Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller - Группа авторов - Страница 11

Verstrickt, gefangen, gehalten – im Netz der Romane »Der Fuchs war damals schon der Jäger«, »Herztier« und »Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet« von Herta Müller

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Herta Müllers Romane sind eigenartig und unverwechselbar. Die Autorin gewinnt dem Roman ästhetische Reize und sprachliche Qualitäten ab (oder fügt sie ihm hinzu), die traditionell nicht mit dem Genre verbunden werden, im Gegenteil. Unter Gesichtspunkten traditioneller Romanpoetik scheinen die Texte das Genre zu verfehlen: Weder sind Müllers Romane ›episch‹, indem sie ausführlich, wort- und detailreich ausholend weite historische, geografische oder biografische Bögen schlagen, noch sind sie ›narrativ‹, indem sie großformatige Tableaus oder Panoramen zeichnen, atmosphärisch eine Behaglichkeit des Erzählens mit sich führen oder dazu einladen, sich lesend zurückzulehnen beim Eintauchen in eine fremde Welt, geführt von einem kundigen Erzähler.

Die Erzählstimme in Herta Müllers Romanen ist eher lakonisch als eloquent, ihre Sätze sind nicht nur kurz, sondern leben von den Aussparungen, dem Nicht-Gesagten, Mitgedachten oder in einzelnen Wörtern, Wendungen und Motiven Implizierten. Ähnlich wie sonst in der Lyrik muss den Sätzen nachgedacht, müssen einzelne Bilder hin- und hergewendet werden, ist das Netz der impliziten Bezüge so eng geknüpft, dass ihre Rekonstruktion die Dynamik der Handlung ersetzt. Nicht weil nichts passierte, sondern weil die eigentliche Wucht der meist bedrückenden oder erschreckenden Geschehnisse im Text nicht mimetisch abgebildet oder expliziert wird, sondern erst im Akt der Entschlüsselung und Reflexion durch die Rezipienten/Lesenden auf diese einwirkt. Schrecken werden nicht unmittelbar dargestellt, sondern mittelbar, etwa über den Blick auf ihre Effekte, evoziert und wirken als eigene Verstehens- und Vorstellungsleistung im Lesenden umso intensiver nach.

Ähnlich wie in der Realität die Bedeutung schlechter Nachrichten die Betroffenen erst zeitversetzt erreicht, weil das Bewusstsein sich erst einmal weigert, sie zu glauben, baut Müllers Sprache, die immer auf Konkretes abzuzielen scheint und zugleich im Metaphorischen Anderes, Größeres, Unfassbares aufruft, einen Faktor der Verständnisverzögerung ein. Er intensiviert die Lektüre und verlangsamt sie zugleich und schafft damit ein eigenes Zeitgefühl, in dem Erwartungsspannung und Wahrnehmungsdehnung sich zu einem eigentümlichen Bewusstsein ›gefühlter Zeit‹ verbinden. Dieser Lektüreeffekt spiegelt zugleich eine atmosphärische Qualität der dargestellten Welt beziehungsweise ihrer Empfindung durch die Figuren wider; zwischen ›bleierner‹ Gegenwart, schmerzlicher Gegenwärtigkeit in Augenblicken aufblitzender Erkenntnis, zeitloser Vergänglichkeit und zyklischer Wiederkehr des Altbekannten bewegen sich die Zeiterfahrungen der Figuren. Sie werden alle unmittelbar bedingt durch die Lebensbedingungen in der Diktatur, deren zeitpolitisches Regime diktiert das öffentliche Leben (der Ernteeinsätze, Heizperioden, Feiertage) und die individuelle Alltagstaktung, durch das Warten auf eine Ausreisegenehmigung oder die Einbestellung zum Verhör: »Ich bin bestellt. Donnerstag Punkt zehn. Ich werde immer öfter bestellt: Dienstag Punkt zehn, Samstag Punkt zehn, Mittwoch oder Montag. Als wären Jahre eine Woche, mich wundert schon, daß es dabei nach dem späten Sommer bald wieder Winter wird.«1

Die spezifische ›ästhetische Eigenzeit‹ von Ceauşescus Rumänien und seiner Darstellung bei Müller grundiert das Lesen ebenso wie das Gelesene und durchwirkt Müllers Romane; auch wenn Personal, Schauplätze und jeweilige Handlungen sich unterscheiden, so erkennt man sie doch als Evokationen ein- und derselben Welt beziehungsweise als spezifische Sicht- und Erlebensweise, die sich im unverwechselbaren Blick und einer eigenständigen Erzählstimme mitteilt. Blick und Stimme sind fraglos von dem Gesehenen und zu Erzählenden geprägt, markiert und vielleicht auch versehrt; aber sie vermögen es ihrerseits, dem Erlebten und seiner Erzählung ihre Prägung zu geben. Sie wirkt fort – wer durch die Schule der Müller’schen Texte gegangen ist, wird Wirklichkeit unweigerlich anders sehen. Das rückt die Autorin in die Nähe von Peter Handke, Wilhelm Genazino oder W. G. Sebald, Autoren, die vorderhand andere Themen, Plotstrukturen und narrative Formen nutzen, deren wahrnehmungsbasierte Poetik aber ebenso über die Textlektüre hinauswirkt und dazu beiträgt, dass die Autoren durch ihren werkübergreifenden Autorstil Leser*innengemeinschaften haben – wie es auch bei Herta Müller der Fall ist.

