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5 Die Darkwater Trading Company

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Sie hatte sich zwar ein paar Tage gedulden müssen. Aber dafür war der Zeitpunkt jetzt perfekt. Kayas Vater war dank seines Endlosprojekts auf Geschäftsreise, und ihre Großmutter sollte auf sie aufpassen. Kaya hatte die alte Dame wahnsinnig lieb. Sie war witzig und hatte einen hellwachen Verstand, und außerdem erzählte sie tolle Geschichten, die sie stets mit einer kleinen Prise Moral würzte. Vor allem aber schlief sie andauernd und ließ Kaya machen, was sie wollte. Einmal hatte sie erklärt, sie würde Kaya deshalb nie fragen, wohin sie wollte oder was sie vorhatte, weil ihre eigenen Eltern sie schließlich auch in Ruhe gelassen hätten, als sie jung war. Sei pünktlich zum Abendessen zu Hause. Das war ihre einzige Regel. Normalerweise missbrauchte Kaya ihre Freiheit nicht, sondern nutzte die Zeit, um sich in der Bibliothek Geschichten anzuhören oder in den Tiefsee-Pools schwimmen und tauchen zu trainieren. Aber heute? Tja, heute würde sie die Regeln ein bisschen freier auslegen müssen.

Na gut, ein bisschen sehr viel freier.

Zum Frühstück schlang sie einen Teller großzügig gewürzten Seetang mit gedämpftem Fisch herunter, dann stopfte sie ihre Anti-Schwerkraft-Ausrüstung, Ersatzbatterien, etwas zu essen, ihre Wasserflasche, ihr Tablet und ihr gesamtes Erspartes in ihren Rucksack. Der Tiefsee-Tauchanzug steckte zusammengerollt in ihrem Helm, den sie ganz oben in den Rucksack schob. Dann ging sie im Kopf zum ungefähr tausendsten Mal die Liste durch, verabschiedete sich von ihrer Großmutter und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.

»Vergiss nicht, pünktlich zum Abendessen wieder zu Hause zu sein«, sagte ihre Großmutter.

»Werd ich nicht.«

»Meinst du damit, dass du es nicht vergisst oder dass du nicht pünktlich zu Hause bist?«

Interessante Frage. »Dass ich es nicht vergesse.« Kaya lächelte.

Ihr blieben zehn Stunden.

Zehn Stunden, um bis nach Akrios zu fahren.

Sich bis zu einem der Tiefsee-Pools durchzuschlagen.

Ihren Tauchanzug überzustreifen.

Zur Oberfläche zu flitzen.

Die glitzernden Paläste der Sonnenmenschen zu sehen.

Wieder zurück nach Atlantis zu schwimmen.

Und zum Abendessen nach Hause zu hetzen.

Rian hielt die Sache für unmöglich. Akrios lag rund 800 Kilometer weit von Atlantica entfernt. Auf den Wasserstraßen hätte allein die Anreise einen ganzen Tag gedauert, und sogar ein Anti-Schwerkraft-Cruiser benötigte sechs bis sieben Stunden. Aber Kaya hatte sich alles ganz genau überlegt. Mit dem Vakuum-Zug brauchte man höchstens dreißig Minuten. Das kostete zwar einen Haufen Geld, aber dank ihrem Babysitterjob bei den Murakis stellte das kein Problem dar.

Wenn sie in Akrios angekommen war, würde sie sicherlich noch einmal eine Stunde brauchen, um einen Pool zu finden. Dann hieß es ab ins Wasser und hoch an die Oberfläche. Ihr Tauchanzug war absurd schnell – das wusste sie durch ihr Training in den Pools von Atlantica. Ihren Berechnungen zufolge würde sie für die Strecke vom Riff zur Oberfläche weniger als eine Stunde brauchen. Sie würde sich kurz umsehen, um herauszufinden, ob es dort oben Leben gab und tatsächlich Paläste auf dem Wasser trieben, und dann wieder zurück nach Akrios schwimmen, um anschließend mit dem Vakuum-Zug nach Hause zu fahren. Zehn Stunden reichten locker. Acht, wenn sie sich beeilte.

Sie schnappte sich ihre Sachen und hastete runter auf die Straße. Rian wartete schon auf sie, was sie sich irgendwie hätte denken können. Kaya hatte ihm zwar nicht erzählt, was sie heute vorhatte, aber bisher war ihm noch keines ihrer Geheimnisse entgangen. »Bekomm ich deine Ausrüstung, falls du nicht wiederkommst?«, fragte er.

