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Kommunikation und Teilhabe Etta Wilken

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In den verschiedenen vorschulischen und schulischen Einrichtungen für behinderte Kinder nehmen schwerere Formen von Beeinträchtigungen zu. Die Ursachen für diese Veränderung sind vielfältig. So gibt es mehr Kinder, die gravierende pränatale Schädigungen, schwere Unfälle bzw. Krankheiten oder extreme Frühgeburt mit erheblichen Beeinträchtigungen überleben, und zunehmend werden auch seltene Syndrome diagnostiziert, die zu umfangreichen Behinderungen führen und zum Teil einen progressiven Verlauf haben. Viele dieser schweren Schädigungen ermöglichten früher nicht, dass betroffene Kinder überlebten und im Kindergarten oder in der Schule gefördert werden konnten.

Die Zunahme der schwer und mehrfach beeinträchtigten Kindern in allen speziellen Behinderungsgruppen hat auch dazu geführt, dass der Anteil der Kinder deutlich gestiegen ist, die sich nicht oder nur sehr eingegrenzt verständlich machen können.

Bei Kindern und Erwachsenen mit geistiger Behinderung betrifft dieses Problem heute oftmals schon 20–40%. Auch bei Schülern mit Körperbehinderung und mit Autismus ist die Gruppe der nicht bzw. kaum sprechenden Kinder sehr hoch. Obwohl dieses Problem bisher überwiegend für den Sonderschulbereich erfasst wurde (vgl. Adam 1996, Fröhlich/Kölsch 1998, Theunissen/Ziemen 2000, Wilken 2000, Boenisch 2009), ist davon auszugehen, dass besonders im Vorschulschalter aufgrund der oftmals gravierenden Entwicklungsverzögerungen umfassende Beeinträchtigungen der Kommunikation noch erheblich häufiger vorkommen.

Auch bei Erwachsenen in Heimen und Werkstätten ist das Problem fehlender oder eingeschränkter Verständigungsfähigkeit aufgrund von nicht erworbenen kommunikativen Kompetenzen oder altersbedingtem Verlust eine Herausforderung, die nach angemessenen Lösungen verlangt.

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und subjektiv für Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine wesentliche Bedingung für soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage jeder Entwicklung. Es besteht deshalb die Notwendigkeit, beeinträchtigten Kindern sowohl frühe entwicklungsbegleitende Hilfen zum Verstehen und zum Verständigen anzubieten als auch Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nicht hinreichend lautsprachlich verständigen können, Möglichkeiten ergänzender und ersetzender Kommunikationsformen zu vermitteln.

Darum ist es notwendig, dass in der Sonderpädagogik das Problembewusstsein für die sich ergebenden speziellen Erfordernisse der Kommunikationsunterstützung wächst, damit Kindern und Erwachsenen mit eingeschränkter Verständigungsfähigkeit entsprechende Hilfen rechtzeitig angeboten werden (vgl. Wetzel, 2000, Boenisch 2009). Auch in der pädagogischen und therapeutischen Ausbildung müssen entsprechende Kenntnisse vermittelt werden, damit in familiären und weiteren sozialen Alltagsbeziehungen, in vorschulischen und schulischen Einrichtungen, im Freizeit-, Berufs- und Wohnbereich angemessene Hilfen für diesen Personenkreis selbstverständlich werden.

Die vorliegenden Beiträge haben deshalb das Ziel, verschiedene Aspekte der unterstützten Kommunikation bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen darzustellen unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und speziellen Bedürfnisse. Dabei ist auch auf behinderungsspezifische und altersabhängige Bedingungen sowie familiäre und institutionelle Kontextfaktoren differenziert einzugehen.

Eine wichtige Grundlage der Förderung ist eine entwicklungsbezogene Diagnose, die von den Kompetenzen ausgeht (siehe Kane; Müller, Wolf & Aktas).

