, als ob die gesammelten Ressentiments der Männer der Fünfzigerjahre, die gerade wieder zurück aus den Aufregungen des Kriegs, zurück in ihren Jobs und ihren Häusern in der Vorstadt waren, aus den Seiten der Superman-Comics triefen würden. Dies war nie offensichtlicher als auf dem Coverbild von Superman’s Girl Friend, Lois Lane #73, das sich eigentlich jeder Beschreibung entzieht. Die zugehörige Story war im Vergleich relativ harmlos, aber Weisingers Fähigkeit, jedes noch so unansehnliche Stück Kohle aus den Tiefen des Unterbewussten zu Tage zu fördern und zu einem Edelstein von einer Idee zu schleifen, war nie offensichtlicher als hier. Dies war ein Jung’scher Stuhlgang, der als Kindergeschichte aufbereitet worden war.


Dieses Bild, das Jungs zeigte, was sie wohl von ihren zukünftigen Freundinnen zu erwarten hatten, war auf seine Weise obszöner als alles, was Jugendliche heutzutage an ausgeflippten Sexpraktiken aufgrund langweiliger Internet-Pornografie von Frauen erwarten.

Wenn wir noch einmal – entweder ungläubig oder amüsiert – auf dieses absonderliche Bild blicken, müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, dass nur 10 Jahre vorher Lois Lane eine ziemlich respektable Reporterin war, während Jimmy Olsen als glaubwürdiger junger Fotograf dargestellt wurde. In diesem Kontext wirken diese Abbildungen, diese Reflexionen der amerikanischen Schattenseiten, umso provokativer.

Entsprach dies Weisingers eigenen Abgründen oder jenen seiner Schreiber? Er war immerhin berüchtigt für seine fiese Art. War der Superman der Fifties ein Produkt seiner Zeit, eine Gegenreaktion auf die Emanzipation sowie eine Manifestation des männlichen Bedürfnisses, die Mädels zurück in die Küchen und die Schlafzimmer zu drängen, bevor sie es zu ernst damit nahmen, Flugzeuge zu bauen, wählen zu gehen oder sogar Comics zu fabrizieren? Oder war es eher der Versuch, Supermans Einstellung gegenüber Mädchen – „Igitt, Mädchen!“ – so darzustellen, dass sich ein Zehnjähriger damit identifizieren könnte? Superman und seinen Wegbegleitern war beides zuzutrauen. Sie mussten sich ständig anpassen, um ihr Überleben garantieren zu können. Als Konzepte konnten sich die Superhelden verändern, um den Ängsten und Fantasien der Nachkriegsgeneration und seinen unzähligen Kindern zu entsprechen. Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund für die Gemeinheiten in den Mann-Frau-Beziehungen der Superhelden-Comics dieser Zeit. Wie der Comics Code dezidiert festhält:

 Leidenschaft und Romantik sollen in ihrer Darstellung nie die niederen Gefühle und Triebe stimulieren.

 Die Darstellung von Liebe und Romantik soll den Wert des Heims und die Heiligkeit der Ehe betonen.

Die jungen Männer und Frauen, die diese Comics zeichneten, waren keine Narren – sie waren Künstler, deren Ausdrucksform zu dieser Zeit wie niemals zuvor oder danach marginalisiert und verachtet wurde. Möglicherweise rächten sich diese Außenseiter an der Gesellschaft, indem sie den verstockten Machtstrukturen, die sich hinter den minutiös getrimmten Vorgärten, den gestärkten Hemden und Kochschürzen der Fünfziger verbargen, den Spiegel vorhielten. Vielleicht waren die wirren Existenzen der Superhelden des Silbernen Zeitalters ja ein absichtlicher Versuch, Sozialkritik und Satire unterzubringen. Die Comics hielten sich penibel an die Vorgaben des Comics Codes und stellten gleichzeitig die Beziehungen der Nachkriegszeit als Brutstätten der Abnormalität dar, in denen Frauen zänkische Weiber und Männer ewige, verantwortungsscheue Jungs waren.

Auf einem Cover, das mir besonders gefällt, muss Superman mitansehen, wie seine Freundinnen Lois und Lana an ihm vorübergehen, wobei beide einen antiken Muskelmann am Arm haben.

