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Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

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Schon Rudolf (II) hatte Kontakte mit dem Musikpädagogen und Fagottisten Otto Ulf (1907–1993) gepflegt, der an der Innsbrucker Lehrerbildungsanstalt unterrichtete und dort mit engagierten Schülern den Bläserkreis Innsbruck ins Leben gerufen hatte. Dieses Ensemble widmete sich – in Tirol damals völlig neu – der Bläsermusik der Renaissance und des Frühbarocks und erwarb sich bald überregionales Renommee. Ulf bemühte sich schon damals um eine historische Aufführungspraxis, aber das Instrumentarium, das ihm und seinen Mitstreitern zur Verfügung stand, war unzureichend. Als Ulf aber Rudolf (II) Tutz ersuchte, eine Barocktrompete zu bauen, lehnte dieser ab, weil er davon überzeugt war, dass ihm dazu das nötige Know-how und die Expertise fehlten. Sein Sohn sollte kurze Zeit später ebenso abwinken, als Ulf mit der Bitte an ihn herantrat, ihm nur auf der Grundlage der Abbildung und der Angaben im berühmten Musiktraktat Syntagma musicum III (1619) einen Dulzian zu bauen. Rudolf Tutz (III) wusste eben schon damals genau, was er konnte und was nicht. Als sich Innsbruck ab den 1960er Jahren immer mehr zu einem Zentrum der Alte Musik-Bewegung entwickelte, sprach sich herum, dass mit „dem Tutz“ ein außergewöhnlich begabter und experimentierfreudiger, dazu besonders neugieriger Instrumentenbauer vor Ort war.

Einer, der Rudolf Tutz sehr schätzte, war der Musikwissenschaftler Walter Senn (1904–1981), der nach dem Zweiten Weltkrieg (offiziell ab 1963) die Instrumentensammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum ehrenamtlich betreute und den jungen Instrumentenbauer für Reparaturen heranzog. So hatte Rudolf Tutz Gelegenheit, Originalinstrumente zu sehen und zu untersuchen. Für den Bläserkreis Innsbruck baute Rudolf Tutz in der Folge Barockposaunen, doch sollte sich seine Aktivität zunehmend auf den historischen Holzblasinstrumentenbau verlagern. Ein Grund für diese Verlagerung ist in dem Umstand zu sehen, dass in den 1960er und 1970er Jahren das Tiroler Blasmusikwesen von einem Professionalisierungsschub erfasst wurde; die Kapellen wechselten von der hohen sogenannten „Militärstimmung“ (ca. 470 Hz) zur Normalstimmung (440 Hz). Aus diesem Grund wurde das Instrumentarium praktisch flächendeckend erneuert. Die neuen Instrumente waren weit weniger reparaturanfällig. Damit war das Kerngeschäft der Firma Tutz, die Instrumentenreparatur, weniger gefragt. Die Neuausrichtung des Geschäftes und die damit einhergehende Erweiterung wurden von Veronika Tutz, geb. Mayerl, mitgetragen. Rudolf Tutz hatte seine erste Frau am 23.10.1967 geehelicht, sie übernahm im Betrieb wichtige Aufgaben und erwies sich als geschäftstüchtig; vor allem bildete sie den strukturierten Gegenpol zu ihrem „kreativ chaotischen“ Mann.


Links: Veronika und Rudolf Tutz; rechts: Perlenkette für Veronika Tutz, Fotos: privat

