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BROMENS

BLOCKADE

• Shikani, Tochter der Senjasantii | Meine Welt erscheint wie eine homogene Kugel: mit weich gezeichneten Verwirbelungen der weißen Wolkendecke. Der Planet Lentan dagegen wirkt aus dem All betrachtet fleckig. Seine zwei Kontinente zeigen Schlieren dunkler, ins Grau verschobener Farben. Lediglich die ausgedehnten arktischen Regionen leuchten hell. Dem Ort ist anzusehen, dass er unwirtlich ist und seine Bevölkerung von mehr als drei Milliarden kaum ernähren kann. Womöglich wäre Lentan selbst dann von den Kolonisten verlassen worden, wenn die Dynastie der Habun Illban die Welt nicht ausgebeutet hätte. Ganz anders als Lentan zeigt sich Sarrakadan, Sitz der Könige von Endo: Der Planet schimmert in Indigo und Türkis. Bis auf wenige Inseln ist Sarrakadan vollständig von seichten Meeren bedeckt, was zu einer gleichmäßigen Wärmeverteilung führt: eine Welt im ewigen Sommer.

Ich habe die Königliche Residenz, erbaut auf der Kaldera eines erloschenen Vulkans inmitten der äquatorialen Lagunen, nie so gesehen, wie sie ursprünglich war. Als ich im Jahr 718 den ehemaligen Wohnsitz des Königs erstmals betrat, waren die Zerstörungen deutlich sichtbar. Die eleganten Gebäude aus schwarzem Vulkanstein wirkten trotz der Beschädigungen erhaben. Sie bildeten einen Kontrast zur gleißenden Helligkeit des Meeres, denn Sarrakadan erhält von Endo in einem Tag mehr Licht als meine Heimatwelt in sieben Tagen von ihrer Sonne Shiksoo.

♦ Habun Illban Ja’en | Sarrakadan, der zweite bewohnbare Planet im System Endo, ist mein Geburtsort. Damals wie heute stehe ich auf der hohen Terrasse der Königlichen Residenz und schaue über die weich gezeichneten Lagunen. Das Blauviolett des Himmels berührt das schillernde Wasser in einer wie von Watte verwischten Linie. Warme Winde wehen entlang der Äquatorregion, in der der Regierungssitz der Habun Illban liegt – ein imposanter Bau, gefertigt aus glasigem, tiefschwarzem Vulkangestein. Filigran wirkende Gebäude reihen sich über die rund 2000 Meter lange Kaldera, die den dunkelblauen Kratersee zu drei Vierteln einrahmt. Als ich mit meiner Mutter hier lebte, setzten täglich Hunderte anachronistisch anmutende Segelboote durch die breite Öffnung hinein und brachten Abgesandte von Illban-Stadt im Süden zum Eingang des Palastes. Auf diesem Weg betraten auch Bromen Cossan und Se’en Linnt Ende 702 erstmals die Königliche Residenz. Ihre Ankunft unterlag einem Ehrfurcht gebietenden Ritual, einem Gang durch viele Türen und über lange Treppen hinweg, das die uneingeschränkte Würde von Habun Illban Eto betonte, König von Endo, mein Großvater.

Als junger Gelehrter in Angangira hatte ich mir zum Ziel gesetzt, die Legitimation dieser Königlichen Würde zu erforschen. Sarrakadan wurde vor rund 600 Jahren von meinen Vorfahren besiedelt – die erste Welt, die die Endoer erreichten. Der warme Planet mit den reichen Meeren war ein wichtiges Etappenziel, von Lentan aus gerade noch in Reichweite, sozusagen in greifbarer Nähe. Aus gegenwartsgeschichtlicher Sicht neige ich sogar dazu, in Sarrakadan den Grund für die Entstehung der Monarchie zu sehen. Denn wie sonst hätte vor 753 Jahren der Administrator einer unscheinbaren Provinz des Waldkontinents die Massen einen und auf die Kolonialisierung von Sarrakadan ausrichten können?

Damals, noch vor der ersten Expansion, war die Landwirtschaft auf dem kargen Lentan zu einem Maximum entwickelt, die Industrie brachte erste Satelliten in den Orbit, Technologie eroberte und revolutionierte das alltägliche Leben, Märkte vermittelten zwischen wachsenden Bedürfnissen und handelten mit Rohstoffen, Wertpapieren und politischen Vergünstigungen. Mit wachsender Bevölkerungszahl gelangte Lentan jedoch an Kapazitätsgrenzen, und meine Vorfahren begannen, ihren Blick auf den Sternenhimmel zu richten. Sarrakadan, der Planet auf einer Bahn nahe zur Sonne Endo, war bewohnbar. Doch eine Fahrt dorthin überstieg vorerst die technischen Möglichkeiten und war nur mit geeinten Kräften und äußersten Anstrengungen möglich. Administrator Edor, mein Urahn, verstand die Macht der Hoffnung und die Magie eines nahen Paradieses zu nutzen. Er versprach, alles zu tun, um Sarrakadan zu besiedeln, wenn man ihn nur machen ließe. Die Endoer glaubten ihm, die ersten Monarchisten machten ihn zum König, und Edor nannte sich fortan Königliche Hoheit, erhaben leuchtend, Habun Illban Edor, Herrscher über den Ring der Sterne. Es änderte sich buchstäblich die Zeitrechnung, als er feierlich das Jahr 0 ausrief. Das Volk hoffte auf eine neue Welt und neuen Lebensraum und erhielt stattdessen eine Dynastie selbstbezogener Monarchen.

König Edor und die Monarchisten begannen unverzüglich, die Ressourcen von Lentan umzuverteilen, Land zu enteignen, Betriebe zu verstaatlichen, die Lebensform der breiten Bevölkerung zu rationalisieren. Das Leben auf Lentan verlor alle Farbe und wurde von Königlichen Beamten standardisiert. Widerspruch und Widerstand wurde vom inzwischen allmächtigen monarchistischen Hofstaat im Keim erstickt, und die Informationssphäre von Lentan berichtete fast ausschließlich von den erfolgreichen Anstrengungen, Sarrakadan zu erreichen. Das erste interplanetare Raumschiff startete im Jahr 79 und erreichte Sarrakadan nach drei Monaten Reisezeit – 37 Jahre nach dem Ableben des ersten Königs. Dessen Sohn Eldo nahm Sarrakadan sogleich in Königlichen Besitz. Fasziniert von der natürlichen Schönheit und ganzjährigen Milde ließ er sich dort nieder und gewährte nur seinem Hofstaat Wohnrecht. Die Geschichte meiner Familie auf Sarrakadan gründet somit auf einem Betrug an den Endoern. Anstatt die Lebensgrundlage auf Lentan zu verbessern und Sarrakadan für die Besiedelung freizugeben, ließ König Habun Illban Eldo auf Sarrakadan die Residenz über den Lagunen erbauen – allein für die Königliche Familie. Seine Macht festigte er aus der Ferne durch den selbst geschaffenen Mythos als Herrscher des Sternenkönigreichs; er erließ Königliche Gesetze und ließ sie von Heerscharen von Bürokraten durchsetzen. Als 166 sein Enkel Eteo, der vierte Sternenkönig, feierlich und mit Königlichem Erlass die Kolonialisierung des nächsten Sternsystems verkündete, war dessen Macht bereits uneingeschränkt und ebenso die Mittel, die für dieses Vorhaben aufgewandt wurden. 190 startete das erste unterlichtschnelle Schiff zum 1,35 Lichtjahre entfernten Stern von Cantori.

Die erste Expansion dauerte mehr als 500 Jahre. Lentan wurde totalitär auf die »Eroberung des Rings« ausgerichtet und derart ausgebeutet, dass es ein Leichtes war, die Besatzungen für die interstellaren Schiffe der ersten Generation zu finden – jedes Leben war besser als jenes in der industriellen Unterwelt von Lentan. Aus dem Grauen Jahrzehnte dauernder Transfers wurden Reisen der Hoffnung, an deren Ende der Traum der Besiedelungen einer Welt weit weg vom düsteren Königreich stand. Dieser Widerwillen gegenüber Endo ist allen endoischen Kolonien tief einbeschrieben, den Aristokraten von Cantori, den Snrial-Endoern, den Kontanern, noch mehr dem Doppel-Matriarchat und ganz besonders den Aimoranern. In meiner Vorstellung sehe ich den Ring, wie sie ihn vor der Entdeckung des Sprungantriebs gesehen haben, nämlich als endlos weiten Raum. Endo wurde nicht zum allumfassenden Sternenkönigreich, sondern zum Fluchtpunkt, von dem aus sich jeder Endoer weitmöglichst entfernen wollte – nicht auf die Gefahr hin, niemals zurückzukehren, sondern mit der festen Absicht.

