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Ein Schimmer der Neugeburt im Geist

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Im April 1996 habe ich mich einen Film über einen bekannten amerikanischen Heilpraktiker angeschaut. Der Film inspirierte mich dazu, sich mehr für die geistlichen Themen zu interessieren. Zwischen mich und meinen Geschwistern aus der Pfingstgemeinde blühte nun eine große Freundschaft, die weder früher noch später so schön aussah. An ihrer christlichen Haltung wollte ich nur das Gute sehen und versuchte, ihre Schattenseiten außer Acht zu lassen. Ich wurde darin sogar erfolgreich. Meine Neigungen zum Alkohol waren plötzlich weg. Ich trank gar nicht. Ich spürte die Erleichterung der Freiheit. Ich glaubte sogar daran, dass mich die Alkoholsucht in Ruhe gelassen hat. Mein Gesicht strahlte vor Licht und zog die Gleichgesinnten an, die nun das Gespräch mit mir suchten. Ich habe so viel Segen erfahren, dass alles, was ich mich vornahm, das gelang.

In jener Zeit habe ich mehrmals am Tag die Bibel gelesen und über die Liebe Gottes nachgesinnt. Ich habe dem Schöpfer für die Wunder gepriesen, die er in meinem Leben gewirkt hat. Ich habe regelmäßig an den Versammlungen von Christen in BGG teilgenommen. Meine Geschwister freuten sich sehr über meine Bekehrung, weil ich in meiner spirituellen Entwicklung einen Quantensprung gemacht habe. Ich habe sie sogar überholt. Ich habe mich von dem irdischen Leben fast komplett ausgeschaltet. Mein Alltag war fast ausschließlich durch Glauben und christliches Leben geprägt. Mein spirituelles Wachstum war beeindruckend. Ich muss zugeben, dass ich mich damals richtig wohl fühlte. Viele Leute, auch die Atheisten, haben meine geistliche Wandlung zu sehen bekommen. Der Geist Gottes wirkte in mich und lehrte mich. Ich war mit ihm auf derselben Wellenlänge, was mich noch mehr aufgemuntert hat.

Leider hat meine rapide spirituelle Entwicklung nicht allen „Brüdern und Schwestern im Herrn“ gefallen. Deshalb waren manche bemüht, mich daran zu hindern. Und sie haben es geschafft. Trotzdem ist es mir durch ihr Treiben wie Schuppen von den Augen gefallen. Die Sekte selbst sorgte dafür, dass ich von der Lethargie der Verführung eigenmächtig erwacht habe. Jan hat meine Bewerbung zur Bibelschule abgelehnt. Er führte die Hausgruppe und ich war ihm direkt unterstellt. Ich fand seine Entscheidung seltsam. Vielleicht hatte er Angst vor mir? Da er meine schnellen Fortschritte sah, konnte er vielleicht fürchten, dass ich für ihn die Gefahr darstellen konnte und gegen ihn um die Macht über den polnischen Schafen in Stuttgart kämpfen wollte? Ich hatte jedoch keine solche Absicht. Zumal habe ich ihm geholfen, Krzyś - seinen unheimlich abgehobenen Konkurrent im Kampf um die Führungsposition zu besiegen.

Es war einmal bei dem Haustreffen, dass ich Krzyś unabsichtlich provoziert habe, als er seine Predigt gehalten hat. Er brach in Wut aus. Eine Stunde lang hat er an uns seinen Unmut brüllend ausgelassen. Somit erregte er viel Schrecken und Anstoß. Er hat uns Gottlosigkeit vorgeworfen. Er meinte, wir seien halsstarrig wie die Israeliten, da wir seine erlösende Lehre nicht beherzigen wollen. Ich verhielt mich wie ein Held, weil ich am Anfang im Schweigen den Beschuss des Bösen mich treffen lassen. Als Krzyś seine Rede hielt, kämpfte ich innerlich mit mir selbst. Ich müsste mich richtig zügeln, um mit diesem Pastorkandidaten die Wand nicht zu tapezieren. Ich hatte richtig Lust daran. Ich schenkte mir das nur zum Wohl der Gemeinde und wegen der flehentlichen Blicke meiner Schwester Barbara. Sie zwinkerte mich vielsagend an, damit ich mit dem selbsternannten Guru keinen Krach mache. Das war schon ein Ende für Krzyś. Er blamierte sich gewaltig, weil er wie verrückt gebrüllt hat. Er hat sich mit allen entzweit und ist mit seiner Frau nach Berlin ausgewandert. Jan wurde dann zu einem unbestrittenen Leader. Allerdings waren auch seine Tage gerechnet, weil mein Schweiger schon dann von einer absoluten Macht träumte.

