Читать книгу Superhelden - Грант Моррисон - Страница 11
ОглавлениеDie Welt stand kurz davor, im Krieg zu versinken, und die Menschen konnten gar nicht genug von den Superhelden bekommen. Superhelden erschlossen sich jegliche nur denkbare inhaltliche Nische, und es fanden sich genügend Verleger, die die bunten Fantasien für Kinder, Soldaten und Science-Fiction-Fans bereitstellten. Wenn ein Verlag kurzzeitig Erfolg mit einem Helden, der Vogelschwingen hatte, verbuchen konnte, würde ein anderer Verlag sein Glück unvermeidbar mit einem Helden, der einen Schwanz hinter sich herschleppte, versuchen. Es gab Superhelden-Cowboys (Vigilante), -Ritter (Shining Knight), -Cops (Guardian), und dann gab es auch noch Gay Ghost, einen Kavalier aus dem 16. Jahrhundert. Was mit ein, zwei Superhelden, die die Möglichkeiten des Markts testen sollten, anfing, lief immer mehr aus dem Ruder, bis es zu viele Helden gab, um sie zu zählen. Aus dieser grandiosen Vermehrung ging eine Unzahl von außergewöhnlichen, archetypischen und oft auch ziemlich verwirrenden Superhelden und -heldinnen hervor. Der Wettlauf um die Erschaffung neuer Superhelden mit frischen Gimmicks erreichte einen spektakulären Höhepunkt, als Red Bee, das Alter Ego eines gewissen Rick Raleigh, die Bühne betrat. Rick trug ein Kostüm, das in der Realität wohl zu seiner sofortigen Verhaftung geführt hätte, wenn er es woanders als dem Studio 54 im Jahre 1978 getragen hätte. Aber wohingegen Green Lantern in der Lage war, sich mittels seines magischen Ringes zu schützen, hatte sich Red Bee für eine sehr spezielle Waffe entschieden.
Raleigh hatte zum einen seine eigene „Stechpistole“ erfunden, die K.O.-Pfeile verschoss. Er hätte diese Waffe einfach mit Pfeilen laden können und so einen akzeptablen Superhelden des Goldenen Zeitalters der Comics abgeben können, doch nicht so Rick Raleigh: Er hielt einen ganzen Bienenstock in seiner Gürtelschnalle – einem Reservoir, das normalerweise nicht mehr als eine halbe Packung Zigaretten beherbergen hätte können –, bis das Verbrechen sein hässliches Haupt erhob. Der Vorname des Bienenanführers – immer darauf erpicht im Namen der guten Sache freigelassen zu werden – war Michael. Jedoch, wie auch der Ersteller des Wikipedia-Artikels zu Red Bee feststellt, können männliche Bienen nicht stechen, was Michaels Effektivität im Kampf gegen bewaffnete Verbrecher, wie etwa Macheten schwingende Triadenkiller, doch sehr in Frage stellte.
Falls dies lächerlich erscheinen sollte, dann deshalb, weil es das auch ist. Aber noch etwas ging hier vor sich: eine radikale Mystifizierung des Alltäglichen. Als die Erfinder der Superhelden ihre Netze auf der Suche nach frischen und originellen Gimmicks immer weiter auswarfen, mussten sie auch immer mehr kindlichen Feenstaub auf die Welt der gewöhnlichen Dinge streuen. Langweilige Turngeräte etwa konnten in den Händen des Schurken, der sich Sportsmaster nannte, zum tödlichen Arsenal mutieren. Eine Lampe konnte ein mystisches Artefakt sein, das immense Kräfte verlieh. In der Welt der Superhelden hatte alles einen Wert und ein geheimnisvolles Potenzial. Jede Person, jeder Gegenstand konnte im Kampf gegen die Dunkelheit und das Böse eine wichtige Rolle spielen. Sogar eine kleine Biene namens Michael – benannt nach dem Racheengel – konnte sich todesmutig in die Schlacht gegen das Verderben werfen.
