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Rassismus, Solidarität und rechte Gewalt in West und Ost (1980er Jahre)
ОглавлениеWoran liegt es, dass die Mobilisierung von rechts erst Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre, dann aber stetig, wieder Erfolge verzeichnete? Es spricht einiges dafür, dass nun die zeitgenössisch so bezeichnete »Fremdenfeindlichkeit« zum effektiven Hauptschmiermittel avancierte. Einschneidende wirtschaftliche Rezessionen, die erste und zweite Ölpreiskrise 1973 und 1979, steigende Arbeitslosigkeit und allgemeine Zukunftsängste korrespondierten mit der zunehmenden (Asyl-)Migration in die Bundesrepublik. »Ausländer« wurden als Konkurrenten um begrenzte gesellschaftliche und wirtschaftliche Ressourcen stigmatisiert – ein Argumentationsmuster, das seine Wirksamkeit bis heute nicht verloren hat.
Bereits zu Beginn der »Gastarbeiter«-Anwerbung Mitte der fünfziger Jahre hatte es Ressentiments gegen die ausländischen Kollegen und Kolleginnen gegeben. Solange die »Gastarbeiter« jedoch nur auf Zeit im Land blieben und in der Phase ökonomischer Saturiertheit das Wirtschaftswunder beförderten, war man ihnen mit einer Art wohlwollender Ignoranz begegnet. Ablehnung war ihnen vor allem dann entgegengeschlagen, wenn sie die Schwelle zum Alltag der Deutschen überschreiten wollten, wovon beispielsweise Schilder zeugten, die Gastwirte an ihre Türen hängten: »Ausländer unerwünscht« oder »Keine Türken« stand darauf (Möhring 2013, S. 286, Fn 7).
Seit Anfang der achtziger Jahre war Migration – auch aus anderen Kulturkreisen – in der Bundesrepublik sichtbarer als je zuvor: Einerseits zogen viele »Gastarbeiter« nach dem konjunkturbedingten, wenngleich schon vorher verhandelten Anwerbestopp 1973 ihre Familien nach. Andererseits stiegen seit Ende der siebziger Jahre die Asylbewerberzahlen drastisch und überschritten 1980 die Marke von 100.000: Flüchtlinge kamen aus dem kommunistischen Vietnam, nach dem Militärputsch 1980 aus der Türkei oder nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 aus Polen. Die zunehmend aus außereuropäischen Ländern stammenden Menschen personifizierten eine sich globalisierende und zugleich in wachsendem Maße unsicher erscheinende Welt, in der die angeblich »Fremden« als Konkurrenten um begrenzte Güter wahrgenommen wurden. Damals entstand die bis heute wirkmächtige Figur des »Scheinasylanten« und »Wirtschaftsflüchtlings«, dessen vermeintliche Privilegierung durch den Staat zum festen Element rechter Mobilisierungsstrategien wurde.
Die Spannbreite rassistischer Stigmatisierung und Gewalt reichte von alltäglicher Diskriminierung auf dem Schulhof oder Übergriffen auf der Straße und in den öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu Anschlägen rechtsextremer Terrorgruppen. Das Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980, über das anlässlich des 40. Jahrestages wieder intensiv diskutiert wurde, war dabei ein Gewaltereignis unter vielen, das vor allem durch seine schiere Dimension breit mediale Beachtung fand. Im selben Jahr verübte ein (wie der NSU aus zwei Männern und einer Frau bestehendes) Trio der vom Neonazi Manfred Roeder geleiteten Deutschen Aktionsgruppen zahlreiche Anschläge. Anfang 1981 erschossen Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann den ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Nürnberg, Shlomo Lewin, und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke, in der Silvesternacht desselben Jahres wurde der Türke Seydi Battal Koparan von rechten Rockern erschlagen. Es ist erstaunlich und erklärungswürdig, dass diese und weitere Akte rechter Gewalt wissenschaftlich wenig aufgearbeitet und gesellschaftlich kaum erinnert wurden und im Schatten der pogromartigen Ausschreitungen Anfang der neunziger Jahre etwa in Rostock-Lichtenhagen blieben. Das ist auch darum ein Manko, weil ohne diese Vorgeschichte der militant rassistische Nationalismus nach 1989/90 in Ost- und Westdeutschland nicht zu verstehen ist.
