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TogetherText: Eine Einführung I. Einstieg

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Was im 21. Jahrhundert nicht nur im deutschsprachigen Raum für die szenischen Künste insgesamt gilt, gilt auch für ihre Sprechtexte und schriftlichen Anteile: Diese entstehen in Prozessen zwischen mehreren Beteiligten, z. B. werden sie in einem Team von Kunstschaffenden hervorgebracht oder in dessen Öffnung zu nichtprofessionellen Beteiligten oder auch bei jeder Performance anders unter Mitwirkung des Publikums.1 Solch höchst unterschiedliche Textphänomene verbindet, dass sie meist kein Eigenleben abseits ihres szenischen Kontexts führen und dieses oft auch nicht durch eine nachträgliche Publikation erhalten. Sie liegen nicht zu Beginn der Konzeption oder der Proben als ein zusammenhängendes Material oder eine Textvorlage vor, die dann nur noch bearbeitet und transformiert werden müsste. Vielmehr werden sie von den manchmal sozial heterogenen und oft mehrsprachigen Beteiligten gemeinsam in Proben entwickelt oder aus Recherchen zusammengestellt – mal mehr, mal weniger hierarchisch; mal kollaborativ, vielleicht sogar kollektiv, oft durchaus agonal; mal analog, mal digital unter Verwendung computerisierter Textgeneratoren; mal im Zentrum der betreffenden Produktion, mal als eher randständiges Element z. B. neben sozialer Interaktion oder in einer choreographischen Arbeit. Dieser Vielzahl von höchst unterschiedlichen Texten, die von ihren Entstehungsprozessen meist ebenso wenig zu trennen sind wie von ihren szenischen Kontexten, ist der vorliegende Band gewidmet.

Die Anliegen, die wir mit diesem Band assoziieren, verbinden sich im anglophonen Neologismus TogetherText: Aufgerufen sind so Texte, denen das Verwobene, Vielteilige und Vielstimmige der eigenen Textur bereits durch ihre institutionelle Rahmung in der gegenwärtigen Theaterlandschaft und die Prozesse ihrer Hervorbringung eingeschrieben ist.2 Die Anglophonie des Namens TogetherText betont die Transnationalität eines Anliegens, das sowohl den Alltag in internationalen Großproduktionen der szenischen Künste betrifft wie auch den Alltag der Zusammenarbeit von Künstler*innen, die es teilweise nicht freiwillig an Orte verschlagen hat, an dem nicht alle einer der vorherrschenden Sprachen mächtig sind. Allerdings lässt die Anglophonie den Namen TogetherText auch wie einen Marketinggimmick erscheinen. Eines solchen bedarf es vielleicht, wenn, wie hier, Aufmerksamkeit auf ein noch wenig beachtetes Forschungsfeld gelenkt werden soll. Das grammatisch Inkorrekte verweist jedoch gleichzeitig auf das notwendig Holprige und Hybride einer sprachlichen Verständigung, die zwar auf eine gemeinsame lingua franca angewiesen ist, die alle anders benutzen – und dann eben die gemeinsame Sprache nicht nach vorgegebenen Mustern hervorbringen, sondern diese verschieben und so auch die Vorstellung von einer inneren Einheit der Sprachen (und der Kulturen) untergraben: TogetherText in diesem Sinne betont die Notwendigkeit des Übersetzens; sei es durch Vernetzung des vorher Getrennten, sei es durch das Hervorbringen harter Brüche.3 Während die Übersetzungs- und Übersetzbarkeitsmetapher für das Herangehen an die szenischen Künste der Gegenwart und ihre Ästhetiken bereits gängig ist,4 gilt es, sie auch für das Herangehen an deren sprachliche Prozesse neu zu bestimmen.

Durch das Adverb together ruft der Name die Verbundenheit eines gemeinsamen Texts auf und mag so vorschnell Harmonie suggerieren. TogetherText trennt allerdings diese Verbundenheit durch die wortinterne Großschreibung von Text, was sowohl räumlich als auch temporal konnotiert ist: Der Text entsteht aus dem Together; zugleich erscheinen Text und Together – eben gleichzeitig. Die interne Unterbrechung mag sogar den Blick auf die weiteren Partikel schärfen: To get her Text. Ununterscheidbar wird in dieser Infinitivkonstruktion, ob sie* ihren je eigenen Text bekommt (im Sinne von »to get her way«) oder jemand anderes diesen Text von ihr* bekommt (im Sinne von »to get her number«) oder ob jemand weiteres sie* mit dem Text versorgt, den sie* vielleicht benötigt oder der ihr vielleicht sogar zusteht (im Sinne von »to get her some water«). In dieser mehrfachen Lesbarkeit ist der TogetherText einer, den es erst herzustellen gilt und der, während er an die ihn hervorbringenden Instanzen gebunden ist, auch anderen gehören, ihnen entwendet, zugedacht oder dargeboten sein mag.5