Es gab einen Superhelden oder Superschurken aus jedem Beruf, jeder sozialen Klasse, jedem Bereich des Lebens. Ihr braucht einen Superhelden-Anwalt? Meldet Euch beim Indianer Jeff Dixon alias Bronze Terror. Leutnant zur See Peter Noble sicherte die Weltmeere als The Fin („Die Flosse“). Ted Knight – der Starman – war Astronom. Duke O’Dowd, ein Taxifahrer, war Human Meteor. Der ansonsten blinde Doktor Charles McNider, dessen spezielle Kraft darin bestand, im Dunkeln besonders gut sehen zu können, nahm an, dass niemand eine Verbindung zwischen dem gutaussehenden, 1 Meter 90 großen Arzt Dr. McNider und dem gutaussehenden, 1 Meter 90 großen Doctor Mid-Nite herstellen würde. Dinah Drake, die Black Canary war, betrieb, wenn sie nicht gerade auf ihrem Motorrad das urbane Verbrechertum bekämpfte, einen Blumenladen.
Diese Phase kam der Explosion eines Regenbogens gleich und repräsentierte die große Artenvielfalt, die dem bevorstehenden Untergang voranging.
Wie Jazz und Rock’n’Roll ist der Superheld eine uramerikanische Erfindung. Diese Glorifizierung der Stärke, Gesundheit und der einfachen Moral scheint der unkomplizierten Mentalität des Mittleren Westens zu entsprechen und zu entspringen. Doch Superhelden waren in hohem Maße anpassungsfähig, und je mehr sie sich vermehrten, desto mehr passten sie sich ihrer Umgebung an.
Einer der ersten britischen Superhelden war Amazing Mr. X, ein Superman-Verschnitt. Mit schwarzem Umhang und Kapuze, in schwarzen Strumpfhosen und einer weißen Weste, auf der ein rotes X zu lesen war, unterschied sich dieser erbärmliche Abklatsch nur durch seinen Mangel an Professionalität von Superman. X hieß eigentlich Len Manners, dessen Kräfte einzig das Resultat harten Trainings waren. Er sah aus wie ein Mann, der versuchte, einer Beschreibung Supermans gerecht zu werden, die ihm ein anderer Mann, der unter Alzheimer im Frühstadium litt, zukommen hatte lassen. Das Design war schlicht und grafisch, aber seinem Charakter haftete – wie beinahe allen britischen Superhelden – der modrige Geruch eines Flohmarktes an. Er hinterließ den verdorbenen Beigeschmack von Rationierung und Auszehrung – gekleidet in ein Kostüm, das sich auch aus kuriosen Kleidungsstücken von der Heilsarmee hätte zusammenstellen lassen.
Dann gab es noch Ace Hart, Atomic Man, Captain Magnet und den fragwürdigen Electroman, der eigentlich der Erzkriminelle Dan Watkins war, der, als seine geplante Exekution fehlschlug, mit den Kräften des elektrischen Stuhls ausgestattet wurde – was zu einem Sinneswandel und dem Entschluss führte, von nun an das Böse zu bekämpfen, wo immer es ihm über den Weg laufen sollte. Wie ihre amerikanischen Cousins kleideten sich die britischen Helden in enganliegende Kampfpyjamas, aber irgendwie sahen sie an ihnen schmuddelig und faltig aus. Die Strongmen of Blighty erhofften sich gar eine Stärkung ihrer teigigen und wenig beeindruckenden Muskeln durch eine Diät, bestehend aus Porridge und Corned Beef.
Auch anderswo kam es zu Mutationen. In Japan gab es etwa Astro Boy (1951) und seine seltsamen Gesten und Stakkato-Schreie. Er war ein Roboter-Junge, ein Techno-Pinocchio, dessen Story zuletzt in einer aktualisierten und den Regeln der realen Welt unterworfenen Version von Naoki Urasawa im Film Pluto (2007) erzählt wurde. Gigantor (1964) entsprach meinem Kindheitstraum, eine Fernbedienung für einen neun Meter großen mechanischen Mann zu besitzen. Ich stellte mir vor, auf seinem Rücken zu sitzen und ihn mittels der Fernsteuerung die Wände meiner Schule pulverisieren zu lassen. Später kam noch Marine Boy (1967) hinzu, der „Oxygum“ kaute, um unter Wasser atmen zu können. Der japanische Superman hieß Ultraman – ein gesichtsloser Roboter mit der Seele eines Helden.
