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Brief über die Schulzeit
ОглавлениеFrankfurt am Main, 2. Oktober 2016
Lieber Papa,
gerade kommen Burkhard und ich vom Abendgottesdienst aus der Kirche Maria Hilf in unsere Wohnung zurück. Heute am Erntedanksonntag war sie besonders festlich mit Sonnenblumen, Dahlien, Glockenblumen und Beerensträuchern geschmückt. In Erinnerung an die vielen mit Kartoffeln, Bohnen, Karotten, Gurken und Kürbissen gefüllten Körbe vor dem Altar erzählte ich Burkhard von Deiner reichlichen Ernte im Herbst. Auf voll bepackten Handkarren brachtest Du freudestrahlend aus dem Schrebergarten vielerlei Früchte mit nach Hause. Dadurch muss ich an unsere winterlichen Karnaper Gärten denken und an die Schlüsselgeschichte. War es nicht an einem Oktoberabend, Papa, als Du völlig erschreckt feststelltest, dass einer unserer beiden Schlüsselbunde fehlte? Du verdächtigtest sofort uns Kinder, den Schlüssel verloren zu haben. Als ängstlicher Mann und noch dazu als Polizist stelltest Du Dir lautstark in unserem Beisein vor, wie leicht nun ein fremder Mann jederzeit bei uns einbrechen könne. So lebte jeder von uns wochenlang mit schlechtem Gewissen, den Schlüssel vielleicht wirklich verloren zu haben. Wegen Deiner Horrorvision ängstigte ich mich um unsere kleine, mir so vertraut gewordene Mietwohnung, die nun für jeden Dieb weit offenstünde. War es dann Januar oder Februar, als Du eines Tages mit verlegenem Gesicht und schlechtem Gewissen aus dem Schrebergarten nach Hause kamst? Reumütig sagtest Du uns, dass Du unseren zweiten Schlüsselbund wiedergefunden hattest. Er hing, wo Du ihn im Herbst hinterlassen hattest, an einem kahlen Ast des inzwischen blätterlos gewordenen Apfelbaumes. Es spricht für Dich, dass Du Dich bei uns Kindern entschuldigen konntest und trotz all Deiner cholerischen Anwandlungen nie nachtragend warst.
Deine cholerischen Anwandlungen konnte ich schnell wieder vergessen. Ich war auf Deine Anfrage, Dir bei einer Hausarbeit zu helfen, sofort dazu bereit, wohlwissend, dass ich es Dir, egal bei welcher Tätigkeit, nie recht machen konnte. Manchmal hast Du mich mit den Worten: »Du bist sowieso zu schwach auf der Brust!« entschuldigt. Säge ich heute ein kleines Brett, nicht selten schief, habe ich sofort Deine Stimme im Ohr: »Noch nicht mal die Säge kannst Du richtig halten!« Damals jedoch musstest Du mit mir Vorlieb nehmen, da sonst keiner im Karnaper Hause da war, den Du zur Mithilfe in den Hof hinunter hättest rufen können. Du hattest mal wieder viele schwere Eisenbahnschwellen aus Eichenholz kostenlos von der Zeche geliefert bekommen. Unser ganzer Hof roch durch die Gase der Schwellen nach Teer und Schwefel. Die schweren Schwellen hobst Du mit all Deiner erstaunlichen Körperkraft allein auf einen Holzbock. Ich brauchte nur die große Baumsäge am einen Ende zu halten, während Du sie mit aller Wucht hin und her zogst. Lauter dicke Holzscheiben entstanden so, die Du dann stundenlang mit der Axt zu Kleinholz verarbeitet hast. Ich schaute Dir bewundernd zu und blieb, Deiner Behauptung entsprechend, gerne schwach auf der Brust.
In meinen ersten Lebensjahren hatten wir zu Hause stets freundliche, kinderliebende Schweine, und schon als kleiner Junge konnte ich nicht ertragen zu hören, wenn der Schlachter kam und die Tiere, ihren bevorstehenden Tod ahnend, laut schrien. Ich versteckte mich im hintersten Zimmer der Wohnung und hielt mir die Ohren zu. Über die eingemachte »Fleischernte«, von der die Verwandten gläserweise beschenkt wurden, konnte ich mich mit Euch nicht freuen. Wie gingst Du, Papa, mit diesen zwei sich widersprechenden Haltungen in Dir um? Einmal die Tiere als Nutzvieh für unsere Ernährung zu betrachten und ein andermal als liebenswerte Lebewesen?
