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3 Die einzige Welt
ОглавлениеKaya und Rian hasteten zu Fuß durch die Stadt. Kaya war sich zwar ziemlich sicher, dass sie die Vernichter inzwischen abgehängt hatten, aber trotzdem sahen sie sich beide immer wieder nervös um. Und Rian hörte einfach nicht auf, an ihrem Plan rumzumäkeln. Dabei hatte sie ihm doch alles ganz genau erklärt! Sie würde rüber nach Akrios fahren, das am Rand von Atlantis lag, und dann an die Oberfläche und wieder zurück schwimmen, ohne sich erwischen zu lassen. Sie hatte einen Tiefsee-Tauchanzug – einen von den richtig Guten sogar. Und es war ja nicht so, dass sie wochenlang wegbleiben wollte. Ihr Plan war total wasserdicht!
Trotzdem schien Rian nicht viel davon zu halten. Gar nichts, um genau zu sein.
»Ist dir eigentlich klar, wie gefährlich das ist?«, fragte er.
»Jupp.«
»Du könntest echt in Schwierigkeiten geraten«, fuhr Rian fort. »Die Leute, die außerhalb des Riffs erwischt werden … sie verschwinden einfach!« Er senkte die Stimme und fuhr im Flüsterton fort: »Wenn die Vernichter Elida schon dafür verhaften, dass sie Geschichten erzählt …«
Rians Vorträge gingen ihr langsam echt auf den Zeiger. Wieso fand er ihr Vorhaben nicht genauso spannend wie sie? Und warum versuchte er, ihr Angst einzujagen, statt ihr zu helfen? »Mein Entschluss steht, Rian. Ich zieh die Sache durch. Einem 14-jährigen Mädchen werden die Vernichter schon nichts tun.«
»Und was ist mit deinem Dad?«
»Der wird gar nichts davon mitbekommen.«
»Wie willst du überhaupt nach Akrios kommen?«
»Ich hab genug für den Vakuum-Zug gespart.«
Rian hielt überrascht inne. »Echt? Das ist ganz schön viel Geld.«
»Babysitten«, erklärte sie. »Bei den Murakis.«
»Sind das die, die sich ständig anschreien?«
Sie nickte. »Die zahlen echt gut. Also. Mit dem Vakuum-Zug schaffe ich es an einem Tag von Atlantica nach Akrios, hoch an die Oberfläche und wieder nach Hause.«
»Locker.«
»Du sagst es.« Sofort fühlte sie sich besser. Bis sie Rians spöttisches Grinsen bemerkte. Er hatte das sarkastisch gemeint. »Ich will die Oberfläche sehen. Ich muss sie sehen, Rian.«
»Aber …«
Sie hob die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden.
»He, verbietest du mir etwa gerade den Mund?«, pampte Rian sie an.
Aus ihren In-Ear-Kopfhörern drang eine Stimme. Ihr Vater.
»Kaya?«, sagte er. »Bist du noch wach? Deine Tür ist abgeschlossen.«
Offenbar war die Nahrungsmittelsendung nicht langweilig genug gewesen. Kaya legte sich die Hände um den Mund, um die Hintergrundgeräusche abzuschirmen. »Ich mach gleich auf, Dad.«
»Okay«, antwortete er. »Ich warte.«
Sie stellte das Mikrofon stumm.
»Geh nach Hause«, sagte Rian. »Über die andere Sache reden wir später noch mal, okay? Wenn du jetzt wieder Hausarrest bekommst, schaffst du es nie an die Oberfläche.«
Vermutlich schuldete sie Rian ein Dankeschön, aber ihr Vater wartete vor ihrer Zimmertür! Also streifte Kaya sich hastig den Rest ihres Anti-Schwerkraft-Sets über und drückte sich vom Boden ab. Als sie schon in der Luft schwebte, rief Rian ihr hinterher: »Bist du sicher, dass ich mir die Ausrüstung nicht mal ausleihen darf?«
»Nie im Leben!«, erwiderte sie grinsend.
Die Wände links von ihr waren voller Balkone, die auf den Hauptplatz hinausgingen. Kaya drückte sich im Vorbeifliegen von den Brüstungen ab, wodurch sie schneller und schneller wurde. Tief unter ihr flogen vereinzelte Passanten, die Wasserstraßen mit den vielen Fähren, die gewundenen Kanäle und Belüftungsschächte vorbei.
Ihr Vater wurde langsam ungeduldig. »Kaya? Was machst du denn da drin?«
Die Anti-Schwerkraft-Cruiser über ihr waren sogar noch schneller als ihre Ausrüstung. Einer von ihnen schlug gerade die Richtung ihres Wohnblocks ein. Kaya schwebte näher zu einem Balkon in einem der oberen Stockwerke und drückte sich mit beiden Füßen von der Brüstung ab. Sie schoss nach oben, bekam eine der Kufen unten am Cruiser zu fassen und hielt sich fest.
Ihre Schulter schmerzte, aber sie ließ nicht los. Das Klopfen in ihren Kopfhörern wurde lauter. »Moment noch, Dad!«
Als sie vor sich die Kristallwände ihres Wohnblocks aufblitzen sah, ließ sie die Kufe wieder los und rauschte direkt auf das Gebäude zu, in dem sie wohnte. Aber sie war viel zu schnell!
Aus dem Nachbarfenster hing eine Flagge. Kaya packte sie und hielt sich fest, um abzubremsen. Dabei riss sie die Flagge zwar ab, aber ihr Plan ging auf: Sie schwang herum und landete sicher auf ihrem Balkon.