Frankreich konnte mit Le Chat, Fantax, Satanax und anderen Namen aufwarten, die einem beim Scrabble viele Punkte einbringen würden. Diese Helden waren feurige und oft skrupellose Erben von Fantomas, des Pariser Superdiebes, erdacht von Pierre Souvestre und Marcel Allain, der von den Surrealisten geliebt wurde. Ihre Heldinnen – wie etwa Jean-Claude Forests Spacegirl Barbarella – waren langbeinige, Brigitte Bardot nachempfundene Verfechterinnen der freien Liebe, die auch Roboter oder gar Monster nicht von ihren amourösen Eskapaden ausschlossen. Barbarella beispielsweise poppte sich durch den Kosmos mit dem sorglosen Blick einer großäugigen Debütantin. In Roger Vadims schräger Verfilmung von 1968, wurde sie von Jane Fonda verkörpert, was, so muss ich zugeben, verantwortlich war für mein eigenes, fieberhaftes sexuelles Erwachen war.
Auch Italien hatte einige so sexy wie brutale Antihelden zu bieten. 1962 kreierten die Schwestern Angela und Luciana Giussani Diabolik, einen umgekehrten Batman, der sich in Weiß kleidete. Er war die Art Held, die Batman gewesen wäre, wenn er sich entschieden hätte, auf das Gesetz zu scheißen. Diabolik war eine weitere Fantomas-Überarbeitung, ein Meisterdieb, attraktiv, intelligent und enorm wohlhabend. Er fuhr einen Jaguar, und seine ständige Begleiterin war eine umwerfend brillante Überfrau namens Eva Kant. Diese Charaktere wurden 1968 perfekt von John Phillip Law und Marisa Mell in der Verfilmung Diabolik dargestellt. Der Erfolg dieser Figur inspirierte darauf eine Vielzahl von Trittbrett fahrenden Antihelden und führte zum Aufstieg der umstrittenen Fumetti neri oder „schwarzen Comics“ in Italien. Figuren wie Kriminal, Satanik oder Sadistik entwickelten Diaboliks an Nietzsche angelehnte Amoralität zu neuen Extremen von Sadismus und sexueller Gewalt weiter, was Mitte der Sechziger sogar zu einem Verbot führte. Der monströse Kriminal wurde kastriert und gezwungen, als charmanter Gentleman-Dieb wiederzukehren, der allerdings wenig Anziehungskraft auf den Leser ausübte.
Die unbewusste Leichtigkeit, mit der die Superhelden eines jeden Landes fröhlich die stereotypen Eigenschaften ihrer jeweiligen Heimatländer verkörperten, war beinahe schon beschämend. Wie in der Musik spielten sie alle ihre eigene Version eines US-amerikanischen Sounds, aber nur Amerika hatte das einzig Wahre zu bieten – Pfadfinder in explosiven Kampfszenen, grelle Kostüme und seifiges Drama. Wenn sich Briten am feinen Sound der Superhelden versuchten, klang das wie das Geflirre von Indie-Rock, ein im Dauerregen perfektioniertes, nasales Geschluchze. Europäische Helden interpretierten die Superhelden in der Art von Gainsbourg mit einer schurkischen, zynischen und nonkonformistischen Sexualität. In Japan lief der futuristische Elektro-Sound von Maschinenmännern und mutierten Monstern, ein Echo der Atombombe.
