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Worauf es wirklich ankommt

Christina Kunz

Liebster Einhard,

nun bist du schon wieder zwei Monate weg und die Zeit ohne dich wird mir lang und länger.

Mein Bester, jeder Tag ohne dich ist ein Tag zu viel, auch nach so langer Zeit hat sich das nicht geändert.

Weißt du noch, als wir uns das erste Mal begegnet sind? Du hast so klein und verloren gewirkt neben meinem großen, stattlichen Vater. Und doch konnte ich den Blick nicht von dir wenden! Deine wachen Augen haben mich mit einer solchen Intensität angesehen, dass es sofort um mich geschehen war.

Schon damals war mir klar, dass du anders bist als andere Männer. Denn auch wenn du von kleiner Statur bist und noch immer nicht wie Vater mit dem Schwert umzugehen weißt, so hast du eine viel bessere Waffe – deinen scharfen Verstand. Während Vater bei Tisch mit seinen Siegen geprahlt hat, hast du mir erklärt, wie man die Versorgung des Heeres sicherstellen muss und worauf es wirklich ankommt, wenn man siegen will. Ohne dich hätte er den Sieg nie errungen.

Du hast mich anders als andere Männer wirklich respektvoll behandelt, hast dich mit mir unterhalten und mich ernstgenommen. Bei dir kann ich ich selbst sein.

Wie ich das hasste, eine Frau zu sein! Immer bloß Handarbeiten und langweilige Gespräche mit den Jungfern vor dem Kamin führen, keiner, der meine Fragen ernst nahm. Dabei wollte ich den Dingen auf den Grund gehen und meinen Verstand gebrauchen. Und wenn ich meinem Vater mit seinen groben Händen bei seinen Schreibübungen behilflich sein wollte, hat man mich in die Schranken gewiesen und gerügt, das schicke sich nicht für eine Frau. So habe ich gelernt zu schweigen und mich heimlich in die Bibliothek geschlichen, um zu lesen und zu lernen.

Das kommt mir jetzt zugute, und wie du es von mir erbeten hast, führe ich die Geschäfte hier in Mulinheim.

Da die Ernte sehr gut war, habe ich den Bauern einen Extra-Lohn gezahlt. Sie dankten es mir und wir können sicher sein, dass sie zukünftig auch in schlechteren Zeiten zu uns halten und uns treu sein werden. Ich denke nicht, dass es noch Aufstände wie unter deinem Vorgänger geben wird.

Ach, Einhard. Manche Dinge sind so offensichtlich. Warum sieht das kaum jemand? Wenn jeder nur vernünftig handeln würde, bräuchte es keine Kriege und keine Armut mehr zu geben. Deiner ewigen Klage, die Menschen würden so langsam denken, kann ich nur zustimmen. Du fehlst mir so sehr, ich habe hier kaum jemanden zum Reden. Dann ziehe ich mich in unseren Obstgarten zurück, genieße den Duft der Apfelblüten und das sanfte Rauschen des Windes in den Blättern und schicke mit ihm meine Gedanken und Liebe zu dir.

Manchmal sehne ich die Zeit unserer Flucht zurück. Nur wir beide, du und ich. Damals, als mein Vater, obwohl er dich mochte, gegen unsere Heirat war und wir bei Nacht und Nebel geflüchtet sind … Weißt du noch?

Natürlich weißt du noch! Schließlich hat die Flucht uns hierher nach Mulinheim geführt. Nie werde ich Vaters Gesicht vergessen, als ich ihm in unserer armseligen Unterkunft seine Lieblingspfannkuchen serviert habe! Dann hat er vor lauter Freude darüber, dass er mich wiedergefunden hat, einer Heirat mit dir endlich zugestimmt.

Nun verfolgst du einen wirklich kühnen Plan, aber ich weiß, dass er dir gelingen wird, so wie dir bisher alles gelungen ist. Ich vertraue auf deine Klugheit, du wirst die Reliquien für die Basilika in Michelstadt schon irgendwie bekommen und gesund zu mir zurückkehren.

Meine Gedanken sind bei dir!

Ich umarme und küsse dich,

in Liebe

Seligenstädter Einladung

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