Dank Deiner Garten- und Tierpflege waren wir von Anfang an eine Selbstversorgerfamilie. Aus Sparsamkeitsgründen kauftest Du selten Futter für die Tiere. Mit der Straßenbahn schlepptest Du nach Deinem Polizeidienst in großen Eimern Essensreste aus dem Hotel »Handelshof« nach Hause. Deine Sparsamkeit selbst gegenüber den Tieren kannte allerdings ihre Grenze, wenn Du einen Sack Kleie oder Weizenkörner benötigt hast. Dann hast Du ihn gekauft oder noch lieber ihn Dir von uns zu Deinem Namenstag, Geburtstag oder sogar zu Weihnachten schenken lassen. Ich sehe noch Dein erfreutes Gesicht vor mir, wie Du, statt auf die Festtafel zu schauen, Deinen frohen Blick zuerst auf den Getreidesack unter Deinem Gabentisch richtetest. Dank der vielseitigen Ernährung blieben Deine Tiere gesund und gediehen prächtig. Deine Zuchterfolge mussten sich wohl herumgesprochen haben, denn an einem Freitag im Januar 1959 kam sogar ein Journalist von der Neuen Ruhr Zeitung, um Dich zu interviewen. Der fast ganzseitige Artikel mit einem sympathischen Foto von Dir hatte die Überschrift: Karnaper Polizeibeamter hütet am Abend den eigenen Kleintierzoo. Ein Züchter unter Tausenden mit seinen Sorgen und Freuden bei den Tieren.
In den acht Jahren Volksschule hatte ich weder ein Lieblingsfach noch lernte ich gerne. Eine helle Stimme dagegen, die fast atemlos immer wieder in den Pausen »Samuel« rief, faszinierte mich. Es war Joshua, einer der beiden Söhne des Lehrers Rosenberger. Den Anblick ihrer markanten Gesichtszüge, der dunkelblauen Augen, schwarzgelockten Haare und sportlichen Figuren genoss ich zwar damals sehr, wagte aber nicht, mit ihnen in Kontakt zu treten, da etwas Unausgesprochenes, Verbotenes zwischen uns stand. Meine Mitschüler trugen keine klassisch deutschen Namen und kamen, ganz im Sinne der Lehre von der »alleinseligmachenden Kirche«, nicht wie wir Katholiken in den Himmel. Ein volkstümliches Kirchenverständnis, das ich schon damals nicht glauben wollte. Erst später ist mir klar geworden, dass die attraktiv aussehenden Brüder auf mich, den blonden, Scheitelfrisur tragenden Jungen, erotisch wirkten. Wie ein inneres Selbstverbot hätte ich nicht gewagt, zu Hause über meine faszinierende Entdeckung der hellen Stimmen von Joshua und Samuel samt ihrem bildschönen Aussehen zu sprechen. Warum eigentlich nicht, Papa? Noch heute bin ich von orientalisch aussehenden, schwarzhaarigen Personen erotisierter als von blonden Männern. Nicht Skandinavien, sondern der Vordere Orient und Nordafrika wurden später meine bevorzugten Reiseziele.
Beim ersten Klassentreffen 1993, dreißig Jahre nach der Volkschulentlassung, trafen wir ehemaligen Schüler uns in der Gaststätte »Alt-Carnap«. Selbst mein inzwischen silberergrauter, hochbetagter Klassenlehrer Heinrich Schüssler freute sich an diesem Abend, von unseren Schulerlebnissen zu hören. Längst vergessene Abenteuer wie pubertäre Spiele unter der Dusche nach dem Turnen bekamen einen neuen Klang. Vor allem die Theaterstücke, die Fräulein Maria Storm mit uns einstudierte, waren lebhaftes Thema des Abends. Jeder/Jede wusste noch genau seine/ihre Rolle wieder aufleben zu lassen. Das Theaterspielen in der Volksschulzeit hat mir Spaß gemacht. Mit Vergnügen durfte ich in verschiedene Rollen schlüpfen, einmal als verzauberter »Zwerg Nase« im Märchen, dann als Maria beschützender Josef in einem Krippenspiel und schließlich als talentierter Chefkoch in »Dornröschen«. Ja, es bedurfte dieses Klassentreffens, um mir wieder einmal der vielen Facetten dieser Schulzeit bewusst zu werden.