Im Zentrum von Müllers Romanwerk stehen drei Romane: »Der Fuchs war damals schon der Jäger« (1992)2, »Herztier« (1994)3 und »Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet« (1997). Sie erschienen in den 1990er Jahren nach der Übersiedlung der Autorin in die BRD (1987) und nach dem Sturz Ceauşescus (1989) in kurzer Folge innerhalb von fünf Jahren. Die Werke verbindet der thematische Fokus auf Ort und Zeit der Ceauşescu-Diktatur in Rumänien sowie das autofiktionale Spannungsverhältnis der Stoffe zu Ereignissen im Leben der Autorin.4 Stärker als Thema, politisch-historischer Kontext und Entstehungsumstände eint die Texte indes die intensive und unmittelbare Bildhaftigkeit, die »spezifische poetisch-stilistische Technik«5 des Erzählens. Sie bewirkt unter anderem, dass Ereignisse als Erfahrungen, Stimmungen als Wahrnehmungen und Wirklichkeit, auch die brutalste und bedrängendste, als fantastisch beseelte Blickerwiderung der Realität auf ihren Betrachter in Erscheinung treten. Das gibt der Bedrohung und Überwachung durch die Securitate, den Erfahrungen von Hunger, Mangel und Enge, der Enttäuschung und dem Verrat durch Freunde eine über den konkreten Einzelfall hinausweisende existenziell beunruhigende, unheimliche Tiefe; und es zeigt die Sprache des erzählenden Ichs zugleich auf der Höhe ihrer Ausdrucks- und Handlungsmacht – als Souverän einer Fantasie, die paradoxerweise beides sein kann: Gegenpart und Katalysator der Brutalität der Außenwelt, Erkenntnisinstrument und Waffe der Erzählstimme. Sie richtet sich auch gegen sie selbst, denn die Sprache, die eine beängstigende und vom Ich nicht zu kontrollierende Wirklichkeit ›in den Griff bekommt‹, entwirft ja neue, ihrerseits beängstigende Bilder mit Eigenleben.

Das »rhizomatische Geflecht wiederkehrender Bilder, Themen und Motive«6 hält nicht nur die einzelnen achronologisch und zum Teil elliptisch strukturierten Romane zusammen, es verbindet sie auch untereinander. So finden sich zahlreiche intratextuelle Bezüge von Zitaten, Ding-Motiven, Farbsymbolik, Plotähnlichkeiten über Metaphern und ähnlich charakterisierte Figuren (etwa zwischen den Erzählungen »Niederungen«7 und »Herztier« oder zwischen »Herztier« und den Essays »Hunger und Seide«8).9 Das bewirkt aber keinesfalls, dass sich die Romane miteinander zu einem ›Kosmos‹ verbänden – dazu sind die Welten zu sehr in sich abgeschlossen und in ihrer Raumatmosphäre klaustrophobisch konnotiert. Insofern sind es auch weniger die topografischen Übereinstimmungen, die auf ein und denselben Handlungsort verweisen, als vielmehr die Konnotationen der Räume in ihrer politischen Bedeutung und psychoästhetischen Wirkung: Der Umstand, dass in allen Romanen der Fluss, manchmal auch explizit die Donau, vorkommt, verweist zwar auf die geografische Lage Rumäniens und hat insofern einen außerliterarischen Referenten in der politischen Topografie Osteuropas. Relevanter scheint der Fluss (Donau) indes als Teil des Motiv-, Metaphern-, und Metonymienreservoirs, das als typisches Element der Autorinnenstilistik konkret, bildhaft, intra- und intertextuell wirkt, wenn der Fluss als Grenze, Ort der Überschreitung und erhofften Freiheit und zugleich der Gefahr, des Todes (durch die Grenztruppen) und dessen Verschleierung sowie des Abschieds gesehen und verstanden wird. Intratextualität bewirkt meines Erachtens bei Müller keine Wiedererkennungseffekte, die dazu einladen, lesend die Orte, Ereignisse und Figuren in einen größeren Erzählzusammenhang im Sinne einer rumäniendeutschen Saga oder Trilogie10 einzuordnen. Vielmehr bewirken Ähnlichkeit oder gar Wiederholung eine Affirmation der schon geschulten Wahrnehmung, eine Förderung der abgründig skeptischen Lektürehaltung, der Schärfung von Ambivalenz-Sinn und Mehrdeutigkeits-Toleranz. Insofern verstärken die Romane einander zu einer Art poetischer ›bubble‹, im Sinne jener »filter bubbles«, die eine Wahrnehmungssphäre konstituieren und durch Bestätigung abgrenzen, aus der es kein Entkommen gibt, weil das Individuum sie mitnimmt, wohin auch immer es geht.