Als amerikanische Comics sich dem Rest der Welt zu öffnen begannen, führten sie ihre eigenen Versionen von ausländischen Figuren ein, was sich zum Beispiel in Form des International Club of Heroes (1955), einer Gruppe von Batman-Entsprechungen aus verschiedenen Ländern, manifestierte. Es gab die nationalen Stereotypen: den als römischer Legionär verkleideten Verbrechensbekämpfer oder den Musketier, der die Pariser Unterwelt aufmischte. The Knight and the Squire waren ein aristokratisches Vater-Sohn-Gespann, das Ritterrüstungen trug und auf Motorrädern, die wie Schlachtrösser aussahen, über Pflastersteinstraßen brauste, wenn es gebraucht wurde.
Britische Vertreter hatten ihre Wurzeln generell im Bereich der Legenden und Geschichte. Als sich Marvel vorsichtig auf den britischen Markt wagte, indem es 1976 begann, Captain Britain als wöchentlichen Comic herauszubringen, wurde diese Aufgabe dem amerikanischen England-Liebhaber Chris Claremont übertragen, da er schon ein oder zweimal vor Ort gewesen war bzw. sich für Fernsehserien wie Mit Schirm, Charme und Melone begeistern konnte. Er wandte sich umgehend den Steinkreisen einer Pseudo-Artuslegende zu, durch die der Captain seine Kräfte erhielt. Merlin war natürlich auch mit von der Partie.
Wie Captain Britain eindrucksvoll demonstrierte, verließ man sich auf lokale Legenden, um Superhelden mit erstunken und erlogenen Background-Storys zu fabrizieren. So bekam Großbritannien auch noch Beefeater, Godiva, Union Jack, Spitfire, Black Knight, Jack O’Lantern und viele mehr zu sehen.
Die einfachste Option war, den Look des Helden an einer Landesfahne zu orientieren, wie etwa den kanadischen Superhelden Weapon Alpha, dessen ansonsten stimmigen Einteiler ein enormes Ahornblatt schmückte. Sein Teamkollege Wolverine hatte seine Existenz zwar ebenfalls als Resultat dieses kurzsichtigen Zugangs begonnen, konnte sich jedoch von seinen Ursprüngen befreien und zu einem ausgwogenen Charakter entwickeln, was ihn schließlich zu einem der beliebtesten Comic-Helden überhaupt heranreifen ließ.
Während des Zweiten Weltkriegs breitete sich das Konzept der Superhelden wie ein Flächenbrand aus, erlosch aber dann zusehends und auf so mysteriöse Art und Weise, wie es entflammt war. Das Interesse der breiten Masse nahm ab 1945 stetig ab. Superhelden-Comics wurde durch Genre-Bücher aus den Regalen verdrängt, welche die Auflage der Comics zwischen 1945 und 1954 um das Dreifache überstiegen. Horror, Western, Romantik und Krieg waren unter anderem die Genres, die aufblühten, während die Superhelden vor allem in Bezug auf die Umsätze nicht mehr mithalten konnten. Ohne verbliebene Helden, die in der Lage gewesen wären, sich gegen die Katastrophen zu stemmen, füllte sich die kollektive Imagination der Amerikaner mit Zombies, Junkies, radioaktiven Monstren und verschwitzten Revolverhelden. Was hatte die Superhelden zuerst so resonant und im Anschluss im gleichen Ausmaße irrelevant werden lassen? War es nur der Zweite Weltkrieg gewesen, der den Supermännern ihre Daseinsberechtigung verliehen hatte? Das Ende des Krieges brachte den Amerikanern ein neues Zeitalter des Überflusses und der Paranoia. Die USA hatten alles, aber sie besaßen, wie ihre neuen Erzfeinde, auch eine Superwaffe, die jede fröhliche Gartenparty am Stadtrand in eine verbrannte Einöde verwandeln konnte. Ist es da verwunderlich, dass in den Fünfzigern die Fantasie so vieler Menschen von düsterem Existenzialismus ergriffen wurde? Im Westen der Nachkriegsjahre war etwa der Röntgenblick von nun an ein Horrorfilm-Fluch.