„LOIS! LANA!“ ruft Superman. „WAS MACHT IHR MIT ATLAS UND SAMSON?“

„WIR SIND AUF DEM WEG ZUM STANDESAMT!“, antwortet ihm Lois voller Stolz. „ICH WERDE MRS. HERCULES!“ „UND ICH WERDE MRS. SAMSON!“, fügt Lana hinzu. Es war eine klare und unvergessliche Ansage an die jungen Leser: Das passiert, wenn du keine Entscheidungen treffen kannst oder dich nicht auf eine Beziehung einlassen willst. Samson spannt dir dein bestes Mädchen aus. Und Superman stand vor der Frage, ob er sich auf moderne Zeiten einstellen könnte. War er wirklich nicht besser als diese beiden archaischen Kraftprotze?

Um die Ironie noch zu verstärken: Auch Mädchen lasen diese Comics. Abgesehen von den ganzen Untertönen bezüglich Angst vor Verpflichtungen und Frauen, die den Männern ihre Unabhängigkeit rauben würden, übte die Energie hinter den Geschichten auch eine Anziehungskraft auf Mädchen aus, denn es waren schließlich Storys über Beziehungen und starke Gefühle. Das machte sie populär bei beiden Geschlechtern. Diese Geschichten ließen den hart gepanzerten Körper des Supersoldaten und patriotischen Kraftprotzes schmelzen. Superman lag auf der Couch des Psychoanalytikers, ließ nach 20 Jahren die ganze Abnormität, alle Fremdartigkeit aus sich heraus. Amerika befand sich ja auch in Behandlung – und neben den vielen Einsichten in die Psyche, die sich dadurch ergaben, drang auch viel Gift an die Oberfläche. Ängste wurden wie Beulen aufgestochen, was sich in der Kunst, der Musik und der Popkultur dieser Zeit manifestierte.

Die Outsider-Kultur – in Gestalt von Lenny Bruce, den Beats und den Bohos – entwickelte eine neue Sprache, um auszudrücken, was bis dahin die Gedanken der Menschen bis spät in die Nacht beschäftigt hatte, in einer Welt, die kaum jemals Sinn ergab. Sie sprachen Dinge aus, die jeder kannte, die aber noch nie jemand gewagt hatte zu artikulieren, weil allgemeine Einigkeit bestand, dass sie tabu waren. Eine neue Bereitschaft – eine speziell amerikanische Bereitschaft – von Randphänomenen zu lernen, anstatt sie zu verhöhnen, öffnete das Land gegenüber seiner Sexualität, seinen Ängsten und Fantasien bezüglich Freiheit und Sklaverei, Emanzipation und Gedankenkontrolle, Mensch und Maschine. Es war an der Zeit, dass neue Träume die ausgebombten, leeren Hüllen der alten ersetzten. Der Zukunft konnte man sich nicht verschließen.

Fifties-Superman verkörperte bereitwillig jegliche menschliche Angst in unserem Namen: In einer Abfolge früher Comics des Silbernen Zeitalters wurde er nacheinander monströs fettleibig, wuchs ihm ein Insektenkopf, verwandelte er sich in Frankensteins Monster, einen löwengesichtigen Ausgestoßenen, einen emotionslosen „Zukunftsmenschen“ und einen senilen Tattergreis, der mithilfe eines Gehstocks flog.

In diesen Geschichten musste Superman die Schrecken des Anders-Seins, des Alterns, des Mutierens, jegliche denkbare Deformation, vor der sich der amerikanische Normalverbraucher fürchtete, durchleben. Oft schien es, dass das Schlimmste, was man in Supermans Welt sein konnte, nicht etwa ein Monster oder ein schurkisches Genie wäre, sondern alt, fett oder kahlköpfig. Jede neue Transformation infizierte ihn mit einem typisch menschlichen Leiden. Der Muskelmann wurde langsam weich und konnte nicht länger seine Form halten. Um zu überleben, musste er ausharren, den unweigerlichen Verlauf des Zyklus abwarten, der ihn in die Normalität innerhalb der hierarchischen Strukturen des Daily Planets zurückbringen würde und ihn mit Supermans Superleben, seinen Superhaustieren und Festungen, Zeitmaschinen und außerirdischen Verwandten wiedervereinigen sollte.

