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1 Einleitung

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Im Jahr 2017 fand die Vilniusser Buchmesse unter dem Motto „Litauische Zeichen in der Welt“ statt, womit die Veranstalter den Versuch unternommen haben, das Lesepublikum mit den weltweit zerstreuten Spuren litauischerLitauenlitauisch Literatur vertraut zu machen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei jenen Autoren litauischerLitauenlitauisch Abstammung, die unmittelbar nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg in den DP-Lagern, den USA oder Kanada geboren und dort sozialisiert wurden, sich häufig litauischerLitauenlitauisch Themen und Motive bedienen, aber ihre Texte auf EnglischEnglisch/English und in erster Linie für ein englischsprachigesEnglisch/English Lesepublikum schreiben, wie z.B. Birutė PutriusPutrius, Birutė, Antanas ŠileikaŠileika, Antanas, Irena Mačiulytė-GuilfordMačiulytė-Guilford, Irena, um nur einige prominente Namen zu nennen. Die Autorengeneration, die LitauenLitauen um bzw. nach 1990 verlassen hat, z.B. die seit 1989 auf Zypern ansässige Autorin Dalia Staponkutė Staponkutė, Dalia oder der in FrankreichFrankreich lebende Nationalpreisträger Valdas PapievisPapievis, Valdas, schreiben hingegen ausschließlich in litauischerLitauenlitauisch Sprache, auch wenn sie in ihren Texten Themen wie MigrationMigrant/inMigration, IdentitätIdentität/identity oder TranskulturalitätTranskulturalität behandeln. Staponkutė, die den Themenkomplex SprachreflexionSprachreflexion, SprachkritikSprachkritik, ZweisprachigkeitZweisprachigkeit und MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit besonders konsequent diskutiert (vgl. Das Schweigen der Mütter, 2007), behauptet, „die Sprache sei ein Verhandlungsraum“, sie selbst sei „ein gespaltener Mensch und Autorin“ und „das Sprechen über die Sprache sei die einzige Möglichkeit, diese Spaltung zu überwinden“, aber sie sei skeptisch, ob das Schreiben in einer FremdspracheFremdsprache für sie als Autorin in Frage käme (Interview am 23.2.2017).

Gerade in Hinblick darauf, dass sich in der neuen litauischenLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität1 keine SprachgrenzüberschreitungenSprachgrenzüberschreitung verzeichnen lassen, die anderen Sprachen die Identität der Autoren und Autorinnen nicht entscheidend durchdringen und „die Möglichkeit, in einer anderen Sprache als der ErstspracheErstsprache zu schreiben, nur theoretisch existiert“, stellt die Literaturwissenschaftlerin Dalia Satkauskytė die berechtigte Frage, ob sich für die Analyse dieser Literatur theoretische Ansätze hybriderHybriditäthybrid kultureller IdentitätenIdentität/identity, so wie sie von Homi K. Bhabha oder Gayatri Spivak formuliert wurden, überhaupt eignen, obwohl sie in der litauischenLitauenlitauisch Forschung am häufigsten Anwendung finden (Satkauskytė 2011: 122). Eine ähnliche Position vertritt Eglė Kačkutė, die ebenfalls das Fehlen der Belege für sprachliche HybriditätHybridität in der litauischenLitauenlitauisch Literatur konstatiert und dazu rät, in dem Fall nicht von sprachlich und kulturell hybridenHybriditäthybrid IdentitätenIdentität/identity, sondern nur von einzelnen „Erscheinungsformen der Hybridität“ zu sprechen (Kačkutė 2013).

