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Discorso sopra il Principio di tutti i canti d’Orlando Furioso: Laura Terracina im Dialog mit Ariosto

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1549 erscheint in Venedig der Discorso sopra il Principio di tutti li primi canti d’Orlando Furioso fatti per la signora Laura Terracina im namhaften Verlag des Gabriel Giolito de Ferrari.1 Bereits im Folgejahr erfolgt eine zweite Ausgabe mit bedeutenden Änderungen. Zwischen 1551 und 1554 werden zwei weiter Editionen veröffentlicht – immer bei Giolito – deren Änderungen und Korrekturen allerdings nur noch punktuell sind. Die Ausgabe von 1554 wird dann auch mehrheitlich als Grundlage für die 25 folgenden Editionen gelten. In der zweiten Ausgabe von 1550 werden von der Autorin so ganze Oktaven ausgetauscht und die Adressaten der Widmungsoktaven geändert, so verschwindet im Gesang 18 Anton Fugger, welcher 1550 durch Donna Clarice Drusina Principessa d’Ostiliano ersetzt wird. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren.2

Mit ihren Discorsi schreibt Laura Terracina sich in der Tat in die Mode der Orlando-Kommentare ein, denn das Werk Ariostos hatte es, wie bereits erwähnt, zum Bestseller der Renaissance gebracht.3 Schon in ihren Prime Rime hatte sie das Prinzip der Transmutazione des Orlando zur Anwendung gebracht.4 Wie die dritten Fassung des Orlando furioso selbst, besteht der Discorso aus 46 Gesängen, die jeweils sieben Oktaven enthalten, denen eine Widmungsoktave vorangestellt wird. Im ersten Teil des Discorso ist der letzte Vers die sukzessive Aufnahme eines Verses der ersten Oktave des entsprechende Gesanges im Orlando, mit Ausnahme der jeweils siebten Oktave, die die beiden letzten Verse der ersten Oktave des jeweiligen Gesangs des kommentierten Textes reproduziert. Laura Terracina bringt somit die Techniken des Centone5 und der spanischen Glosa6 zusammen, wobei sie bei diesem literarischen ‚Spiel‘ nicht immer große Sorgfalt walten lässt, denn häufig erscheinen die von Ariosto entlehnten Abschlussverse der Oktaven nahezu als Fremdkörper.

In der Tat ist es nicht der ästhetische Wert, der das Werk der Terracina auch heute noch lesenswert macht, sondern vielmehr seine kulturhistorische Bedeutung als Kritik an der damaligen, insbesondere neapoletanischen Gesellschaft, sowie seine Bedeutung für die europäische Querelle des femmes.7

