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ATEMPAUSE WO SICH DAS LEBEN BAHN BRICHT
ОглавлениеStefanie Wenner
Pause war in der Schule immer das, wo das Leben stattfand. Pausen waren dazu da, der Schule einen Sinn zu geben, in großen Teilen. Die Pause war wild und frei, aufregend später, in der Pubertät. Sommerpause war in meiner Zeit als Arbeiterin an einem Theater so etwas wie Sendepause, aber in Teilen vergleichbar mit dem, was Pause in der Schule auch war: Leben. Wenn wir versuchen, unseren Atem zu pausieren, wird rasch klar, dass das enge Grenzen hat. Mit etwas Übung lassen sich diese Pausen verlängern. Mit etwas Übung wird auch erlebbar, dass wir mit unserem Atemrhythmus unsere Wahrnehmung massiv verändern und unsere körperliche Existenz intensivieren können. Wo die Atempausen enden, bricht sich das Leben Bahn, unser Leben. Das wir nicht beherrschen, das uns gegeben ist, Atemzug, für Atemzug. Willentlich aufhören zu atmen – eine unlösbare Aufgabe. In der Pause wird der Zug des Lebens erlebbar, etwas, das mich durchströmt, ich kann es nicht festhalten, aber ich kann meine Wahrnehmung dafür intensivieren. Die Pause, die das Theater hierzulande durch Covid-19 erfährt, stellt es in seiner gegebenen Form infrage. In „Pause“ steckt auch, dass etwas final endet, zur Ruhe kommt, aufhört. Das ist die Bedeutung der altgriechischen Wurzel des Wortes, die auf den Stillstand verweist. Die Menopause wäre so eine Art der Pause, die ein Ende benennt. Eine Pose, eine zur Ruhe gekommene Bewegung, hat indes ebenso mit der Pause zu tun. Eine Theaterpose assoziieren wir mit einer archetypischen, eher überkommenen Spielweise. Das Theater selbst kann eine Pose des Bürgertums sein, eine Kultur, deren Pause im absoluten Sinne womöglich gekommen ist. Denn dieses Theater basierte auf Verträgen und Konventionen, deren Wegfallen wir nicht betrauern müssen. So entsteht in der Pause Raum für Neues, für das, was Theater heute sein kann, erneut erneuert, Magie. Für neue, heilende Verträge, eine weitere Dimension der Pause, in der Etymologie des englischen put, setzen, stellen, legen, eine Handlungsoption aus dem Potenzial der Unterbrechung heraus, die nicht wieder aufnimmt, was vorher schon ein Problem war. So kann diese Pause, dieser Moment von Ruhe, zur Vorlage, zur Pause dessen werden, was kommen mag, was wir uns herbeiimaginieren. Was wir nun tun, welche Praktiken wir hier etablieren, kann zur Blaupause werden und zur Basis einer neuen Theaterkultur der Zusammenkunft menschlicher und nicht-menschlicher Körper, eine Feier der Gegenwart, anerkennende Teilhabe, Pause als Befreiung. Der Druck des Lebens bricht sich Bahn durch die versteinerten Institutionen, die Leben in ihrem Sinne angeeignet und verwertbar gemacht haben. Wir pausen ab, was die Pause ermöglicht hat, und kommen zu einem neuen, lebendigen Theater, new life theater. Wir atmen.
Stefanie Wenner, Professorin für Angewandte Theaterwissenschaft an der HfBK Dresden seit 2015, Promotion in Philosophie an der FU Berlin 2001, seither Kuratorin und Dramaturgin in der Freien Szene, u. a. am HAU Berlin und bei den Impulsen. Seit 2014 Betreiberin von apparatus, gemeinsam mit Thorsten Eibeler. Dort Arbeit an der Herstellung besserer Darstellung von Wirklichkeit mit den Mitteln von Theater und Kunst.