Seit längerem werden diese Texte breit wahrgenommen, allerspätestens seit Helgard Haug und Daniel Wetzel für die Gruppe Rimini Protokoll 2007 für Karl Marx: Das Kapital, Erster Band, eine Collage aus Selbstportraits und Interviewtexten rund um eben Karl Marxens Das Kapital, den Mülheimer Dramatikerpreis erhalten.6 Ebenfalls 2007 produziert das erste Mal im deutschsprachigen Raum die Gruppe SIGNA am Schauspiel Köln eine ihrer immersiven Shows, in denen, bis zur Eskalation, durch Gespräche von Publikum und Performer*innen interagiert wird. Die Erscheinungen der Martha Rubin wird zum Theatertreffen eingeladen.7 Bei aller Bekanntheit werden die Texte, die in diesen Arbeiten gesprochen werden, in ihrer jeweiligen Spezifik kaum zur Kenntnis genommen. Oft werden sie als (im positiven oder negativen Sinne) »postliterarische«8 Zutaten zu einer an performativen Formen orientierten szenischen Kunst angesehen, deren eigentliche Qualitäten anderswo liegen sollen als in denen eines in der Tradition des Sprechtheaters des 19. Jahrhunderts stehenden Theaters.9 Die Aufregung über die Preisverleihung an die Rimini Protokoll-Produktion etwa rührt daher, dass ihr eben kein Dramentext zugrunde liegt. Die Collage aus Texten von Beteiligten aus Nichttheaterkontexten, in denen diese aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen das opus magnum von Marx perspektivieren, scheint auf der Bühne an die entsprechenden Personen gebunden, die einen autobiographischen Pakt mit dem Publikum eingehen und als sogenannte »Expert*innen des Alltags«10 auftreten. In Buchform auf Deutsch publiziert sind die sprachlichen Anteile der Produktion bis heute jedenfalls nicht; Texte aus den Produktionen Rimini Protokolls erscheinen fast immer im Zusammenhang mit anderen Aufführungsmaterialien und Auszügen aus den Skripten der hergestellten sozialen Situationen.11

Unverständnis, Abwehr oder schlicht Abneigung und Desinteresse gegenüber diesen derzeit so zahlreich auftauchenden Texten gibt es zuhauf.12 Gegen die Klage über eine Krise der Gattung Dramentext sind die im vorliegenden Band versammelten Beiträge an einer Beleuchtung der Phänomene dieser neuen Textformen interessiert, die sie überhaupt erst konturieren und diskutierbar machen. Nur wenige sprechen bisher wie z. B. Veit Sprenger (von Showcase Beat Le Mot) emphatisch von »neuen, glorreichen Zeiten« des Textes und des Sprechens in den szenischen Künsten: »Seit der Jahrtausendwende erlebt das Sprech- und Performancetheater einen ungebrochenen Boom. Es entwickelt zeitgenössische Formen des Erzählens und Verhandelns […], die bestehende Autoritätsverhältnisse zugunsten neuer Allianzen auf den Kopf stell[en].«13

Widerspiel und Ineinander von Skript und festem Text auf der einen Seite und Extemporieren, Stegreifspiel, Improvisation auf der anderen durchziehen zumindest die europäische Geschichte von Sprache und Text in den szenischen Künsten. Die Texte aus dem 21. Jahrhundert, um die es in diesem Band geht, stammen historisch in der Tat eher aus Ästhetiken und Produktionsweisen, die um die Jahrtausendwende von einflussreicher Theoriebildung zunächst als »postdramatisch«, »performativ« oder »relational« beschrieben und später von der Forschung manchmal auch (holzschnittartig) so kategorisiert wurden.14 Weil diese Beschreibungen und Kategorisierungen sich explizit in Differenz zu einem am (literarischen) Text orientierten Theater situieren, droht in Vergessenheit zu geraten, welches breite Spektrum auch sprachlicher Äußerungsweisen und Inhalte hier vorliegt: Dieses reicht von der Betonung des Alltagsberichts bei den nichtprofessionellen Darsteller*innen Rimini Protokolls über die gleichzeitig minimalistische wie verdichtete Poesie von etwa Forced Entertainment bis hin zu zahlreichen anderen Formen und Funktionen, die Sprache und Texte abseits einer literarischen Vorlage in den szenischen Künsten des 21. Jahrhunderts einnehmen. Jener ungestillte »Sprachhunger[]«15, den Kathrin Röggla 2020 für die Vielfalt der aktuellsten Gegenwartsdramatik in Anspruch nimmt, lässt sich immer wieder auch in diesen prozessual und zu mehreren generierten Texten finden. Um ihnen Gewicht zu verleihen, müssen erst recht nicht von Autor*innen (innerhalb oder außerhalb des Theaterapparats) produzierte Stücke gegen Texte aus gemeinschaftlichen, in performativen Formen vollzogenen Projektentwicklungen ausgespielt werden. Häufig genug implizieren solche Gegenüberstellungen ästhetischer Formen auch Zuordnungen zu Institutionen und Geldtöpfen beziehungsweise die Ausgrenzungen aus ihnen – wie in der vielbeschworenen Unterscheidung von Stadttheater und Freier Szene.16

Sehr wohl gilt es aber zu bedenken, dass es für die unter der Rubrik TogetherText zusammengebrachten sprachlichen Elemente der szenischen Künste häufig noch keine gängigen und keine guten Kategorien gibt. In noch viel stärkerem Ausmaß als für die neuere Dramatik trifft für diese prozessual und zu mehreren generierten Texte dann dasjenige zu, was Theater- und Literaturwissenschaft bereits seit längerem für die »nicht mehr dramatische[n] Theatertext[e]«17 im Stile der sogenannten Textflächen Elfriede Jelineks oder der sprachlichen Materialbrüche Heiner Müllers konstatiert haben: dass hier nämlich, so Hans-Peter Bayerdörfer, »jene Nahtstelle, welche in der europäischen Entwicklung der Kunstform vom Drama eingenommen wurde, neu zu vermessen«18 sei. Den Einstieg in eine solche Neuvermessung hat sich der vorliegende Band für diese Texte, die noch einmal anders einzuordnen wären als die inzwischen etablierte Nichtdramatik, vorgenommen. Anstelle eines Überblicks über die Beiträge werden die von ihnen aufgeworfenen Aspekte dort in den folgenden Aufriss eingebracht, wo sie im übergreifenden Zusammenhang ihren Ort haben.

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