Die Mehrdeutigkeit der zuweilen surreal anmutenden Sprache und der ihr innewohnenden kreativen Fantasie kennzeichnet, bedingt durch die Wahl von Ich-Erzählerinnen (»Herztier«, »Heute wär ich mir …«) beziehungsweise personale Erzählweise (»Der Fuchs …«), die Poetik der Romane ebenso wie ihre Hauptfiguren, in allen drei Fällen Frauen um die 30: die Lehrerin Adina (»Der Fuchs …«), eine Studentin und spätere Übersetzerin in einer Fabrik (»Herztier«) sowie eine Arbeiterin in einer Konservenfabrik (»Heute wär ich mir …«). Ihr Erlebensmodus, das Bildreservoir ihrer Beschreibungen und die poetischen Funktionsweisen ihrer Realitätsverarbeitung verweisen, unabhängig von Herkunft, Bildungsgrad und Beruf der Figuren, auf eine ähnliche Fantasiebegabung. Das erklärt sich nicht allein mit dem politisch regulierten Zugang zu Studium oder Lektüre, der über Bildungsbiografien und akademische Chancen entschied, sondern mehr noch über zwei andere Implikationen: zum einen die Bildmacht der rumänischen Sprache, die das Deutsch der rumäniendeutschen Figuren umgibt und grundiert und sich auch in Redewendungen, Märchen und Sagen der Banater Dorfbevölkerung niederschlägt; zum anderen in der identitätsstiftenden und -bewahrenden Macht, die Müller der Fantasie und dem durch sie geprägten, die Objekt-Welt beseelenden Blick zuspricht11 und die sie als eine der frühesten eigenen Kindheitserfahrungen schildert.12

Alle Protagonistinnen stehen am Anfang ihrer Berufsbiografie; sie verbindet die oft dörfliche oder kleinstädtische Herkunft mit dem Leben in größeren Städten, das Ausbruch aus der Enge, Freiheit, Urbanität und Aufbruch in ein eigenes Erwachsenenleben jenseits der familiären Herkunft assoziiert. Dieses erweist sich aber bald, in den Institutionen der Ausbildung, in Schule, Universität, im Arbeitsleben von Fabriken und Büros sowie im öffentlichem Leben, als ebenso von der Mangelwirtschaft gekennzeichnet wie das Landleben; zudem ist es noch vielfältiger und engmaschiger kontrolliert, die staatliche Repression in Propaganda, Beobachtung, Wohnungsüberwachung, Verhören und Verhaftungen allpräsent. Die Jugend der Protagonistinnen verstärkt diesen Befund, weil er – angesichts ihrer Erwartungen – nicht nur als Gegenwartsdiagnose in Erscheinung tritt, sondern auch die Zukunft des Landes zu bestimmen scheint, wie es der Lehrerin Adina etwa an den Erziehungsmethoden und am Anpassungsdruck im staatlichen Schulsystem beim Blick auf die Schüler vor Augen steht: »Im Gesicht des Kindes stand ein Alter, das die Kinderstimme nicht ertrug. Das Gesicht des Kindes roch nach abgestandenem Obst. / Es war der Geruch alter Frauen (…). / Als das Kind zwischen den anderen Kindern im Schulhof stand, war der Fleck an seiner Wange der Griff der Einsamkeit. Er dehnte sich aus, denn über die Pappeln fiel schiefes Licht.«13

Die Aussichtslosigkeit einer über die Kinder in die Zukunft verstetigten Gegenwart und die mit dieser Langzeitperspektive verbundene Trostlosigkeit und Bedrückung sind zum einen ein stilistischer Effekt der auf Verstetigung, Persistenz und Wiederholung (in Ritual, Brauchtum und Gewohnheiten) angelegten Bildwelt der Autorin. Zum anderen werden sie auch in den Romanen selbst als raumübergreifend und zeitüberdauernd thematisiert, etwa wenn Überwachung und Bedrohung über Landes- und Regimegrenzen hinaus weitergehen, auch nachdem die Ich-Erzählerin (in »Herztier«) bereits im westlichen Ausland lebt. Die grundsätzliche Skepsis und die Sorge, dass die Mechanismen der Diktatur und der Machtmissbrauch auch nach Ceauşescus Sturz beständige Gefahren darstellen, klingt schon zuvor an; der erste der drei Ceauşescu-Romane erzählt über das vermeintlich ›gute Ende‹ hinaus – in ihrem Versteck auf dem Land erleben Adina und ihr Freund den Sieg der Revolution, den Sturz und die Hinrichtung des Diktatorenpaars. Konzeptionell und stilistisch klingt nicht die Befreiung nach und über das Romanende hinaus, sondern besorgte Voraussicht: »Der Erdwall des Stadions zieht das Gestrüpp enger an sich. Der letzte fliegende Ball ist vergessen, das verbotene Lied hat sich durchs Land gesungen, jetzt drückt es am Hals, wenn es um sich greift, es ist stumm. Denn die Panzer stehen noch überall in der Stadt, und die Brotschlange vor dem Laden ist lang. Der Langstreckenläufer hängt oben am Erdwall seine nackten Beine über die Stadt, ein Mantel schlüpft in den andern.«14