In wie vielen Rollen warst Du, Papa, in Deiner Zeit als Schüler? Von Onkel Paul erfuhr ich, dass Du schon als Kind ein hervorragender Taubenzüchter warst und Deine ganze Freizeit darauf verwendet hast. Kein Wunder, dass Du wie ich nur ein durchschnittlicher Schüler gewesen bist. Umso mehr freutest Du Dich mit mir, dass ich wenigstens im Fach Kunst gute Noten nach Hause brachte. Fräulein Storm war für mich eine sehr moderne, attraktive Lehrerin, die in München Kunst studiert hatte. Sie erzählte uns später von ihren Kommiliton*innen Sophie und Hans Scholl von der Widerstandgruppe »Weiße Rose«, mit denen sie gerne im Café zusammengesessen und deren Widerstand gegen Nazi-Deutschland sie mit unterstützt hatte. Heute frage ich mich, ob nicht schon da die Wurzeln meines späteren Widerstandes gegen faschistoide Tendenzen in unserer bundesrepublikanischen Gesellschaft gelegt wurden.
Von Heimatkunde, Rechnen, Schönschreiben und Turnen im Unterricht wusste ich Dir nie etwas zu erzählen, weil ich an all diesen Fächern kein Interesse hatte. Bestimmt, Papa, warst Du damals sehr stolz auf Deine begabten Töchter Marlene und Christiane. Sie wechselten im Gegensatz zu mir nach der vierten Klasse der Volksschule auf die Realschule nach Essen-Altenessen. Brachten wir gute Schulnoten nach Hause, durften wir zur Belohnung ab und an ins Karnaper Kino. Unverändert gerne gehe ich ins Kino, nicht aber ins Theater, obgleich es Mama sehr früh mit uns Kindern einmal im Jahr, meistens an Weihnachten in Märchenstücke, besuchte. Heute ist mir der Theaterbesuch zu aufwendig. Ich mag nicht, rechtzeitig Eintrittskarten zu besorgen, besondere Kleidung zu tragen und mich in einem bürgerlichen Milieu zu bewegen, das nicht meines ist. Du, Papa, hattest weder an Kinobesuchen noch am Theater Interesse, freutest Dich aber mit uns über diese Abwechslung im Alltag.
Ich erinnere mich gut an die ersten Ballettaufführungen des Nachbarn Erich Wecker in unserer kleinen Wohnung. Auf Deine Einladung hin kam dieser in Sprache und Gestik feminin wirkende junge Mann zu Besuch. Erich hatte keine Scheu, uns an seinem Balletttraining teilhaben zu lassen. Du, Papa, warst nach seinen graziösen Vorstellungen voll des Lobes, was ihn wiederum freute. Auf Mamas Frage, ob er inzwischen eine Freundin hätte, erklärte Erich ihr, dass er kein Interesse an Frauen habe. Noch vor seinen Auftritten in unserer Küche flüsterte er mir seinen Künstlernamen Konstantin zu. Ich fühlte mich dadurch von ihm geehrt. Mit Argusaugen bekam ich als Kind mit, dass Konstantin ein anderer Mann als meine Onkel Paul und Konrad war. Dass ich anders empfand als andere Jungen, durfte aber damals nicht bekannt werden. Schon im Alter von acht Jahren gab es ein strenges verinnerlichtes Tabu, öffentlich über meine Zuneigung zu einem Jungen zu schwärmen, was bei meinen Schwestern selbstverständlich toleriert wurde. Hatte ich als Kind nur Tierbilder über meinem Bett hängen, so erlaubte ich mir erst zu Studienbeginn 1971 in meinem Freiburger Studentenheim Poster von Balletttänzern, die mir in ihrer erotischen Ausstrahlung gefielen.