Wir beenden das Goldene Zeitalter, wie es begonnen hat: mit Superman, einem der letzten Überlebenden der ursprünglichen Expansion und des abrupten Zusammenfalls des DC-Universums. Es war alles viel zu schnell für die Superhelden gegangen, aber obwohl einige für Jahrzehnte von der Bildfläche verschwinden sollten, sterben potenzielle Handelsmarken nie ganz. Die Superhelden – wie Kakerlaken oder Terminatoren – sind unmöglich zu töten. Aber 1954 versuchte ein sinistrer Wissenschaftler, der geradewegs aus einem Comic hätte entsprungen sein können, sie zu vernichten und wäre auch beinahe erfolgreich gewesen.
Als die Lichter des Goldenen Zeitalters langsam ausgingen, überlebten Charaktere wie Superman, Batman oder Wonder Woman, die durch Filmreihen und Merchandising größeren Bekanntheitsgrad erlangt hatten, die strenge Auslese. Dank ihres Status als Zugabe in Adventure Comics überstanden zweite Geigen wie Green Arrow oder Aquaman den Sturm – eventuell unverdienterweise. Aber nicht alle Überlebenden florierten in Folge auch.
Zum Beispiel die populäre Fernsehserie The Adventures of Superman (1953). Sie hatte Supermans Status als amerikanische Ikone zementiert, aber die budgetären Einschränkungen führten dazu, dass der Star, der sympathische, aber letztendlich von persönlichen Problemen heimgesuchte George Reeves, kaum im Flug gezeigt werden konnte. Bestenfalls sprang er in einem Winkel, der nicht gerade an einen Landeanflug, sondern eher an die Zuhilfenahme eines Trampolins erinnerte, durch ein Fenster. Die Storys drehten sich um niedrige kriminelle Aktivitäten in Metropolis und endeten damit, dass Superman wieder mal durch eine dünne Wand gebraust kam, um sich einer weiteren Bande Bankräuber oder Spione anzunehmen. Gefilmt wurde in Schwarzweiß, was dazu führte, dass Superman in Wirklichkeit ein graues Kostüm tragen musste, da Rot und Blau im Schwarzweiß-Fernsehen nicht gut rübergekommen wären.
Reeves gab, selbst beinahe 40, einen gesetzten Superman mit leichtem Grau um die Schläfen und einer Physis, die ebenso eher auf die mittleren Jahre als auf einen gestählten Waschbrettbauch hindeutete. Aber er passte in die Rolle einer etablierten Figur der Fünfziger: väterlich, konservativ und vertrauenswürdig. Supermans Probleme waren in den Comics offenkundiger: Sie begannen sich am Niveau der Fernsehserie zu orientieren, daher verschwendeten die Schreiber sein episches Potenzial an eine Ansammlung erbärmlicher Gangster, Scherzbolde und Taschendiebe.
Die Figur, die aus einer futuristischen Glut aus Farbe und Bewegung entstanden war, strandete auf dem Set einer Schwarzweiß-Show, beschränkt durch Schwulst und die Regeln der realen Welt. Superman war in einer Todesfalle gefangen, die perfider war, als alles, was sich Lex Luther ausdenken hätte können. Hier war Superman, ausgerechnet Superman, gefangen und domestiziert in einer Welt, in der die Wohnzimmerdecke, nicht der Himmel, das Limit darstellte.
Die Comics der Fünfziger wurden immer düsterer und morbider. Die Geschichte von EC Comics, die ihre Superhelden-Titel einstellten und stattdessen eine Welle der moralischen Panik über das ganze Land hereinbrechen ließen, ist faszinierend und woanders auch schon eingehend behandelt worden – The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How it Changed America von David Hajdu beinhaltet eine 15 Seiten lange Auflistung von Zeichnern und Schreibern, darunter viele junge und vielversprechende Talente, die nach den Comic-Säuberungen der Fünfziger nie wieder einen entsprechenden Job bekommen sollten. Aber dieses Buch handelt von den Superhelden, und für diese waren die Zeiten besonders hart.