»Nein, aber in meinem Zimmer liegt eine Flagge von den Narwalen. Die kannst du gern haben.«

Rian grinste. Er hasste die Band mindestens genauso wie sie. »Also, wie genau sieht dein Plan aus?«

Lügen war zwecklos. »Komm, begleite mich ein Stück«, sagte sie. Auf dem Weg zum Bahnhof erklärte sie ihm alles.

»Ich hatte mir schon so was gedacht.«

»Was? Dass ich es durchziehe?«

»Nein. Dass du das Wichtigste vergisst. Hast du dir schon überlegt, wie du einen Tiefsee-Pool finden willst?«

»Nein, aber ich kann doch rumfragen und …«

»In Akrios fragt man nicht einfach rum. In Akrios redet man am besten überhaupt nicht. Mit niemandem!«

Seit wann war Rian bitte Akrios-Experte? Voll nervig! »Dass du ein paar Geschichten über die Stadt gehört hast, heißt nicht, dass du dich dort besser auskennst als ich«, sagte sie.

Er zeigte auf ihren Rucksack. »Schau mal auf dein Tablet, ich hab dir eine Wegbeschreibung geschickt.«

»Wohin?«

»Zu einem Tiefsee-Pool in Akrios.«

Okay. Das war nicht nervig, sondern megacool von ihm. »Echt?«

»Der Pool führt vom Riff direkt bis in den Ozean. Und dann … Na ja, schätze, dann heißt es einfach nur noch aufsteigen.«

Sie lächelte. »Wie bist du an die Wegbeschreibung gekommen?«

»Über einen meiner Onkel.«

Rians Familie war riesig und umfasste unter anderem mehrere zwielichtige Onkel. »Der, mit dem dein Dad nicht mehr redet? Der im Gefängnis saß?«

»Genau der. Er sagt, der Pool ist abgelegen und meistens leer, sodass du gute Chancen hast, reinsteigen zu können, ohne dass es jemand mitbekommt.«

»Aber du hast ihm doch nicht etwa gesagt, wer ich …«

»Quatsch. Und er hat auch nicht gefragt. Also, nach Geld gefragt hat er schon, aber …« Rian zuckte mit den Achseln und verstummte. Sie starrten einander an. Kaya und Rian waren Freunde, solange sie denken konnten. Aber manchmal war es trotzdem ein bisschen komisch, dass ihr bester Freund ein Junge in ihrem Alter war. Besonders in Augenblicken wie diesem. Wäre Rian ein Mädchen gewesen, hätten sie sich jetzt einfach umarmt. Stattdessen legte Kaya die Handflächen zusammen und verneigte sich leicht. »Danke.«

»Was war das denn?«, fragte Rian.

Sie lief rot an. »Keine Ahnung.«

»Kaya?«

»Hm?«

»Pass auf dich auf, ja?«

»Mach ich. Ehrlich.«

Sie wartete, ob er noch mehr sagen würde. Aber Rian scheuchte sie nur mit einer Geste davon. »Los, dein Zug wartet.«

Der nächste Eingang zum Vakuum-Zug lag in einem der neuen Stadtviertel, die erst vor wenigen Jahren ins Riff gehöhlt worden waren. Hier allerdings waren die Gebäude nicht in den Felsen gehauen, sondern nachträglich in die gigantische Höhle hineingebaut worden. Auf den Fassaden und Fenstern der turmhohen Paläste aus buntem Kristall und Glas tanzte glitzernd das Licht. Die Straßen waren gepflastert und wurden jede Nacht sorgfältig gereinigt. Das gesamte Viertel strahlte, und in den Läden gab es nur die teuersten Marken zu kaufen. Kleidung und Schmuck, aber auch Geräte, die natürlich alle auf dem allerneusten Stand waren. In einer Auslage entdeckte Kaya ein Anti-Schwerkraft-Set, dessen Akku angeblich einen ganzen Tag lang hielt. In dem Ding hätte sie durch halb Atlantis fliegen können!

