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Die Geistherrscher

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Als Schwager Krzysztof und Schwester Barbara ihre ersten Schritte in der Sekte machten, war Jan schon eine wichtige Figur in dem Gotteshaus der Pfingstbewegung BGG. Im Laufe der Andacht lernten sie einander ganz schnell kennen und blieben in einem engen Kontakt. Jan war schon ein geübter Sektierer mit großer Erfahrung. Er führte eine Hausgebetsgruppe in Waiblingen in der Nähe von Stuttgart. Mit der Pfingstbewegung hatte er schon in Polen zu tun, aber er floh vor ihnen nach Deutschland. Das nutzte ihm aber kaum. Sie folgten ihm, wie die Windhunde nach dem Wildschwein. Er wurde erwischt und wieder getäuscht. Er erzählte, dass er sich dann gegen seine Bestimmung und die Quelle des Lebens gesträubt hatte. Er gab zu, dass er nicht wusste, was er dann gemacht hatte und dass die Pfingstler seine Brüder seien. Die Erzählungen von Jan trieben den schon verblendeten Frauen die Tränen in die Augen. Auch meine Schwester Barbara seufzte, als sie die diese Geschichten hörte.

Dann tauchte Krzysiek auf. Er spürte einen missionarischen Drang zu evangelisieren und die Wahrheit Gottes zu verkünden. Das war derselbe Kerl, der versuchte, meine Stimme bei den Wahlen des Anführers mit Alkohol zu erkaufen. Barbara und mein Schwager befanden sich im siebenten Himmel, luden Krzysiek und Jan mit ihren Frauen nach Hause ein und behandelten die Gäste, als ob sie zu ihrer Familie gehört hätten. Es war für sie nicht von Belang, dass sie diese Leute vor einer Weile kennenlernten, weil man den Brüdern und Schwestern aus der Pfingstgemeinde grenzenlos glauben konnte. Diese Begegnung war ein Meilenstein für die Entwicklung der polnischen Pfingstgruppe in Stuttgart und sorgte dafür, dass die in Stuttgart wohnhaften Polen aus der Pfingstbewegung nun eine Gemeinschaft bilden konnten. Wie sich später herausstellte, war dies die einzige Gruppe dieser Art. Es gibt viele Gründe dafür, dass keine weiteren Gruppen entstanden. Man konnte viel darüber erzählen. Es lang unter anderen daran, dass die Gurus wahnsinnig danach strebten das Denken von anderen Mitgliedern unter Kontrolle zu bekommen. Das nennt man eine geistige Manipulation.

Jan und Krzysztof kämpften miteinander um den Posten des ersten Anführers der Gruppe. Mit geschlossenen Augen und erhobenen Händen entfalteten sie abwechselnd die unglaublichen Visionen von Erlösung des Menschen und Besiegung des Teufels. Ich überlegte, mit was für Leuten ich zu tun hatte. Ich dachte mir: „Sie gehören in die Psychiatrie, und zwar in eine geschlossene Abteilung und sind gar nicht für die Verkündung des Evangeliums geeignet!“ Meine Geschwister aber waren anderer Meinung. Sie waren sehr bemüht die angeblich verlorenen Katholiken zu bekehren. Sie wurden von den demagogischen Gangstern dieser Art geführt. In der Wohnung von meiner Familie ging es nun lebhaft zu. Viele Polen kamen zu Besuch, um die Langeweile zu vertreiben, etwas zu plaudern und aus purer Neugier zu hören, was dort über Gott und Erlösung unterrichtet wurde. Ich tat dies ebenfalls und merkte mir alle Informationen, die mir in meinem Weg aus der Alkoholsucht helfen konnten. Das war mir am wichtigsten. Obwohl ich mich vor den verblendeten, hochmutigen und alleswissenden Sektierern unglaublich ekelte, hörte ich demütig ihre Ausführungen, um etwas davon für mich mitzubekommen. Mir ging es darum, mein Leben, das zu entgleisen drohte, zu verbessern. Diese Taktik von mir erwies sich später als sehr kostspielig und riskant. Dennoch bekam ich gerade unter den Pfingstlern ein richtiges Interesse für Gott und die Bibel.