Man stelle sich die Reaktion auf einer Dinner-Party vor, wenn Ihr Eure dekorierten Nippel entblößen und Eure Leidenschaft für Hardcore-Kinderpornografie verkünden würdet! So schwer das heute vielleicht vorzustellen ist, 1955 war der emotionale Aufschrei, der zurecht durch Euer maliziöses Geständnis hervorgerufen worden wäre, gegen Künstler, Schreiber und Verleger gerichtet, die im Geschäft mit den Comics tätig waren. Comics und ihre Schöpfer wurden als Verführer der Jugend hingestellt, als monströse Artefakte, die junge Gemüter für Verbrechen, Drogensucht und Perversion begeistern wollten.
Im Zentrum dieses Versuchs, eine ganze Kunstform auszuradieren, stand ein älterer Psychiater namens Fredric Wertham, der seinen beträchtlichen Einfluss und seine Expertise nutzte, um sich hinter eine Hetzkampagne gegen Comics zu stellen. Sein Bestseller Seduction of the Innocent (dt.: Verführung der Unschuldigen) unterstellte Comics und ihren Erschaffern, Amerikas Kinder zu verderben.
Jedoch waren es nicht nur die oft geschmacklosen Horrorgeschichten von EC, die Werthams Rage anheizten: Es waren vor allem die unschuldigen, dahinvegetierenden Superhelden, die ihn zum Schäumen brachten. Wie jeder gute Jäger konnte er ihre Schwäche spüren und wusste, dass sich keine eloquente Stimme als Advokat der Comics gegen ihn stellen würde. Wenn ein „Experte“ wie Wertham sie als Pornografie hinstellte, dann waren sie das auch. Da es in diesen Comics nicht viel gab, das anstößig gewesen wäre, musste er tief im Subtext graben, um seinen Angriff, den er mit stumpfsinniger, ignoranter Respektlosigkeit gegenüber der Wahrheit durchführte (die man gerne Amerikas Feinden unterstellte), rechtfertigen zu können.
Zum Beispiel beschrieb er Batmans Wohngemeinschaft mit seinem Mündel Dick Grayson (Robin) und Alfred dem Butler als „Wunschtraum von zwei zusammenlebenden Homosexuellen“. Möglicherweise war es der Wunschtraum zweier Homosexueller, doch nur diese beiden bestimmten Homosexuellen hätten uns darüber aufklären können.
Ja, es ist nur zu einfach, aus der Perspektive eines Erwachsenen in Bruce Wayne homophile Tendenzen zu erkennen. Es wäre auch nicht allzu schwer, alle vertrauten Elemente einer Batman-Story so lange aufzulisten, bis die fetischistischen, homoerotischen Untertöne, die man im zugrunde liegenden Szenario von drei Männern aus drei Generationen, die im Luxus zusammenleben, sich in all ihrer Latex- und Lederpracht herauskristallisieren würden.
Regisseur Joel Schumacher bediente sich in Anspielungen dieser Dynamik in seinem gründlich verrissenen Film Batman & Robin (1997), in dem George Clooney, Chris O’Donnell und Michael Gough die betreffenden Rollen bekleideten. Das satanische und sogar sexuell grenzüberschreitende Appeal, das Batman auf Erwachsene hat, kommt nicht von ungefähr: Batman – reich und ein Vertreter der Unterwelt – bewohnt ein unterirdisches Geheimversteck, kleidet sich in abgefahrenes schwarzes Leder, genießt die Gesellschaft eines kleinen Jungen in Strumpfhosen und hat keine feste Freundin. Vielleicht müsste ja noch die große schwule Batman-Story geschrieben werden, in der er und Robin, eventuell auch Alfred, es wie die Hamster miteinander treiben, nur unterbrochen durch Ausfahrten im Batmobil. Aber trotzdem kann mir Dr. Wertham Glauben schenken, wenn ich behaupte, dass junge Leser in Batman nichts außer Freiheit und Abenteuer sahen. Es ist Wertham, der in die Annalen der Perversion einging, nicht Batman.