In der Frühförderung hat unterstützte Kommunikation das Ziel, für Kinder mit besonderen Beeinträchtigungen im Spracherwerb angemessenen Hilfen zu gestalten, ohne dadurch natürliche Interaktionsformen zu gefährden – selbst wenn spezielle Angebote erfolgen (siehe Wilken). Die behinderungsspezifischen Besonderheiten der Sprachentwicklung und des Grammatikerwerbs sind dabei angemessen zu berücksichtigen (siehe Konrad). Gerade die ständig wachsende Zahl der verschiedensten Hilfsmittel zur Kommunikationsförderung verlangt eine differenzierte Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen des Spracherwerbs bei nicht sprechenden Kindern und eine entsprechend kriteriengeleitete Auswahl und Beratung.

Personen, die aufgrund von Körperbehinderung, geistiger Behinderung oder multiplen Beeinträchtigungen nicht oder nicht hinreichende lautsprachliche Fähigkeiten entwickeln bzw. erlernen können, benötigen unterschiedliche Angebote, die sowohl die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen berücksichtigen als auch die behinderungsspezifischen Erfordernisse (siehe Baunach/Braun und Kristen). Die Möglichkeiten der Förderung von Menschen mit Autismus und die verschiedenen Angebote zur gestützten und unterstützten Kommunikation (siehe Nußbeck, Nagy, Häußler) werden zwar durchaus abweichend beurteilt, verlangen deshalb aber, kritisch zu reflektieren, welche Förderung und Begleitung für ein individuelles Kind sinnvoll sein kann.

Ein wichtiger ergänzender Gesichtspunkt bezieht sich auf den geeigneten Lernort und die notwendigen Rahmenbedingungen. Aufgezeigt wird deshalb, welche Möglichkeiten der kommunikativen Förderung im gemeinsamen Unterricht gestaltet werden können (siehe Hömberg). Gerade für die Weiterentwicklung der inklusiven Beschulung ist es wichtig, die dafür erforderlichen personellen und sächlichen Ressourcen kriteriengeleitet und den individuellen Bedürfnissen entsprechend zu gewährleisten.

Unterstützte Kommunikation ist auch Erwachsenen noch anzubieten, denen bisher kein Zugang zu angemessenen alternativen oder ergänzenden Kommunikationsformen ermöglicht wurde (siehe Bober). Zunehmend wichtig ist zudem, die Bedürfnisse von Personen zu berücksichtigen, die aufgrund krankheitsspezifischer oder allgemeiner altersbedingter Abbauprozesse immer weniger in der Lage sind, sich verbal zu verständigen. Dabei sind sowohl das Lebensalter als auch die individuellen Lebensbedingungen – ob zu Hause, in eigener Wohnung oder im Wohnheim – und die sich daraus ergebenden speziellen Bedürfnisse der Erwachsenen differenziert zu reflektieren.

Die Zunahme von Kindern und Erwachsenen, die alternative oder ergänzende Kommunikationshilfen benötigen und das anwachsende Bedürfnis nach Beratung und Information auch der Bezugspersonen in der Familie und in den verschiedenen Institutionen machen dringend erforderlich, nicht nur entsprechende regionale Angebote an Beratungsstellen aufzubauen (siehe Karus), sondern auch Fortbildung und Forschung weiter zu entwickeln.

Das vorliegende Buch will nicht nur Informationen über die verschiedenen Verfahren vermitteln und die aktuelle Diskussion der Ansätze darstellen, sondern auch dazu beitragen, dass eine Kooperation von Betroffenen, ihren Angehörigen und Professionellen zunehmend besser gelingt.

Alle Autoren fühlen sich einem Menschenbild verpflichtet, dass den grundsätzlichen Anspruch auf Selbstbestimmung und Autonomie betont und darum auch in Therapie und Förderung die Bedeutung von Eigenaktivität gegenüber normorientierten, direktiven Verfahren vertritt. In allen Beiträgen geht es deshalb um die günstige Gestaltung förderlicher Bedingungen, die das einzelne Kind bzw. den Erwachsenen unterstützen, seine Kompetenzen unter den gegebenen behinderungsspezifischen Beeinträchtigungen und den kontextbezogenen Aktivitäts- und Partizipationsmöglichkeiten zu entwickeln.

Unterstützte Kommunikation

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