Der Eingang zu den Gleisen befand sich mehrere Ebenen tief im Untergrund. Kaya war früh dran, trotzdem dauerte es nicht lange, bis der Zug vom Haupttunnel heraufgeschwebt kam. Außer ihr warteten nur wenige andere Passagiere. Die Verbindung Atlantica-Akrios war nicht sehr gefragt, zumindest nicht mit dem Vakuum-Zug. Rian mit seinem Geschichtsfimmel hatte Kaya erzählt, dass die Regierung von Atlantis den Tunnel nach Akrios in der Hoffnung gebaut hatte, die Stadt dadurch neu zu beleben. Vor Jahren war Akrios eine blühende Hafenstadt und die Heimat einiger der reichsten Händler von Atlantis gewesen. Dann war die Felsdecke über zwei der umliegenden Städte unter dem Gewicht des Wassers zusammengebrochen und Akrios jahrelang vom restlichen Atlantis abgeschnitten gewesen. Der einzige Weg in die Stadt hatte außen um das Riff herum durch die Tiefsee geführt. Der Tunnel war ein Versuch gewesen, Akrios zu neuem Glanz zu verhelfen. Aber als er endlich fertig war, so erzählte Rian, war der Kampf um Akrios längst verloren. Die Stadt war ein Magnet für Kriminelle geworden, und daran konnte auch der schnellste Vakuum-Zug nichts ändern.

Aber Kaya würde schon nichts passieren. Schließlich hatte sie einen Plan.

Die Türen glitten auf, und ihr Herz schlug etwas schneller. War das Angst? Aufregung? Sie trat beiseite, um den aussteigenden Passagieren Platz zu machen, dann suchte sie nach ihrem Sitzplatz. Während der Zug leicht schaukelnd nach unten in einen Verbindungstunnel schwebte, schnallte Kaya sich an. Gleich würde alle Luft aus diesem Tunnelabschnitt gesogen werden, woraufhin sich die nächste Tür öffnete und der Zug in den Haupttunnel absank. Und von dort aus würde er losschießen. Saß man zu diesem Zeitpunkt nicht fest angeschnallt auf seinem Platz, wurde man gegen die nächste Wand geschleudert. Die meisten Leute hassten diesen Teil der Fahrt. Kaya liebte ihn.

Als der Zug beschleunigte, wurde sie so fest in den Sitz gepresst, dass sie nicht einmal mehr den Kopf drehen konnte, um aus dem Fenster zu sehen. Nach kaum einer Minute hatte der Zug Höchstgeschwindigkeit erreicht. Der Druck auf ihren Körper ließ nach, und während der Zug durch den Tunnel raste, fiel sie in einen traumlosen Schlaf, aus dem sie erst erwachte, als ihr Sitz herumschwang, sodass er nun nach hinten zeigte. Auf diese Weise wurde man wieder in den Sitz gedrückt, während der Zug zum Halten kam.

»Nächste Haltestelle Akrios. Endstation, bitte alle aussteigen«, verkündete eine Lautsprecherstimme.

Hastig zog Kaya ihr Tablet aus dem Rucksack und las sich Rians Wegbeschreibung ein letztes Mal durch. Dann verließ sie den Zug, stieg die dreckige Bahnhofstreppe hoch und tauchte ein in die nasskalte, überfüllte Stadt. Musik plärrte aus allen Richtungen, Melodien und Rhythmen prallten unharmonisch aufeinander. Irgendwo liefen die Narwale, und Kaya verzog das Gesicht. Leute brüllten aus den Fenstern rußverschmierter Felsgebäude. Eine Schallwaffe summte, Sirenen kreischten.

Kein glitzerndes Glas, keine schimmernden Türme. Akrios war echt übel. Laut. Schmutzig. Kaya hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Und sie fand es toll! Sogar den Gestank. Und der war echt widerlich. Er kam vermutlich von den vielen Menschen, den engen Wohnungen, den stinkenden Müllbergen und gammeligen Haufen aus Algen und Fischresten am Straßenrand. Alles hier war echt und ungeschönt. Hohe Metallsäulen reichten von den Straßen bis zur Decke hoch über den Straßen. Kaya hatte darüber gelesen – sie sollten verhindern, dass Akrios wie seine Nachbarstädte einstürzte. Bei dem Gedanken an all den Stein und das viele Wasser über ihrem Kopf lief es ihr eiskalt den Rücken runter.

Aber solche Gedanken waren gerade nicht hilfreich. Kaya musste stark wirken, hart im Nehmen. Wie eine Einheimische, nicht wie ein verängstigtes kleines Mädchen. Ihr Rucksack war viel zu vollgestopft. Sie straffte die Träger, richtete den Blick auf den Boden und drängelte sich voran. In einer dunklen Gasse blieb sie stehen, um noch einmal nachzusehen, ob sie auf dem richtigen Weg war. Ihr Herz raste. Entspann dich, befahl sie sich. Immer schön locker bleiben.

Dann legte sie ihre Anti-Schwerkraft-Ausrüstung an, streifte sich den Rucksack wieder über, schaltete den Antrieb ein und drückte sich vom Boden ab. Aber sie kam nicht weit, denn plötzlich schoss eine Hand aus dem Dunkel und packte sie am Fußgelenk.