Nach dem EU-Beitritt (2004) hat sich LitauenLitauen zu einer der mobilstenMobilitätmobil NationenNation in der EU entwickelt (vgl. Eurostat-Bericht 06/2020), was auch einen enormen Aufschwung der neuen Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität zur Folge hatte. Diese Literatur ist in den letzten Jahren zu einem populären Forschungsgegenstand litauischerLitauenlitauisch LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft geworden (Beiträge von Dalia Satkauskytė, Žydronė Kolevinskienė, Dalia Kuizinienė, Laura Laurušaitė, etc.), aber aus den oben erwähnten Gründen wird sie kaum unter dem Aspekt der ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bzw. MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, sei es auf der Autoren- oder Textebene, diskutiert. Zu erwähnen ist an dieser Stelle der Aufsatz von Laura Laurušaitė Transformationskraft der Sprache in der litauischenLitauenlitauisch und lettischenLettland/Latvialettisch (E)Migrationsprosa (2019), der sich in Anlehnung an postkolonialeKolonialismuspostkolonial Theorieansätze mit den Einstellungen der MigrantenMigrant/in zur ErstspracheErstsprache und FremdspracheFremdsprache sowie sprachlich motivierten Diskriminierungs- bzw. Dominanzverhältnissen in der jüngsten litauischenLitauenlitauisch und lettischenLettland/Latvialettisch MigrationsliteraturMigrant/inMigrationsliteratur beschäftigt. Laurušaitė diskutiert ausführlich nicht nur die fehlende FremdsprachenkompetenzSprachkompetenzFremdsprachenkompetenz und dadurch bedingte Handlungsunfähigkeit der baltischenBaltikumBaltisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in, sondern auch die zusammen mit der Erlangung neuer SprachkenntnisseSprachkenntnisse einhergehende Transformation ihrer kulturellen IdentitätIdentität/identity sowie ihre (angebliche) Entfremdung von der Erstsprache, die für die Hauptursache kultureller Ortslosigkeit, ja sogar des „kulturellen Todes“, erklärt wird. Es ist der Forscherin zuzustimmen, dass in den Migrationskontexten der Sprache eine viel größere Bedeutung denn als bloßes KommunikationsmittelKommunikation zukommt. Etwas verkürzt werden jedoch in dem Aufsatz die komplexen SprachkontakteSprachkontakt auf Konfliktsituationen reduziert und die baltischenBaltikumBaltisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in in die Rolle der Sprachlosen hineinversetzt, die sich nur innerhalb ihres SprachkollektivesSprachkollektiv bewegen oder sich in die Aufnahmegesellschaft auf Kosten ihrer Erstsprache und ihres kulturellen Selbstbewusstseins integrieren.

Während sich Laurušaitė auf die KommunikationsproblemeKommunikation konzentriert und die zentrale Funktion literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in der Erzeugung von Irritation sieht, bleiben andere MobilitätsmodelleMobilität und literarische Entwürfe sprachlicher und kultureller IdentitätIdentität/identity außer Acht. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der Erfolgsroman Stasys Šaltoka von Gabija Grušaitė Grušaitė, Gabija (2017), der ein neuartiges flexibles Selbstverständnis eines jungen LitauersLitauenLitauer/-in mit MigrationshintergrundMigrant/inMigrationshintergrund präsentiert. In den von Laurušaitė untersuchten Texten gehen die Protagonisten ins Ausland, um Geld zu verdienen; sie übernehmen niedrigqualifizierte Arbeiten, kommunizieren vornehmlich unter sich und bleiben dem Rest der Gesellschaft fremdFremdheitfremd. Der Protagonist in Stasys Šaltoka, ein New Yorker Hipster und aktiver Nutzer von Social Media, hat dagegen keine finanziellen Probleme, keine Schwierigkeiten mit der (englischenEnglisch/English) Sprache und ist sowohl im realen Leben als auch virtuell bestens sozial vernetzt. Er präsentiert den Typus eines Globetrotters bzw. neuen Weltbürgers, der verschiedene Sprachen spricht, darüber aber kaum reflektiert, denn ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeit scheint für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein. So werden in den litauischenLitauenlitauisch Text, gegen jegliche Normen des SprachpurismusSprachpurismus verstoßend, englischsprachigeEnglisch/English Elemente integriert, ohne diese speziell zu markieren oder zu kommentieren.

Eben diesem neuen Typus sprachlicher HybriditätHybridität sowie dem textästhetischen Verfahren des SprachwechselsSprachwechsel in der neuesten litauischenLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität soll in dem vorliegenden Beitrag die größte Aufmerksamkeit gelten. Die Fragestellung ist unter anderem durch die Bemerkung Till Dembecks motiviert, dass „eine Darstellung von SprachwechselSprachwechsel und -mischung in postkolonialenKolonialismuspostkolonial und postmigratorischen Texten […] über die Grenzen der (west-)europäischenEuropaeuropäisch und amerikanischenAmerika/USAamerikanisch Literatur hinausgehen“ müsste (Dembeck 2020: 144). Wie von Dembeck bemerkt, wird die Interpretation des SprachwechselsSprachwechsel „sowohl die allgemeine soziokulturelle Wertigkeit der verwendeten Sprachen als auch die vom Text selbst erzeugte Sprach- und Kommunikationssituation“ (ebd.: 146) genau in den Blick nehmen und die Funktionen eines derartigen Verfahrens am Beispiel eines Romans diskutieren.

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