Und das betraf nicht nur Superman: Sein gesamtes Ensemble musste sich den unmenschlichen Kräften der Transformation unterziehen, Monat für Monat. Lois Lane verwandelte sich in die Hexe von Metropolis – ein weiblicher Dämon, der Superman mit Flüchen belegte – oder in Phantom-Lois, Baby-Lois und sogar in Super-Lois. Die vertrauten Gesichter der Besetzung wurden grotesk, unterliefen zyklische Prozesse, in denen ihre Grundkonzepte auf die Probe gestellt wurden – so wie Kinder ein Gummiband überspannen würden: sehr weit, nicht zu weit, aber beinahe. Die Protagonisten lernten ihre Lektionen und vergaßen sie wieder rechtzeitig bis zur nächsten Ausgabe, damit dieselben Lektionen von vorne durchgekaut werden konnten. Dies war eine Welt der Träume und der Komplexe, ein Grenzgebiet von Freuds Unterbewusstem, wo der Körper formlos und Verwandlungen unterworfen war.

Der Superman der Weisinger-Ära war eine bemerkenswerte Meisterleistung in puncto Vorstellungskraft und Neuerfindung. Jerry Siegel selbst stellte sich der Herausforderung und führte sein Konzept jenseits jeglicher Grenzen. In schönen Geschichten wie „Superman Rückkehr nach Krypton“, erreichte er neue stilistische Höhepunkte, die er selbst nur schwer übertreffen konnte. Wie der Titel nahelegte, erlaubte es Superman eine Zeitreise, in die Welt seiner Geburt vor ihrer Zerstörung zurückzukehren. Dort, unter der roten Sonne Kryptons, um seine Superkräfte erleichtert, trifft er seine Eltern als junges Paar. Und er trifft seine Seelenpartnerin in der atemberaubenden kryptonischen Schauspielerin Lyla Lerrol, deren Leben genauso todgeweiht ist wie das aller anderen auf dem Planeten.

„ABER DIE FLAMMEN INNERHALB DES PLANETEN SIND WIE KALTE GLETSCHER VERGLICHEN MIT DEM MÄCHTIGEN FEUER DER LIEBE ZWISCHEN SUPERMAN UND LYLA LERROL VOM KRYPTON.“

Die Szenen, die Jor-El, Lara, Lyla und Kal-El beim Anstoßen auf die Zukunft zeigen („EGAL, WAS DIE ZUKUNFT BRINGEN WIRD!“) hatte den bittersüßen Beigeschmack von Schulfotografien, die man im mittleren Alter wiederentdeckt. Als Superman gezwungen ist, eine schluchzende Lyla zurückzulassen, um in seine eigene Zeit zurückzukehren, war eine neue Art von Superman-Geschichte geboren. Es waren nicht länger politische Fantasien oder Propaganda und auch nicht – wie etwa bei späteren Comic-Superhelden – Anzeigetafeln von gegenseitig aufeinander verweisenden Kontinuitäten. Diese Geschichten hatten die einfache Wirkung von Volksmärchen. Sie waren gegenüber der eigentlichen Zielgruppe, Kindern, niemals von oben herab erzählt, noch hielten sie sich bei Themen wie Sterblichkeit, Trauer, Eifersucht oder Liebe zurück.

Dann gab es noch die sogenannten imaginären Geschichten, die sich nicht in den Kanon der offiziellen Superman-Storys (in den Comics selbst als „real life“ bezeichnet) einordnen ließen. In diesen Geschichten verfolgte man interessante „Was wäre wenn?“-Szenarien, um einen komischen oder tragischen Effekt zu erzielen: Was wäre, wenn Superman Lana Lang geheiratet hätte? Was wäre, wenn Lex Luthor Superboy als seinen Sohn aufgezogen hätte? Was wäre, wenn Superman von Batmans Eltern aufgezogen worden wäre und Bruce Wayne Clark Kents Adoptivbruder wäre? Happy Ends waren eher selten, was viele dieser spekulativen Tragödien kraftvoller und einprägsamer machte als die „echten“ Abenteuer.

Der Superheld hatte sich dem Inneren zugewendet, mit spektakulären erfinderischen Ergebnissen. Indem er sich von der politischen und sozialen Wirklichkeit entfernte, indem er sich dort, wo es zählte – sowohl bei Inhalt als auch beim Personal – bei Captain Marvel bediente, hatten Weisinger und sein Team eine Grenze zu einer Region überschritten, wo Superhelden sich frei entfalten konnten. Nicht länger an die Regeln des Sozialrealismus gefesselt, waren die Geschichten nun frei genug, das zu werden, was die junge Generation wünschte: allegorische Super-Science-Fiction darüber, wie es sich anfühlt, zwölf zu sein. Der Superman der Fünfziger war ein Bewohner und Ordnungshüter der in Primärfarben gehaltenen Welt des amerikanischen Unterbewusstseins, der er darüber hinaus auch Humor und Bedeutung verlieh.