»Runter mit dir!«, dröhnte eine Stimme.

Die Hand und die Stimme gehörten zu einem Mann mit dicken Lippen, der nun auch mit der zweiten Hand zupackte. Kaya regelte durch einen Pfiff den Antrieb hoch und trat dabei kräftig nach den behaarten Armen des Mannes.

»Los, gib mir das Set!«, knurrte er.

Verzweifelt verpasste sie ihm einen Tritt ins Gesicht, woraufhin er sich schützend die Hand vor die Augen hielt und seinen Griff lange genug lockerte, damit Kaya sich mit dem Fuß von seinem Kopf abstoßen konnte. Sie schoss nach oben, aus seiner Reichweite. Der Anti-Schwerkraft-Antrieb lief immer noch auf Vollgas, und fast wäre sie in ein verrostetes Schild gekracht, das aus einer Wand ragte. Der Mann schrie ihr hinterher. Aber sie war frei. Mit einem erneuten Pfiff regelte sie den Antrieb herunter, dann stieß sie sich von einer Felswand ab.

Während sie über den überfüllten Hauptplatz schwebte, versuchte sie, ihre Atmung zu beruhigen. Konzentrier dich auf deinen Plan!, befahl sie sich. Sie sollte der Wasserstraße folgen, die in südlicher Richtung aus der Stadt führte. So stand es in Rians Wegbeschreibung. Aber welches war die richtige? Unter ihr erstreckte sich ein Wirrwarr an Wasserstraßen, alle vollgestopft mit Booten und Fähren.

Der Mann aus der Gasse stürmte über den Hauptplatz und zeigte dabei auf Kaya. Sie musste weg hier, und zwar schnell! In einem ihrer Handschuhe befand sich ein eingebauter Kompass, und nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatte, fand sie die Wasserstraße, die nach Süden führte. Durch die Mitte verlief eine dünne, bröcklige Trennwand aus dunklem Stein, sodass das Wasser auf den beiden Seiten in unterschiedliche Richtungen fließen konnte. Kaya ließ sich herabsinken und schwebte durch die große Öffnung in der Höhlenwand, in der der Kanal verschwand.

Die Luft im Tunnel war warm, schwer und feucht. Wassertropfen fielen wie ein Vorhang von der Decke. Der Durchgang verengte sich und war bald nur noch breit genug, um einer Reihe Boote pro Richtung Durchlass zu gewähren. Kaya begegnete nur wenigen Fahrzeugen. Offenbar fuhren kaum Leute so weit nach draußen. Sie hatte die Stadtgrenze erreicht. Den Rand von Atlantis.

Nach einer Weile mündete die Wasserstraße in eine der größten Aquafarmen, die sie je gesehen hatte. Vermutlich wurden hier vornehmlich Seetang und Algen angebaut. Aber die vielen Stellen, an denen sich die Wasseroberfläche kräuselte, verrieten ihr, dass in einigen Becken auch Fische gezüchtet wurden. Die Höhlendecke verbarg sich hinter einer dicken Nebelschicht, das Wasser war grünlich und kaum bewegt, die Luft roch nach Salz, und in weiter Ferne glitzerten die Höhlenwände im blassblauen Licht. Ein paar Boote sprenkelten das Wasser, und auf den Beckenumrandungen entdeckte sie einige Farmer, die ihre Unterwasserernte pflegten. Herumbrüllende Diebe gab es hier zum Glück nicht. Kaya schwebte eine Weile auf der Stelle, sah sich in Ruhe um und achtete auf ihre Atmung. Ihre Nerven beruhigten sich. Ihr Puls legte sich. Das Wasser war wie Balsam für ihre Seele. Sie war so weit gekommen. Jetzt würde sie es auch noch bis zur Oberfläche schaffen.

Die Wasserstraße verlief quer durch die Aquafarm bis zu einem Tunnel auf der anderen Seite. In Rians Wegbeschreibung war von einer Grenzstation ganz am Ende der Wasserstraße die Rede. Diese Grenzstation durfte niemand passieren, und sein Onkel riet, sie komplett zu meiden. Also wandte sich Kaya nach rechts und folgte einem Weg, der entlang der Westwand der riesigen Farm verlief. Direkt über der Wasseroberfläche gab es einen Fußweg auf einem Sims entlang der Wand, von dem hier und da die Eingänge zu Umschlagplätzen und Lagern abgingen. Fischer lieferten hier ihren Fang ab, um ihn zu verkaufen und in die Städte weitertransportieren zu lassen. Der beißende Geruch aus einem der Lager verriet Kaya, dass es sich um eine Halle handelte, in dem Seetang getrocknet wurde. Zum Glück musste sie laut Rians Wegbeschreibung keinen der stinkenden Trockenräume betreten. Der Umschlagplatz, zu dem sie wollte, lag so nah, dass sie auch hätte laufen können. Auf einem kleinen Schild über dem Eingang stand Darkwater Trading Company.