Mitverantwortlich für den Schwenk hin zum historischen Holzblasinstrumentenbau war Jann Engel (1935–2017), der Älteste der sechs Kinder der legendären Engel-Familie.7 Wie alle seine Geschwister war er ein Multi-Instrumentalist, doch sein Hauptinstrument war die Klarinette. Früh kam er mit Originalklang-Ensembles in Berührung, vor allem mit dem schon 1962 gegründeten Collegium Aureum, in dem er als Klarinettist mitwirkte. Durch Jann Engel, der bereits sehr früh Kunde von Rudolf Tutz geworden war, wurde Alfred Krings auf den Innsbrucker Instrumentenbauer aufmerksam. Krings war nicht nur selber Musiker (Blockflötist), sondern als Initiator und „Schirmherr“ des Collegium Aureum, Mitarbeiter der Plattenfirma Deutsche Harmonia Mundi und des WDR eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der frühen deutschen Alte Musik-Bewegung. Krings war es dann auch, der bei Rudolf Tutz den Bau einer Bassettklarinette für die Aufnahme des Mozart’schen Klarinettenkonzertes mit dem Collegium Aureum und dessen ersten Klarinettisten Hans Deinzer in Auftrag gab. Als eines der ersten Originalklang-Ensembles überhaupt ging das Collegium Aureum über das Barockrepertoire hinaus und führte auch Werke der Klassik auf „Originalinstrumenten“ auf. Das Problem, das sich Rudolf Tutz bei der Konstruktion der „Mozart-Klarinette“ stellte, war, dass man zwar wusste, dass bei der Uraufführung des Mozart-Konzertes ein vom Wiener Instrumentenbauer Theodor Lotz neu entwickeltes Instrument mit einem in der Tiefe erweiterten Tonumfang zum Einsatz kam, dass aber kein einziges Originalinstrument erhalten geblieben war. Rudolf Tutz konstruierte ein Instrument, das die Anforderungen erfüllte und sich bei der Aufnahme (1973) und in Konzerten vielfach bewährte. Rudolf Tutz begleitete das Collegium Aureum dann sogar auf einer Konzerttournee, die bis nach Japan führte; sein Ruf als führender Vertreter seiner Zunft verbreitete sich weit über Tirol hinaus. Im Lauf seiner Karriere beschäftigte sich Rudolf Tutz auch in späteren Jahren mehrfach mit der Mozart-Klarinette und fand in Zusammenarbeit mit anderen Musikern zu neuen Lösungen, doch der Prototyp von 1972 steht immer noch idealtypisch für den Pioniergeist und das Genie des Meisters, der ohne die Vielzahl an Quellen, die uns heute zur Verfügung stehen, bereits im Stande war, ein überzeugendes und funktionstüchtiges Instrument zu liefern.8


Rudolf Tutz an der Drehbank, Foto: privat

Schon Ende der 1960er Jahre hatte Tutz einen Erfolg auf dem Gebiet des modernen Instrumentenbaus verbuchen können: Für Josef Hell, der als Trompeter bei den Wiener Philharmonikern spielte, baute er als Ergebnis intensiver Forschungsarbeit eine Wiener Konzerttrompete (1968), die in der Folge nicht nur von Hell, sondern auch von anderen Orchestermusikern gespielt wurde.

Eine Persönlichkeit, die Rudolf Tutz vielfältige Kontakte zur Fachwelt vermittelte, war der Musikwissenschaftler Walter Salmen (1926–2013), der von 1972 bis 1992 als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck wirkte; über die jahrzehntelangen Beziehungen zwischen dem Musikologen und dem Instrumentenbauer berichtet Gabriele Busch-Salmen in ihrem Beitrag ausführlich.

In den 1970er Jahren erlebte die Pflege Alter Musik auf historischen Instrumenten einen Boom. Sie trat aus ihrem Nischendasein und etablierte sich zunehmend als wichtiger Faktor im internationalen Konzertleben, freilich damals noch als bewusster Kontrapunkt zum etablierten und konventionellen klassisch-romantischen Konzertbetrieb. Es herrschte ein ausgeprägter Pioniergeist, man eroberte sich mit Entdeckerfreude und Experimentierlust sukzessive neues musikalisches Terrain. Rudolf Tutz war eine der Zentralfiguren dieser Bewegung, er war eine wichtige Anlaufstelle für die führenden Exponenten der Bewegung. Ob Dirigenten und Ensembleleiter wie Nikolaus Harnoncourt, Frans Brüggen und John Eliot Gardiner oder Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt, sie alle pilgerten „zum Tutz“. In den 1960er und 1970er Jahren stand noch die möglichst exakte Kopie von Originalinstrumenten im Zentrum des Interesses, doch gab es dabei große Hürden zu bewältigen: Die Instrumente waren oft schwer zugänglich, es gab kaum Pläne und man wollte nicht wahrhaben, dass 1:1-Kopien der Originale oft nur unbefriedigend oder sogar gar nicht funktionierten. Im Zusammenwirken mit bedeutenden Musikerinnen und Musikern, etwa dem Traversflötisten Barthold Kuijken, arbeitete Rudolf Tutz an Verbesserungen (dazu mehr im Beitrag von Barthold Kuijken in diesem Buch). Ihn interessierten die Geheimnisse der großen Instrumentenbauer der Vergangenheit, er war stets offen für völlig unkonventionelle Lösungen anstehender Probleme. Vor allem war ihm bewusst, dass jeder Spieler seine Eigenheiten hatte und dass es galt, ein Instrument „maßzuschneidern“, so wie es schon die großen Vorgänger getan hatten. Das zeichnete seine Arbeitsweise bis zuletzt aus, sowohl bei Neubauten als auch bei Reparaturen: Der unmittelbare und intensive Kontakt zu seinen Kundinnen und Kunden war für ihn zentral, er konnte intuitiv erfassen, wo das Problem lag, und schnell Lösungen anbieten.