Wenig überraschend entlarvte Wertham auch Wonder Woman, und zwar als unverschämte Lesbierin, hinter der eine ganze Insel von perversen, militanten Lesben mit einer Vorliebe für Fesselspiele lauerte. Verwunderlich, dass er keinen Anstoß an den gewagten Schrullen seines Kollegen Marston nahm, aber sich stattdessen in einen gern verwendeten Ausruf von Wonder Woman – „SUFFERING SAPPHO!“ – verbiss, da es zweifellos eine vorhersagbare Assoziationskette im Hirn des Onkel Doktors in Gang gesetzt haben dürfte.
Aber es war Superman – der gutmütige Superman –, der die Inbrunst von Werthams Hass am meisten zu spüren bekam. Er beschrieb ihn als faschistische Ausgeburt, die Kinder dazu bringen sollte, sich unzulänglich zu fühlen und sie so zu Delinquenten machen würde: „Wie sollen sie da ihren hart arbeitenden Müttern, Vätern oder Lehrern, die so gewöhnlich sind und nicht einmal bildlich in der Lage, durch die Luft zu fliegen, Respekt entgegenbringen? Psychologisch betrachtet, untergräbt Superman die Autorität und Würde des normalen Mannes und der alltäglichen Frau gegenüber den Kindern.“
Laut Werthams Diagnose waren Kinder also zu unterentwickelt, um die ausgefallenen Fantasiewelten ihrer Comics von der Realität zu unterscheiden, und dies machte sie verwundbar gegenüber kaum versteckten homosexuellen oder gesellschaftsfeindlichen Inhalten. Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall: Es sind die Erwachsenen, die sich schwertun, Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Ein Kind weiß, dass Krabben am Strand nicht singen wie die Zeichentrick-Krabbe in Die kleine Meerjungfrau. Ein Kind akzeptiert allerhand seltsam aussehende Kreaturen und bizarre Begebenheiten in einer Geschichte, weil ein Kind versteht, dass Geschichten anderen Regeln folgen. Denn genau das ermöglicht, dass so ziemlich alles passieren kann.
Erwachsene hingegen mühen sich entsetzlich, der Fiktion die Regeln des alltäglichen Lebens aufzuzwingen. Erwachsene verlangen Erklärungen für Supermans Flugfähigkeit oder dafür, wie es Batman möglich ist, tagsüber ein Milliarden-Dollar-Imperium zu führen und nachts Verbrechen zu bekämpfen – die Antwort wäre so naheliegend: weil es nicht echt ist.
Werthams Angriffe beförderten die Comics in den Fokus einer landesweiten Hetzkampagne. Gute Amerikaner, die mit den harmlosen Abenteuern Supermans und Batmans aufgewachsen waren, versammelten sich nun, um Superhelden-Comics zu verbrennen (zehn Jahre später sollten ähnlich hirnlose Menschen-Rudel zusammentreffen, um dieses mal Beatles-Platten auf Scheiterhäufen brennen zu sehen).
Die Anhörungen vor dem Kongress im Jahr 1954 beschädigten den Horrorverlag EC Comics nachhaltig. Die verbliebenen Verlage taten sich zusammen und verfassten ein drakonisches Regelwerk, den Comics Code, das kinderfreundlichen Inhalt garantieren sollte. In seiner kleinlichen, maschinellen Durchdringlichkeit, seiner präzisen Formulierung von Ge- und Verboten, war der Comics Code beinahe – um die Sprache dieser Zeit zu gebrauchen – „sowjetisch“ angehaucht. Entstanden unter ähnlichen Umständen, erinnerte der Comics Code auf vielerlei Weise an den Hays Code von 1930, der darauf abgezielt hatte, frivole, heitere Hollywood-Filme in lahme, entsexualisierte Märchen zu verwandeln.
Die Gedanken-Polizei marschierte mit wehenden Fahnen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein:
Polizisten, Richter, Regierungsbeamte und angesehene Einrichtungen dürfen nie auf respektlose Weise dargestellt werden.