Hier war sie richtig. Kaya schwebte zum Eingang und landete auf einem schmalen Weg. Hinter ihr schaukelte ein einzelnes kleines Boot auf dem Wasser, das an der zerklüfteten Simskante des Fußwegs festgemacht war. Unter dem Schild führte ein Durchgang in einen engen Tunnel. Kaya schaltete den Anti-Schwerkraft-Antrieb aus. Der Durchgang war so schmal, dass sie mit der Schulter die feuchte Wand streifte. Nach ein paar Schritten fand sie sich in einer niedrigen Höhle wieder. Der Raum war kalt – wegen des Tiefseewassers, wie sie vermutete. Kühle Luft strich über ihre Haut.

Das Höhleninnere wurde größtenteils von einem Tiefsee-Pool eingenommen, dessen Inhalt immer wieder über den Steinboden schwappte. Drei kleine U-Boote waren am Beckenrand festgemacht, und an den Wänden standen Aquarien auf Rollen herum, in denen Fische aller Größen und Formen schwammen. Ein paar Arten hatte Kaya noch nie im Leben gesehen.

An der Wand neben dem Eingang lehnten zwei klapprige Stühle mit Blick auf das kalte, schwarze Wasser. Zum Glück waren beide leer. Aber unter einer Tür rechts von Kaya drang blaues Licht hervor. Sang da drinnen etwa jemand? Ja, und zwar ziemlich schief. Mit Sicherheit der Besitzer des Boots draußen. Kaya bezweifelte, dass ihr viel Zeit blieb, ehe er zurückkam und Schweigegeld von ihr kassieren wollte. Sie hatte zwar genügend Bares, aber das wollte sie sich lieber für eine andere Gelegenheit aufsparen.

Kaya fand eine Wandnische, in der sie sich verstecken konnte, und schlüpfte hinein, um ihren Tiefsee-Tauchanzug überzustreifen. Vorsichtig nahm sie den Rucksack ab und rollte den Anzug auf dem Boden aus. Dann aktivierte sie ihn. Das Material wurde hart und dehnte sich aus. Kaya kniete sich hin und pikte in Ärmel und Helm. Beides war so hart wie der Felsboden unter ihren Füßen. Aber sobald man den Anzug anlegte und sich darin bewegte, wurde er so geschmeidig wie ein weiches Shirt. Die Technik dahinter war beeindruckend. Es gab keinen Grund zur Besorgnis. Warum also zitterten ihr immer noch die Hände? Warum wummerte ihr das Herz in der Brust?

Im Inneren des Anzugs war jede Menge Platz, also behielt sie den Rucksack auf und das Anti-Schwerkraft-Set an. So blieb keinerlei Beweis zurück, dass sie sich je in dieser Höhle aufgehalten hatte. Nachdem sie den Anzug von innen geschlossen hatte, füllte er sich rasch mit Sauerstoff, sodass sie atmen konnte. Kaya sprang ein paarmal auf der Stelle. Keine Lecks. Alles funktionierte einwandfrei. Und die Tür war immer noch zu. Wenn sie die Sache wirklich durchziehen wollte, musste sie es jetzt tun.

Kaya stapfte an den Rand des Tiefsee-Pools, der gefüllt war mit eiskaltem, schwarzem Wasser. Du gehst einfach nur schwimmen, sagte sie sich. Sie hatte den Anzug mehrere Dutzend Mal getestet. Gerade erst vor zwei Tagen hatte sie einen der größten Tiefsee-Pools von Atlantis durchschwommen. Und das Riff hatte sie zwar noch nie verlassen – aber war der Unterschied wirklich so groß? Am Ende war Wasser Wasser. Und mit Wasser kannte sie sich aus. Außerdem waren die Anzüge ja dazu da, Schutz vor dem Druck und der Kälte der Tiefsee zu bieten.

Die Tür hinter ihr ging auf. Ein Gruselmonster von Mann mit einer riesigen Nase betrat die Höhle und zerrte sich dabei die tief hängende Hose zurecht.

Kaya winkte ihm zu, dann drehte sie sich um und tauchte ab.

Atlantis

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