Dass die Werkstatt des Rudolf Tutz, die 1977 von der Maria-Theresien-Straße in die Innstraße übersiedelte, zum internationalen Brennpunkt der Alte Musik-Szene werden konnte, liegt natürlich auch an der strategisch außerordentlich günstigen Lage und den glücklichen Fügungen: Der schon genannte Otto Ulf machte mit den Ambraser Schlosskonzerten (ab 1964), der Internationalen Sommerakademie (ab 1972) und den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (ab 1976) Innsbruck zur musikalischen Drehscheibe der Szene. Aufgrund der Sommerakademie bevölkerten mehrere Wochen lang junge Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt Innsbruck, die Konzertreihen boten ein Podium für die bald wie Pilze aus dem Boden schießenden Alte Musik-Ensembles. Rudolf Tutz profitierte nicht nur von diesen Entwicklungen enorm, sondern gestaltete sie aktiv mit. So geht die Konvention, Musik der Klassik (und Frühromantik) auf dem Stimmton von 430 Hz zu spielen, auf Rudolf Tutz und Barthold Kuijken zurück – der belgische Flötist schildert die Hintergründe in seinem Beitrag.


Die Werkstatt in der Innstraße „back stage“, Rudolf Tutz mit Elefanten-Stoßzahn, Foto: privat

Der moderne Instrumentenbau war Rudolf Tutz zeitlebens ein Anliegen. Auch hier widmete er sich speziellen Problemen und versuchte sein umfassendes Wissen einzubringen. Immer wieder wurde er zu Hilfe gerufen, weil seine hohe Fachkompetenz und sein lösungsorientierter, unkonventioneller Ansatz geschätzt wurden. In den 1980er Jahren beispielweise widmete er sich intensiv dem „Wiener Klang“, der nach Meinung führender Musiker damals im Aussterben begriffen war. Rudolf Tutz hielt auf einem Symposion der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst ein viel beachtetes Referat und engagierte sich für die Wiederbelebung des Wiener Klangstils. Für den Solo-Oboisten der Wiener Philharmoniker, Walter Lehmayer, baute Tutz ein Instrument – über dieses Instrument und seine Premiere berichtet Prof. Lehmayer in seinem Kurzbeitrag in diesem Buch. Ab 1998 war Rudolf Tutz als Designer für die Firma Uebel in Markneukirchen tätig. Hier versuchte er, Erkenntnisse aus dem historischen Instrumentenbau in das Design moderner Klarinetten einfließen zu lassen.