In den achtziger Jahren machten sich zudem rechte Bewegungen und Parteien wie die 1983 gegründeten »Republikaner« rassistische Ressentiments zunutze, um Resonanz zu erzeugen und Wähler zu mobilisieren, eine Kontinuitätslinie, die – deutlich gezogen und von der aus dieser Sicht gar nicht mehr so friedlichen Revolution höchstens kurzzeitig unterbrochen – bis in die Gegenwart führt. Die sich zuspitzende Anti-Asyl-Stimmung, von den Nachrichtenmedien des Landes mit starken Bildern und Schlagzeilen geschürt, wurde gleichermaßen politisch induziert wie instrumentalisiert. Erstmals 1986 machte die CSU auf Landesebene Wahlkampf mit dem Thema; 1989 zogen die Republikaner ins West-Berliner Abgeordnetenhaus ein. Auf Bundesebene dominierten Rückkehrappelle, und die politischen Eliten hielten, gegen jede Evidenz, an einem Dogma fest, dem schon die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gefolgt war: »Deutschland ist kein Einwanderungsland«. Dass es an einer Anerkennung des Faktischen in einer von Migration geprägten Gesellschaft ebenso mangelte wie an einer entsprechenden Politik – die in dieser Hinsicht entscheidende Wende erfolgte erst nach 1998 –, ließ Raum für rassistische Mobilisierungsversuche. Rechte Bewegungen wie die Bürgerinitiativen Ausländerstopp machten Stimmung; solche Protestformen, nach 1990 in die neuen Länder exportiert, sind also längst nicht nur ein Spezifikum Ostdeutschlands.
Zeitgleich entstanden bürgerschaftliche Initiativen gegen rechts und eine Lobby für Migranten und Flüchtlinge (Pro Asyl etwa gründete sich 1986); zudem nahm die migrantische Selbstorganisation an Bedeutung zu. Am Beispiel der vietnamesischen Boatpeople, die ab 1979 als Kontingentflüchtlinge in der Bundesrepublik Aufnahme fanden, lässt sich diese Mischung aus rassistischem Ressentiment, rechter Gewalt und bürgerschaftlichem Engagement gut beschreiben (vgl. Bösch 2019, S. 187–228). Insgesamt kamen rund 30.000 Menschen auf der Flucht aus dem Süden des nun kommunistisch regierten Landes nach Westdeutschland. Medienwirksam begleitet und durch Spenden in Fahrt gesetzt, barg die Cap Anamur unter ihrem charismatischen Kapitän Rupert Neudeck Bootsflüchtlinge aus dem Meer, die in verschiedenen Bundesländern Aufnahme fanden. In Hamburg etwa initiierte die ZEIT erfolgreich eine Spendenkampagne und ermöglichte damit 274 Menschen Aufnahme in der Hansestadt.
Allgemein hatte die Medienberichterstattung in diesen Jahren einen großen Einfluss auf die anhebende Asyldebatte. Sie vermochte mit ihren Bildern sowohl Hilfsbereitschaft als auch Ressentiment zu erzeugen. Zentrale Metapher des medialen Bildensembles war das Boot: zunächst als überladenes, im chinesischen Meer treibendes Flüchtlingsschiff, später, Anfang der neunziger Jahre, als vermeintlich »volles Boot« Deutschland. In dem Maße, wie dieser Diskurs und das Bild des »Scheinasylanten« sich verbreiteten, nahm »auch die Unterstützung für die Bootsflüchtlinge wieder ab« (Bösch 2019, S. 190). In dieser konfliktreich zugespitzten Situation trat der Rechtsterrorismus in Erscheinung, dessen Strukturen sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verfestigt hatten. Das bereits genannte Trio der Deutschen Aktionsgruppen verübte 1980 unter anderem einen Anschlag auf ein Hamburger Flüchtlingsheim, bei dem zwei vietnamesische Flüchtlinge starben, Nguyển Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, von denen einer auf der Cap Anamur, der andere über die genannte Spendenkampagne der ZEIT in die Bundesrepublik gekommen war.