Doch kommerzielle Anreize sind in der Lage, jeden Vorsatz umzustoßen. Schon bald bildete sich im Ring ein filigranes Handelsnetz, und wagemutige Händler transportierten begehrte Produkte zwischen den Ringwelten und zurück nach Cantori und Lentan. Ein Endoer hat damals in seinem Leben oft nur eine einzige Reise im Ring absolviert, und die transportierten Güter haben womöglich erst seine Kinder verkauft. Heute ist das unvorstellbar. Ein Endo-Kreuzer durchquert beispielsweise die 1,35 Lichtjahre zwischen Lentan und Cantori mit allen Vorbereitungen in wenigen Stunden; der Sprung selbst ist sogar zeitlos. Für die gleiche Reise hat ein Schiff der ersten Generation für Beschleunigung, Zwischenflugphase und Bremsmanöver über tausend Tage benötigt. So manches Schiff hat sein Ziel gar nie erreicht – nachrichtenlos verloren, von umherirrenden Partikeln zerfetzt und zu Staub zermahlen in der Unendlichkeit.

• Shikani, Tochter der Senjasantii | Am Ende des Jahres 702 setzte die Königliche Fähre Bromen Cossan und Se’en Linnt im großen Hafen von Illban-Stadt ab, fünf Kilometer von der Königlichen Residenz entfernt. Es war üblich, Gesandte und Gäste mit windbetriebenen Schiffen zum Haus des Königs überzusetzen. Nur die Königliche Familie durfte direkt auf der Kaldera landen und starten. Bromen und Se’en segelten eine Stunde lang auf den steil aufragenden Vulkan zu, bevor die Besatzung das Boot in den Kratersee lenkte. Man holte die Segel ein und legte an der großen Treppe an, die bis ins Wasser hinunterreicht.

Die symmetrischen Städte der Senjasantii mit ihren hohen, planvollen Gebäuden aus beweglichen Kunststoffen habe ich gegenüber den ungeordneten Siedlungen der Endoer immer bevorzugt. Eine Ausnahme macht meine innere Welt nur bei der vielfarbigen Erscheinung der Wüstenstadt Angangira auf Cantori und bei der glitzernden Schönheit der Residenz über den Lagunen auf Sarrakadan.

Als König Eto dort residierte, belebten im Durchschnitt 10 000 Endoer den Wohnsitz des Monarchen: Diener, Wächter und Funktionäre in schmuckvoller Kleidung eilten durch weitläufige Räume mit glänzenden Böden. Bromen und Se’en wurden durch den hohen Säulengang auf der Kaldera geleitet. Sie waren keineswegs die einzigen Gäste. Bromen erzählte mir, dass sie drei Stunden warten mussten, um in den silbernen Audienzsaal geleitet zu werden. Das finde ich verstörend: Immerhin hatten die zwei Pentaare die bisher größte Schlacht für Endo entschieden. Als man beide schließlich vorließ, war der Empfang immerhin beachtlich: Neben dem König waren einige seiner 16 Kinder sowie seine dritte Gefährtin zugegen. Ebenfalls anwesend war Prinzessin Etani: Ja’ens Mutter. Habun Illban Eto war bereits 81 Jahre alt, ein für Senjasantii unvorstellbar hohes Alter. Er wirkte jedoch noch immer recht jung, und sein Haar war nur stellenweise ergraut. Seit 46 Jahren saß er auf dem Thron von Endo.

Der große Audienzsaal der Residenz misst 60 Meter im Durchmesser, und in seiner äußeren Welt bewegte sich ein Hofstaat von 50 Endoern. Dennoch musste die Begegnung, so erzählte mir Bromen, durch die kreisförmige Anordnung des Raumes und die Ungezwungenheit der Königlichen Kinder eine private Atmosphäre vermittelt haben. Zeremonienpersonal geleitete die Pentaare in das Innere eines Kreises aus geschwungenen Sitzliegen, auf denen die Königliche Familie sich verteilt hatte. Diener eilten herbei, und Bromen und Se’en wurden zwei Sessel beim König zugewiesen.

♦ Habun Illban Ja’en | Der Audienzsaal ist bis heute der schönste Raum der Königlichen Residenz. Der Boden ist ganz mit Silber ausgeschlagen und mit Ornamenten verziert; die Wände bestehen aus poliertem, tiefschwarzem Vulkangestein; Licht fällt durch ovale Öffnungen in den Wänden und Decken; Luft mit dem weichen Duft des Meeres weht herein und vermittelt angenehme Kühle. Damals waren die aus Silber gegossenen, sorgsam aufeinander abgestimmten Sessel und kleinen Liegen alles Unikate (als Kind liebte ich es, auf jedem einzelnen abwechselnd zu sitzen); im großen Kreis aufgestellt, bildeten sie eine kostbar wirkende Einheit. Der Saal war eine perfekte Kombination von dargestellter Macht und dezenter Eleganz.

Vermutlich saß Etani, das jüngste Königskind, nicht direkt neben meinem Großvater; das war der Platz ihrer älteren Brüder. Ich denke, sie blickte von der Seite auf die beiden Pentaare in ihren anthrazitfarbenen Uniformen mit den gelben Streifen an Armen und Beinen; vielleicht betrachtete sie auch die gelb leuchtenden Hologramme – je zwei Sterne –, die sich auf der linken Schulter zeigten, um an offiziellen Anlässen Rang und Schiffszugehörigkeit anzuzeigen. Bromen und Se’en in ihren funktionalen, mit technischen Komponenten bestückten Uniformen müssen auf den Sesseln mit der in allen Farben schillernden Seide deplatziert gewirkt haben, was gewiss die Neugier meiner Mutter angesprochen hat. Sie war bisher nur Laaren der Flotte begegnet; Pentaare waren nie in der Königlichen Residenz zugegen. Diese beiden waren zudem jung, nur wenig älter als sie selber, der eine dunkelhaarig, ernst und geheimnisvoll, mit tiefen blauen Augen, der andere etwas kleiner, mit lebhaftem Blick, einem kurzen rötlichen Bart und gewandten Bewegungen.

Mein Großvater war ein spröder Mann, aber er war Untertanen gegenüber, die er für ihre Leistungen anerkannte, nie abweisend. Vermutlich erkundigte er sich nach dem Eindruck, den die Vrakaane technisch wie taktisch hinterlassen hatten; mit Sicherheit verlieh er seiner Genugtuung Ausdruck, dass ein Endo-Kreuzer allein eine ganze Flotte bezwingen konnte; vielleicht fragte König Eto die beiden auch nach ihrer Meinung zur Rolle von Cantori. Doch das Protokoll, das mir vorliegt, gibt über die kurze Begegnung lediglich an, dass das Königreich Endo der Besatzung von Gelb-07 seine Anerkennung aussprach, dass Laar Renta Jaro postum mit der Königlichen Doppelkrone geehrt wurde, dass die beiden Pentaare den persönlichen Dank des Königs entgegennehmen durften und dass – aufgrund dessen überragender Tatkraft – Bromen Cossan zum neuen Laar von Gelb-07 ernannt wurde. Bromen und Se’en wurden außerdem eingeladen, zehn Tage als Ehrengäste im äußeren Bereich der Residenz zu weilen. Danach würden sie zurück zu ihrem Schiff nach Ronwal reisen und dort auf die Königlichen Missionsbefehle warten. Die Audienz endete nach einer halben Stunde.

Mit 16 Jahren war Etani bereits eine Schönheit mit golden schimmernden, geheimnisvollen Augen, einer makellosen, von der Sonne von Sarrakadan leicht gebräunten Haut und dunklem, festem, ein wenig krausem Haar, das sie meistens hochgesteckt trug. Sie strahlte – auch ohne etwas zu sagen – eine magische Präsenz aus. Se’en, das weiß ich von ihm persönlich, musste sich beherrschen, nicht mehr als einige wenige und unverfängliche Male zu ihr zu blicken. Und obwohl der silberne Saal voll war von Prinzen, Prinzessinnen und geschmückten Bediensteten, kann ich es mir gar nicht anders vorstellen, dass auch Bromen meine Mutter gesehen haben muss – mit ihrem Kopfschmuck aus Talkahalas-Alidium, dem luftigen Gewand mit den eingewobenen Stickereien und den locker übereinandergeschlagenen langen Beinen.

Aufzeichnungsfragment

[Transkription der Königlichen Flotte, Jahr 703]

Bromen Cossan | Ich möchte mit dir sprechen, Se’en.

Se’en Linnt | Seltsam, dass du das sagst. [2,5 Sekunden Pause] Ich glaube, ich habe in den letzten Wochen an nichts anderes gedacht als an den Tod, den Lärm, das Feuer. Aber du hast darüber kein Wort verloren. Erinnerst du dich überhaupt noch daran?

Bromen Cossan | [2 Sekunden Pause] Ich erinnere mich.

Se’en Linnt | Die Welt hatte ausgesehen, als stünde sie in Flammen.

Bromen Cossan | Es war außergewöhnlich, ja. Es wäre uns nicht gelungen, ohne dein Manöver mit dem Singularitätsgenerator.

Se’en Linnt | Es war völliger Wahnsinn, Bromen. Du hättest mich das nie machen lassen dürfen.

