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II. Zum Status von Texten und Sprechakten

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Eine solche Neuvermessung kann sich, wie das Beispiel von Rimini Protokoll zeigt, nicht auf die aus ihrem szenischen Kontext gelösten Sprechtexte beziehen. Was seit Aristoteles für das Drama gerne behauptet wird – dass es nämlich auf seine Aufführung im Theater nicht notwendig ankomme19 – gilt für diese Texte per definitionem nicht. Nur im Wechselverhältnis mit den anderen szenischen Elementen, mit denen diese sprachlichen Elemente gemeinsam entwickelt worden sind, erlangen sie die ihnen eigene Spezifik, Ereignishaftigkeit und Dynamik im gesamten »Performance Text«20 der jeweiligen Produktion. Zur Bestimmung dieses Wechselverhältnisses bedarf es dann weniger übergreifender theoretischer Modelle als vielmehr solcher, die das jeweils interne Verhältnis der Aktant*innen, Medien, Materialien und Künste bestimmen können: sei es die für jede Produktion spezifische Verflechtung von materiell-sinnlichen und sinnhaften Aspekten, sei es die jeweilige Verkettung menschlicher wie auch nichtmenschlicher Aktant*innen oder sei es die jeweilige Verortung im »Theater als Dispositiv«, das die ihm eigenen Hervorbringungen vor und hinter der Bühne generiert und konturiert.21

Mit vielleicht guten Gründen tun sich also Theater- und Literaturwissenschaften mit diesen Texten oft schwer – auch jenseits der oberflächlichen Berührungsängste:22 Die Literaturwissenschaften haben zu diesen Texten oft wenig Zugang. Meist tauchen sie aufgrund ihrer so dezidiert zur Schau gestellten Nichtliterarizität gar nicht erst im Aufmerksamkeitsbereich auf; manchmal, weil sie nicht als geschriebener Text vorliegen oder weil sie sich gar nicht in einem solchen dokumentieren lassen. Umgekehrt genießt in den Theaterwissenschaften ein Fokus auf den Sprechtext wegen der wirkmächtigen Wiederaufnahme der aristotelischen Setzung im europäischen Theater der Frühen Neuzeit keinen guten Ruf. Zu sehr steht der Verdacht im Raum, man wolle die Plurimedialität der szenischen Künste von Sprache und Text her betrachten statt aus ihrer Vernetzung und Eigenlogik (wie zuletzt noch hinterrücks in den semiotischen Ansätzen der Achtziger geschehen, die die Metapher vom Text auf die anderen Medien ausweiteten). Jedoch sind es auch sprachliche Texte ebenso wie Szenographie, Licht, Sound, Körper, Bewegung und mehr Elemente, deren Spezifik es genauer zu betrachten gilt – insbesondere, wenn die alte Konventionen verschiebenden Formen so gehäuft auftreten wie ungefähr seit Beginn des 21. Jahrhunderts.

Demgegenüber ist es das Vorhaben der an diesem Band beteiligten Autor*innen aus Kunst, Dramaturgie und Akademie, sich mit dem Begriff TogetherText den im Gegenwartstheater auftauchenden vielfältigen sprachlichen Phänomenen, die in Entwicklungsprozessen entstehen, anzunähern, verschiedene künstlerische Positionen zu markieren, entsprechende Verfahren zu identifizieren und zu analysieren – sowie im Falle der akademischen Beiträge zu beginnen, das eigene wissenschaftliche Instrumentarium für diese Analyse zu reflektieren.

Die gegen die Vorherrschaft eines am Drama orientierten Theaterverständnisses gerichtete Theoriebildung der Jahrtausendwende ist für die Verortung dessen, was mit diesen Texten auf der Bühne jeweils passiert, durchaus hilfreich: Hans-Thies Lehmann betont am Sprechtext in jedwedem Theaterzusammenhang seinen Status als »Material«23, das im Austausch oder im Konflikt mit den anderen Materialien, Medien und Zeichen Verwendung findet. Teils sieht er den Sprechtext als Fremdkörper und »Störung«24 ins Feld geführt, der quer zu den anderen Materialien, Medien und Zeichen steht, teils als »Ausstellungsobjekt«25, das die innersprachliche Dynamik exponiert, oder als »Ereignis«26 des Sprechens als solches, in dem die Sprache sich vom Subjekt ablöse. Dieses sind immer noch die ästhetischen Verfahren, derer die neuen Texte sich oft bedienen. Manchmal explizit ausgeklammert findet sich so jedoch die semantische Dimension der Sprache, um die Eigendynamik ihrer ästhetischen Dimension, wie z. B. der Stimmlichkeit, zu betonen.27