Die Wandelbarkeit der politischen Bedrohung, mit dem Roman gesprochen: die Vielfalt der Mäntel und die Behändigkeit, mit der sie gewechselt beziehungsweise übereinander getragen werden, sodass unter den Schichten der Tarnung gar keine Identität mehr erkennbar ist, lässt auch die nachrevolutionäre Situation nur wie die Variation letztlich einer Grundsituation erscheinen: der Bedrohung von Freiheit, Freundschaft, Kunst und Lebensqualität durch Überwachung, Einschüchterung, intellektuelle, vor allem sprachliche, Manipulation und Unterdrückung beziehungsweise Deformation. Diese Grundthematik mag die Bezeichnung der drei Romane als »Trilogie traumatischer Beschädigung«15 rechtfertigen, sofern man sie nicht als Pathografie liest, was ja immer eine Distanzierungsbewegung vom Dargestellten impliziert, und sofern man die metaphorische Verdichtung und Variation der ›Trilogie‹ so versteht, dass hier stilistisch ein ästhetisches wie moralisches Darstellungsproblem bewältigt wird, das alle massenhaften Leidenserfahrungen kennzeichnet, nämlich den Einzelnen/die Einzelne nicht zu vernachlässigen durch eine Kollektivdarstellung und zugleich die Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Opfer nicht zu nivellieren, indem, aus Gründen der Empathie, die literarische Darstellung auf ein Einzelschicksal fokussiert. In der Tat zeigt Müller »traumatische Beschädigung« als Normalität, denn ›heile‹ Figuren tauchen auch an den Rändern der Handlung nicht auf; wer nicht als Täter oder Opfer verstrickt ist, ist doch zumindest Profiteur oder lebt einem geradezu archaischen Egoismus,16 dessen Grausamkeit zu ignorieren auch einer Beschädigung gleichkommt. Diejenigen, deren Bedrohtheit und Verletzung durch die Diktatur im Zentrum steht, unterscheiden sich durch ihre Wachheit und ihre Resistenz, man könnte auch sagen, durch ihren Mut, und das bringt sie in näheren Kontakt mit den Überwachungs- und Kontrollorganen, in deren Vertretern sich dann Bedrohung und Demütigung konkretisieren. Auch hier ist Müllers Technik der bildhaften Konkretion, die zugleich ins Abstrakte verweist, ein Mittel, die Größe des staatlichen Apparats einerseits fühlbar zu machen und doch nicht auf einzelne Vertreter zu reduzieren. So werden Mitarbeiter der Securitate durch charakteristische Details, etwa die Schalen der gekauten Kürbiskerne, die von ihrer Anwesenheit künden, charakterisiert (»Der Fuchs …«), zugleich ist das Kürbiskernkauen so verbreitet, dass es als Indiz keine Eindeutigkeit beanspruchen und der verunsicherten Adina keine letzte Gewissheit gewährleisten kann. Ähnlich funktioniert das Motiv des weißen Hemdes oder des Anzugs: Die Kleidungsstücke markieren die Differenz der Securitate-Offiziere im Innendienst zu Arbeitern, Bauern, Mechanikern oder Studenten – insofern machen sie sie unterscheidbar. Zugleich sind sie aber formelle Kleidungsstücke und charakterisieren verschiedenste Berufe und in ihrem Uniformen-Charakter taugen sie kaum dazu, ein Individuum zu identifizieren (s. u.).

Alle Protagonistinnen der Romane geraten mittelbar über ästhetische Erfahrungen (der Wirklichkeit, der Sprache, Musik oder Literatur) oder ihren Ausreisewunsch in das Visier der Securitate und leiden darunter, dass ihre Wohnungen in ihrer Abwesenheit durchsucht (»Der Fuchs …«), ihre Freunde überwacht und befragt (»Herztier«) oder sie selbst zu Verhören einbestellt werden (»Heute wär ich mir …«). In ihrer Einschüchterung und Angst, die sie misstrauisch machen und isolieren, wähnen sie sich zeitweise im Einklang mit wenigen gleichaltrigen Freunden, Geliebten oder Vertrauenspersonen, die dann entweder durch Mord, Selbstmord oder ungeklärte Unfälle zu Tode kommen oder, schlimmer, durch Verrat die Freundschaften und Liebesbeziehungen unterminieren, das Vertrauen vergiften und die Erzählerinnen auf sich selbst zurückwerfen beziehungsweise drohen, sie an sich irre werden zu lassen – »ha, ha, nicht irr werden«,17 sind die letzten Worte der Ich-Erzählerin am Ende von »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet«, nachdem sie Zeichen entdeckt hat, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass ihr Mann Paul sie an die Securitate verraten hat. Die kaum mehr mögliche Hoffnung, dass es sich um einen Irrtum oder eine Fehlwahrnehmung handeln könnte, wäre nur um den Preis möglich, das Vertrauen in die eigene Weltwahrnehmung zu verlieren und sich Paranoia zu attestieren, sodass Ich-Verlust und Liebesverrat für die Protagonistin zynische, weil gleichermaßen selbstzerstörerische Alternativen darstellen. Der Verrat kennt nur Opfer und der/die Verratene verliert mehr als nur den Geliebten oder die Freundin.