Weisinger hatte einen vielgestaltigen, dionysischen Geist in Supermans Welt gelassen, welcher dieser Welt starke neue Ideen und frische Wendungen verlieh, sodass Superman rundum erneuert und wiedergeboren in die lysergische Dämmerung der 1960er fliegen konnte.

Bevor wir nun weitermachen, habe ich noch eine Lieblingsgeschichte aus dieser Zeit, die ich gerne erzählen möchte, weil sie diese Ära und Weisingers Herangehensweise an das amerikanische Drama gut zusammenfasst. Ihr Titel ist „Supermans neue Kraft“. Ihr werdet annehmen, dass sich diese neue Kraft gut in das im Grunde wissenschaftliche Repertoire von Supermans Superkräften einordnen lässt. Vielleicht ist es ja eine Fähigkeit, die ihn Elektrizität kontrollieren lässt, oder sie ist telepathischer Natur. Nein. Schreiber Jerry Coleman, der sich hierbei an Weisingers Anweisungen hielt, und Zeichner Curt Swan hatten etwas anderes im Sinne.

Supermans neue Superkraft war: Er fand heraus, dass er aus der Handfläche seiner rechten Hand ein stummes, 15 cm großes Superman-Duplikat, in vollem Kostüm, manifestieren konnte. Dieser Mini-Superman hob ohne Erklärung von Supermans Hand ab, um das Böse zu bekämpfen und unschuldige Leben zu retten. Diese Kopie verrichtete ihren Job – wie könnte es anders sein? – noch besser als Superman selbst. Und was noch schlimmer war: Als der Kobold seine Arbeit fortsetzte, verlor der echte Superman seine Kräfte und konnte nur noch dabei zusehen, wie sein Handflächen-Doppelgänger wieder und wieder den Tag rettete und mit all der Zuwendung und Liebe bedacht wurde, die Superman eigentlich gerne selbst geerntet hätte. Analysiert das mal!


Samsons Haare, die Ferse des Achills. Sogar die größten Helden brauchten ihre Schwachpunkte, sonst gäbe es ja kein Drama, keine Niederlage, keine Erlösung.

Wenn Superman nichts verletzen konnte, wie könnte man ihm dann wehtun? Tatsächlich verstanden Weisinger und seine Schreiber das Wichtigste an Superman: dass sein Herz angreifbar und sein Selbstwertgefühl mitunter fragil war. Das „Super“ war der Zuckerguss: Diese Geschichten handelten vom „Man“, dem Mann dahinter, sowie seiner Rolle in der neuen Welt.

Jedoch: Als der Mann von Morgen beinahe gottähnliche Fähigkeiten erlangt hatte, wurde die Notwendigkeit einer überzeugenden physischen Schwäche immer größer. Zumindest war das die vorherrschende Meinung. Das grünlich glühende Killermineral Kryptonit war 1943 in die Superman-Radiosendung eingeführt worden. Die kontaminierten Überreste von Supermans Heimatplaneten waren in Meteorform – und zwar viel öfter, als man von den Überresten eines weit entfernten Planeten annehmen dürfte – sowie in ausreichenden Mengen auf die Erde gefallen, um Supermans Leben in regelmäßigen Abständen zu gefährden. Als Waffe hatte es symbolische Bedeutung: Der Umstand, dass radioaktive Fragmente seiner alten Heimat für ihn nun giftig waren, bedeutete, dass es kein Zurück mehr gäbe – Superman war ein eingebürgerter Amerikaner, der sich assimilieren musste. Das Letzte, was er bräuchte, waren diese tödlichen Erinnerungsstücke an seinen Herkunftsort.