Der Mann meiner Schwester glaubte an seine eigenen Führungsfähigkeiten. Er war sehr ehrgeizig, auch wenn nicht besonders begabt. Er hatte jedoch eine Eigenschaft, die seine Mängel an Beredsamkeit ausgeglichen hat. Er behielt einen „zahnlosen“ Trumpf im Ärmel und zwar er was sehr aktiv und unterwürfig gegenüber seinen neuen geistlichen Vorgesetzten aus der BGG-Gemeinde. Man kann sogar feststellen, dass er der größte Lakai in der polnischen Religionsgemeinschaft war. Und gerade dieses Kriterium war nahezu ausschlaggebend bei den Rangeleien um die Macht über die polnische Sparte der Sekte. Die Führungsspitze der ganzen Gemeinde – das sogenannte Gospel Forum, hatte das Sagen darüber, wer an den Schalthebeln sitzt. Die außergewöhnlich Intelligenten waren an der Spitze nicht besonders gut gesehen. Deshalb war mein Schweiger für diese Funktion sehr gut geeignet. Noch bevor er an die Macht kam, war er in der polnischen Gruppe sehr aktiv. Er und meine Schwester zeigten sehr viel Engagement. Die angeblich professionellen Ratschläge, die sie gegeben haben brachten vielmehr verheerende als positive Folgen. Durch derartige „Unterstützung“, die die pfingstlichen Fachberater erteilt haben, haben sich die ganzen polnischen Familien in Stuttgart und der Umgebung zersplittert. Die von ihnen eifrig geübte „Familienberatung“ war wahrscheinlich der dunkelste Teil ihrer Evangelisation. Sie haben ihre Kompetenzen in psychologischer und spiritueller Hinsicht maßlos überschätzt. Bei ihrer missionarischen Seelsorge kam der Stolz zum Ausdruck, vor dem sie platzten, weil sie davon überzeugt waren, dass sie zu dieser Aufgabe von der Vorsehung Gottes berufen worden sind. Man konnte immer deutlicher spüren, wie sie die Gruppe gesteuert haben. Sie fühlten sich immer selbstbewusster in ihrer Rolle der „Auserwählten“.

Später führten die radikalen Evangelisationsmaßnahmen meiner Geschwister zur Spaltung in der Gruppe. Die neuen Mitglieder – Andrzej und Lucyna, sowie Jędrzej und Iza waren mit Abstand schlauer. Sie ließen die geistliche Tyrannei über sich nicht herrschen, wenn die Machthaber in dieser Funktion total fehl am Platz waren. Zunächst wurde ihnen klar, was sich eigentlich hinter den Kulissen abspielt. Nach der Spaltung in der Pfingstgemeinde von Stuttgart passierte etwas noch viel Schlimmeres, was ein richtiger Schock für die Sekte war. Andrzej, der für Musik verantwortlich war, und der zugleich als der aufgeklärteste Kopf in der Gemeinde galt, hat diese ganze Gesellschaft unerwartet verlassen, ohne sich zu verabschieden – und kehrte nach Polen zurück. Dies führte zur Spaltung seiner Ehe, weil sich seine Frau inzwischen auf die Seite der Sekte anlocken ließ. Ich habe diese junge, christliche Familie sehr hochgeschätzt und zutiefst bedauert, dass die Sekte zum Zerfall ihrer Familie beigetragen hat. Aus allen Pfingstlern in Stuttgart war mir diese Familie besonders nah.

Noch vor diesen düsteren Ereignissen schien alles erfolgreich zu laufen. Die neuen, aufgeklärteren und mit Abstand klügeren Einsteiger haben die seelsorgerischen Maßnahmen meines Schweigers aus ganzem Herzen unterstützt. Er sollte ein Pionier sein und die Polnische Christliche Gesellschaft in Stuttgart gründen. Und das war allen, in Stuttgart wohnhaften, polnischen Pfingstlern sehr wichtig. Als mein Schweiger an die Macht kommen wollte, war er in der Lage, die Herzen von anderen Pfingstlern für sich zu gewinnen. Seine schlauen Machenschaften führten dazu, dass er letztendlich die Oberhand über Jan gewann, der bis dato als der unbestrittene Guru von polnischer Gruppe in Stuttgart galt. Mein Schweiger wusste diese Überlegenheit auszunutzen. Zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt hat er einen perfekten Putsch durchgeführt und die ganze Macht lag nun in seinen „fettigen Pfoten“. Nicht allen polnischen Pfingstlern hat der neue Guru gefallen. Er entpuppte sich aber als ein vorausschauender Typ und noch im Vorfeld gewann er die Unterstützung und der Segen des leitenden deutschen Pastors der BGG-Gemeinde, deren Meinung niemand zu bestreiten wagte.