Die makaber zerstörerischen Gefühlsverwirrungen, die mit dieser Grunderfahrung einhergehen, illustriert der Roman »Herztier«, wenn er Verrat und Tod gleichsam miteinander um die Schmerz-Dominanz konkurrieren lässt: Der Roman präludiert schon im vorangestellten Gedicht des rumänischen Surrealisten Gellu Naum das Thema Freundschaft und führt dann vor, dass menschliche Zuwendung und loyale Verbundenheit als ›unseriöser‹ emotionaler Luxus und gefährliche Selbsttäuschung gelten müssen in einer Welt, die den Einzelnen isoliert und Vertrauen zu einem Überlebensrisiko macht: »jeder hatte einen Freund in jedem Stückchen Wolke / so ist das halt mit Freunden wo die Welt voll Schrecken ist / auch meine Mutter sagte das ist ganz normal / Freunde kommen nicht in Frage / denk an seriöse Dinge«.18

Das Gedicht und seine politische Brisanz werden zum Anlass und Gegenstand mehrerer Verhöre der Hauptfiguren durch einen Hauptmann der Securitate; das Freundschaftsgedicht und sein Sujet sind aber auch insofern Leitmotiv des Romans, als die Berechtigung der mütterlichen Warnung in unterschiedlichen, allesamt im Wortsinn fatalen Figuren- und Beziehungskonstellationen von Freundschaft durchgespielt werden: Vier aus deutschstämmigen Dörfern und Kleinstädten stammende Student*innen, die Ich-Erzählerin und ihre Freunde Edgar, Georg und Kurt, finden nach dem Selbstmord der Zimmergenossin Lola deren Tagebuch, versteckt im Koffer der Ich-Erzählerin. Durch die Lektüre verstehen sie im Nachhinein den ärmlichen familiären Hintergrund der jungen Frau als Motiv für ihr Aufstiegsstreben und ihre wechselnden Männerbekanntschaften, darunter auch ein privilegiertes Parteimitglied, ein Mann, dessen »weißes Hemd«19 als eines der Müller-typischen Ding-Symbol-Indizien funktioniert (s. u.) und schon auf die Schuld des Mannes – er schwängert Lola und zeigt sie beim Lehrstuhl an, als sie ihm zu nahezukommen droht – vorausweist ebenso wie darauf, dass er sich seiner Verantwortung und jeder Verfolgung entziehen kann.20 Die nachträgliche Solidarität der Protagonistin mit Lola geht mit politischer Verunsicherung einher – zuvor hatte die Erzählerin noch dem posthumen Parteiausschluss der Selbstmörderin zugestimmt – und macht die zuvor Unauffällige der Securitate verdächtig, ebenso wie die drei Freunde. Die weiteren Lebenswege der vier Protagonisten als Lehrer auf dem Land, Ingenieur in einer städtischen Fabrik und Übersetzerin sowie ihre jeweiligen Bedrängnisse, Beschimpfungen und Repressionen, die in Entlassung, Ausreiseanträge, rätselhafte Tode im Ausland und zweifelhafte Selbsttötung vor der Ausreise münden, variieren die prekäre Gefährdung von Freundschaft unter den Bedingungen der Diktatur. Verdichtet wird diese Erfahrung in ihrer emotionalen Widersprüchlichkeit in einer ebenfalls fatalen Frauenfreundschaftskonstellation, als die Ich-Erzählerin, inzwischen Übersetzerin in einer Fabrik, ihre dort gewonnene Freundin Tereza, Tochter eines angesehenen Parteimitglieds, verliert – durch deren Krebstod und deren Verrat. Beides wird durch den Geheimdienst so miteinander verquickt – der Kranken wird Zugang zu einer besseren Therapie versprochen, wenn sie den Wohnungsschlüssel der inzwischen in den Westen ausgereisten Freundin bei einem dortigen Besuch kopiert –, dass der Tod, der die Vergeblichkeit des Freundschaftsopfers besiegelt, die Verräterin selbst zum mehrfachen Opfer macht: zum Opfer der Krankheit, der falschen Hoffnungen, der Versprechungen und Drohungen der Securitate und der Enttäuschung der verratenen Freundin. Die Erzählstimme vollzieht diese Überblendung nach, indem sie den tödlichen Tumor als ›Nuss‹, in und mit der der Verrat wächst, konkretisiert: »Die Nuß wuchs gegen uns. Gegen alle Liebe. Sie war bereit zum Verrat, gefühllos für die Schuld. Sie fraß unsere Freundschaft, bevor Tereza an ihr starb.«21

Die Trauer um die Tote wiederum wird kontaminiert von der Enttäuschung der Erzählerin, verraten worden zu sein; die Möglichkeit sich zu distanzieren oder (mit Verachtung) abzuwenden, wird durch die endgültige Abwendung der Freundin im Tod verunmöglicht, das moralische Urteil über sie durch das Mitgefühl mit ihrem Leiden und die Trauer über ihren Verlust durchsetzt. Insofern wirkt der Verrat zerstörerischer als der Tod, weil er nicht nur Verlust bedeutet, sondern nachträglich auch die Integrität der Freundin, die Freundschaft als Wert und die Urteilsfähigkeit der Verratenen infrage stellt oder auslöscht, und so sogar die Pietät der Trauer vergiftet.