Weisinger verstand es, sich in seine jungen Leser hineinzudenken, und führte die Idee ein wenig weiter aus: Wenn es grünes Kryptonit gab, konnte es dann nicht auch andere Farben geben? Die prismatische Aufsplitterung des Farbspektrums begann mit der Erfindung von rotem Kryptonit, das zu körperlichen und anderen Transformationen führte. Es war für Superman wie mineralisches LSD, das nicht nur seinen Verstand beeinflusste, sondern auch seinen Körper in einen Spielplatz für fleischgewordene Halluzinationen verwandelte. Kein Trip auf rotem Kryptonit war wie der andere. Rotes Kryptonit hatte stets andere Auswirkungen auf Superman und wurde so theoretisch nie langweilig. Also wuchs Superman einmal ein Ameisenschädel, und er erklomm als Anführer einer alptraumhaften Insektenarmee das Gebäude des Daily Planets („BZZ-BZZZ … WIR MÜSSEN LOIS LANE GEFANGENNEHMEN … SIE WIRD UNSERE KÖNIGIN!“), oder er spaltete sich ein anderes Mal in den guten Clark und den bösen Superman oder verwandelte sich sogar für 48 Stunden in einen Volldeppen.

Rotes Kryptonit und das Silberne Zeitalter sind untrennbar miteinander verbunden. Rotes Kryptonit war das LSD für Superhelden, und unter seinem Einfluss konnte Superman sein gesamtes Wesen entfalten und auf der scharfen Kante zur fröhlichen Selbstaufgabe und zu einem selbstauslöschenden Albtraum tänzeln – ein amerikanischer Pionier. Außerdem war rotes Kryptonit ebenso eine griffige Metapher für adoleszente Hormonschübe, körperliche Veränderungen und seltsame Stimmungsschwankungen – Dinge, die den jugendlichen Lesern nur allzu vertraut waren. Andere Ausprägungen von Kryptonit sollten bloß die Handlung vorantreiben und kein sonstiges Eigenleben entwickeln. Goldenes Kryptonit ließ Superman dauerhaft seine Kräfte einbüßen, blaues Kryptonit betraf nur Bizarros, und weißes Kryptonit tötete Pflanzen, was es ungefähr so spannend machte wie etwa Streichhölzer, DDT oder ein stabiler Spaten.

Aber Supermans ultimative Schwäche war seine geheime Identität. Warum entschloss sich der schüchterne Clark Kent nicht dazu, sein Hemd aufzuknöpfen, um seiner Lois Lane den omnipotenten Mann hinter der Fassade zu offenbaren? Stattdessen versteckte er die Wahrheit vor ihr, um sich dafür Täuschungen einfallen zu lassen, die so durchdacht waren, das es schon grausam wirkte: entsetzliche Tricks, die dieser Junge von einem Mann dieser Kindfrau vorspielte, nur um ihr „eine Lehre zu erteilen“. Die Geschichte „Die zwei Gesichter Supermans“ etwa zeigte den Helden, wie er Lois Lane versprach, sie zu heiraten, wenn sie ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Kirche träfe. Als sie seine Bedingung erfüllte, versiegelte er mit seinem Hitzeblick ihre Autotüren, damit sie nicht aussteigen konnte. Da sie nun nicht pünktlich sein konnte, verfiel das Angebot. Ein erleichtert glucksender Superman, der die Jägerin einmal mehr überlistet hatte, entflog gen Himmel.

Wie Rumpelstilzchen und andere Märchenfiguren, die wussten, dass Namen Macht verheißen konnten, hielt Superman die Distanz zu Clark Kent aufrecht. Ihre Wege kreuzten sich höchst selten. Clark versteckte sein wahres Ich hinter einem Anzug und einer Brille. Wenn Lois, ein Mädchen, herausfände, wer er war, wäre das sein Ende. Sie würde ihn nur dazu zwingen, sein knalliges Kostüm und das Leben voller Abenteuer für etwas weniger Verfängliches aufzugeben und endlich häuslich zu werden. Sie würde von ihm erwarten, pünktlich zum Abendessen zu kommen, wenn er eigentlich Ozeandampfer zu retten hätte. Jedenfalls, wenn er eines Tages Lois heiraten würde, müsste er für immer Clark sein. Es wäre egal, wie stark oder schnell er wäre, er würde Clark sein müssen – und rund um den Globus jagen, um Lebensmittel einzukaufen.


Robin, der Wunderknabe, tauchte erstmals 1940 in den Detective Comics auf. Als „DER LACHENDE JUNGE DRAUFGÄNGER …“ und „DER INTERESSANTESTE NEUE CHARAKTER VON 1940“ eingeführt, sprang er durch die bildlichen Dompteur-Ringe, die ihm ein grinsender Batman vor die Nase hielt. Es war eine Explosion des Überschwangs, die die Ankunft dieses beherzten Anpackertypen signalisierte.