Um an der Macht zu bleiben, musste mein Schweiger ab und zu einem guten Beispiel geben. Da er nicht besonders beredt war, musste er auf die Maßnahmen etwas primitiverer Art zugreifen. Das hingegen gelang ihm problemlos, weil er ziemlich beleibt war. Seine Stärke war das Fasten – sowohl als Beispiel seiner Frömmigkeit, als auch ein Beweis für seine Strapazierfähigkeit. Mit diesen Praktiken versuchte er auch abzunehmen. Am Anfang war er daran sehr erfolgreich. Er war sogar in der Lage, 20 Tage lang nichts zu essen, und infolgedessen, 20 Kilo abzunehmen. Leider war dies nur ein Jo-Jo-Effekt. Als er wieder zu essen anfing, wog er nach einer Woche genauso viel, wie vor der Periode seiner angeblichen spirituellen Reinigung. Manchmal nahm er sogar noch etwas mehr zu. Einmal hat er sich dafür entschieden, einen, von Jesus auf der Judäischen Wüste gehaltenen Rekord im Fasten zu schlagen, d.h. über 40 Tage nichts zu essen. Als ich meine Befürchtungen äußerte und sagte, dass er doch eine Frau und Kinder habe, und dass sein Plan wahnsinnig und lebensgefährlich sei, antwortete er mir mit einem „geistlichen“ Lächeln, dass er weiß, was er tut, und dass ich mich keine Sorgen um ihn machen muss. Allerdings wurde ein neuer Rekord nicht geschlagen, weil sich dagegen seine Verwandten im Glauben, und insbesondere seine Frau eingesetzt haben. Sie wollte ihn nicht verlieren und waren freilich davon überzeugt, dass er diese Herausforderung nicht übersteht.

Manchmal war ich von ihm beeindruckt, weil er ganzen Haufen Essen auf einmal verdrücken konnte. Wenn er einen Wolfshunger bekam, konnte er sich nicht immer mäßigen. Ich kann mich noch erinnern, als er einmal zu viel Bigos gegessen hat (Traditionelles, polnisches Gericht. Ein Eintopf aus gedünstetem Sauerkraut mit verschiedenen Fleischsorten und anderen Zutaten), das Barbara zubereitet hat. Er lag auf den Rücken, zwischen zwei Betten, mit dem ausgezogenen Hals. Aus seinem Kopf, der zu keiner Bewegung fähig war, ragten die durchgeschwitzten, hervorstehenden Augen heraus. Nur seine Brust bewegte sich auf und ab, als er schwer atmete. Das sah wie die aufgewühlten Seewellen aus. Alle seine Körperorgane beanspruchten die ganze Energie von ihm. Um solche Unmengen an Essen zu verarbeiten, musste sein Körper eine riesengroße Leistung vollziehen. Wir haben uns um ihn große Sorgen gemacht, weil er gar keine Kraft dafür hatte, mit uns zu sprechen. Als wir schon bereit waren, den Krankenwagen zu holen, erhob er sich plötzlich, stellte auf die Beine und anfing, noch mehr Bigs zu verdrücken. Als Kazik (derselbe Kerl, der mit mir aus Polen kam, und dem ich in Hamburg geholfen und mitgenommen habe) das sah, äußerte sein Entsetzen mit folgenden Worten: „Wenn er nicht aufhört, so zu fressen, dann zerreißt eines Tages etwas in ihm“. Glücklicherweise blieb mein Schweiger gesund wie ein Fisch im Wasser. Und Kazik, der sich um ihn so fürsorglich gekümmert hat, ging inzwischen drauf, in Abrahams Schoß, weil er durch übermäßigen Alkoholkonsum seine Leber unwiederbringlich kaputt gemacht hat. Man konnte ihn schon nicht retten.

Während seiner regelmäßigen Fastenzeiten war mein Schweiger sogar in der Lage, einen Grill mit leckeren und verlockend riechenden Fleischsorten zu bedienen. Ihm lief kein Wasser im Mund zusammen. Er hat kein einziges Mal mit der Zunge geschnalzt. Er war ein richtig harter Typ. Diese unglaubliche Leistung von ihm verdient vielleicht, in das Guinness-Buch der Rekorde eingetragen zu werden. Er war dazu fähig, selbst seine eigene Natur zu verleugnen, den Versuchungen erfolgreich zu widerstehen und wusste seine Begierden unter schwierigsten Umständen zu zähmen. Solche Typen bekommt man richtig selten zu sehen. Er verfügte über ein riesiges Potential, das er leider nicht in die Richtung entwickelte, wo es nützlich in Anspruch genommen werden könnte. Schade, sonst hätte er viel Gutes für die Welt tun können. Stattdessen verschwendete er seine Ressourcen, indem er vergeblich versuchte, die Kariere in der Sekte zu machen. Und wer würde da sein Engagement erkennen?

Mir war aber nicht anderes so wichtig als die echte Wahrheit. Da ich dazu bestimmt war, war meine weitere spirituelle Entwicklung unter den Pfingstlern schon von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich konnte weder die Dummköpfe noch die Scharlatane unterstützen. Sonst hätte ich meinem Gewissen zuwidergehandelt. Deshalb wurde ich weniger aktiv. Die Meinungsunterschiede kamen immer wieder zum Vorschein. Dadurch habe ich mich von ihnen immer weiter distanziert. Bald sollte ich von der sektiererischen Lethargie erwachen, auf den Boden zurückkommen und zwar so drastisch, wie nie zuvor. Damals war ich geistlich so zersplittert, wie nie zuvor. 1996 fühlte ich mich unter den Pfingstlern fast wohl, aber dort auf Dauer zu bleiben konnte für mich katastrophale Folgen haben. Mein Scheitern auf ihren Entwicklungsweg war für mich in der Tat die Rettung.

Durch die Hölle in die Freiheit

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