Auch andere Konstellationen von Verrat durch Geliebte, Ehepartner und Freunde insistieren auf der Ambivalenz, einerseits als Verunsicherung, wem zu trauen ist und wie die Wirklichkeit zu verstehen ist. Diese hat, unter den Vorzeichen der Diktatur, längst die Unschuld des reinen und kontingenten So-Seins verloren und ist, als Zivilisation wie als Natur, nur noch als Zeichensystem zu deuten; wer in ihr überleben will, muss in ständiger Wachsamkeit Pappeln (in »Der Fuchs …«) ebenso ›lesen‹ wie Blicke und Spuren fremden Eindringens in die eigene Wohnung. Insofern kennzeichnet Ambivalenz nicht nur die Außenwelt respektive deren Wahrnehmung, sondern andererseits auch die Individuen und deren Fähigkeit zu vertrauen. Freundschaft wie Vertrauen erscheinen angesichts der Erfahrungen eher eine Gunst auf Zeit als eine verlässliche Zukunftsperspektive. Das betrifft nicht nur die Freunde, Liebhaber oder Ehepartner, sondern zentral die Erzählerinnen selbst, deren Fähigkeit zu vertrauen grundsätzlich unterminiert wird. Wie gefeit sie ihrerseits davor sind, Verrat zu begehen, ist eine in der Narration stetig mitlaufende Frage, und der vermutlich aus einem abgewandelten Sprichwort entstandene Romantitel »Der Fuchs war damals schon der Jäger« zitiert nicht nur die Doppelgesichtigkeit von (vermeintlicher) Beute und Jäger, sondern verweist auch auf Tradition oder Naturgesetzlichkeit dieses Umstands und die Dauer der Täuschung. Alle Ceauşescu-Romane thematisieren die Täuschung und die Gefahr des Verrats so latent implizit wie strukturell omnipräsent: In »Der Fuchs …« wird ein Fuchsfell in der Wohnung der Erzählerin in ihrer Abwesenheit immer weiter zerschnitten, um sie einzuschüchtern; in »Herztier« illustrieren die Lebenswege der vier Hauptfiguren, die durch die gemeinsame Lektüre des Tagebuchs einer Selbstmörderin in ihrer Haltung gegenüber dem Staat verbunden sind, die zerstörerische Macht der Securitate für die Biografie der Einzelnen und für den Bestand der Freundschaft. Selbst das vermeintlich gute Ende für die Protagonistin und den Freund Edgar steht wie ihr weiteres Leben und das Zeugnis,22 das sie (auch mit dem Roman) ablegen, unter dem Zeichen der ›Überlebensschuld‹: »Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm (…), wenn wir reden, werden wir lächerlich.«23 In »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet« schließlich strukturiert die Straßenbahnfahrt der Hauptfigur zu ihren Verhören durch die Securitate den Roman und bringt die Erzählerin, unterbrochen von Erinnerungen und Reflexionen, der Gefahr des Verhörs und der Gefahr, im Verhör (sich) selbst zu verraten, beständig näher. Das scheint deshalb wichtig zu betonen, um den epischen Zug der Texte, ihre auf ›Was-Spannung‹ angelegte Handlung, die Welthaltigkeit transportiert und auch rein stofflich interessierte Leser*innen anspricht, hervorzuheben, obgleich in Rezeption und Forschung häufig das Bildmächtige, Poetische, oft Surreale der Metaphorik und die nahezu traumlogikhaften Handlungsabläufe betont werden.

Die in der konkreten Situation der Diktatur geschulte Wahrnehmung ist ebenso Überlebensinstinkt wie poetische Gabe; die Mehrdeutigkeit der Bilder und der Sprache sind Gefahr und Geschenk – das führen die Romane auf engstem Raum vor, ohne es weitschweifig explizieren zu müssen.

Zur Dichte des Verfahrens – wie zum Raumgefühl einer begrenzten, beengten und überwachten Welt – tragen dabei wesentlich zwei Eigenarten der Müller’schen Erzählweise bei: die interne Fokalisierung, das heißt die Beschränkung der Sichtweise und des mitgeteilten Weltwissens auf die Perspektive, oft sogar auf das konkrete Gesichtsfeld einer Figur, und die selbstbewusste Lakonie, mit der die Erzählstimme diese Sicht der Welt kommentar- und erläuterungsfrei vorträgt, häufig in Form einer Metapher, die ein tertium comparationis voraussetzt und impliziert, und eben nicht als explizierender Vergleich. Nur der Verzicht auf eine im traditionellen Sinne ›allwissende‹ Erzählinstanz oder eine Erzählstimme mit Überblick ermöglicht dem Leser eine Immersion in die erzählte Welt, bei der er Hilflosigkeit, Desorientierung und Einschüchterung der Figuren nachempfinden kann, indem er ihre notwendig beschränkte Sichtweise teilt und ähnlich wie sie darauf angewiesen ist, alle Beobachtungen als Zeichen zu deuten und zum Verständnis der Welt und der eigenen Orientierung in ihr zu nutzen – denn es ist ja gerade die behauptete Allmacht des Kontrollstaates, sein »Wir wissen alles«,24 dem die Protagonisten trotzen. Insofern ist die Wahl der Fokalisierung auch ein Bekenntnis zu den Opfern und eine Parteinahme der Autorin für sie. Die Gefahren der in bezugs- und bedeutungsreiche Details zersplitterten Weltsicht und ihre Nähe zur Paranoia liegen auf der Hand; ebenso gewichtig sind aber der poetische Mehrwert dieses ›fremd(geworden)en Blicks‹25 und seine hermeneutisch-epistemologische Bedeutung.