Hingegen finden sich in Ansätzen aus der relationalen Ästhetik, die eher aus einer performativen Erweiterung der bildenden Kunst stammen, Texte und Sprechakte nicht eigenständig thematisiert. Hier gehört das Miteinandersprechen zur sozialen Interaktion, um die es diesen Ästhetiken zu tun ist und unter denen Sprachlichkeit und Textualität subsumiert werden. Dabei läuft eine Bezugnahme auf den semantischen Gehalt implizit mit: die informative und soziale Dimension von Sprache. Und tatsächlich scheint in der forcierten Mündlichkeit und Alltagssprachlichkeit vieler in Gruppen mit Laien entwickelten Texte die Sprache alles andere als vor allem Material oder ein ästhetisierter Fremdkörper zu sein. Begriffe, die entwickelt worden sind, um die ästhetische Dimension von nicht mehr in der Gattungstradition des Dramas aufgehenden Texten und Sprechakten zu beschreiben, müssen hier entsprechend verschoben werden: Die »Texttheatralität«28 von nichtdramatischen Theatertexten bezöge sich dann nicht mehr auf deren performative Eigendynamik und szenisches Potential, sondern auch auf die Art, wie diese Texte umgekehrt in einen szenischen Kontext eingelassen sind. Auf dem »Schauplatz der Sprache«29 im Theater mag auch ein konventioneller dramatischer Text in vielfältigen ästhetisierten Formen erscheinen können. Gleichzeitig betritt die Sprache auch einen Schauplatz, auf dem verschiedene Formen gezeigt werden, in denen sie jenseits von Ästhetisierung Verwendung findet und mit den anderen Materialien, Medien und Zeichen des Theaters in Interaktion tritt. Von sprechenden Laien zu sprechenden Performer*innen ohne spezifische Schauspielausbildung zu professionellen Schauspieler*innen, die ihre Stimme vielfältigen Ästhetiken und Inhalten zur Verfügung stellen, gilt es die zahlreichen Einsatzpunkte von Text im Gegenwartstheater ebenso zu markieren wie die zahlreichen Texte, die dabei zu hören sind – meist ohne (nach)gelesen werden zu können.

Dass diese Texte nur selten publiziert werden oder überhaupt publizierbar sind, hat nicht notwendig etwas mit ihrer spezifischen Mündlichkeit zu tun. Häufig genug sind diese Texte intern schriftlich niedergelegt, manchmal mit großer und technisch reproduzierbarer und manchmal mit weniger großer, zu Variationen bei der Aufführung einladender Genauigkeit. Die mündliche Improvisation von Text gehört oft zur spezifischen Programmatik, wie es auf so gänzlich unterschiedliche Weisen in diesem Band von Monika Gintersdorfer für Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur und von Sibylle Meier für SIGNA beschrieben wird. Eine solche Mündlichkeit grenzt sich manchmal sehr explizit von Verschriftlichung ab; die Aushandlung des jeweiligen Verhältnisses prägt aber zahlreiche TogetherTexte: Die Distanzierung, die einem Verschriftlichen innewohnt (ob dies nun in einem gemeinsamen Probenraum geschieht oder außerhalb von jenem), fällt in diesen mal größer, mal kleiner aus. Die Mündlichkeit zumindest des europäischen Theaters insgesamt ist historisch eng mit der Schriftlichkeit verbunden.30 Wenn in den prozessual entstandenen Texten im Gegenwartstheater oft die Dimension der Mündlichkeit betont (und nicht selten mit dem Einsatz technischer Medien kombiniert) wird, dann ist diese immer im Austausch mit einer Schriftkultur und deren aktuellen Formen zu denken (die sie in ihrer Transformation durch die sozialen Medien angenommen hat). Der Beitrag von Nikolaus Müller-Schöll in diesem Band schlägt vor, Theaterproduktionen von ihrem jeweiligen Skript her zu denken. Sprechtexte in jedweder Form wären dann innerhalb dieses Skripts in ihrem Verhältnis zum Einsatz der anderen Materialien, Medien und Zeichen zu verorten. Für die TogetherTexte, um die es hier im Genaueren zu tun ist, heißt dies: Bereits im Wechselverhältnis mit den anderen szenischen Elementen, aber auch zwischen den verschiedenen Instanzen, aus deren Wechselverhältnis der Text prozessual entsteht, ist deren Verortung zu suchen. Dies betrifft sowohl die jeweilige Entwicklung wie auch den jeweiligen szenischen Zusammenhang bei einer Aufführung und oft genug auch das Zusammenfallen beider Dimensionen.

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