»Kaya«, sagte ihr Vater. »Wenn du jetzt nicht sofort aufmachst, gibt es Ärger.«
Sie riss sich die Ausrüstung vom Leib und ließ sie auf dem Balkon liegen. Dann rannte sie nach drinnen, knibbelte den alten Kopfhörer und den Lautsprecher von ihrer Zimmertür, warf die Flagge auf ihr Bett und ließ sich auf den Boden fallen, in Liegestützposition.
Die Tür ging auf, und ihr Dad kam herein. Kaya sah auf. »Schon mal was von Privatsphäre gehört?«
»Du trainierst?«
Sie setzte sich auf und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Was dachtest du denn?«
»Nichts, ich …«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
Er sah sich in ihrem Zimmer um. »Nein«, sagte er. »Morgen früh muss ich wieder für ein paar Tage beruflich weg. Ich wollte dir einfach nur eine gute Nacht wünschen und mich verabschieden.«
Ihr Vater bemerkte die leicht geöffnete Balkontür.
»Ich hab ein bisschen gelüftet«, erklärte sie.
»Und was ist das da?«, fragte er und wies auf die Flagge auf dem Bett.
»Die wollte ich an die Wand hängen.«
Ihr Dad ging zum Bett und breitete die Flagge aus. »Aber du hasst die Narwale doch!«
Die Narwale? Wie kam er denn jetzt darauf? Klar hasste sie die. Die Narwale waren die schlimmste Band der Welt, ihre Musik die totale Folter. Aber was hatte das mit der Flagge zu t… Oh, Mist. Die Familie von nebenan liebte die Narwale und ihre albernen Songs. Offenbar so sehr, dass sie eine Flagge mit dem Logo der Band aufgehängt hatten, das einen Narwal zeigte, der mit seinem Stoßzahn auf eine Trommel haute. »Stimmt«, sagte sie. »War ironisch gemeint.«
Ihr Dad verschränkte die Arme. »Ach ja?« Es war offensichtlich, dass er ihr die Geschichte nicht abkaufte. »Wo warst du? Und diesmal die Wahrheit, bitte.«
Etwas an seinem Tonfall oder seinem Blick ließ sie einlenken. Sie konnte ihn nicht belügen – nicht, wenn er sie so ansah. Seufzend senkte sie den Blick. »Rian und ich waren bei einem Auftritt von Elida. Wir haben uns nur ein paar Geschichten angehört, nichts weiter.«
Ihr Dad erstarrte. »Dann hast du dich also rausgeschlichen?«
»Schon irgendwie.«
»Warum hast du nicht einfach gefragt?«
»Weil du Nein gesagt hättest.«
»Die Frau verdient ja auch ihr Geld damit, Lügen zu verbreiten! Ihre Aufführungen sind aus guten Gründen verboten.«
»Und was sind das für Gründe?«
Er seufzte. »Lass uns jetzt nicht wieder damit anfangen, Kaya. Und hör auf, das Thema zu wechseln. Du hast dich rausgeschlichen, obwohl du morgen Schule hast.«
»Ich bin Klassenbeste«, erinnerte sie ihn. »Außerdem haben wir ja nichts Gefährliches getan. Wir haben uns einfach nur ein paar Geschichten angehört.«
Tatsächlich war ihr Ausflug sogar supergefährlich gewesen. Immerhin waren sie von den Vernichtern verfolgt worden. Und entkommen! Aber irgendwie fühlte es sich gar nicht so heftig an. Kaya musste bei dem Gedanken sogar ein Lächeln unterdrücken. So viel Spaß hatte sie schon lange nicht mehr gehabt! Trotzdem würde ihr Dad ausflippen, wenn sie ihm die ganze Wahrheit sagte. Er regte sich auch so schon genug auf.
Gerade lief er im Zimmer auf und ab und sagte: »Du weißt, was ich von diesen Hirngespinsten halte.«
Hirngespinste? Sie hasste es, wenn er dieses Wort benutzte. »Aber ich …«
Er hob eine Hand, um sie zu unterbrechen, und legte sich die andere ans Ohr. Bestimmt ein Anruf von der Arbeit. Sein leicht genervter Gesichtsausdruck wich Verärgerung. »Sie haben was? Schon wieder? Ich habe ihnen doch gesagt, dass sie …« Dann verstummte er und hörte zu. »Wir können das im Detail besprechen, sobald ich da bin.«
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, legte er Kaya die Hände auf die Schultern. »Ich werde dich nicht bestrafen.«
»Nein?«
»Mir ist klar, dass ich nicht unschuldig an deinem Verhalten bin. Dir ist langweilig. Ich arbeite zu viel. Aber sobald dieses Projekt abgeschlossen ist, habe ich wieder mehr Zeit für dich, versprochen.«
»Das sagst du jedes Mal.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Ich weiß. Aber du musst mir vertrauen. Und jetzt solltest du ins Bett gehen. Kinder brauchen ihren Schlaf.«
»Ich bin kein Kind mehr, Dad. Ich bin 14.«
»Trotzdem brauchst du Schlaf. Versprochen?«
Kaya nickte. »Versprochen. Und … Dad?«
»Was denn?«
»Glaubst du wirklich, an der Oberfläche gibt es kein Leben? Mom hat immer …«
Er schüttelte den Kopf. »Du gehörst der einzigen intelligenten Zivilisation auf diesem Planeten an, Kaya. Ich enttäusche dich ja nur ungern, aber Atlantis ist nicht nur unsere Welt. Es ist auch die einzige.«