Читать книгу Die Robinson-Morde - Gretelise Holm - Страница 3

Mittwoch, 22. Mai

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Er hatte nicht mit der Strafe gerechnet und die Todesangst durchschnitt ihn wie die Sense des Sensenmannes, als ihm das Kissen auf das Gesicht gepresst wurde. Er hatte sterben wollen, aber nicht so. Nicht durch Menschenhand. Er hatte die Vorstellung gehabt, in einen friedlichen Schlaf zu fallen, gefolgt von einem sanften Erwachen im ewigen, gnädigen Licht.

Er hatte keine Kraft, Widerstand zu leisten, und im kurzen Moment des Todeskampfes begnügte sich sein schwacher Körper damit, in leichten Krämpfen zu zucken.

Eine halbe Stunde später wurde die Zimmertür langsam aufgeschoben und eine alte Frau schlurfte auf unsicheren Beinen hinein, gestützt auf eine Gehhilfe.

»Oh, nein«, sagte sie, »die Zähne, die sitzen doch ganz verkehrt.«

Mit zitternden Fingern richtete sie die dritten Zähne des Toten.

»Schläfst du?«, fragte sie und beantwortete die Frage mit nüchterner Stimme selbst:

»Nein, du scheinst tot zu sein. Wir sollten dir besser die Augen schließen und die Hände falten.«

Dann steuerte sie mit der Gehhilfe auf den Gang hinaus, während sie konzentriert daran zu denken versuchte, das, was sie gesehen hatte, weiterzuerzählen. Doch bereits als sie um die erste Ecke gebogen war, hatte sie es vergessen.

Sie wusste nur noch, dass sie der Leiterin des Seniorenheims, Inger-Margrethe Jörgensen, die ihr mit einem Tablett mit Medikamentenschalen entgegenkam, etwas erzählen musste.

»Hallo, Johanne!«, lächelte die Leiterin.

»Bin ich tot?«, fragte die Alte.

»Nein, das bist du bestimmt nicht.«

»Ich glaube, ich sterbe bald.«

»Das kann man nie wissen, aber du hast doch auch ein langes und gutes Leben gehabt, nicht wahr?«

Die Alte runzelte nachdenklich die Stirn und antwortete:

»Ja, aber eins bereue ich.«

»Ja?«, fragte die Leiterin.

»Ich habe zuviel Zeit mit Fensterputzen verbracht!«

Dann schlurfte die Alte auf unsicheren Beinen langsam weiter. Die Leiterin sah ihr nach und murmelte: »Ich auch.«

Im Personalraum saß die Pflegehelferin Britta Olsen und las in einer TV-Zeitschrift.

»Wer sind Sie und was machen Sie hier?«, fragte die Alte mit scharfer Stimme.

»Das weißt du doch, Johanne. Was willst du?«

»Ich will, dass du die Zähne ordentlich einsetzt!«

Die Stimme der Alten war anklagend und schrill.

»Ich habe immer hässliche, schiefe Zähne gehabt. Sie sind nun mal nicht anders«, antwortete Britta Olsen und las weiter in ihrer Zeitschrift.

»Es sieht schlampig aus, wenn die Zähne nicht richtig sitzen«, insistierte die Alte.

»Nun lass es gut sein. Ich habe frei. Geh fernsehen. »Robinson« wird wiederholt. Ich bringe dich jetzt in den Fernsehraum«, sagte Britta Olsen und griff nach der Gehhilfe.

Im Fernsehraum saß Johanne unruhig auf ihrem Stuhl. Stand immer wieder entschlossen auf, vergaß jedoch im selben Moment, was sie wollte und setzte sich verzagt wieder hin.

»Entspann dich ein bisschen«, sagte Kaj, der Tür an Tür mit Johanne wohnte. »Ich verfolge die Serie. Sie ist richtig spannend. Sie sind auf einer Insel und jetzt sollen sie einander abwählen. Sie werden nach Hause geschickt – einer nach dem anderen.«

Johanne wusste, dass da etwas war, das sie jemandem erzählen musste.

»Hier stinkt es nach Pisse«, sagte sie, als sie den Fernsehraum verließ.

»Entschuldigung, Fräulein Vornehm. Das ist mein Katheter, der ist undicht«, antwortete Kaj verletzt.

»Da ist etwas, das ich vergessen habe«, sagte Johanne zu dem kleinen Mann mit dem Pferdeschwanz, dem sie in der Vorhalle begegnete.

»Dann habe ich genau das Richtige für Sie, eine Naturmedizin, die ihre Erinnerungsfähigkeit verbessert«, antwortete der Heiler-Franz.

Er wurde in seiner Produktanpreisung von der Pfarrerin unterbrochen, die vorbeikam und grüsste.

»Wie geht es, Johanne?«, fragte die Dienerin Gottes.

Die alte Frau antwortete mit einer Gegenfrage: »Wie soll man das letzte Abendmahl zu sich nehmen, wenn die Zähne nicht richtig sitzen?«

»Das wird schon gehen. Es zerschmilzt auf der Zunge. Komm einfach am Sonntag zum Altar.«

Als sie draußen im Garten den Mann auf der Bank sitzen sah, den feschen Mann, der jeden Tag seinen Vater besuchte, fiel ihr endlich ein, was zu erzählen sie nicht vergessen durfte.

Sie steuerte mit der Gehhilfe auf ihn zu, aber dann war die Erinnerung auch schon wieder weg. Abrupt blieb sie stehen und sah sich verzweifelt um.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Sune Kwium.

Sie konzentrierte sich so sehr, dass ihre dünnen Beine zu zittern begannen, aber sie brachte nur heraus: »Die Zähne. Sie sitzen falsch.«

»Dann müssen Sie das Personal um Hilfe bitten«, antwortete der Mann mit einem angestrengten Lächeln, das seinen Ekel vor dem menschlichen Verfall verbergen sollte, der sich vor ihm manifestierte.

Johanne begann zu weinen. Wie Deltas verteilten sich große Tränen über die runzligen Wangen.

»Aber nicht doch«, sagte der schöne, junge Mann, der mit Eimer und Fensterputztuch zwischen den Büschen auftauchte. »Du brauchst doch nicht zu weinen, Johanne. Komm mit und dann erzählst du mir, was nicht stimmt und wir bringen es wieder in Ordnung.«

Die Robinson-Morde

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