Bromen Cossan | Es war der einzige Weg, Ronwal in einem engen Orbit zu umrunden.

Se’en Linnt | Und das war mindestens so wahnsinnig wie meine Idee. Du konntest nicht wissen, dass wir das überleben werden.

Bromen Cossan | Ich wusste es.

Se’en Linnt | [Geringe Lautstärke] Du wusstest es. [2 Sekunden Pause] Und wir leben noch. Der König hat durchaus gute Gründe, dich zum Laar zu machen, Bromen Cossan.

Bromen Cossan | Du wirst auf dein eigenes Schiff nicht allzu lange warten müssen.

Se’en Linnt | Warum? Die Flotte hat ihren Auftrag erfüllt. So rasch werden sich irgendwelche Vrakaane nicht mehr zusammenrotten. Nicht nach Ronwal. Sogar Cantori wird dich als Held feiern, nachdem die Häuser ihre Frachter zurückhaben. [4,5 Sekunden Pause] Worüber willst du mit mir sprechen?

Bromen Cossan | Über die Besatzung von Gelb-07.

Se’en Linnt | Ich verstehe. Du bist unsicher, ob du Hamander als Taktikpentaar willst.

Bromen Cossan | Ich weiß, dass ich sie will. Nein, Se’en, ich will über dich sprechen.

Se’en Linnt | Du willst mich als Führungspentaar auswechseln?

Bromen Cossan | Im Gegenteil. Ich bitte dich, mein Pentaar zu sein.

Se’en Linnt | [6 Sekunden Pause] Du weißt, warum ich mich zur Flotte gemeldet habe?

Bromen Cossan | Dein Bruder wurde von Vrakaanen getötet.

Se’en Linnt | Ja. [2 Sekunden Pause] Und nein, eigentlich war er nur ein Vorwand. Ich bin zur Flotte gekommen, weil ich – [1,5 Sekunden Pause] ich weiß das klingt seltsam, an den Ring der Sterne glaube, an die Idee eines Rings, verstehst du? Wir brauchen den Ringhandel, das ist klar. Aber ich hoffe auf etwas Größeres, Wichtigeres, etwas, das die Ringwelten zusammenbringt. Das wird kaum möglich sein, wenn die Häuser nur auf ihren Gewinn und der König auf seinen Ruf bedacht sind. Ich habe mir in einem kühnen Moment gewünscht, dazu in der Flotte einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Doch nun bin ich mir nicht sicher, ob ich dazu die nötige Kraft habe. Ich sehe aber dich, Bromen, wie du unsere Welt veränderst. Mir fehlt dazu weniger der Mut, sondern deine Gewissheit, wie du es nennst. Darum folge ich dir. [3,5 Sekunden Pause] Es ist mir eine Ehre, dein Pentaar zu sein.

Bromen Cossan | Gut. Auf uns kommen schwierige Missionen zu.

Se’en Linnt | Woher willst du das wissen?

Bromen Cossan | Ich weiß es.

Se’en Linnt | Bist du immer so unbeirrbar gewesen, Bromen?

Bromen Cossan | Ich bin es, seit ich an Bord bin.

• Shikani, Tochter der Senjasantii | Am Tag 86 des Jahres 703 schwang sich Bromen Cossan, Laar in der Königlichen Flotte, durch die Luke des Endo-Kreuzers der Sarrakadan-Klasse Gelb-07. Das Schiff lag seit 162 Tagen am Dock, und es waren sämtliche Komponenten erneuert worden. Während der ersten Stunden hatte Bromen die Berichte der bisherigen Reparaturarbeiten gesichtet. Die physische Inspektion überließ er der Besatzung, was seiner Abneigung gegenüber engen Kanälen entgegenkam. Bromen war es wichtig, seine Besatzung genau zu kennen. Er war technisch versiert, doch er gab der Technik nie den Vorrang, vielmehr legte er Wert auf individuelle Fähigkeiten. Bromen erzählte mir, dass er Se’en auf der Rückreise nach Ronwal gebeten hatte, seine Funktion als Führungspentaar beizubehalten. Mit Hamander Gira sprach Bromen nur kurz über ihre Beförderung zum Taktikpentaar und die klaren Gründe, die er für seine Entscheidung hatte. Nach diesem Gespräch folgte Hamander Bromen bedingungslos.

Inzwischen hatte die Station Ronwal zum normalen Betrieb zurückgefunden. An den Dockanlagen wurde zwar noch gearbeitet, überall leuchteten das gleißende Licht der Schweißgeräte und die Positionslampen der Techniker über dem rotorangen Planeten. Das Verkehrsaufkommen der Frachtschiffe war höher denn je. Zudem patrouillierten kleinere Überwachungsschiffe und die Endo-Kreuzer Rot-02 und Grau-08 permanent um den Gasriesen. Cantori hatte den König um diesen Schutz gebeten. Darüber hinaus war der Rat der RHF über die Frage der Konsequenzen zutiefst zerstritten: Die Informationssphären von Endo, Cantori und den Ringwelten überschlugen sich mit spekulativen Voraussagen, was nun geschehen würde. Einige Stimmen forderten ein hartes Vorgehen gegen die Vrakaane, und zwar sowohl gegen die Maluken von Kontan als auch gegen das Matriarchat der Drial-Vehazzi. Immerhin waren nicht nur Frachtschiffe, Reedereien und lebenswichtige Versorgungsketten zu Schaden gekommen; es waren auch Schiffe der Königlichen Flotte attackiert und zwei Laare getötet worden.

Einiges sprach jedoch gegen ein aggressives Vorgehen, insbesondere in Bezug auf die Vehazzi. Die beiden Systeme des Matriarchats, Tser und Drial, kontrollierten seit ihrer Kolonialisierung vor 285 respektive 278 Jahren den Zugang zum reichen Talkahalas. Bereits auf der unterlichtschnellen Reise hatte sich eine separatistische Kriegerinnenkaste in Berufung auf die Prophetin Zetana herausgebildet. Deren Blutgedichte, die sie in die Stahlverkleidung ihres Gefängnisses an Bord des Generationenschiffs geritzt hatte, wurden in Drials Hauptstadt Nezeldana aufbewahrt und als heilig verehrt. Dieses Erbe war Endo und der Monarchie feindlich gesinnt, und die beiden Matriarchinnen von Drial und Tser bestärkten vehement ihre Allianz. Entsprechend empört reagierten sie auf die Anschuldigungen und forderten unanfechtbare Beweise für die Involvierung ihrer Töchter: Beweise, die sie zugleich konsequent ignorierten. Die an der Talkahalas-Route beteiligten Häuser wiederum wollten den lukrativen Handel mit Talkahalas nicht gefährden. Die RHF formulierte sogar einen Antrag zur Mäßigung gegenüber den Vehazzi.

Anders präsentierte sich die Lage in Bezug auf die Doppelwelt von Kontan, auch wenn die Kontaner beim Angriff auf Ronwal nur eine untergeordnete, primär logistische Rolle gespielt hatten. Das Kontan-System war bereits 112 Jahre nach Cantori besiedelt worden, die endoische Kolonie hatte sich in den letzten 300 Jahren jedoch kaum über einfache Familienstrukturen nomadischer Clans hinaus entwickelt. Lebensfähige Bedingungen herrschten in geringem Maß auf dem Planeten Fankontan, dem heißen Kontan. Vorteilhaftere Lebensgrundlagen bot der vom Zentralgestirn weiter entfernt orbitierende, kühle, jedoch ebenfalls ganzjährig eisfreie Serokontan. Wenig bekannt ist, dass die rivalisierenden Klans der Maluken voneinander isoliert leben, obschon sie Abkömmlinge einer einzigen Kolonialisierungswelle sind: Die Sek und die Rogg beherrschen Serokontan und die Hauptstadt Fan Re’uul auf Fankontan, die Keja dagegen leben in der weitläufigen Wüste von Fankontan. In der Hitze der roten Einöde hausen verstreute Großfamilien Seite an Seite mit absonderlichen Kreaturen wie dem räuberischen Kupran.

Der König von Endo entschied sich aus politischen wie kommerziellen Gründen für einen Angriff auf das Doppelsystem Kontan: Endo und Cantori trieben mit der Doppelwelt Kontan zwar Handel, allerdings nicht mit exklusiven Gütern. Die Königliche Flotte war den Schiffen der Sek- und der Rogg-Maluken militärisch überlegen. Schließlich war entscheidend, dass die RHF ohnehin immer wieder mit den vertragsbrüchigen Kontanern in Auseinandersetzungen gerieten: Die archaischen Maluken waren unzuverlässige Partner. All das machte das System Kontan zu einem Angriffspunkt, auf den man sich mutmaßlich einigen konnte. Mit dieser Königlichen Mission wurde Gelb-07 unter der Führung von Bromen Cossan betraut, und zwar mit folgenden Teilzielen:

[1]Einholen der Zustimmung des Rats der Ringhandelsföderation RHF auf Cantori zu einem Vergeltungsschlag gegen das System Kontan.

