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Das Weitwiesenweiberl oder Die Fahrt über den Königsee
Оглавлениеas Weitwiesenweiberl war in den Bergen um Berchtesgaden unterwegs. Man erzählte, wenn sich ein Fuhrwerk oder ein Wanderer in der Nacht verirrt hatte, dann sei des Öfteren das Weitwiesenweiberl aufgetaucht und habe mit seiner Laterne dem verirrten Wanderer oder dem Fuhrmann auf den richtigen Weg zurückgeholfen, ihnen sozusagen »heimgeleuchtet«.
Sobald der Irrgänger die Landschaft oder den Weg erkannte und alleine weiterfand, verschwand das Weitwiesenweiberl wieder und erwartete keinerlei Dank für seine Hilfe. Mehr noch: Wenn man dem Weitwiesenweiberl hinterherschaute, ihm gar nachlief oder ihm ein »Dank dir recht schön« hinterherrief, dann konnte es passieren, dass ein schlimmes Unglück eintrat.
In den beginnenden 60er-Jahren war einmal viel zu früh ein eiskalter Winter angebrochen und der Königsee war vollkommen zugefroren. Da wohnte in Ramsau der Ellinger Franz, ein junger Bursch, der aus einem reichen, schmucken Bauernhof herstammte. Franz hatte ein Auge auf eine fesche junge Bedienung geworfen, die Doyscher Elis, eine »Böhmische«, die in der Gastwirtschaft in St. Bartolomä in Diensten stand.
Nun hatte der lebenshungrige Ellinger sich vorzeitig seinen Erbteil auszahlen lassen und kurz vor Weihnachten einen nagelneuen VW-Käfer erworben, ein schmuckes, glänzendes Automobil, auf das er unbändig stolz war.
Was lag näher, als mit seinem Automobil der hübschen Elis zu imponieren. Aber wie das am besten anstellen?
Da kam der Franz auf die Idee, in der Thomasnacht über den gefrorenen See hinüberzufahren und die Doyscher Elis auf eine Spritztour über das Eis einzuladen. Man weiß ja, in der Thomasnacht legen sich die unverheirateten Mädchen mit dem Kopf zum Fußende ins Bett, weil ihnen dann im Traum ihr Geliebter erscheint. Vielleicht wollte dies der Ellinger schamlos ausnützen und der Elis nicht nur im Traum, sondern lebendig erscheinen und ihr obendrein mit seinem neuen Käfer imponieren.
Gesagt, getan!
Der Franz fuhr mit dem Wagen zum Seeufer, legte Schneeketten an und rollte vorsichtig hinaus aufs Eis. Das Eis knackte leicht, ab und zu entlud sich die Spannung in einem dumpfen Ächzen und Stöhnen, aber das galt ihm als Zeichen, dass das Eis fest war und hielt.
Doch als er auf der Mitte des Sees angelangt war, kam urplötzlich ein Schneesturm auf, wild und undurchdringlich vom Watzmann her. Kaum drei Meter weit konnten sich die Scheinwerfer durch das Inferno hindurchbohren. Der Ellinger bekam es mit der Angst zu tun.
Eis und Schnee gingen ineinander über, er wusste schon bald nicht mehr, wo oben und unten war, und ein kalter Schauer nach dem anderen lief ihm über den Rücken hinunter.
Da klopfte etwas an das kleine Ausstellfenster neben dem Rückspiegel.
Das Licht einer Laterne warf einen warmen Schein ins Innere des Automobils und das Winken einer Hand bedeutete ihm, dem unheimlichen Begleiter zu folgen.
Obwohl der Ellinger vor Schrecken halb erstarrt war, tat er, wie ihm geheißen. Der junge Bauernbursch rollte mit seinem Wagen langsam neben der Gestalt her, wohl eine geschlagene halbe Stunde lang, und tatsächlich: So plötzlich, wie er angehoben hatte, lichtete sich der Schneesturm wieder, es hörte zu schneien und zu wehen auf, und er konnte in der Ferne die Fenster des warm erleuchteten Gasthofs von St. Bartolomä erkennen. Erleichtert drehte der Bursch das Fenster herunter und blickte in eine aus rauem Stoff gewebte Kapuze, die das Gesicht dahinter vollkommen verbarg.
»Nix sogn, gor nix sogn!«, vernahm er eine heisere Stimme.
»Freilich sag ich was, i muass!«, entgegnete der Bursch.
»Nein, bloß nix sogn! Staad sein, ganz staad!«
»Doch!«, erwiderte der Bauernbursch, »freilich sag ich’s, wie es die Mutter mir beibracht hat: Dank dir schön, und vergelts Gott, viel tausend Mal«.
Da ertönte ein markerschütternder Schrei vom Weitwiesenweiberl, denn niemand anderes hatte dem Franz den Weg geleuchtet:
»Unglück, nimm deinen Lauf!«, rief es und verschwand irgendwo in der Nacht.
Keiner im Tal hat gesehn, was danach in dieser Nacht passiert ist, nur der Wirt vom Gasthof Bartolomä wunderte sich, als er am Morgen zum Schneeschaufeln vor die Türe trat. Er sah nämlich mit eigenen Augen die leicht verwehte Fahrspur eines Gefährts über den See auf St. Bartolomä zulaufen und wunderte sich, weil die Spur unerklärlicherweise mitten auf dem See endete.
Seit dieser eiskalten Thomasnacht bekommt man in den Tälern rund um den Watzmann – egal, ob man ein Trinkgeld hergibt, einen Skipass kauft oder etwas anderes Gutes anrichtet – von keinem Burschen auch nur den Hauch eines Dankeschöns zurück.