Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 47
Den Dieben auf der Spur
ОглавлениеIn demselben Halbjahr zweimal den Pass zu verlieren ist schon eine tragische Erfahrung. Das zweite Mal war für mich mit Abstand schlimmer, weil es außerhalb Deutschlands passierte. Daher konnte ich in die Arbeit nicht zurückkehren und demzufolge meinen Job verlieren. Dieses traurige Abenteuer wiederfuhr mich im Dezember 1995 in Polen und zwar in meiner Heimatsstadt Zwoleń. Ich habe mich in einer Kneipe ordentlich besoffen. Nachdem ich das Lokal verlassen habe, wurde ich angegriffen, brutal verprügelt und beraubt. Der Verlust von dem Pass war mir besonders peinlich, weil er mich den Rückweg nach Deutschland verbaut hat.
1996 sollte ich das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland gewährt bekommen. Die Voraussetzung war aber, dass ich die Bescheinigung von meinem Arbeitgeber hole, dass ich mindestens ein Jahr lang in diesem Unternehmen tätig bin, und dass die Perspektive meiner weiteren Beschäftigung in diesem Betrieb auf keinem Fall bedroht bzw. eingeschränkt ist. Hätte ich die Arbeit direkt nach dem Urlaub nicht aufgenommen, hätte ich nicht nur die erforderliche Bescheinigung nicht erhalten (was meine Pläne vereiteln würde), sondern ich würde schlichtweg entlassen. Daraufhin entschied ich mich dafür, den Pass um jeden Preis zurück zu bekommen. Die Suche begann im großen Stil – sowohl mit der Unterstützung der Polizei, als auch mit etwas ungewöhnlichen Methoden. Die mit Fertigung eines neuen Passes verbundenen Formalitäten hätten allzu lange gedauert – und die Zeit war knapp.
In meinen entschlossenen Bemühungen kam mir überraschenderweise ein Mann zur Hilfe, der ich nachfolgend Walter nenne. Er war mit der Unterwelt von Zwoleń gut vertraut. Sowohl die Kriminellen als auch selbst die Polizei hatten Respekt vor ihm. Ich zeigte ihm die Kneipe, wo ich feierte und beschrieb die Leute, die dabei waren und mitgetrunken haben. Er hat plötzlich seine Hilfsbereitschaft bei der Recherche erklärt und konkrete Schritte unternommen, um die Diebe zu finden. Dass gerade Walter – eine Legende dieser Stadt – mich unterstützt hat, hat einen dunklen Schatten auf Zwoleń geworfen. Walter war nämlich bekannt für seine außergewöhnlichen und effektiven Fahndungsmethoden. Seine Mitwirkung hat die lokalen Strafverfolgungsbehörden motiviert und in Bereitschaft versetzt. Die Polizei sah sich nun gezwungen, meine Ermittlungsmaßnahmen zu unterstützen. Sie hatten nämlich Angst vor dem unnötigen Blutbad, zu dem es kommen könnte, wenn sie nicht mitmachen würden. Mein trauriges Abenteuer wurde allgemein bekannt. Hier und da konnte man erfahren, dass ein Tourist aus Deutschland angegriffen, brutal verprügelt und beklaut wurde. Die Polizei hat sich nach besten Kräften bemüht, die Täter zu ergreifen. Auch die lokale Staatsanwaltschaft wurde darauf aufmerksam, weil ich zu ihrem Büro eingeladen wurde. Die Beamten haben versprochen, mich bei der Suche nach den Dieben zu helfen.
Ab dem Zeitpunkt, wenn ich diese räuberische Gewalttat bei der Polizei gemeldet habe, waren schon ein paar Tage her. Auf dem Busbahnhof traf ich zwei Polizisten, die mit dem Fall vertraut waren. Sie fragten danach, wie die Ermittlungen verlaufen. Da ich schon einige Flaschen Bier intus hatte, überzeugte mich ihre Frage noch mehr davon, dass ich endlich an meinen Pass kommen muss und zwar um jeden Preis. Ich antwortete den Funktionären, dass ich zwei deutsche Panzer-Divisionen von Waffen-SS hole und die Stadt dem Erdboden gleichmachen lasse, falls sich mein Pass nicht findet. Die Polizeibeamten standen wie angewurzelt und wurden blass vor Entsetzen. Eine, danebenstehende alte Frau, versuchte meine Wut zu lindern und sagte: „Lieber Herr, aber wir sind nicht verantwortlich für diese Gewalttat. Das haben die Banditen begangen“.
Was ich gesagt habe war eine riesige Entgleisung. Ich überlegte gar nicht, was ich eigentlich sage. Während des II Weltkriegs wurde Zwoleń nämlich von Luftwaffe heftig bombardiert. Wehrmacht hat dann viele unschuldige Einwohner erschossen. Wahrscheinlich hat meine Aussage der alten Frau die Kriegszeiten in Erinnerung gebracht, und deshalb nahm sie meine Äußerung ernst. Vielleicht auch die Polizisten selbst waren dieser Meinung, weil sie sich dann bei meinem Bruder Janusz beklagt haben, dass ich ein sehr gefährlicher Typ bin. Die Funktionäre waren mit ihm gut vertraut, weil er ihre Frauen als Schneiderinnen in seinem Betrieb beschäftigt hat. Direkt nach der Auseinandersetzung mit den Gesetzeshütern auf dem Bahnhof wurde ich zum Polizeirevier eingeladen und aufgefordert, keine „Verheerung“ bei den eigenständigen Ermittlungen einzurichten. Sie merkten, dass ich sehr entschlossen und für alles bereit war.