Unter den Adressaten der Widmungsgesänge erscheinen wichtige politische Persönlichkeiten der Renaissance, die sich insbesondere im Kontext Neapels finden lassen. So ist der erste Gesang Karl dem Fünften gewidmet, Herrscher über Spanien, und damit in diesen Jahren auch über Neapel. Als dessen Stellvertreter vor Ort erscheint der Viceré von Toledo (Gesang XVIII). Aber auch Henri II de Valois (XL), der Sultan Solimanni (XLII), Philipp Markgraf von Hessen (XLV) sowie Philipp von Österreich, Prinz von Spanien (XLVI) gehören zu den Adressaten der Widmungsoktaven. Erscheint das Netz der Adressaten auf den ersten Blick einer prospanischen Haltung der Autorin zu entsprechen, so finden sich jedoch auch eine gewisse Anzahl von Widmungsgesängen, die an Persönlichkeiten gerichtet sind, die klar dem proreformatorischen Kontext, in der Form des Valdesianismus, zuzurechnen sind, wie Bernardino Bonifacio Marchese d’Oria, dem die Autorin 1549 das gesamte Werke widmete, aber auch Costanza d’Avalos (X), sowie Maria d’Aragona (XXXVIII). 13 der 46 Gesänge sind generischen Adressaten gewidmet, wie den „verräterischen Freunden“ („amici traditori“) im Gesang IV oder „den Feinden der Frauen“ („nemici delle donne“) im Gesang V oder aber den „unsteten und wankelmütigen Männern“ („instabili e infermi uomini“) im Gesang XXIX. In diesen Gesängen kommt in der Regel auch eine starke moralisierende Komponente zum Ausdruck, wohingegen der Bezug zu den realen Adressaten in den Gesängen häufig nicht nachzuvollziehen ist, und sie tatsächlich mehrheitlich enkomiastischen und rhetorischen Charakters sind. Allerdings lässt eine Lektüre ‚zwischen den Zeilen‘ eine Art Handlungsstrang der neapolitanischen Gegebenheiten erahnen, der den historischen Handlungsstrang der Religionskriege des Orlando ersetzt. Auch verstärkt Terracina die gesellschaftskritische und moralisierende Komponente der dritten Fassung des Orlando, wohingegen die diversen Liebesbeziehungen des Versepos im Discorso praktisch keine Rolle spielen. Ausnahmen bilden die ‚Liebesgeschichten‘ des Orlando, die als Exemplum für die Treue der Frauen dienen können, wie zum Beispiel die der Isabella und der Olympia. Die Transmutation des Textes des Ariostos zielt so auf eine ‚neapoletanische und personalisierte‘ Relektüre, die insgesamt eine sehr pessimistische Weltsicht der Autorin aufscheinen lässt. Im Gegensatz zu Ariosto, der sich im Orlando ironisch und kritisch mit der Ritterkultur der Vergangenheit auseinandersetzt, äußert sich Laura Terracina vielmehr nostalgisch über den Verfall der Sitten. In dem Don Ferrante Gonzaga Principe di Molfatta gewidmeten Gesang XIII lobt Terracina die ritterliche Kultur vergangener Zeiten und dekonstruiert damit die ironische Distanzierung des Ariosto zu eben diesem Ideal. Auch kritisiert die Dichterin wiederholt den Hang der Menschen zu Verrat und Falschheit (Gesang XIX, „A li reverendissimi cardinali“; Gesang XXI, „Ai mancator di fede“, Gesang XXIX „A li instabili e infermi uomini“ und Gesang XLIV („A li malvagi cortigiani“)), indem sie insbesondere den Verfall der Sitten an den Höfen anprangert. Weiterhin zielt ihre Kritik auf die viel verbreitete Praxis des Wuchers (Gesang XXXIV), den Geiz (Gesang XLIII) und den Neid (Gesang XXXI). In einigen Gesängen finden sich darüber hinaus Anspielungen auf die politische Aktualität ihrer Zeit, wie im Gesang VI, der Gianluigi Fieschi, gewidmet ist, der genuesische Herzog, der bei seinem Revolteversuch gegen Andrea Doria 1547 ums Leben kam. Wie auch Ariosto im Orlando denunziert Terracina die Gräuel der Kriege ihrer Zeit (Gesang XV „Ai cardinali e sanguinosi capitani“), zu deren Opfern meist Frauen, Kinder, kurz die Schwachen und Unschuldigen, zählen (XV,2).8 Auch scheint zuweilen in den vermeintlich enkomiastisch geprägten Gesängen eine subversive Kritik des politischen Regimes aufzuscheinen, wie im Gesang XVII, der der Stadt Neapel gewidmet ist. Allerdings wird diese Kritik mit dem Hinweis auf die göttliche Vorhersehung sogleich relativiert. Der universelle Diskurs der göttlichen Bestrafung der menschlichen Sünden, der eben auch die Möglichkeit der Tyrannenherrschaft impliziert, in dem die Tyrannen als Strafe zum sündigen Volk entsendet werden, legitimiert so die Unterdrückung der neapolitanischen Bevölkerung durch die spanischen Herrschaft, die hier durchaus kritisch dargestellt wird.9

Zu der Gesellschaftskritik in den Discorsi gehört auch der subversive Blick auf die Geschlechterverhältnisse, mit dem Terracina sich in die Tradition der europäischen Querelle des femmes einschreibt. Dieser Diskurs manifestiert sich im Discorso auf drei Ebenen: auf der Ebene der Metareflexion über weibliches Schreiben, auf der Ebene der expliziten Polemik sowie auf der Handlungsebene bzw. der Adressatinnen der Widmungsoktaven. Es sei vorangeschickt, dass auch im Orlando des Ariosto die Querelle des femmes allgegenwärtig ist.10 Während Ariosto die Frage nach der Gleichheit bzw. Ungleichheit der Geschlechter am Ende seines Werkes eher unentschieden lässt, schreibt Terracina ihren Bezugstext klar im Hinblick auf die Überlegenheit des weiblichen Geschlechtes um.