Wie sich perspektivisches Erzählen, kriminalistische Spannung, Metaphorik und Erkenntnistheorie in Müllers Romanen wechselseitig bedingen und plausibilisieren, lässt sich am Umgang mit Ding-Objekten ersehen: Alle Figuren, Orte oder Gegebenheiten werden aus der Nahperspektive eines erlebenden Ichs präsentiert, also weitgehend erklärungslos, und in der Regel auch nahezu privatsprachlich benannt, mit Spitz- oder Übernamen, sofern es sich um nähere Bekannte handelt, oder mit Vornamen, aber nie mit vollständigen Namensbezeichnungen aus Vor- und Nachnamen. Manche auch für die Handlung wichtige Figuren – etwa der Mann, der den Selbstmord der schwangeren Lola (in »Herztier«) zu verantworten hat – bleiben sogar namenlos, was sich aus dem begrenzten (und Täuschungen unterliegenden) Wissenshorizont der Erzählstimme erklärt. Statt über Namen werden die Figuren über ein Detail ihrer Kleidung (Hemd, Anzug oder Sonnenbrille),26 eine physiognomische Besonderheit oder ihre äußere Erscheinung (der Zwerg, der Angler),27 ihren Beruf (Friseur, Schneiderin, Pförtner, Direktor, Vorarbeiter)28 oder ein Ding-Objekt (z. B. das Motorrad in »Heute wär ich mir …«) von anderen Figuren unterscheidbar gemacht. Das erlaubt eine (relative) Individuation innerhalb einer als sowohl gleichförmig als auch anonym wahrgenommenen menschlichen Umwelt: »sie sind wiedererkennbar, ohne in ihrer Identität bekannt zu werden«.29 Die Markierung bleibt auch innerhalb der figurenperspektivischen Wahrnehmung (und Erzählweise) insofern schlüssig und glaubwürdig, als sie über visuelle Merkmale motiviert ist, also kein Mehr- oder Hintergrundwissen voraussetzt, das ja nur über eine Übersicht (oder eine externe, über- oder interpersonelle Form der Fokalisierung) möglich wäre. Zugleich mit der Kenntlichmachung übernimmt das Ding-Symbol einerseits die Funktion, die Figur (metaphorisch) zu charakterisieren (per Anzug als korrekten Angestellten oder per Motorrad als jugendlichen Draufgänger) und metonymisch als Teil seines Körpers oder Besitztums für den oft namenlosen oder nur mit dem Vornamen Benannten einzutreten – in der Gedankenwelt der Erzählerin und in ihrer Erzählung. Zu dieser doppelten Stellvertretungsfunktion tritt oft innerhalb der Romanhandlung eine – quasi kriminalistische – Indizienfunktion, wenn am (Wieder-)Erkennen von Hemd/Kleidungsdetail oder Motorrad der Träger/Besitzer als (verdeckter) Mitarbeiter der Securitate, als mit den staatlichen Organen kooperierend oder von ihnen bezahlt, jedenfalls als Täter oder Verräter erkannt und überführt wird. Wer mit der Poetik der Autorin vertraut ist, vermag deshalb wiederkehrende Objekte nicht nur als Metaphern oder Metonymien zu erkennen, sondern sie auch symbolisch zu lesen, insofern sie – innerhalb des Müller’schen Werks und ihrer genreübergreifenden Poetik – jene Eigenschaften aufweisen, die man gemeinhin Symbolen zuweist. Müllers literarische Mimesis spricht den Dingen ihren überindividuellen Bedeutungswert nicht nur im Text als poetische Zeichen zu, sondern behauptet ihn auch für die Sphäre der wahrgenommenen Wirklichkeit. Das macht die Autorin streitbar und verleiht ihrer Stimme Autorität – nicht nur in ihren Romanen.