[2]Militärische Formation mit Rot-02.

[3]Intervention gegenüber Fankontan. Vernichten aller waffenfähigen Schiffe mit Raumzeitantrieb. Einfordern einer angemessenen Reparaturzahlung.

[4]Falls nötig, Intervention bei Serokontan mit analoger Zielsetzung.

Der Befehl trug das Königliche Siegel. Doch schon der erste Punkt ließ fragwürdig erscheinen, ob es sich dabei wirklich um einen Befehl oder vielmehr um einen Antrag gegenüber Cantori handelte. Die entsprechende diplomatische Depesche des Königs war dem Rat der RHF in einem versiegelten Hologrammwürfel bereits Wochen zuvor von einem Kurier physisch überreicht worden, um Bromens Ankunft anzukündigen. Mitte des Jahres 703 gelangte Gelb-07, nach umfassenden Übungsmanövern mit der neuen Besatzung, nach Cantori.

♦ Habun Illban Ja’en | Ich habe mir wiederholt Gedanken darüber gemacht, was das erste Teilziel des Königlichen Befehls für Bromen bedeutet haben mag. Eine diplomatische Mission war kaum das, was Bromen im Sinn hatte. Ihm musste rasch klar geworden sein, dass er seine Ziele am besten erreichen konnte, wenn er Se’en und Hamander in seine Pläne einbezog, also den Sohn der größten Reederei von Lentan und die Kusine eines Oberhaupts von Cantori. Er wusste, dass er sich auf beide verlassen konnte und dass seine Autorität durch die Tatsache, dass seine Pentaare Cantori weitaus besser kannten als er, in keiner Weise infrage gestellt wurde.

Gelb-07 wurde von der Orbitalwache von Cantori in die entsprechende Parkposition geleitet. Eine Fähre der RHF brachte Bromen, Se’en und Hamander direkt nach Angangira. Bei ihrer Ankunft wurden die drei mit allen Ehren von Kerosan Duri, dem Ratsvorsitzenden, empfangen. Der spindeldürre Kerosan, Oberhaupt des Hauses Duri, wollte eine Erfrischung anbieten, wie es auf Cantori üblich war (ganz besonders in der warmen Halbwüste), doch Bromen winkte mit dem Hinweis ab, er wolle sofort vor den Rat der RHF treten. Man kann sich den verdrießlichen Blick des Aristokraten vorstellen, oder vielleicht – das wäre ebenso denkbar – eine herablassende Amüsiertheit. Man geleitete die Gäste der Flotte durch die imposanten Empfangshallen aus beigem Kompositbeton und dem typisch feuerroten Stahl. Schließlich wurde das große Portal zum Saal geöffnet, hinter dem sich rund 100 Ratsmitglieder gemächlich auf die Ratszusammenkunft einrichteten. Die Luft war bereits stickig, und das Stimmengewirr ohrenbetäubend. Der Ratsvorsitzende Duri musste mithilfe glockenschwingender Ratsdiener zur Aufmerksamkeit ermahnen, erst Minuten später hatten alle Ratsmitglieder ihre Plätze hinter den schweren Stahltischen eingenommen und ihre Lakaien aus dem Raum verbannt.

Die eigentliche Ratsversammlung dauerte nicht einmal eine halbe Stunde. Nach einer umständlichen, rituellen Begrüßung aller Häuser von Cantori durch den Ratsvorsitzenden Duri wurde Laar Bromen Cossan das Wort erteilt. Dieser erläuterte, dass Seine Königliche Hoheit Habun Illban Eto weder die Verluste von Ronwal noch die damit verbundene Beleidigung durch die Vrakaane zu übersehen bereit war. Bromen skizzierte zügig seinen Auftrag und die damit verbundene Absicht, das Kontan-System anzufliegen und unter Androhung von Gewalt die Vernichtung aller dortigen Kriegsschiffe durchzusetzen; dies sei der Wunsch von Habun Illban Eto und die mehr als gerechtfertigte Vergeltung für Ronwal.

Daraufhin brach im Saal ein Tumult aus. Gemäß den Aufzeichnungen meldeten innerhalb weniger Minuten 53 Ratsmitglieder ihr Recht auf eine Wortmeldung an, in der sie die Beweislage als unzureichend entlarven, vor der Gefährdung der Handelsbeziehungen zu den Kontanern oder gar den Vehazzi warnen oder das Vorrecht der Königlichen Flotte auf Zerstörung der Kontan-Schiffe bezweifeln wollten. Hamander Gira stand neben dem todernsten Bromen und flüsterte ihm Namen und Häuserzugehörigkeiten der Einspruch erhebenden Ratsmitglieder zu. Der Vorsitzende Kerosan Duri ließ wiederholt die Glocke läuten und wollte eben die kommenden Auftritte der einzelnen Votanten ordnen, als sich Se’en Linnt erhob und zu ihm auf die Empore trat. Die beiden unterhielten sich kurz und mit energischen Gesten. Se’en deutete daraufhin deutlich auf den in der vorderen Reihe sitzenden Hamburban, Oberhaupt des Hauses Gira. Dieser blickte Se’en lange in die Augen, erhob sich nach einem Augenblick des Zögerns und nickte dem sichtlich entgeisterten Vorsitzenden unmerklich zu.

Kerosan Duri überlegte angestrengt und zweifellos verwirrt; er schaute erneut fragend zu Se’en, der seinem Blick standhielt; dann trat er für einen kurzen Wortwechsel auf Bromen zu. Schließlich kehrte Kerosan Duri zurück auf die Empore, mahnte zur Ruhe im Saal, kündigte an, dass alle Voten schriftlich zu erfolgen hätten (unter lautstarkem Protest aus dem Saal) und dass die Beratung im kleinen Kreis der oberen Häuser fortgeführt werden würde. Ein Vorschlag würde dem Rat zu späterer Stunde vorgelegt werden. Se’en berichtete mir, dass im Saal daraufhin ein Sturm der Entrüstung ausbrach, bei dem einzelne Ratsmitglieder sogar auf ihre Tische stiegen und von ihrem Beschwerderecht Gebrauch machen wollten.

Es war eine unbeschreibliche Szene – und doch war der Widerstand der Reedereien lediglich oberflächlich, es war der Protest der Machtlosen. Von Se’en Linnt und Hamander Gira wusste Bromen, dass der Rat zwar vordergründig das Entscheidungsgremium der RHF war, dass aber die wahren Fäden im Hintergrund gezogen wurden. Bromen war klar, dass die eigentlichen Gründe, die für einen Angriff auf Kontan sprachen, nicht öffentlich gemacht werden konnten – es ging überhaupt nicht darum, Handelswege zu sichern oder Vrakaane zu bestrafen, sondern um die Konkretisierung der militärischen Macht des Königs in Widerstreit mit der Handelsmacht von Cantori und dem jüngsten Aufbegehren der Ringwelten. Bromens Auftrag lautete, eine Vereinbarung mit Cantori zu finden, die von den großen Häusern getragen wurde. Dazu mussten die wahren Entscheider am Tisch sitzen. Se’en Linnt war es gelungen, Hamburban Giras Unterstützung zu gewinnen. Beide kannten sich seit Jahren persönlich, doch ich gehe nicht davon aus, dass gemeinsame Pläne sie verbanden, sondern dass vielmehr ihre Interessen für einen zufälligen Moment übereinstimmten. Macht formt sich oft über solch diffuse Vereinbarungen und aufgrund unausgesprochener Erwartungen, die punktuell Vorteile, dann aber wieder mühsame Abhängigkeiten schaffen. Das – und nichts anderes – ist Politik. Hamburban Gira nickte also, und der Rat der RHF hatte zu schweigen.

Die Sitzung des Kreises der oberen Häuser fand einige Stunden später statt. Die Sonne hatte sich hinter den Horizont der Wüste gesenkt, und lange Schatten tauchten den Palast der Ringhandelsföderation in intensives, oranges Licht. Bromen und Se’en betraten einen in Erdtönen gehaltenen Konferenzraum mit einem mächtigen Tisch aus Hornbaum und einem großflächigen Deckenhologramm, das den glühenden Abendhimmel von Cantori zeigte (ein Raum, den ich selber Jahre später mit Lia’en Linnt erstmals betreten sollte). Hamander wollte man als zu wenig hochrangiges Mitglied des Hauses Gira nicht dabeihaben. An der ovalen, farbig schimmernden Tischplatte saßen Hamburban Gira, Kerosan Duri, Sludin Bero und neun weitere hochrangige Aristokraten der 27 Häuser von Cantori, darunter auch das einzig weibliche Oberhaupt Sinti-En Furu. Die Zusammenkunft dauerte bis spät in die Nacht. Es ist bekannt, dass in deren Verlauf ein Antrag an den Rat der RHF formuliert wurde, der eine offensive Kampagne gegen die Kontaner seitens Cantori autorisierte und dem der Rat schließlich zustimmte. Doch solch offizielle Dokumente geben niemals Auskunft über die wahren Begebenheiten. Ich habe daher vor einigen Jahren versucht, mehr über die damaligen Gespräche im Kreis in Erfahrung zu bringen. Mit dem Stolz eines Gelehrten darf ich berichten, dass mir die Tochter von Sinti-En Furu (Sansi-Na Furu, die ich als junger Diplomat in der Botschaft auf Lentan kennenlernte), folgende Aufzeichnung ihrer Mutter übersandte:

Mit Erstaunen und Schrecken bin ich diesen jungen Kriegern von Endo heute begegnet. Erstaunt hat mich die Klarheit ihrer Forderungen, erschreckt die Härte ihrer Entschlossenheit – beides sind wir von Endo nicht gewohnt. Gewiss hat der Angriff einer Fraktion von Drial-Vehazzi und Kontan-Maluken auf die Station Ronwal viel Unruhe in den Handel gebracht. Die Informationssphäre von Cantori hat wochenlang von kaum etwas anderem berichtet. Ein Angriff auf eine Ringwelt aber war aus Sicht der RHF vorerst undenkbar. Doch das Oberhaupt des Hauses Gira bat uns um Offenheit gegenüber den Vorschlägen.