Wie lässt sich im Vergleich dazu die Situation in der DDR beschreiben? Hier hatte die vietnamesische Migration eine längere Vorgeschichte, weil es bereits während des Vietnamkrieges staatlich initiierte Solidaritätsaktionen für das kommunistische (Nord-)Vietnam gegeben hatte; vom Seehafen der Hansestadt Rostock aus, wo Jahrzehnte später das »Sonnenblumenhaus« brennen würde, waren Schiffe mit von der Bevölkerung gesammelten Hilfsgütern in Richtung Indochina in See gestochen. In den siebziger Jahren verband Rostock eine (heute vergessene) Städtepartnerschaft mit der größten Hafenstadt Nordvietnams, Hai Phong. Zudem wurden Vietnamesen und Vietnamesinnen in kleiner Zahl ausgebildet oder kamen zum Studium ins Land. Nicht zuletzt auf der Grundlage dieser vormaligen Verflechtungen wurde 1980, in der sich massiv zuspitzenden Wirtschaftskrise, ein zwischenstaatlicher Vertrag mit Vietnam ausgehandelt. Mit knapp 60.000 der am Ende der achtziger Jahre insgesamt etwas über 100.000 »ausländischen Werktätigen« stellte die vietnamesische Community die größte Gruppe unter den (erst nach 1989/90 so bezeichneten) »Vertragsarbeitern« dar, die ähnlich wie die »Gastarbeiter« im Westen vor allem einfache Hilfsarbeiten verrichteten.
Zwar ist richtig, dass die Arbeitsmigranten nur auf befristete Zeit im Land leben sollten, Deutsch nur für den Gebrauch am Arbeitsplatz lernten, Familiennachzüge nicht erlaubt waren und schwangere Frauen in der Regel »rückgeführt« wurden, dass die Wohnheime oft abgeschottet, Kontakte zur Bevölkerung unerwünscht und im Alltag jenseits des Arbeitsplatzes auch nicht sehr häufig waren. Dennoch gab es selbstredend private Beziehungen, zu denen der Handel mit von Vietnamesinnen genähter Kleidung gehörte, vor allem mit westlich aussehenden Jeans-Imitaten. Neben diesen Geschäftsbeziehungen im Alltag entwickelte sich ein dichtes Geflecht von Vorurteilen und Ressentiments. Auf eine komplexe, auch ambivalente Weise verkörperten die vietnamesischen »Werktätigen« die Wirtschafts- und Versorgungskrise der achtziger Jahre. Hinter der am Ende der DDR nurmehr fassadenhaften Propaganda von der »internationalen Solidarität« wucherten Gerüchte.
Ähnlich wie die algerischen Werktätigen oder chilenische Emigranten und Emigrantinnen wurden die Vietnamesen auf diffuse Weise mit dem Westen assoziiert (vgl. Möhring 2015, S. 392/393; Zwengel 2011, S. 87). Die Vorgeschichte der französischen Kolonisation Vietnams im 19. Jahrhundert, vielleicht auch die Tatsache der südvietnamesischen Migration in die Bundesrepublik spielten hier ebenso eine Rolle wie die falsche Annahme, dass die vietnamesischen Werktätigen eine größere Reisefreiheit besäßen oder dass ein Teil ihres Lohnes in Devisen ausbezahlt würde. Im Kontext der Versorgungskrise standen aber vor allem die Warenlieferungen im Fokus der Kritik, mit denen sie ihre oft verarmten Familien in der Heimat unterstützten: Es wurde gemutmaßt, dass sie begehrte Güter wie Fahrräder oder Nähmaschinen in unerlaubten Mengen horten und ausführen würden (Poutrus 2016, S. 993). Dieser vermeintliche Entzug rarer Güter von einem ohnehin leeren Markt bot immer wieder Anlass für Kritik und Empörung. Die Konkurrenz, ja der Kampf um Güter und Devisen in der spätsozialistischen Mangelwirtschaft stellt eine wichtige Ursache für die grassierenden Vorurteile dar – realiter für Hilfsarbeiten eingesetzt, wähnte man die vietnamesischen Werktätigen privilegiert. Für die grassierenden Ressentiments war diese Konkurrenz- und Konfliktgeschichte möglicherweise entscheidender als die Abschottung der Werktätigen in ihren Wohnheimen oder ein allgemein verstandener Rassismus.
Wie sich rassistische Vorurteile und gesellschaftliche Krisenwahrnehmungen in den späten achtziger Jahren verbanden, wäre genauer zu untersuchen; gewalttätige Angriffe auf Migranten und Migrantinnen jedenfalls waren nun vermehrt zu verzeichnen. Sie reichen von entgrenzten Schlägereien, die Todesopfer forderten, wie in Merseburg 1979, wo zwei Kubaner in die Saale geworfen wurden und ertranken, bis hin zu Übergriffen auf Wohnheime. Dieser gewaltförmige Protest von unten unterschied sich von der Gewalt rechtsradikaler Terrorgruppen in der Bundesrepublik und weitete sich nach 1990 aus.