Zu Hause in Karnap hatten wir es geschafft: von der Zwei-Zimmer-Wohnung neben der Polizeiwache im Erdgeschoss über der Gefängniszelle in eine Drei-Zimmer-Wohnung in der ersten Etage. Der unaufhaltsame Aufstieg der Familie Schorberger. Wie wir die gemeinsame Toilette und Badewanne mit der in dieser Etage in zwei Zimmern wohnenden Familie Samer, Eltern und drei Kinder, geregelt haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Dennoch haben wir uns vertragen, und selbstverständlich nahmen sie, obgleich evangelisch, an meiner ersten Kommunionfeier am Weißen Sonntag 1957 teil. Ich genoss es, an diesem Tag im Mittelpunkt nicht nur von Familie, Verwandten und Nachbarn zu stehen, sondern auch des gesamten Stadtteiles Essen-Karnap. Bei diesem Kommunionfestgottesdienst erstrahlte die Kirche im vollen Glanz. Angesichts des Hochfestes Mariens, der unbefleckten Empfängnis, habe ich als Kind wegen unserer Gefängniszelle im Haus allen evangelischen Nachbarn erzählt, dass wir als Katholiken das Fest »Maria im Gefängnis« feiern. Erst durch den Kommunionunterricht erfuhr ich den eigentlichen Grund des Hochfestes: Maria ist von ihren Eltern Joachim und Anna ohne Erbsünde geboren worden. Für mich, Papa, ist diese Erbsündenlehre, die sich auf die Schuld von Adam und Eva bezieht, eher ein Mythos als ein Geheimnis des Glaubens. Ohne es richtig benennen zu können, fühlte ich mich schon als Kind oft schuldig, nicht wegen der oberflächlichen »Sünden« wie ich habe genascht, ich habe den Eltern widersprochen, ich habe die Hühner gejagt, sondern wegen etwas nicht in Worte zu Fassendes. Befreit und erleichtert fühlte ich mich dann jeweils nach der Beichte durch die Vergebung der Sünden. Dank Jesu Barmherzigkeit konnte ich danach glücklich an der Kommunionfeier teilnehmen.
Beim Nachhauseweg am Kommuniontag trug ich würdevoll die Kerze über die Karnaper Straße an der Seite meines Mitschülers Axel, der meine tiefe Zuneigung zu ihm leider nicht erwiderte. Du, Papa, hattest in der Woche zuvor viele unserer Tiere geschlachtet, um die Festgäste, die Verwandten aus Kamp-Lintfort und Altenessen sowie die Hausnachbarn, zu beköstigen. Mama hat mit Hilfe ihrer Geschwister tagelang Kuchen gebacken und das Festessen vorbereitet. Ich hatte zum ersten Mal einen Anzug mit weißem Hemd und Fliege an. In diesem Kleidungsstück, das ich nach der Kommunionfeier selten trug, habe ich mich immer unwohl gefühlt. Ganz neue Kleider, und zwar einen kurzen roten Rock mit einem weißen Rochetthemd, erhielt ich danach auch zum Dienen in der Messe. Stolz trug ich in der kleinen Schar der Messdiener während der Messfeier die Kerze. Später durfte ich dem Priester Wasser und Wein zur Gabenbereitung reichen und das Weihrauchfass mal mehr, mal weniger heftig schwenken. Als kleiner Knirps von elf Jahren war ich plötzlich eine Person des öffentlichen Auftritts geworden. Besonders ehrenhaft war für mich, bei der Fronleichnamsprozession und bei den Wallfahrten nach Kevelaer eine Fahne tragen zu dürfen.
In den Messdienerstunden erhielten wir kleine Hefte mit Bildergeschichten, die von Wundern und biblischen Erzählungen handelten. Ganz aufmerksam hörte ich zu, als vom Schilfmeer die Rede war, in dem Moses im Körbchen ausgesetzt worden war, oder von Abrahams großen Karpfen im Teich von Urfa in Mesopotamien. Besonders aufgewühlt hat mich die Erzählung von der innigen Freundschaft des Königs David zu Jonatan. Erst später im Theologiestudium erfuhr ich vom erotischen Begehren Davids. In seiner Totenklage sagt er im zweiten Buch Samuel im ersten Kapitel: Schmerz kommt mir an wegen dir, mein Bruder Jonatan, du warst mir so lieb. Wundersamer war mir deine Liebe als Frauenliebe. Über diese spannenden biblischen Geschichten hinaus machte ich im Messdienerunterricht meine ersten Lateinerfahrungen, da wir die lateinischen Messgebete – damals wurde die ganze Messe noch in dieser Sprache gehalten – auswendig lernen mussten. Es machte mir besonderen Spaß, das Confiteor zu lernen, ohne zu ahnen, wie tief seine Inhalte später Auswirkungen auf mich haben sollten. Denn in diesem von allen Messdienern gesprochenen Gebet kommt die Aussage vor: »Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa« (»durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld«). Heute bin ich nicht überrascht zu sehen, dass ich später, gerade in der Zeit der Pubertät, nicht oft genug zur Beichte gehen konnte, da ich mich bewusst oder unbewusst schuldig fühlte.