Auf der Metaebene stellt die Dichterin so ein geschärftes Bewusstsein ob ihrer Position und Rolle als Dichterin unter Beweis. So rekurriert sie zum einen auf die gesellschaftlich akzeptierte literarische Strömung des „weiblichen Petrarkismus“11 und seiner besonderen Ausformung des Ehepetrarkismus in der Tradition Vittoria Colonnas, wie im Gesang II, der Eleonora Sanseverina gewidmet ist, die ihren Ehemann verloren hat. Die Rime der Vittoria Colonna, die wie die Discorsi im neapolitanischen Kontext entstanden sind, werden erstmals 1538 veröffentlicht und gehören ebenfalls zu den verlegerischen Erfolgsgeschichten des 16. Jahrhunderts.12 In ihren Rime amorose besingt Vittoria Colonna den verstorbenen Ehegatten, Francesco Ferrante d’Avalos, Marchese di Pescara, der als Kriegsheld in der Schlacht von Pavia verstarb. Die Dichterin wird bereits von Ariosto im XXXVII. Gesang des Orlando beispielhaft erwähnt, und auch Laura Terracina widmet ihr ein Sonett, das im Anhang des ersten Teils ihres Discorso erscheint.13

Terracina zeigt sich der Problematik ihrer Position als Dichterin wohl bewusst; wie viele ihrer Zeitgenossinnen rekurriert sie auf die üblichen Bescheidenheitstopoi, insbesondere in den enkomiastisch geprägten Gesängen, in denen sie wiederholt ihre „niederen Gedanken“ („basso pensier“ (I, 3,1)), ihre „rohe Sprache“ („aspra lingua“ (III, dedic.,4)), ihren „so niederen Stil“ („stil sì basso“ (XVIII, 4,1)), etc. unterstreicht. Allerdings subvertiert sie in einigen Gesängen diesen traditionellen Diskurs der schreibenden Frauen explizit (Gesänge XIV, XX XXXVII). In Gesang XIV unterstreicht die Dichterin so den transgressiven Charakter ihres Schreibens, das sich nicht auf den Frauen durchaus zugestandenen Liebesdiskurs („amoroso stile“ (XIV, 2,1)) festschreiben lasse, sondern einer „männlichen Feder“ („una penna virile“ (XIV, 2,5) gleichkomme, wenn sie über Themen wie zum Beispiel den Krieg schreibe.

Der 20. Gesang des Discorso kann als eigentliche Antwort Terracinas auf den 37. Gesang des Orlando gelesen werden, in dem Ariosto die Frauen aufruft, selbst zur Feder zu greifen, um sich gegen misogyne Anfeindungen zur Wehr zu setzen. Terracina widmet den 20. Gesang ihres Discorso der Isabella Colonna Principessa di Sulmona, die gemeinsam mit der Dichterin selbst analog zu den kriegerischen Frauengestalten des Orlando, wie Bradamante und Marfisa, als beispielhafte Frau zitiert wird. Terracina rekurriert hier auf die Tradition der Frauenkataloge nach dem Modell des De mulieribus claris des Giovanni Boccaccio, auf den auch Ariosto in seinem 20. Gesang zurückgreift. Wie im Orlando selbst bildet der XXXVII. Gesang des Discorso den Höhepunkt des Geschlechterstreits. Laura Terracina nimmt den Aufruf des 37. Gesangs des Orlando wieder auf und wie Ariosto übt Terracina vehement Kritik an den misogynen Schriften ihrer Dichterkollegen. Anders als ihr Vorgänger allerdings stellt sie fest, dass nur Frauen selbst in der Lage seien, Frauenlob zu üben. So kritisiert sie die Tatsache, dass zu wenige Frauen sich gegen die Grausamkeiten der Frauenfeinde wehren würden (XXXVII, 3, 4) und fordert ihre Geschlechtsgenossinnen auf, sich mehr zu bilden.14

Tatsächlich wird die Geschlechterfrage von Laura Terracina vertieft und die ambigue Darstellung Ariostos zugunsten der Frauen entschieden.

Das Frauenlob wird von Terracina unter anderem auch durch die zahlreichen weiblichen Adressatinnen untermauert, deren Tugendhaftigkeit und Vorbildhaftigkeit jeweils in den enkomiastischen Gesängen gelobt werden (1. Teil: Gesänge II, X, XII, XVI, XX, XXVI, XXVII, XXXII, XXXV, XXXVIII, XLIII). Auch trifft die moralische Kritik, die in zahlreichen Gesängen des ersten Teils geübt wird, vor allem die Männer, denn menschliche Laster werden von Terracina generell zu männlichen Lastern umgedeutet (VII, VIII, XI, XV, XXIII, XXIV, XXIX). So wird der Discorso zu einer Streitschrift gegen die männlichen Laster und Unzulänglichkeiten. Während in den misogynen Schriften des Geschlechterstreits die vermeintliche Falschheit und Untreue der Frauen zur Debatte stehen, sind es bei Terracina die Männer, die ihre Frauen betrügen und verlassen (VII, XXI, XXIII). Der Gesang XXII, der den „Magnifiche donne“ gewidmet ist und auf den ersten Blick eine Kritik der wollüstigen und untreuen Frauen zu sein scheint, negiert die Ironie Ariostos im korrespondierenden Gesang des Orlando vollständig. So heißt es bei Terracina:

Welche Frau sei denn mit einem einzigen Liebhaber

Froh, glücklich und zufrieden?