Unter den Pfingstlern gab es tatsächlich Menschen, die von der Alkoholsucht befreit wurden. Auch wenn ich ihre Lehre für verrückt hielt, war ich bereit, sie zu akzeptieren, nur um die Freiheit von dem Fluch des Alkohols zu erlangen. Zu jener Zeit trank ich nicht viel und nahm selten an den Trinkgelagen teil. Das war der Fall, wenn das Problem in mir zum Vorschein kam. Ich verlor die Kontrolle über mich selbst. Das war für mich der größte Grund zur Sorge. Die „geistlich Aufgeklärten“ erläuterten uns, dass man auf das eigene „Ich“ vollständig verzichten sollte, damit der Heilige Geist zu uns kommen und ein Wunder der Heilung wirken würde. Allerdings konnten sie dieser wundervollen Wirkung nicht auf den Grund gehen. Sie ließen uns demütig auf die Gnade Gottes warten. Da ich schon begriff, wie schwer es war die Sucht mit eigenen Kräften zu bekämpfen, lernte ich, blind auf Gott zu vertrauen und wartete auf das Wunder. Auch wenn sich mein Gewissen dagegen auflehnte, wollte ich diese neue Taktik ausprobieren. Die Wunder folgten aber nicht. Allmählich fing ich an, diese Lösung zu anzuzweifeln. Auch meine Willenskraft wurde immer schwächer, obwohl sie zu jenem Zeitpunkt noch etwas zu sagen hatte. Hätte ich alle meine Kräfte mobilisiert und mir Rat von Experten in puncto Abstinenz geholt, hätte ich mich vielleicht von der Alkoholabhängigkeit befreien können. Ich aber schlug einen anderen Weg ein. Ich ließ mich von der neuen Lehre inspirieren und verzichtete dadurch auf meinen natürlichen Schutz und die Willenskraft, die noch ganz stark war. Ich ließ die Scharlatane die Kontrolle über mich übernehmen. Mir war natürlich nicht bewusst, dass ich so etwas tat. Ich verließ mich auch auf meine Schwester und meinen Schwager, weil sie mir aus ganzem Herzen helfen wollten. Ich glaube jedoch, dass es ihnen mehr darum ging, mich zu ihrer Gruppe anzuwerben. Sie versuchten mich zu verführen. Ihre angeblich gutgemeinten Absichten mir gegenüber führten zur Tragödie. Sie selbst fielen diesen destruktiven spirituellen Kräften zum Opfer, was ich bisher nicht nachvollziehen kann.

Zu jener Zeit schlug ich die Bibel manchmal wahllos auf, um etwas davon zu lesen. Ein paar Mal öffnete sich das Buch auf dem Psalm 42. Das gab mir zu denken, weil ich merkte, dass das kein Zufall sein konnte. Anscheinend wollte mir die Vorsehung Gottes dadurch zeigen, dass mir noch ein langer, beschwerlicher Weg zur göttlichen Wahrheit bevorstand – und vielleicht auch, dass mich Gott am Ende des Tages erhören würde. Ich stellte mir nur die Frage: „Wann eigentlich?“

Dieser tragische Krieg brach in mir 1995 aus. Ein Jahr später, als ich einen Schimmer der Neugeburt im Geist erlebte, war ich froh, dass ich schon über diese dramatische Lage hinweg war. Meine Freude war aber frühzeitig. Die richtige Schlacht war nicht vorbei. Sie fing gar noch nicht an. Bisher war das nur ein Vorspiel davon, was auf mich zukommen sollte. Der regelrechte Kampf stand noch vor mir. In meinen privaten Krieg sollten sich auch die weltlichen und himmlischen Interventionsarmeen einmischen. Dieser Schicksalssturm dauerte bis Anfang Juni 2007 an. Dann passierte etwas Unglaubliches: Alle Angriffe gegen mich wurden eingestellt. Ich konnte endlich aus voller Brust atmen.

Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen? Tränen waren mein Brot bei Tag und bei Nacht; denn man sagt zu mir den ganzen Tag: «Wo ist nun dein Gott?» Das Herz geht mir über, wenn ich daran denke: wie ich zum Haus Gottes zog in festlicher Schar, mit Jubel und Dank in feiernder Menge. Meine Seele, warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue. Betrübt ist meine Seele in mir, darum denke ich an dich im Jordanland, am Hermon, am Mizar-Berg. Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser, all deine Wellen und Wogen gehen über mich hin. Bei Tag schenke der Herr seine Huld; ich singe ihm nachts und flehe zum Gott meines Lebens. Ich sage zu Gott, meinem Fels: «Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich trauernd umhergehen, von meinem Feind bedrängt?» Wie ein Stechen in meinen Gliedern ist für mich der Hohn der Bedränger; denn sie rufen mir ständig zu: «Wo ist nun dein Gott?» Meine Seele, warum bist du betrübt und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue

(Psalm 42:2-12; Einheitsübersetzung).

Durch die Hölle in die Freiheit

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