Szenen oder Abbildungen von Gegenständen, die mit Toten, Folter, Vampiren und Vampirismus, Ghuls, Kannibalismus oder Werwölfen assoziiert werden können, sind verboten.
Respekt vor den Eltern, dem moralischen Kodex und ehrenhaftem Verhalten soll gefördert werden.
Und so weiter. Comics, die sich dem Code unterwarfen, wurden mit einer anerkennenden Notiz im rechten oberen Eck gestempelt. Comics, die sich nicht an den Code hielten, hatten es schwer, einen Vertrieb zu finden und es überhaupt in die Kioske zu schaffen, wodurch sie quasi dem Untergang geweiht waren. Es schien, als ob nun sogar die Kunstform des Comics selbst, die ja die Superhelden hervorgebracht hatte, das ganze 2-D Universum, in dem sie lebten, in Gefahr wäre.
Das Goldene Zeitalter war vorbei. Aber die Welt, welche die Superhelden sterben sehen wollte, benötigte sie eigentlich mehr denn je zuvor. Das Amerika der Fünfziger war ein Land voller nervöser Angstmache und Paranoia, das sich am Abgrund einer thermonuklearen Katastrophe befand. Allein in der Nacht, umgeben von unerwartetem Luxus, waren die Amerikaner ein verängstigtes Volk: Man fürchtete sich vor der Bombe, dem Kommunisten, dem Neger, dem Homo, dem Teenager, den fliegenden Untertassen, der existenziellen Leere. Der Wettlauf um die Vormacht im Weltraum hatte begonnen. Und Kinseys bahnbrechender Report über die sexuellen Gewohnheiten der Amerikaner öffnete eine prall gefüllte Schatztruhe, die das zugeknöpfte Innenleben der Nation enthielt, und enthüllte eine Welt von polychromatischen und polymorphen Perversitäten, die sich bis dahin hinter der Fassade von Pfeife rauchenden Patriarchen und fürsorglichen Hausfrauen verborgen gehalten hatte.
Und während Amerika seinen Blick nach innen richtete, um Lösungen für seine Probleme zu finden, fand es stattdessen die Dunkelheit, und ein vielköpfiges Unding kam aus dem Keller und blinzelte ins Tageslicht: Anhänger von Überlebenssekten, gespaltene Persönlichkeiten und UFO-Kontaktler wie George Adamski waren alle zum Diskurs zugelassen, und die Leute waren gewillt, ihnen zuzuhören. Die Zen-Gammler und Beatniks schickten sich an, sich zu einer Bewegung zu entwickeln. Der Schwule, der Kriminelle, der Verkommene und der Inspirierte erhoben sich wie Morlocks aus den unterirdischen Nachtclubkellern und verbreiteten ihre Poesie. Die Verbreitung von Marihuana und psychedelischer Substanzen durch den Jazz-Underground und die Kunstschulen sowie die aufkommende Rock’n’Roll-Kultur beschleunigten den Aufstieg dieser Randphänomene. Der Drang, das amerikanische Unterbewusstsein zu kontrollieren und zu zähmen, brachte neue Dinge hervor, die kontrolliert werden mussten, neue und absonderliche Ideen, die es zu verstehen und zu interpretieren galt.
Zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hin beschleunigte sich der Verlauf der Geschichte rapide, und der Strom der Zeit konnte auch nicht mehr gebremst werden. Nichts war mehr so wie einst. Weder der Krieg noch der Frieden – und man selbst auch nicht. Vielleicht hätten nur die Superhelden dieser rasanten Medienwelt einen Sinn verleihen können, aber sie waren verschwunden, verbannt durch ihre angsterfüllte Gegnerschaft.
Bald jedoch sollten sie zurückkehren – schneller, höher und weiter als je zuvor sollten sie fliegen. So schnell, so hoch und so weit sogar, dass man ein komplett neues Zeitalter für sie einrichten musste, um sie zu beherbergen zu können.