Wer will, wer verachtet, wer wankelmütig sei,

befriedigt alsbald jedes noch so kleine Bedürfnis.

Von den Haarspitzen bis zu den Füßen, ist alles unzuverlässig

Und würde am Tage 30 Liebhaber wechseln,

Obwohl ich heute davon ausgehe,

dass ihr sehr wenige von dieser Art seid.15

Während Ariosto schreibt:

Ihr Frauen, die ihr wohl erzogen und eurem Liebhaber dankbar seid,

die ihr euch mit einer einzigen Liebe zufrieden gebt,

so ist es doch sicher, dass ihr unter so vielen,

nur sehr wenige dieses Geistes seid.16

Auch wenn von Hochmut, Ehrgeiz und Neid die Rede ist, handelt es sich im Discorso um rein männliche Fehler, unter denen allein die Frauen zu leiden haben. Auf der diskursiven Ebene wird Terracina spätestens in den Gesängen V und XXVIII, die jeweils den Männern als „Feinde der Frauen“ („uomini nemici delle donne“) gewidmet sind, explizit. Im V. Gesang des ersten Teils des Discorso nimmt sie die Einleitungsoktave des korrespondierenden Gesangs des Orlando auf, die ebenfalls von der Grausamkeit handelt, mit der die Männer Frauen behandeln. In ihrer Widmungsoktave gibt Terracina so vor, ihre Geschlechtsgenossinnen rächen zu wollen. Im Bewusstsein der gesellschaftlichen Grenzen, die ihrem Geschlecht auferlegt sind, hofft sie dabei auf die göttliche Gerechtigkeit. Der Gesang scheint einen Anklagemonolog zu inszenieren, der ganz in der Tradition der Geschlechterpolemik steht, indem die Dichterin, analog zu Ariosto, auf den Vergleich mit dem Tierreich rekurriert. Dort schützen die Männchen ihre Weibchen und bekämpfen sie nicht, wohingegen Männer häufig Gewalt gegen Frauen walten ließen (Gesang V, 3, 4). Im Gesang XXVIII vertieft L. Terracina die Klage gegen die Verleumder der Frauen, indem sie die Geschichte des Gastwirtes aus dem korrespondierenden Gesang des Orlando anzitiert. Es handelt sich um die Episode über die wollüstige Fiammetta. Die Geschichte wird von Terracina nicht nacherzählt, da sie davon ausgeht, dass diese bei den zeitgenössischen Lesern bekannt war. Als Antwort auf diese Episode wird im folgenden Gesang, der sich an die „wankelmütigen Männer“ („Alli instabili, e infermi uomini“), richtet und praktisch keinen Bezug zum korrespondierenden Gesang des Orlando aufweist, der Topos der wankelmütigen und wollüstigen Frau nun vollkommen dekonstruiert, indem das Bild der untreuen und wankelmütigen Männer entworfen wird.

Die aufmerksame Lektüre des Discorso der Terracina zeigt uns also eine sehr kritisch distanzierte Auseinandersetzung mit dem Bezugstext. So spielt die Handlung des Orlando für Terracina eine sehr untergeordnete Rolle und wird allenfalls anzitiert, da beim Leser als bekannt vorausgesetzt. Tatsächlich konzentriert Terracina sich ganz auf die Einleitungsoktaven der Gesänge des Orlando, die in der Regel moralische oder gesellschaftliche Fragen fokussieren. Diese schreibt die Dichterin jeweils im Hinblick auf ihre eigene, vornehmlich pessimistische, Weltsicht um. Auf der inhaltlichen Ebene erscheint das Werk des Ariosto so nur noch als ‚Vorwand‘ oder ‚Aufhänger‘, um unter dem Deckmantel der imitatio die eigenen gesellschaftlichen und politischen Positionen der Dichterin zum Ausdruck zu bringen.

Große Werke der Literatur XV

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