Dick Grayson wurde den Lesern als typischer Teufelskerl, als lebhafter junger Kämpfer, vorgestellt. Er war ein Waisenjunge, da seine Familie, bestehend aus Zirkusartisten, ermordet worden war. Robin war ein Kind vom Rummel, so weit von Batmans Klasse und sozialem Milieu entfernt, wie man sich nur vorstellen konnte, aber er hatte ein treues Herz und war tapferer als jeder Junge, den Batman vorher getroffen hatte. Also machte es Sinn, sich zusammenzutun, um das Verbrechen zu bekämpfen. Robins fröhliche Ausstrahlung veranlasste den verschlossenen Millionär Bruce Wayne dazu, sich ein wenig zu öffnen. Der Junge brachte eine gute Portion Lebensfreude in die gemeine Welt des düsteren Rächers. Die Hinzunahme von Robin verwandelte die Story von Batman von einer finsteren Erzählung über Verbrechen und Sühne in ein packendes Abenteuer zweier Haudegen, die so reich waren, dass sie sich alles leisten konnten. Nach 1940 war der früher so mürrische Batman beinahe stets mit einem Lächeln auf den Lippen unterwegs. Die Bathöhle füllte sich mit Trophäen, ausgefallenen Erinnerungsstücken, die seine und Robins Abenteuer bezeugten: ein Penny, so groß wie ein Riesenrad, ein Roboter-Dinosaurier, ein tödliches Arsenal an Schirmen des Pinguins sowie eine bemerkenswerte Anzahl an Bat-Fortbewegungsmitteln. Die Höhle wurde teils Museum, teils gigantische Spielzeugkiste, teils Themenpark. Durch die Augen Robins gesehen, verwandelte sich Batmans brutale, gesetzlose Welt der Schatten, des Bluts und der giftigen Chemikalien in ein Disneyland der Verbrechensbekämpfung.

Sogar die Einstellung der offiziellen Gesetzesvertreter gegenüber den maskierten Ordnungshütern änderte sich. 1939 jagte die Polizei von Gotham City Batman noch über die Dächer, doch nun waren Batman und Robin angesehene Mitbürger, die Seite an Seite mit der städtischen Polizei, die Metropole, die sie liebten, beschützten.

Der emotional unterentwickelte Batman hatte in dem jungen Waisenknaben und Akrobaten den perfekten Freund gefunden, mit dem er sein sonderbares Leben teilen konnte. Batman war von nun an gezwungen, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Der wilde, düstere Ritter der frühen Batman-Comics wurde von einem anderen, gewandelten Helden abgelöst: Er war nun ein verwegener großer Bruder, der beste Freund, den sich ein Kind nur wünschen konnte. Der gefährliche Verbrecherjäger wurde zum freundlichen Detektiv, einem Mann, dem man Vertrauen schenken, ja sogar die Kinder anvertrauen konnte.

Schließlich stießen die Unterstellungen des Doktor Werthams in einer Atmosphäre voller Paranoia auf offene Ohren. Nur ein paar Superhelden überlebten halbwegs unbeschadet in dieser dunklen Ära, die über DC Comics hereingebrochen war, in dieser finsteren Epoche der Kongressanhörungen und öffentlichen Denunziationen. Auch Robin war dagegen nicht immun. All die Abartigkeit, die geronnene Tinte und die geflüsterten Anspielungen sprudelten an die Oberfläche, als sich der sinistre Doktor W. anschickte, den Wunderknaben zu entmannen.

Robin begann, Zweifel bezüglich seiner ihm zugedachten Rolle in Batmans Leben zu zeigen. In Storys wie „Batmans neuer Partner“ schmollte der Wunderknabe, da er den Verdacht hegte, langsam zugunsten Wingmans – eines Erwachsenen, der aussah, als ob Hippies eine Taube angemalt hätten – aus dem Rampenlicht weichen zu müssen. Als seine Angst vor dauerhaftem Aufenthalt auf dem Abstellgleis immer regelmäßiger auftrat, reagierte Robin immer öfter nervös und weinerlich.

Da ihnen weder Musik noch Soundeffekte zur Untermalung emotionaler Momente zur Verfügung standen, verließen sich Comics auf fließende Tränen und Melodrama. Die Figuren mussten schon flennen, um ihren jungen Lesern ihre Aufgebrachtheit glaubhaft zu machen.