Die Bilder aus der Volksfrömmigkeit von der alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, von Todsünden, von ungetauften Kindern, die, wenn sie starben, nicht in die Hölle, aber auf einen Eisberg kamen, habe ich als Kind tief in mich aufgenommen. Als meine Cousine Petra, 1959 geboren, wochenlang ungetauft in ihrem Körbchen lag, hatte ich als Zwölfjähriger große Ängste um sie, falls ihr ein tödlicher Unfall passieren sollte. Bei einer Familienfeier, zu der Tante Friedel und Onkel Paul anlässlich der Geburt ihres Kindes eingeladen hatten, saßen alle gemütlich im Wohnzimmer und Petra lag allein in ihrem Körbchen in der Küche. Schnell ging ich zu ihr, nahm Wasser, goss einige Tropfen über ihr kleines Köpfchen und taufte sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Ich sehe noch, wie mich die kleine Petra bei meiner Taufhandlung lächelnd und still wie eine geheime Verbündete anschaute. Ganz erleichtert kehrte ich zur Festgesellschaft, die dank Petras Schweigen nichts von meiner geheimen Handlung gemerkt hatte, ins Wohnzimmer zurück. Ich weiß nicht, ob ich Dir, Papa, die Geschichte damals erzählt habe. Bestimmt warst Du wie ich überrascht zu hören, dass Petra uns in den 1970er Jahren erzählte, Theologie studieren zu wollen. Doppelt getauft wirkt Petra inzwischen segensreich, zuerst viele Jahre als Gemeindepastorin und seit einigen Jahren als Krankenhausseelsorgerin. Hier haben wir beide uns zu guter Letzt in derselben Aufgabe wiedergefunden, eine Profession, die mir bis zur Rente kostbar blieb.
Bis zu meinem Eintritt als Postulant in die Ordensgemeinschaft der Kleinen Brüder Jesu bin ich gerne in Karnap Messdiener geblieben. Nicht geblieben bin ich bei den Pfadfindern, deren Uniform und Symbole mich zwar sehr beeindruckten, damals genügte mir jedoch die Erfahrung, sie überhaupt getragen zu haben, wollte ich doch mal wie Du, Papa, in Uniform auftreten. Du selbst machtest kein Aufheben wegen Deiner Uniform. Mein Tragen der Pfadfinderuniform ist nur ein kleines Beispiel von vielen dafür, was Du in mir gesät hast. So wie Du uniformiert zum Dienst gingst, ging ich dann stolz in Pfadfinderkluft zu den Treffen im Gemeindehaus. 1961 war ich auf Einladung eines Mitschülers in ein Zeltlager ins Sauerland mitgefahren. Das Zelten gefiel mir überhaupt nicht, da wir behelfsmäßig draußen am Waldrand zu essen, zu schlafen und zu wachen hatten.
Mein Interesse an Uniformen blieb auf einige Monate begrenzt, und ich verabschiedete mich von der Pfadfinderschaft. Allein der Verkauf der Zeitung »Befreiung« der CAJ (Christliche Arbeiter Jugend) begeisterte mich einige Jahre lang. Ich lernte aufgrund der Inhalte dieser Zeitung erste Anzeichen von Unrecht in Gesellschaft und Kirche kennen. Vom Kaplan angeregt, verkaufte ich die »Befreiung« erfolgreich nach der Kirche. Ging es doch hier um meinen ersten selbstständigen Arbeitsauftrag im Alter von dreizehn Jahren.
Heute, beim Rückblick auf die Schulzeit von 1954 bis 1962 stelle ich fest, dass es eine erholsam schöne, ungebundene Kindheit war. Viel wichtiger, als für die Schule zu lernen, waren mir das verträumte Spielen im Hof, im Garten und meine Freundschaft mit unseren Tieren.
Für heute verabschiede ich mich von Dir
mit einer herzlichen Umarmung und Gruß
Dein Sohn Gregor