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3 Sprach- und Bildungspolitik im deutsch-polnischen Grenzraum – eine Langzeitstudie

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Infrastrukturell wesentlich weniger differenziert ausgebaut ist die Situation in den Grenzregionen zu Polen und der Tschechischen Republik. Wegen der unterschiedlichen Wirtschaftsdynamik und der vergleichsweise asymmetrischen Mobilität auf dem Arbeitsmarkt erscheint ein direkter Vergleich der Regionen wenig sinnvoll. Eine aktuelle Langzeitstudie gibt allerdings Einblicke in schulische Entwicklungen, die die Entwicklungen von Sprachbedürfnissen und Einstellungen zur Mehrsprachigkeit genauer beschreiben. Die Dissertationsschrift mit dem ursprünglichen Titel Europäische Mehrsprachigkeit, bilinguales Lernen und Deutsch als Fremdsprache: Längsschnittstudien zum Nachbarsprachenlernen im ostsächsischen Grenzraum, vorgelegt von Dorothea Spaniel-Weise (2018), wurde inspiriert u.a. durch die Arbeiten von Albert Raasch, auf den sie sich auch an verschiedenen Punkten direkt bezieht.

Spaniel-Weise (2018) fasst Modelle des mehrsprachigen fachlichen Lernens (Content and Language Integrated Learning, CLIL) ebenso zusammen wie den Zusammenhang zwischen Wirtschaftserfolg und Mehrsprachigkeit – wie ihn die große ELAN-Studie der EU (ELAN 2006) im Jahre 2006 belegt hatte –, wie die Ebene der theoretischen Positionen zur europäischen Identität, die in Habermas’ Forderung nach einer europäischen Diskurskultur (Habermas 2014: 111) und Foucaults Postulat des Nationalen als unverzichtbarem Ordnungsschema zum Ausdruck kommen. Dass Grenzkompetenz sich aus einer Fülle unterschiedlicher Faktoren wie Mobilität, Bildung und Mehrsprachigkeit zusammensetzt, die nicht automatisch im Zuge umfangreicher Maßnahmen top-down entstehen, zeigt die Verfasserin an vielen Beispielen. In ihrer historischen Betrachtung wird deutlich, dass bereits die deutsch-tschechisch-polnischen Grenzen in der Geschichte der DDR je nach politischer Lage im Nachbarland jeweils offener oder geschlossener waren, dass das Erlernen der Sprache des Nachbarn auf deutscher Seite nie besonders ausgeprägt war und dass die Aktivitäten etwa des deutsch-polnischen Jugendwerkes im Vergleich zum deutsch-französischen eher weniger umfangreich sind, bzw. auf zahlenmäßig geringeres Interesse in Deutschland stoßen. In dieser Asymmetrie liegt sicher das Grundproblem mangelnder Nachhaltigkeit von Einzelmaßnahmen begründet.

Waren mit Konzepten wie bilinguales Sach-Fach-Lernen (CLIL & CLILIG) einst Hoffnungen auf ein europäisches Schulmodell verbunden, so zeigt die zurückgehende Zahl der Neueinrichtungen trotz aller ministeriellen Förderung und durch die KMK, dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben. Die Skepsis vieler Fachdidaktiker und Spracherwerbsforscher (Long 2019) mag dazu beigetragen haben, letztlich fehlten aber auch die infrastrukturellen bildungspolitischen Voraussetzungen, vor allem in der Ausbildung von Fachlehrkräften mit entsprechender Fach-Qualifikation und fremdsprachlicher Kompetenz und in der Bereitstellung adäquater Lernmaterialien, die vom Markt so nicht hervorgebracht werden und staatlicher Förderung bedurft hätten; und schließlich fehlte auch systematische Weiterbildung in Bezug auf zweisprachiges Team-Teaching.

Kern der Studie von Spaniel-Weise sind Datenerhebungen in den bilingualen Schulen in Görlitz und Pirna. Die Datenerhebung, die in der Vorstudie der Jahre 2002-2004 aus einer Lerner-Befragung bestand und in der späteren Hauptstudie aus einer Expertenbefragung, die die Verfasserin in ihrer Methodik an Zydatiß anlehnt (Spaniel-Weise 2019: 178), sind umfangreich und dienen dem Ziel, die Forschungsfragen näher zu beleuchten. Tatsächlich gehen sie in ihren Details und im Umfang über dieses Ziel hinaus und erheben Daten, die einen Einblick in verschiedene Ebenen des schulischen Handelns, aber auch in die Motive, Haltungen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern in den Institutionen geben, jedoch auch in die Wirksamkeit und die Intentionen von Maßnahmen der sächsischen Kultusverwaltung. Wertvolle Aufschlüsse im Sinne einer konzeptuellen Ausrichtung liefern ebenfalls die Daten zu den Ergebnissen der Sprachausbildung, sowohl in Bezug auf die erreichte Kompetenz als auch auf die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler zu den jeweiligen Nachbarsprachen – und nicht zuletzt auf die strukturellen Defizite der angebotenen sprachlichen Bildung. Diese liegen vor allem in einer unzureichenden Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte für den Umgang mit mehrsprachigen Settings. Obwohl die Schülerinnen und Schüler sowohl ihren Unterricht als auch die interkulturelle Lernsituation in Grenznähe generell positiv einschätzen, bleiben doch Selbstzweifel an der erreichten Kompetenz, die auch durch die zitierten Sprachstands-Einschätzungen bestätigt werden. Kompetenzfortschritte wurden weniger durch den fremdsprachlichen Sach-Fachunterricht erreicht als durch Begegnungssituationen und geplante und informelle Sprachkontakte. Hier sind die dokumentierten Kontaktsituationen jeweils aufschlussreich. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu dem von Albert Raasch dokumentierten, umfangreichen Strauß an beispielhaften kontaktfördernden und -etablierenden Einzelmaßnahmen in der Region SaarLorLux um die Jahrtausendwende. Auch bei der untersuchten Zielgruppe ist mit der Zeit die Einschätzung der Bedeutung des Englischen als Voraussetzung beruflicher Kommunikation deutlich gestiegen. Diese Entwicklung wird auch auf tschechischer Seite durch bildungspolitische Maßnahmen, die trotz der geographischen Nachbarschaft zu zwei deutschsprachigen Ländern eindeutig das Englische durchgängig präferierten, gestärkt.

Die Menschen verstehen: Grenzüberschreitende Kommunikation in Theorie und Praxis

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