Von diesen maskenhaften, tatsächlich sogar oft maskierten Gesichtern zu erwarten, dass sie etwa Subtilität vermitteln könnten, war, als erwarte man hohe Schauspielkunst von einem Bierglas. Emotionen wurden daher in voller Lautstärke betont. Da düstere Verbrechen und altmodische Keilereien unerwünscht waren, man aber irgendwie überleben musste, opferten die Superhelden ihre Würde dem Zeitgeist und begannen über ihre Bedürfnisse, ihre Ängste und (Schluck!) ihre Hoffnungen zu sprechen.

Und so verwandelte Robin sich im Laufe der Fünfziger vom Inbegriff eines jugendlichen Vigilanten in ein heulendes, entnervtes Wrack, das in der Angst lebte, seinen geliebten Batman an frischere, fähigere Boy-Partner zu verlieren – oder noch schlimmer: an Batwoman. Mit einer von Sheldon Moldoff in ständiger Schmollschnute fixierten Unterlippe wurde seine Welt zu einer schizoiden Hölle, in der Batman jederzeit hätte planen können, ihn zu betrügen oder zu verlassen, sobald er unachtsam gewesen wäre. Wenn er Batman beim Teetrinken antraf, so vermutete er sofort, dass wohl die Teekanne bald seinen Part im Dynamischen Duo einnehmen würde, worauf er dann sofort in Tränen ausbrach. Ein Cover zeigte z. B. den Jungen, wie er in einer Kirche eintrifft, wo Batman und Batwoman einander, in vollem Kostüm und – was die Szene noch surrealer erscheinen ließ – mit einem Hauch von Brautschleier bzw. Smoking dekoriert, vor dem Altar das Ja-Wort geben. Immer wieder störte er die beiden, die ihm dann herablassende Blicke zuwarfen, die ihm suggerierten, dass er sie bei etwas unterbrochen hatte, das nur Erwachsene verstehen könnten.

Dieses neue Heulsusen-Image spukte durch die faszinierenden und verrückten Storys dieser Zeit. Wertham hatte die unschuldigen Superhelden auf ihr sexuelles Potenzial aufmerksam werden lassen, und wie schon bei Adam und Eva führte dies zu Peinlichkeiten, Verleugnung und überwältigenden Gefühlen, die so neu für sie waren, dass sie nur durch abstruse Monstrositäten repräsentiert werden konnten. Außerirdische, deren Äußeres von den Wandbildern an den Mauern futuristischer Jazzclubs oder Beatnik-Keller inspiriert schien, begannen die Verbrecher in Gotham City zahlenmäßig zu übertrumpfen. Robin wurde von einem Delirium von gebrochenen Formen und grotesken Kreaturen heimgesucht. Der Comics Code verhinderte die Darstellung von realistischen Verbrechen, also schickte man Batman in immer noch absurdere Auseinandersetzungen mit Monstern, Aliens und sogar … Frauen.

Doc Werthams schäbige Anschuldigungen hallten immer noch so laut in den Ohren der Herausgeber von DC, dass sie sich genötigt sahen, Batmans Hetero-Glaubwürdigkeit in den Vordergrund zu rücken – und zwar, indem sie den Comics eine geballte Östrogen-Injektion verabreichten. Bald schon ersetzte die ältliche Tante Harriet den stets zuvorkommenden Alfred, aber die prägnantesten weiblichen Ergänzungen waren die wohlgeformte Batwoman und ihre Partnerin Batgirl.

Kathy Kane alias Batwoman wurde offensichtlich ersonnen, um Batmans Heterosexualität zu betonen, etwas, das – so mögen wir uns erinnern – gar nicht wirklich notwendig war, da er nur eine kreative Schöpfung war, die Kinder unterhalten sollte, und als solche weder auf noch abseits der Papierseiten ein Sexleben vorzuweisen hatte.

Was diese Batman-und-Batwoman-vorm-Altar-Farce noch bizarrer machte als die fremdartigen Welten und die modernistische Ästhetik, das war die zivile Identität Kathys als Motorrad fahrende Zirkusbesitzerin in Reithosen. Kathy Kane war Marlon Brando in Frauenkleidung, Pussy Galore aus Goldfinger, zehn Jahre, bevor der Film gedreht wurde. Und Batwoman hatte sich genauso Hals über Kopf in Batman verknallt wie Pussy in James Bond.