Laar Cossan legte ausführlich dar, dass es sieben Gründe für einen Angriff auf Kontan gibt: Erstens die Notwendigkeit eines klaren Zeichens gegenüber allen Ringwelten. Zweitens das Aufbrechen der Verbindung der zunehmend aufrührerischen Kontaner zu den mächtigen Drial-Vehazzi. Drittens die Neutralisierung einer volatilen Bedrohung so nahe am kritischen Stützpunkt Ronwal. Viertens die Stärkung des Rufs von Cantori, die eigenen Frachter und deren Besatzungen schützen zu können. Fünftens die verfügbaren militärischen Mittel des Laars für einen gezielten Angriff, sodass eintretende Verluste klein gehalten werden können. Sechstens die Gelegenheit, eine dauerhafte Präsenz der RHF auf Fankontan und Serokontan zu installieren, und damit siebtens mehr Sanktionsmöglichkeiten im Falle zukünftiger Vertragsbrüche seitens der Kontaner. Natürlich haben die Oberhäupter ihre Einwände gegen diese Gründe und ihre Plausibilität vorgebracht, denen der Laar jedoch durchdacht begegnen konnte.

Restlos gebrochen ist unser Widerstand durch folgende zwei Äußerungen: Jene vom jungen Se’en Linnt, Erbe der Linnt-Reederei, der uns aufzeigte, dass die Kosten gegenüber dem Nutzen für Cantori vernachlässigbar sind und ein Angriff auf das System Kontan weniger Endo militärisch stärken, sondern die Wirtschaft im Ring befördern werde. Kontan sei – so sagte er im Wesentlichen – billig zu haben. Die andere Äußerung war die des Laars, der verbindlich zusagte, mit einer militärischen Intervention in Kontan auf einen Angriff gegen die Vehazzi verzichten zu können. Denn eine Provokation der technologisch und wirtschaftlich potenten Drial-Vehazzi fürchten wir in Bezug auf unsere Handelsbeziehungen – und mehr noch ängstigt uns ein kriegerischer Zusammenschluss beider Drial-Welten.

Als Bromen und Se’en schließlich auf der Terrasse vor Hamburban Giras Privaträumen standen, leuchteten die Sterne über der Wüste. Der Nachtwind trug die herben Gerüche der Wüstenblumen und Yelkabäume mit sich. Bedienstete schenkten würzigen Tee aus; womöglich sagte Hamburban etwas Würdevolles zu den beiden jungen Endoern; vielleicht stand Bromen auch nur nachdenklich an der verglasten Balustrade und blickte zum vom Nachthimmel dezent erhellten Horizont.

• Shikani, Tochter der Senjasantii | Die Intervention im Kontan-System war von Bromen in Abstimmung mit dem Laar von Rot-02 sorgfältig entworfen worden. Schritt eins sah ein gegenläufiges Einfallmanöver über Fankontan vor: Die beiden Endo-Kreuzer sprangen an zwei gegenüber dem Planeten um 180 Grad verschobenen Punkten in einen weiten Orbit. Gemäß Plan erreichte Gelb-07 die heiße Wüstenwelt zwei Stunden früher und übermittelte den Maluken in der Hauptstadt Fan-Re’uul die Forderungen des Königreichs Endo: die sofortige Kapitulation und die Herausgabe aller sprungfähigen Kriegsschiffe. Die herrschenden Klans, die Sek, die Rogg sowie die Keja, reagierten nicht. Das entspricht ihrer allgemeinen Unorganisiertheit wie ihrer Haltung: Ihr offen zur Schau getragener Stolz richtet sich nicht auf konkrete Taten, sondern ist Ausdruck einer leicht durchschaubaren Selbstüberschätzung. Wenig später starteten stattdessen zwei bewaffnete Schiffe auf der Planetenrückseite ihre Antriebe und ergriffen die Flucht, was sie wie geplant auf den Abfangkurs von Rot-02 brachte. Da Bromen um den taktischen Vorteil einer wirksamen Drohung gegenüber einem unberechenbaren Gegner wusste, ließ er Rot-02 einen Angriff ausführen, wobei eines der Schiffe vollständig, das zweite teilweise zerstört wurde.

Ich sehe Bromen konzentriert in der Kommandokugel von Gelb-07, den Blick unbeweglich auf seine Hologramme gerichtet. Erneut ließ er die Forderungen zur Kapitulation an die Maluken übermitteln, nun verbunden mit einer Liste von Angriffszielen auf der Planetenoberfläche. Kurz darauf meldete der Sprecher der Sek-Maluken, dass man den Laar nach Fan Re’uul zu Gesprächen einlade. Selbstverständlich lehnte Bromen ab. Er sandte stattdessen Se’en Linnt und Hamander Gira. Die beiden Pentaare landeten mit der Fähre von Gelb-07 direkt auf dem Dach des kubischen Versammlungsgebäudes der Maluken. Der Aufzeichnung nach war es tiefe Nacht, und man dürfte den nahen Planeten Serokontan am Südhimmel gesehen haben. Noch immer flimmerte die Luft von der Hitze des vergangenen Tages. Der staubige Wüstenwind wehte über die weitläufige Stadt aus gedrungenen Steinhäusern. Wächter in bodenlangen Mänteln aus dem rot und weiß gestreiften Fell des Kupran geleiteten Se’en und Hamander zur eilig einberufenen Versammlung der Klanführer. Ich kenne diesen Raum: Er ist überraschend klein, und Wände und Decke sind mit seltsamen, spirituell motivierten Malereien überzogen. Die Maluken sitzen auf nackten Steinbänken, die Beine gekreuzt. Schreibarbeiten übernehmen auf dem Boden sitzende Bedienstete, indem sie mit rot gefärbten Kupfernadeln Symbole auf Kitalhäute zeichnen. Der Versammlungsraum ist dreieckig: Jeder der drei Klans besetzt die Steinbänke einer Seite. In die Mitte dieses Dreiecks traten nun Se’en und Hamander. Aufgrund des unerwarteten Angriffs war kaum mehr als die Hälfte der Klanführer anwesend. Se’en präsentierte im Auftrag seines Laars eine Liste von Forderungen und dafür gewährte Fristen. Die Überschreitung jeder Frist hatte gezielte Angriffe zur Folge. Die Doppelwelt Kontan wurde mit Bromens Plan in ein strukturiertes Verfahren verwickelt, aus dem es keinen anderen Ausweg gab, als die Forderungen zu erfüllen:

[1]Die Preisgabe aller sprungfähigen Kriegsschiffe auf Fankontan und Serokontan innerhalb einer Stunde.

[2]Die Formulierung einer formellen Kapitulation beider Welten mit Entschuldigung gegenüber König Habun Illban Eto innerhalb einer weiteren Stunde.

[3]Reparaturzahlungen an Cantori und Endo im Umfang der Gesamtproduktivität des Systems von drei Jahren. Möglich ist, vorhandene Kriegsschiffe in Zahlung zu geben sowie der RHF Konzessionen zu überschreiben. Diese Liste muss nach insgesamt drei Stunden vorliegen.

Die Blicke der Maluken wurden düster. Gemäß Hamander Gira hatte Se’en Linnt Bromens Forderungen und Drohungen mit selbstsicherer Gelassenheit vorgetragen. Die Klanführer erhoben lautstark Einspruch: Sie wollten verhandeln und Punkte der gestellten Forderungen abändern. Zu guter Letzt flehten sie Se’en an, mehr Zeit zu bekommen. Auf all dies ging Se’en Linnt nicht ein, so wie Bromen Cossan es ihm aufgetragen hatte.