Rudolf Tutz, der Vielseitige, entzog sich der Spezialisierung. Seine Domäne blieben die historischen Klarinetten und Flöten. Sein Interesse galt aber genauso kuriosen Instrumenten, von der Säulenblockflöte bis hin zur Brezentrompete. Seine vielfältigen Forschungen führten ihn in die großen Musikinstrumentenmuseen der Welt, wo er die Originale studieren konnte; in der Biblioteca Filarmonica und der Biblioteca Capitolare in Bologna zum Beispiel begutachtete er die dortigen originalen Renaissance-Flöten und ließ auch hier seine Erkenntnisse in Nachbauten einfließen. Die Alte Musik-Bewegung entwickelte sich weiter. Viel vom Pioniergeist der 1970er und 1980er Jahre ging verloren, aber Rudolf Tutz blieb immer am Puls der Zeit und neugierig, ein kritischer Beobachter und Mahner. Er verkörperte den so essentiellen Pioniergeist und trug ihn weiter; mit seiner unermüdlichen Neugier vermittelte er Begeisterung. Noch als Pensionist – 2003 übernahm Sohn Rudolf (IV) Tutz die Geschäftsführung der seit 1992 bestehenden Tutz GesmbH – und bis zu seinem Tod 2017 war Rudolf Tutz unermüdlich am Arbeiten und bemühte sich, den Wünschen der Kunden aus dem In- und Ausland nach Möglichkeit zu entsprechen. Er fungierte auch als international gefragter Berater, Aussteller, Vortragender und Forscher. Nicht zu vergessen ist das jahrzehntelange Wirken von Rudolf Tutz für die Tiroler Wirtschaftskammer: Er war bis zur Zusammenlegung bzw. Neugründung der Innung der Kunsthandwerke 2010 viele Jahre Tiroler Landesinnungsmeister der Musikinstrumentenerzeuger und Bundesinnungsmeisterstellvertreter.


Das Musikhaus Tutz in der Innsbrucker Schullernstraße, Foto: TLM

Diese vielfältigen Tätigkeiten wurden mehrfach gewürdigt: 2004 wurde Rudolf Tutz der Jakob-Stainer-Preis des Landes Tirol für besondere Verdienste um die Alte Musik zuerkannt. 2008 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident den Berufstitel „Professor“. 2011 erhielt er das Ehrenzeichen für Kunst und Kultur der Stadt Innsbruck. Das Österreichische Blasmusikmuseum Oberwölz widmete Rudolf Tutz zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2010 eine Sonderausstellung (in Kooperation mit den Tiroler Landesmuseen; Konzept: Franz Gratl und Bernhard Habla). Diese Schau wurde im Herbst 2010 in adaptierter Form auch vom Stadtmuseum Innsbruck übernommen.9 Mit großem Engagement gestaltete Rudolf Tutz eine Reihe von Vermittlungsprogrammen, die im Rahmen dieser Innsbrucker Ausstellung stattfanden und sich vor allem an Kinder und Jugendliche richteten. Seinen besonderen Draht zu Kindern stellte Rudolf Tutz auch regelmäßig beim „Hoffest“ im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik auf Schloss Ambras unter Beweis, wo er alljährlich zu Gast war und mit den Kindern Instrumente bastelte. Zum 70er und 75er von Rudolf Tutz fanden Festkonzerte statt; der Jubilar wurde zu Rundfunksendungen eingeladen. Eine Ehrung der besonderen Art ist die ihm gewidmete Sendung der Reihe „Österreich-Bild“, die Martin Sailer unnachahmlich originell gestaltete. Rudolf Tutz tritt uns hier entgegen, wie er war: pointiert, humorvoll, kauzig, selbstbewusst und visionär.


Rudolf Tutz lässt sich zur Verleihung des Kulturehrenzeichens der Stadt Innsbruck chauffieren, Foto: privat


Rudolf Tutz am Strand mit der Einladung zur Verleihung des Jakob-Stainer-Preises, Foto: privat

Dabei blieb er von Schicksalsschlägen nicht verschont: 1993 starb seine Frau Veronika nach langem Leiden. 1998 heiratete Rudolf Tutz die international erfolgreiche Traversflötistin Linde Brunmayr, eine ehemalige Schülerin von Barthold Kuijken. Immer wieder machte er seiner zweiten Frau außergewöhnliche Instrumente zum Geschenk. Eine Flöte, die er 1996 für sie baute, die „Flûte de la barre“ (so benannt in Erinnerung an den französischen Komponisten Michel de la Barre, aber auch deswegen, weil die Flöte mit einem Bassbalken nach dem Vorbild von Streichinstrumenten ausgestattet ist), erwies sich als Erfolgsmodell. Linde Brunmayr-Tutz spielt heute noch bevorzugt ein Instrument dieses Typs.