Verliebt oder nicht, Kathy war knallhart. Batwoman packte ihre Handtasche mit Laser-Lippenstift und anmutigen Parfümzerstäubern, die einen Gegner auf der Stelle chemisch kastrieren konnten. Kathy Kane war eine zur Waffe umfunktionierte Frau: Stiefel, fransige Lederhandschuhe und Lipgloss, der so rot war, dass er schon wieder schwarz wirkte und das Licht zurückwarf. Wenn Betty Page, ein amerikanisches Fetisch- und Aktmodell der Fünfzigerjahre, die Geißel der Unterwelt gewesen wäre, hätte sie wohl so ausgesehen.

Kathys Nichte war eine süße Blondine namens Betty Kane, die den Kampf gegen das Verbrechen später aufgab, um Tennis-Profi zu werden. Es ist wohl nicht schwer, sich vorzustellen, was angesichts dieses potenziell noch perverseren Beziehungs-Wirrwarr in Werthams Kopf vorgegangen sein muss. Als die anrüchige Troika, bestehend aus Bruce, Dick und Alfred durch eine nicht gerade unproblematische Familienkonstellation, inklusive Mom, Dad, Schwesterchen, Junior und Hund (ein findiger, maskierter Deutscher Schäferhund namens Ace), ersetzt worden war, versank die Wayne-Kane-Ära in einem Chaos von verwirrender, emotional aufgeladener, psychosexueller Hysterie. Die grausame Behandlung und emotionale Manipulation Robins durch die zwei Erwachsenen ließ Les Daniels in seinem Buch Batman: The Complete History zu dem Schluss kommen: „Wenn einen Comics tatsächlich – so wie Doktor Wertham behauptet hat – schwul machen könnten … dann wäre es wohl dieser, der dazu in der Lage wäre.“


Als sich die Rebellion gegen den Comics Code in dieser Form der verschlüsselten Analyse des psychosexuellen Zustands Amerikas auszudrücken begann, hätte dies nicht unerwartet kommen dürfen. Da sie unter der Fuchtel der Konformitäts-Polizei standen, entschieden sich die Comic-Macher für eine abgesicherte Route. Obwohl sie ihre Ansichten und ihren Zorn in Kinderfabeln umwandelten, ist es nach wie vor schwer, die Echos der drogenverhangenen und psychedelischen Visionen eines Ginsbergs oder Burroughs zu überhören.

Stellt Euch den schmallippigen, rationalen Batman, gespielt von Christian Bale, aus den neuen Filmen von Christopher Nolan vor, wie er es mit den Gegnern des Fünfziger-Batmans aufnehmen muss: Da gab es z. B. Regenbogen-Batman, Zebra-Batman oder die Kreatur aus der Dimension X, die aussah wie ein einäugiger Hoden auf zwei strunkartigen Beinen. Es schien, als wäre alles möglich. Eine Auswahl an Titeln gefällig? „Dschungel-Batman“, „Merjungmann Batman“ („JA, ROBIN. ICH BIN EIN MENSCHLICHER FISCH“), „Das Tal der Riesenbienen“ („ROBIN! SIE HABEN IHN GEFANGEN UND IHN ZUM HOFNARREN AM HOF DER BIENENKÖNIGIN GEMACHT!“), und „Aus Batman wird Batbaby“. Und es gab noch mehr davon: ein ganzes Jahrzehnt gefüllt mit ungefiltertem Wahnsinn, da die Autoren bei DC jede Karte ausspielen mussten, um Batman von den von Verbrechen heimgesuchten Straßen, wo er eigentlich hingehört hätte, fernzuhalten.

Dass Weisinger intensive Emotionen so in den Vordergrund rückte, legte das Fundament für das Silberne Zeitalter der Comics und die Ankunft eines Überschall-LSD-Bewusstseins, das die größte Ansammlung von jungen Menschen über Nacht in selbsternannte Übermenschen verwandeln sollte.

Aber bevor dies geschah, und damit die Therapie als geglückt angesehen werden konnte, musste der Prozess der Verkleinerung, der Komprimierung und der Selbstauslöschung zu einem Abschluss kommen. Ein kollabierender Stern, ein Schwarzes Loch, wurde erschaffen. Aus ihm konnte nur ein Gott entkommen – oder auch eine Idee. Nicht einmal Licht kann einem Schwarzen Loch entfliehen. Der Ereignishorizont markiert die Grenze des menschlichen Wissens, aber nicht der menschlichen Vorstellungskraft.

Es erschien The Flash, der schneller als das Licht laufen konnte.

Dinge begannen zu verschmelzen.

Dinge begannen zu verschwimmen.

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