Punkt 1 der Forderung wurde nicht innerhalb einer Stunde erfüllt. Nach Ablauf der Frist erfolgte daher und in kurzer Folge der Beschuss zweier Kraftwerke nahe von Fan Re’uul. Die Flammen erhellten den Nachthimmel über der Hauptstadt deutlich sichtbar. 16 Minuten später hatten sich alle Kriegsschiffe ergeben. Punkt 2 wurde mit 17 Minuten Verspätung und nach dem Verlust von drei Industrieanlagen eingehalten: Die Kapitulation mit Entschuldigung wurde als Depesche Bromen übersandt. Punkt 3 schließlich wurde pünktlich und ohne den angedrohten Beschuss der Hauptstadt erfüllt.

Aus meiner Beurteilung war das militärische Vorgehen schlüssig. Es ist klar, dass zwei Kreuzer der Sarrakadan-Klasse in der Lage sind, von zwei entgegengesetzten Positionen aus einen unzureichend geschützten Planeten vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Beschuss der Planetenoberfläche stellte keine militärische Herausforderung dar. Die wahre Taktik lag nicht in der physischen Intervention, sondern in Bromens Konditionen der Reparaturzahlung. Mit der Forderung der Produktionsleistung von drei Jahren war die Reparaturzahlung deutlich höher als vom König vorgesehen, und sie umfasste mehr, als Bromen der RHF versprochen hatte. Aufgrund des Zeitdrucks brachte das die Kontaner dazu, ihre verbleibenden Kriegsschiffe in Zahlung zu geben. Zum einen betraf dies Schiffe, die von Serokontan aus bereits die Flucht ergriffen hatten, sobald man vom Angriff auf Fankontan hörte. Zum anderen wurden auch Schiffe in Aussicht gestellt, die außerhalb des Kontan-Systems versteckt waren. Das ersparte der Flotte eine mühsame, vielleicht Jahre dauernde Verfolgungsjagd. Die Kontaner setzten alles daran, die Zahlung auf zwei Jahresproduktionen zu verringern. Die Reduktion auf eine Jahresproduktion schließlich wurde genehmigt, als die Kontaner einer ständigen Präsenz der RHF mit Einblick in alle Handelstransaktionen auf beiden Ringwelten zustimmten. Damit waren die Forderungen von Krone und Ringhandelsföderation erfüllt. Die Intervention war in weniger als einem Tag erfolgreich beendet. Das hätte den König und die Häuser von Cantori über alle Maßen erfreuen müssen. Doch darauf legte es Bromen nie an. Denn der von ihm tatsächlich angestrebte Plan war wesentlich umfangreicher.

Vielleicht bin ich die Einzige, die seinen nächsten Schritt gänzlich nachvollziehen kann: Nach der Betankung des Elementarantriebs und der Alinierung des Singularitätsgenerators ließ Bromen Rot-02 bei Kontan zurück. Gelb-07 dagegen nahm via Snrial, Nindoo-32 und -36 sowie das Doppelsternsystem Trimbal Kurs in Richtung der Drial-Vehazzi. Was Bromen vorhatte, war durch keinen Befehl gestützt.

Man mag im Rückblick einwenden, dass mit der folgenden Offensive der scheinbar gewonnene Schulterschluss zwischen Endo und Cantori verloren ging. Ich entgegne, dass wir die Alternative und deren Folgen nicht kennen: Die Ketten der Ereignisse in der äußeren Welt sind komplex verwoben. Ich gehe so weit zu sagen, dass in der langen Folge der Ereignisse vielleicht gerade der unautorisierte Angriff auf die Drial-Vehazzi schließlich zum Ring-Bund geführt haben könnte.

Aufzeichnungsfragment

[Transkription der Königlichen Flotte, Jahr 703]

Se’en Linnt | Dir ist klar, dass ich diesen Plan niemals gutheißen kann, Bromen.

Hamander Gira | Warum soll nur Kontan zur Rechenschaft gezogen werden, und nicht auch das Matriarchat, das bei Ronwal die Drahtzieher gestellt hat?

Se’en Linnt | Bromen hat gegenüber Cantori sein Wort gegeben, auf einen Angriff auf die Drial-Vehazzi zu verzichten.

Hamander Gira | Wir greifen das Matriarchat nicht direkt an.

Se’en Linnt | Und was soll das anderes sein als ein Angriff?

Hamander Gira | Ein Vergeltungsschlag, der –

Se’en Linnt | [Unterbrechung] Hamander, was redest du da. Cantori wird das niemals hinnehmen, und das weißt du ganz genau. Allen voran das Haus Gira!

Hamander Gira | Dem Haus Gira würde es natürlich hervorragend passen, den Laar an der kurzen Leine zu halten, nachdem er brav die Handelsrechte auf Kontan beschafft hat. Erzähle mir nichts über mein Haus.

Se’en Linnt | Wenn das eine Loyalitätsdemonstration ist, Hamander, so finde ich sie lächerlich.

Hamander Gira | Du bildest dir wohl ein –

Bromen Cossan | [Unterbrechung] Hamander. [5 Sekunden Pause] Bitte lass mich mit dem Führungspentaar allein.

Hamander Gira | [2,5 Sekunden Pause] Ja, Laar. [Verlässt den Hologrammraum]

Bromen Cossan | Ich verstehe, dass du wütend bist, Se’en. Ich habe dich über meine Pläne im Unklaren gelassen.

Se’en Linnt | Darum geht es mir nicht, Bromen. Ich kann nicht einmal behaupten, dass ich gänzlich überrascht bin. Aber dein Plan einer Blockade wirkt auf mich in jeder Hinsicht fehlerhaft und gefährlich. Meine Güte, das muss dir doch selber klar sein: Wir handeln ohne Befehl des Königs, wir wenden uns gegen die RHF und wir provozieren die neben Endo und Cantori mächtigste Ringwelt.

Bromen Cossan | Eben deshalb brauche ich dich als Führungspentaar.

Se’en Linnt | Bromen, verstehst du denn nicht: Selbst wenn dein Plan funktioniert, werden sich alle gegen uns wenden. Was du da vorhast, bedeutet im besseren Fall, dass man uns wie einen Vrakaan jagen wird. Im schlechteren Fall führt es zum Krieg zwischen Endo und Cantori.

Bromen Cossan | Alles was du sagst, Se’en, ist nicht falsch. Aber du siehst noch nicht weit genug. Es ist meine Absicht, im Ring etwas in Bewegung zu bringen. Willst du denn nicht meine Begründungen hören, bevor du mich kritisierst?

Se’en Linnt | [5 Sekunden Pause] Also gut. Gut … [3,5 Sekunden Pause] Erkläre es mir.

♦ Habun Illban Ja’en | Seine weiteren Pläne hatte sich Bromen offenbar schon lange zurechtgelegt: Er wollte nicht in erster Linie die Drial-Vehazzi ungestraft davonkommen lassen (wie Hamander vermutete); er wollte vielmehr die politisch wie wirtschaftlich kontrollierten Ränkespiele aus der Balance bringen. Die Abmachung mit Cantori war zwar nicht ganz eindeutig – zugegeben – ob nämlich der Verzicht eines direkten Angriffs auf die Drial-Vehazzi auch einen indirekten auf ihre wichtigste Handelsstationen Basteron ausschloss. In jedem Fall lag dafür keinerlei Befehl des Königs vor. Wie weit Bromen plante und was er von dem voraussah, was er »in Bewegung« brachte, wissen wir nicht. Doch mit dem, was nun folgte, wurde Gelb-07 im ganzen Ring bekannt und Bromen Cossan zum wichtigsten Akteur. Noch im Orbit von Fankontan informierte er seine Pentaare Hamander Gira und Se’en Linnt über sein Vorhaben – und beide folgten ihm. Ich habe lange nach einem formellen Protest gesucht und keinen gefunden. Bromen setzte auch für die Flottenleitung eine Depesche ab, die von Königlichen Kurieren via Sanderwel und Cantori nach Endo überführt wurden (eine elektromagnetische Sendung hätte für diesen Weg über 20 Jahre benötigt). Er wartete nicht auf Antwort.

Bromen wusste, dass ein direkter Angriff auf die Welt der mächtigen Drial-Vehazzi mit nur einem Endo-Kreuzer ein wenig aussichtsreiches Unterfangen wäre. Die Matriarchate der Vehazzi hatten (auch schon vor der Führung durch Zenotron A’zoli) ein anderes Format als die Kontaner. Außerdem – das scheint mir wesentlich – hatte Bromen auf Cantori persönlich zugesichert, von einem direkten Angriff auf Drial abzusehen. In allen Ereignissen, die ich über die Jahrzehnte hinweg studiert habe, hat er stets Wort gehalten.