1 Herta Müller: »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Roman«, Reinbek 1997, S. 7. — 2 Herta Müller: »Der Fuchs war damals schon der Jäger. Roman«, Reinbek 1992. — 3 Herta Müller: »Herztier. Roman«, Reinbek 1994. — 4 Hierin sowie im anderen historischen und thematischen Fokus liegt eine wesentliche Differenz zum Roman »Atemschaukel« (München 2009), der im Austausch mit Oskar Pastior entstand und dessen Erlebnisse autofiktional gestaltet. Literarästhetische Einwände u. a. gegen die Metaphorik in »Atemschaukel«, die manche Kritiker unter Kitschverdacht stellten und als »parfümiert und kulissenhaft« kritisierten (vgl. Iris Radisch: »Kitsch oder Weltliteratur? Gulag-Romane lassen sich nicht aus zweiter Hand schreiben. Herta Müllers Buch ist parfümiert und kulissenhaft«, in: »Die Zeit«, 20.8.2009; https://www.zeit.de/2009/35/L-B-Mueller-Contra, aufgerufen am 15.4.2020), mögen sich aus der Dissoziation von fremder Biografie und Fiktion erklären. Müller selbst akzentuiert die gemeinsame Autorschaft an der Fiktion des Faktischen: »wir schrieben (…) miteinander erfundene Realitäten«. Herta Müller: »Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel«, München 2011, S. 129. — 5 So zum Beispiel Moyrer über »Herztier«. Monika Moyrer: »›Herztier‹«, in: Nobert Otto Eke (Hg.): »Herta Müller Handbuch«, Stuttgart 2017, S. 41–49, hier S. 46; doch handelt es sich hier um eine Stoff- und Autorin-spezifische Stilistik, welche die drei Ceauşescu-Romane eint und eben für andere Romane, den Ankunftsroman »Reisende auf einem Bein« (Berlin 1989) oder den Gulagroman »Atemschaukel« (München 2009) nur bedingt gilt und ›funktioniert‹. — 6 Norbert Otto Eke: »Schönheit der Verwund(er)ung. Herta Müllers Weg zum Gedicht«, in: »TEXT + KRITIK«, H. 155 (2002): »Herta Müller«, S. 64–79, hier S. 70. — 7 Herta Müller: »Niederungen. Prosa«, Bukarest 1982 (Berlin 1984; München 2010). — 8 Herta Müller: »Hunger und Seide. Essays«, Reinbek 1995. — 9 Vgl. Moyrer: »›Herztier‹«, a. a. O., S. 45. — 10 So etwa Paola Bozzi: »Autofiktionalität«, in: Eke (Hg.): »Herta Müller Handbuch«, a. a. O., S. 158–167, hier S. 158. — 11 Dass Fantasie als ambivalentes Potenzial Teil einer Art poetischen Anthropologie bzw. einer anthropologischen Poetik ist, erhellt daraus, dass bildmächtige Sprache, hyperbolische oder unheimliche Vorstellungen sich in Tradition und Brauchtum (»Niederungen«) ebenso ausmachen lassen wie in den subtilen Demütigungen der staatlichen Überwachung, deren Perfidie darin besteht, nicht wirklich verborgen zu arbeiten, sondern mit Zeichen auf ihre verborgene Allgegenwart zu verweisen (»Der Fuchs …«). In den Romanen wird diese Poetik zugleich zum Signum der Zeugenschaft sowie von deren Sprache. — 12 Herta Müller: »Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Herta Müller erzählt ihre Kindheit im Banat«, 2 Audio-CDs, Berlin 2009. — 13 Müller: »Der Fuchs war damals schon der Jäger«, a. a. O., S. 11. — 14 Müller: »Herztier«, a. a. O., S. 285 f. — 15 Helgard Mahrdt »›Man kann sich doch nicht mit einer Katastrophe versöhnen‹. Herta Müller: Einführung in Leben und Werk«, in: Helgard Mahrdt / Sissel Lægreid (Hg.): »Dichtung und Diktatur. Die Schriftstellerin Herta Müller«, Würzburg 2013, S. 27–54, hier S. 35. — 16 Vgl. René Kegelmann: »Figurenkonstellationen«, in: Eke (Hg.): »Herta Müller Handbuch«, a. a. O., S. 176–184, hier S. 181. — 17 Müller: »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet«, a. a. O., S. 240. — 18 Müller: »Herztier«, a. a. O., S. 5. — 19 Ebd., S. 35. — 20 Die kontraintuitive Verwendung von Weiß nicht als Farbe der Unschuld, sondern als Farbe einer Schuld, die nicht nachgewiesen werden kann, wie sie im Ausdruck »weiße Weste« anklingt, wird bei Müller systematisch eingesetzt, etwa in »Heute wär ich mir …«, wo die Farbe u. a. im Namen des verhörenden Offizier Albu anklingt. Vgl. Ute Weidenhiller: »›Heute wär ich mir lieber nicht begegnet‹«, in: Eke (Hg.): »Herta Müller Handbuch«, a. a. O., S. 50–58, hier S. 52–54. — 21 Müller: »Herztier«, a. a. O., S. 156. — 22 Vgl. Moyrer: »›Herztier‹«, a. a. O., S. 48. — 23 Müller: »Herztier«, a. a. O., S. 252. — 24 Ebd., S. 45. — 25 Vgl. zur autobiografischen und poetischen Bedeutung des Verfahrens Sanna Schulte: »Blicken und Schreiben (Der ›Fremde Blick‹)«, in: Eke (Hg): »Herta Müller Handbuch«, a. a. O., S. 185–190, hier bes. S. 185–187. — 26 Vgl. etwa Müller: »Der Fuchs war damals schon der Jäger«, a. a. O., S. 44 bzw. 70. — 27 Vgl. ebd. — 28 Vgl. ebd. — 29 Alexandra Pontzen: »›Der Fuchs war damals schon der Jäger‹«, in: Eke (Hg.): »Herta Müller Handbuch«, a. a. O., S. 31–40, hier S. 34.

TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller

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