Ich musste etwas unternehmen. Ich hatte keine Zeit, auf die Wunder zu warten. Ich und Walter gingen ohne Ankündigung in die Kneipe, wo ich an jedem unglücklichen Abend gefeiert habe. Ich saß ruhig am Tisch und trank Bier während Walter, mein Privatdetektiv den Kneipenbesitzen verhörte und erkundigte sich danach, wer hinter dieser Tat stehen konnte. Anscheinend wollte das Gespräch nicht recht in Fluss kommen, weil mein Mitstreiter seinen Gesprächspartner mit seiner linken Hand plötzlich nach oben hob, wobei seine rechte Hand schlagbereit blieb. Endlich stellte er ein das letzte, aber endgültige Ultimatum: „Findet sich, sagen wir nur ein Pass binnen drei Tage nicht, so lasse ich die ukrainische Maffia deine Frau, Kinder und dich selbst vergewaltigen!“
Das Gesicht des Kneipenbesitzers wurde so blas, dass sie sich nun von der hellen Wand im Hintergrund kaum unterschied. Seine Pupillen, die sich plötzlich stark erweitert haben, erstarrten nun im tödlichen Entsetzen. Niemand in dem Lokal wagte, diese dramatische Szene von der Nähe zu betrachten. Er war gefährlich wie eine Peitsche – wie vielleicht niemand in Zwoleń. Er war der erste hier – schlicht ein gut gebildeter Haufen Fleisch. Alle Gäste schauten nur auf ihre Tische, wo sie tranken. Die in Zivil gekleideten Polizisten aus Radom waren auch dabei. Sie hingegen saßen voll beschäftigt an den Spielautomaten. Sie wollten nichts hören oder wissen, weil sie schon meinen Privatdetektiv allzu gut kannten. Ihre Berufskollegen aus Zwoleń haben schon einmal an eigenen Leib erfahren, über was für eine Macht dieser Kerl verfügt. In seiner Auseinandersetzung mit der Polizei flatterten ihre Mützen wie Schwalben und flogen ihre Kurzwellenfunkgeräte. Obwohl sie zu dritt waren, konnten sie gegen alleinstehenden Walter kaum etwas anfangen. Eine Tracht Prügel, die die einheimischen Funktionäre von ihm bekommen haben ist nicht in Vergessenheit geraten, sondern hat die ganze Umgebung in Schrecken versetzt. Die Erzählungen über ihn wurden zu einer lokalen Legende.
Als ich noch jung war, sah ich ihn manchmal im Einsatz auf den Dorfpartys. Er kämpfte wie ein Ritter, um den rüpelhaften Schlauköpfen anständiges Benehmen beizubringen. Für mich und viele andere, galt er damals als ein willkommener Gesetzeshüter. Nun, durch die Gnade Gottes, trat er als mein Verteidiger vor. Walter wirkte Wunder und erreichte mehr als die ganze lokale Polizei und Staatsanwaltschaft. Keine drei Tage sind verstrichen und der Pass hat sich gefunden. Ich war heilfroh, weil ich nun rechtzeitig nach Deutschland zurückkehren konnte um dort das Recht auf Daueraufenthalt zu erhalten. Ich lobte Gott und segnete Walter, weil ich fest davon überzeugt war, dass er das Werkzeug des Schöpfers war. Irgendwann in der Zukunft werde ich mich bei Walter bedanken – sobald ich ihn treffe. Bisher bot sich nämlich keine solche Gelegenheit. Ich habe ihn seitdem nie gesehen. Eine harte und sachliche Herangehensweise von Walter gegenüber dem Kneipenbesitzer war erfolgreich. Drei Tage lang war sein Lokal zu und er war damit völlig beschäftigt, nach meinem Pass zu suchen. Anscheinend waren für ihn die sexuellen Belustigungen mit der ukrainischen Mafia keine erfreuliche Perspektive.
Als ich schon zurück in Deutschland war, erfuhr ich, dass die Polizei in Zwoleń die Täter gefunden hat. Es waren die jugendlichen Banditen unter der Aufsicht des Pflegers. Ich konnte das Geld für die gestohlenen Sachen in Anspruch nehmen, aber dazu hätte ich zurück nach Polen fahren müssen, was sich für mich nicht lohnen würde, weil selbst die Reisekosten viel höher wären. Ich überlegte nur, wie ich die Räuber bestrafen konnte, aber letztendlich habe ich diese Absicht aufgegeben, weil die christliche Haltung, die in mir keimte, es nicht erlaubte, die Rache zu üben.