Das Drial-System verfügt über zwei Zugangsrouten, zum einen in Richtung Talkahalas (über die Versorgungsstationen bei Sip-21 mit seinen glühenden Coriolisstürmen sowie das eisige System Vilmar), zum anderen in Richtung Snrial, Ronwal und Cantori – auf diesem Weg befand sich die Station Bas-Bas über dem wasserstoffhaltigen Basteron. Gewiss ist es möglich, Drial auch auf anderen Wegen anzusteuern, so man den dafür nötigen Wasserstoff mittransportiert und die Sprunggeneratoren ohne Hilfe realinieren kann. Für die Mehrheit der Frachtschiffe war dies unmöglich; somit war für Bromen naheliegend, die Station Bas-Bas buchstäblich aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei wollte Bromen die Frachter nicht kapern, sondern lediglich blockieren. Er beauftragte seinen Führungspentaar mit der Ausarbeitung einer umfassenden Logistik zur lokalen Versorgung der zunehmenden Anzahl von Handelsschiffen. Denn er legte es von Beginn weg darauf an, dieses Manöver länger als ein paar Tage durchzuhalten.

Aufgrund der Distanzen im Ring verstrich einige Zeit, bis wichtige Exponenten realisierten, was vor sich ging. Wesentlich war, dass nicht nur der Handel nach Drial abgeschnitten war, sondern auch ein Großteil des Verkehrs zum fernen Talkahalas, der wichtigsten Rohstoffquelle der RHF. In den Informationssphären der Ringwelten kursierten bald Gerüchte, wonach ein Laar der Königlichen Flotte selber zum Vrakaan geworden war. Und in gewisser Weise war Broman Cossan das ja auch.

• Shikani, Tochter der Senjasantii | Das System Basteron umfasst einen roten Riesen als Zentralgestirn. Der neunte Planet orbitiert am äußeren Rand des Systems, doch seine Oberflächentemperatur liegt noch immer 220 Grad über dem Gefrierpunkt von Wasser. Es gibt reiche Wasserstoffvorkommen, mit einiger Gewissheit die Überreste verdampfter Ozeane. Dies hatte zum Bau der Station Bas-Bas geführt, einer mittleren kolonialen Niederlassung im Orbit von Basteron. Ein unterlichtschnelles endoisches Generationenschiff war hier zunächst vorübergehend gestrandet. Die Kolonisten konnten sich auf kein weiteres Flugziel einigen, da das System Drial bereits von den Vehazzi besiedelt worden war. Daraufhin hatten die Kolonisten beschlossen, sich dauerhaft niederzulassen. Die weitläufige, asymmetrische Station soll bis heute noch Teile des alten Generationenschiffs beinhalten, um das die Station um das Jahr 478 herum errichtet worden war. Auch Bas-Bas hatte seinen wirtschaftlichen Aufschwung mit der Entdeckung des Sprungantriebs erfahren. Die Station wurde in ihrer Größe mehr als verfünffacht. Bereits vor dem Jahr 700 der Königlichen Zeitrechnung passierten jährlich zwischen 1000 und 1500 Frachtschiffe diesen Ort. An gewissen Tagen kreuzten sich zehn Händler gleichzeitig und mussten innert weniger Stunden betankt und aliniert werden. Auf der Station lebten im Jahr 704 nach Schätzungen der RHF 4000 Endoer permanent. Sie arbeiteten in den Docks, als Singularitätstechniker oder in den verschiedenen Wasserstoff-Raffinerien in der Stratosphäre des Gasriesen. Bas-Bas war eine chaotische, schmutzige und nach unklaren Prinzipien gestaltete, jedoch durchaus funktionale Anlage. Sie markierte die Hauptschlagader zur Welt der Drial-Vehazzi. Die Vehazzi ließen die Basteronen gewähren, da sie auf deren anstrengende Arbeit und ein Leben in permanenter Schwerelosigkeit verzichten konnten.

Am Tag 24 des Jahres 704 erreichte Gelb-07 Basteron und verlangsamte seine Fahrt nach dem Sprung in einer weiten, parabolischen Bahn hin zur Station. Die Ankunft des Kreuzers war nicht angemeldet worden. Sein Erscheinen war allerdings nichts Ungewöhnliches: Auf den Patrouillenfahrten nach Talkahalas war Basteron ein regelmäßiges Zwischenziel der Kriegsschiffe von Endo. Bromen parkte sein Schiff nach kurzer Einweisung nahe von Bas-Bas unbehelligt in einem parallelen Orbit. Seine darauffolgende Mitteilung an die Leitstelle der Station dürfte dagegen für Irritation gesorgt haben: Bromen Cossan, Laar in der Königlichen Flotte von Endo, übernimmt per sofort die Leitung aller Aktivitäten im System Basteron. Detaillierte Anweisungen werden folgen. Dies war der Beginn der insgesamt 299 Tage andauernden Blockade von Basteron.

♦ Habun Illban Ja’en | Bromen stellte keine Forderungen, weder an die Basteronen noch die Drial-Vehazzi. Er äußerte überhaupt keine Gründe für sein Unterfangen. Gelb-07 übernahm die Kontrolle des Schiffsverkehrs um die Station herum. Bromen besetzte also keineswegs die weitläufige Station – wie teilweise fälschlich berichtet wurde – das wäre mit seiner kleinen Besatzung gar nicht möglich gewesen. Vielmehr ließ er lediglich alle Verkehrsdaten auf das Hologramm seines Führungspentaars Se’en Linnt übertragen, der sämtliche Fahrbewegungen fortan streng kontrollierte.

Bromen packte sein Vorhaben methodisch, taktisch brillant und erstaunlich gelassen an. Frachter, die am Tag seiner Ankunft bereits Kurs nach Drial oder Snrial gesetzt hatten, ließ er ziehen. Er setzte dann eine durchdachte Prozedur in Gang, wie neu ankommende Schiffe in definierten Sektoren um die Station zu positionieren seien – und übergab diese Aufgabe der Leitstelle der Basteronen. Die Besatzungen wurden jeweils mit kleinen Fährschiffen eine nach der anderen auf die Station gebracht und dort einquartiert. Fraglos konnte Bromen Cossan all dies nur mit Gewaltandrohung durchsetzen. Dies schlug jedoch aus zwei Gründen keine großen Wellen: Zum einen hatten weder die Station noch die einzelnen Frachtschiffe der militärischen Schlagkraft eines Endo-Kreuzers etwas entgegenzusetzen. Zum anderen rechneten die Basteronen fest mit einer baldigen Intervention der Drial-Vehazzi – und hatten recht damit. Bemerkenswert ist zudem, dass Bromen im Verlauf seiner Blockade einige Schiffe durchaus passieren ließ, dreimal einen Transporter mit medizinischen Gütern, einmal ein Schiff mit lebenden Tieren auf dem Weg nach Drial; und einmal ein Schiff der Senjasantii, die Windhauch, dem er ohne weitere Interaktion den Vorbeiflug an der Station gestattete.

Bromens Taktikpentaar Hamander Gira erhielt den Auftrag, in den ersten 72 Stunden zwei konzentrische Sensornetze im Abstand von 10 000 und 40 000 Kilometern um die Station zu errichten. Dafür ließ Hamander über 100 Sensorbojen aussetzen, konfigurierte diese mit dem Hauptsystem des Schiffs und erstellte eine dreidimensionale holografische Darstellung. Parallel ließ Bromen Hamander im äußeren Netz insgesamt 40 Raketen systematisch im schwerelosen Raum verteilen – ein Vorgehen, das als Basteron-Netz in die Geschichte einging. Das war insgesamt eine Aufgabe nach Hamanders Geschmack, auch wenn sie und die Besatzung kaum Schlaf fanden.

Se’en Linnt und sein Stab waren in den ersten Stunden der Blockade vollends mit der Aufgabe beschäftigt, der Leitstelle der Basteronen Anweisungen zu erteilen. Er musste mit aller Überzeugungskraft Bromens Reglement durchsetzen; dazu gehörte auch, dass jeglicher Funkverkehr strikt untersagt wurde, der nicht direkt an Gelb-07 gerichtet war. Bromens Vorgaben führten zu Beginn der Blockade zu einer Reihe von kurzen Interventionen, wenn ein Frachter nicht spurte, Funksignale unerlaubt gesendet wurden oder die Leitstelle mit neuen Vorgaben überfordert war. Es spricht für die in hohem Maße eingespielte Besatzung von Gelb-07, dass Bromens Plan in kurzer Zeit verwirklicht wurde. Das Bild, das sich nach wenigen Tagen abzeichnete, musste atemberaubend ausgesehen haben. Im Zentrum lag die unförmig zusammengefügte Station wie ein düsteres Urzeitwesen über dem schwachen Glühen des Horizonts von Basteron, umrahmt von geparkten interstellaren Frachtschiffen, die wie Treibholz um den bläulichen Gasplaneten orbitierten; der scheinbar winzige Endo-Kreuzer patrouillierte nahezu unsichtbar den langen Reihen der Handelsschiffe entlang, um in regelmäßigen Abständen einem Neuankömmling entgegenzueilen und ihn in Gewahrsam zu nehmen.

Die erste interstellare Reaktion auf Bromens Blockade erfolgte am Tag sechs der Blockade, und zwar in der Gestalt zweier Drial-Vehazzi-Kriegsschiffe.

• Shikani, Tochter der Senjasantii | 131 Stunden nach dem Beginn der Blockade erreichten zwei schwere Kriegsschiffe der Vehazzi Basteron. Die Meldung der ungewöhnlichen Aggression war von den letzten abreisenden Frachtschiffen gemeldet worden. Hamanders Sensornetz entdeckte die Schiffe innerhalb von 21 Sekunden. Die beiden hatten ihren interstellaren Sprung beendet und verschafften sich einen Überblick. Ihre Geräte mussten die intakte Station Bas-Bas und die inzwischen 34 geparkten Frachtschiffe ausgemacht haben. Den Endo-Kreuzer konnten sie nicht entdecken. Noch während die Drial-Vehazzi-Schiffe die Verzögerung ihrer Sprunggeschwindigkeit einleiteten, beschleunigte Gelb-07 weg von Bas-Bas in einen hohen Orbit um den glühenden Planeten Basteron. Bromens Plan sah vor, vorerst unentdeckt zu bleiben, um dann einen Überraschungsangriff mit hoher Geschwindigkeit zu lancieren: Keines der Kriegsschiffe durfte entkommen, wenn die Information über das Basteron-Netz geheim bleiben sollte. 6312 Sekunden später passierten die Drial-Vehazzi eine zuvor positionierte Rakete, die Hamander ferngesteuert startete. Das Geschoss beschleunigte mit 314 Metern pro Sekunde im Quadrat und erreichte sein Ziel in weniger als 5,3 Sekunden. Dies verunmöglichte jede Abwehrreaktion. Das getroffene Schiff wurde vollständig vernichtet. Gelb-07 beendete zeitgleich die Umrundung von Basteron mit einer Endgeschwindigkeit von 211 Kilometern pro Sekunde. Sofort wechselten die überlebenden Kriegerinnen von Drial von Verzögerung auf Beschleunigung und drehten ab in Richtung nördliche Hemisphäre. Aufgrund des gegenläufigen Kurses verringerten die beiden Kontrahenten ihren Abstand sprunghaft. Die abgefeuerten Raketen der Drial-Vehazzi verfingen sich in Hamanders defensiven Lasern. Die Vehazzi hatten offenbar Probleme mit einer klaren Zielerfassung, da der Endo-Kreuzer vom Strahlungsfeld des Planeten und den geparkten Frachtern nicht eindeutig unterschieden werden konnte. In der Zielerfassung von Gelb-07 zeigte sich jedoch das Vrakaan-Schiff als deutlicher Punkt vor dem Hintergrund der schwarzen Unendlichkeit. Das Sensornetz leitete Bromens Raketen zielsicher: Sie schlugen ein, kurz bevor die Drial-Vehazzi erneut auf Sprunggeschwindigkeit kommen konnten.

Es folgte eine zweite Erkundung am Tag 18 der Blockade, die ähnlich verlief. Gelb-07 überwältigte die Vehazzi-Schiffe, bevor diese vollends wussten, was vor sich ging. Ohne klare Rückmeldung ihrer Schiffe und Kenntnis über deren Verbleib gaben die Vehazzi vorerst auf. Am Tag 34 und am Tag 46 trafen zudem zwei Erkundungsschiffe von Cantori ein. Da diese jedoch unbewaffnet waren, wurden sie von Se’en Linnt im System geparkt wie alle anderen eintreffenden Frachtschiffe. Nachdem die Situation stabilisiert worden war und Basteron sich Bromens Regime uneingeschränkt untergeordnet hatte, beauftragte der Laar Se’en Linnt damit, drei Nahrungsmitteltransporter zu entladen, damit die Station und deren Bewohner versorgt werden konnten. Täglich trafen weitere Frachter ein, insgesamt 693. Am Tag 99 erkundigte zudem die Windhauch Basteron und die weitläufig aufgereihten Frachtschiffe. Die darauffolgenden 200 Tage verliefen zunehmend ruhig, da immer weniger Schiffe eintrafen.

♦ Habun Illban Ja’en | Während Bromen die Situation über Basteron vollständig kontrollierte, geriet der Ring aus den Fugen. In meinen Nachforschungen habe ich insgesamt 67 offizielle Schreiben der RHF an den König gefunden; die Tonalität begann mit ungläubigem Erstaunen, kippte jedoch rasch in unverhohlene Schuldzuweisungen und Drohungen. Wir wissen, dass die Vehazzi Bromen Cossan nicht vertreiben konnten und dass alle Erkundungs- und Vermittlungsversuche von Cantori ebenso wirkungslos blieben. Die Route via Basteron war und blieb blockiert. Doch warum wurden keine Endo-Kreuzer entsandt? Der Grund dafür wurde geheim gehalten; doch es gibt starke Indizien, dass der König es nicht wollte. Zwar litt auch Endo unter der beträchtlichen Einschränkung des Handels, jedoch weit weniger als Cantori, deren Häuser zunehmend über drohende Verluste und immense Versicherungszahlungen klagten. Mein Großvater – so vermute ich – reagierte nicht, weil er Bromens Cossans Aktion im Stillen guthieß, vielleicht sogar heimlich mit Stolz begrüßte. Endlich jemand, der Cantori in die Schranken wies.

Bromens Depesche an den König, die er noch von Kontan aus gesendet hatte, konnte ich nicht finden. Ziemlich sicher ist jedoch, dass Bromen darin seine Absicht eines indirekten Angriffs auf das Matriarchat der Drial-Vehazzi angekündigt hatte. Weiter stelle ich mir vor, dass er dem König seine Treue versichert hatte; zum einen könne der Monarch ihn ächten und seine Verfolgung anordnen, schließlich habe er, Bromen, nicht auf Königlichen Befehl gehandelt; zum anderen könne seine Königliche Hoheit jederzeit einen Kreuzer entsenden, um ihn abzuberufen und die Blockade zu beenden.

Nach immer lauteren Protesten der RHF und immer häufigeren Forderungen, König Eto möge dem marodierenden Kreuzer endlich den Garaus machen und die Flotte entsenden, hatte mein Großvater ein Einsehen. Er entsandte keinen Kampfverband, sondern nur einen einzelnen Endo-Kreuzer nach Basteron. Am Tag 299 der Blockade, am Ende des Jahres 704, traf Indigo-05 unter Befehl von Siwe Malaka über Basteron ein. Siwe war nach dem Tod von Renta Jaro der dienstälteste Laar; aus seinem Respekt für den nur halb so alten Bromen Cossan hatte er nie einen Hehl gemacht. Der Kreuzer sprang hoch über der Ekliptik und mit großer Distanz zu Basteron in den Normalraum. Noch vor dem Beginn der Verzögerung übermittelte er seinen Auftrag an Gelb-07:

Königliche Depesche übermittelt von Ihrer Majestät Kreuzer Indigo-05 – Empfangsdestination Gelb-07 unter Bromen Cossan – Befehl zur sofortigen Beendigung aller Blockadeaktivitäten – Mit respektvoller Bitte um Bestätigung.

Diese Botschaft entspricht dem Standard mit Sender, Empfänger, Botschaft und erwünschtem Bestätigungsformat; doch die Wortwahl des letzten Elements, die »respektvolle Bitte«, ist ungewöhnlich. Ich vermute, dass die meisten Gelehrten lange übersehen haben, was sich schon zu diesem Zeitpunkt in der Flotte ereignet hatte; Bromen war nicht nur ein Symbol für ein stolzes Endo, er war zur Leitfigur geworden. Mein Großvater hatte sich – so könnte man sagen – in dieser Situation selbst entmachtet. Denn nur auf den ersten Blick folgte Bromen dem Befehl des Königs; bei genauerer Betrachtung hatte er sich diesen Befehl selber so zurechtgelegt.

Bromen Cossan bestätigte Indigo-05 die Übermittlung der Nachricht. Die lange dauernde, zähe Blockade von Basteron endete in wenigen Stunden. Der Station Bas-Bas wurde die Befehlshoheit zurückgegeben, alle Sperrcodes wurden gelöscht, und innerhalb kurzer Zeit baute Gelb-07 das Netz und die stationierten Raketen ab – fast so, als habe man seit Wochen auf nichts anderes gewartet.

Während der Verkehr bei Basteron nur mühsam wieder in Gang kam (fast 700 Schiffe mussten betankt und auf Kurs gebracht werden), reiste Gelb-07 auf Geheiß des Königs nach Sarrakadan. Über diesen zweiten Besuch im Frühjahr 705 in der Königlichen Residenz – etwa ein Jahr vor meiner Geburt – ist nur wenig bekannt. Bromen Cossan wurde für seine illegitime Blockade formal (und folgenlos) gerügt. Zugleich wurde Se’en Linnt zum Laar in der Königlichen Flotte ernannt; der König übergab ihm den neu erstellten Kreuzer der Sarrakadan-Klasse Schwarz-04. Diese Ernennung, so berichtet das Protokoll, erfolgte auf Antrag und Vorschlag von Laar Bromen Cossan. Die beiden Laare blieben – so weist das Protokollbuch aus – insgesamt einen Monat als Gäste in der Residenz über den Lagunen.

Die Schwarze Harfe

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