Es ist ein großer Glücksfall, dass die Geschichte der Innsbrucker Instrumentenbauerdynastie Tutz mit Rudolf (III) nicht zu Ende erzählt ist. Sein Sohn Rudolf (IV) führt die Werkstatt weiter und hat sich in Musikerkreisen bereits einen guten Ruf erarbeitet. Auch er widmet sich in erster Linie dem Bau historischer Holzblasinstrumente. Mit Rudolf (III) Tutz schlug die Geschichte der Familiendynastie eine neue Richtung ein. Dieser Weg geht nun also weiter, in eine hoffentlich weiterhin prosperierende Zukunft. In diese Zukunft war der Blick von Rudolf Tutz stets gerichtet – er war noch kurz vor seinem Tod voller Pläne und Visionen. Sein kostbares Vermächtnis sind die Instrumente, die von Musikerinnen und Musikern auf der ganzen Welt gespielt werden.

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1 Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wird als besondere Rarität ein „Tritonikon“, ein vor allem in der Militärmusik genutztes tiefstimmiges Doppelrohrblattinstrument, der Firma Červený aufbewahrt. Auch Graslitzer Instrumente, u. a. Fagotte und Hörner, finden sich in der Instrumentensammlung des Ferdinandeums.

2 Zu Groß siehe u. a. Monika Fink, Art. „Groß (Gross), Johann“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, Zugriff: 26.3.2020 (https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_G/Gross_Johann.xml).

3 Anna Leibelt erhält 1857 die Befugnis, „das von ihrem Ehemanne Franz Leibelt innegehabte Befugnis zur Verfertigung aller Gattungen von Blech-Instrumenten während der Dauer des Witwenstandes und durch den Werkführer Anton Bresel fortzuführen“, siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 15.1.1857, S. 1.

4 1877 wird über den Innsbrucker Instrumentenmacher Anton Breinl wegen „gerichtlich erhobenen Blödsinns“ das „Kuratel“ verhängt und kurz darauf ein Konkursverfahren eröffnet; siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 16.4.1877, S. 8, und Meraner Zeitung, 25.7.1877, S. 4.

5 Am 5. Juli 1886 stirbt in Wilten „Anton Brambach, Instrumentenmacher, Witwer, alt 66 J., Adamgasse 2, an Speisröhren-Entartung“, siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 6.7.1886, S. 1238.

6 Unter ihrem Kapellmeister Sepp Tanzer wurden die Wiltener nicht nur zu einer Elite-Kapelle, sondern nach 1938 auch zum Gaumusikzug umgeformt. Ihre Aufgabe war nun, offizielle NS-Feierlichkeiten zu umrahmen. Dafür genossen die Mitglieder der Kapelle einerseits Privilegien, gerieten dadurch aber auch in die Nähe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und ihrer lokalen Repräsentanten. Rudolf (II) Tutz musste sich nach dem Krieg einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen, weil er seit 16. März 1939 als Anwärter auf die Mitgliedschaft bei der NSDAP geführt wurde, mithin also wie viele andere einen Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt hatte. Der Akt zum Entnazifizierungs-Verfahren von Jahresanfang 1946 ist im Stadtarchiv Innsbruck erhalten. Er enthält u. a. eine ausführliche Stellungnahme und Verteidigungsschrift von Mitgliedern der Wiltener Musikkapelle für Rudolf Tutz, die eine wertvolle, bislang wohl unbeachtete Quelle zum Schicksal dieses Klangkörpers in der NS-Zeit darstellt. Natürlich handelt es sich um eine subjektive und wohl auch da und dort beschönigende Schilderung, aber viele Details sind durchaus glaubhaft:

„Herr Rudolf Tutz war im März 1938 Mitglied der Wiltener Musikkapelle. In den sogenannten Umbruchtagen wollte ein SA Führer Waidacher [Vinzenz Waidacher aus Mieders (1900–1941), Vorkämpfer des Nationalsozialismus in Tirol, SA-Standartenführer, Vertrauter von Gauleiter Franz Hofer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck. Vgl. Nikolaus Hagen, „SA-Brigadeführer Vinzenz Waidacher“, in: Thomas Albrich (Hrsg.): Die Täter des Judenprogroms 1938 in Innsbruck, Innsbruck 2016, S. 31–36] aus dieser eine SA Musik und einige Tage später ein SS Führer Fleiss [Erwin Fleiss (1910–1961), SS-Sturmbannführer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck, flüchtete über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Paraguay. Vgl. https://www.novemberpogrom1938.at/taeterkreis/nachkriegsjustiz/ (Zugriff 03/2020)] eine SS Musik machen. Trotz allen Androhungen von Auflösung des Vereines, Verlust des Berufes, ja selbst Abführung der ganzen Kapelle durch einen SA Sturm, lehnten die Mitglieder dieser Kapelle eine solche Umbildung ab. Sie hatten daher ihre Auflösung zu gewärtigen. Der damalige Gauleiter Hofer hörte von dem einmütigen Verhalten der Musikkameraden und stellte ihnen ein Angebot, wonach sie als Verein weiterbestehen könnten und die Kosten der Vereinserhaltung der Standschützenverband zu tragen hätte, die Kapelle mit vollkommen neuen Instrumenten ausgerüstet würde – wenn sie die musikalischen Ausrückungen für den Gau übernehmen würde. Im Ablehnungsfalle wäre aber unnachsichtlich mit der Auflösung der Wiltener Musikkapelle und der Beschlagnahme des gesamten Eigentums dieser Musik zu rechnen. Diesem Angebot stimmten die Mitglieder zu, nachdem vertraglich festgelegt wurde, dass die Wiltener Musikkapelle als solche bestehen bleibe und nur die Ausrückungen für den Gau gegen Bezahlung zu übernehmen hat. Nicht eigennützige Gründe waren für diese Handlung massgebend, denn der einzelne Musiker hatte daraus keinen Vorteil zu erwarten, sondern lediglich um den damals in ganz glänzender Form bestehenden Musikkörper der durch die vielen Wienerfahrten und dieser nach Cannes und Nizza sich in ganz prächtiger Form befunden hat, zu erhalten und eine Auflösung zu verhüten, wurde dieses Anbot angenommen. Erst später stellte sich heraus, dass durch die Übernahme der Ausrückungen für den Gau auch eine Anwartschaft zur NSDAP erwachsen ist, ohne dass die Mitglieder um ihr Einverständnis befragt wurden und auch ohne dass vorerst Beiträge zu leisten gewesen wären. Wir stellen daher fest:

a.) Dass Genannter für seine Anwartschaft bei der NSDAP nicht verantwortlich gemacht werden kann.

b.) diese Anwartschaft niemals missbrauchte und durch sein Verhalten stets bewiesen hat, dass er ein guter Österreicher geblieben ist.

c.) Dass Genannter, nachdem das Probelokal der Wiltener Musikkapelle in den Tagen des Zusammenbruchs der deutschen Armeen von durchziehenden Zwangsarbeitern vollständig geplündert und zerstört wurde und dadurch die Wiltener Musikkapelle ihres gesamten Inventares an Instrumenten, Noten, Nationaltrachten und Probelokaleinrichtung verlustig wurde, durch finanzielle und sonstige Opfer sein Bestes tat, die Kapelle wieder spielfähig zu machen und damit einen, seinem äussersten Können entsprechenden Beitrag zum Wiederaufbau seines Vaterlandes freiwillig und unaufgefordert leistete.

Innsbruck, im März 1946.

Gefertigt von jenen Mitgliedern der Wiltener Musikkapelle, welche durch ihr Einrücken zur Wehrmacht, einer Zwangsmitgliedschaft bei der NSDAP entgangen sind.“

Als Zeugen unterfertigten Alois Nagele, Tapezierer, und Hermann Niedrist, Schuhmacher. Ein weiterer Zeuge, Karl Mayrhoffer, offenbar ein Nachbar, bezeugte weiters, er habe von Rudolf Tutz nie eine Äußerung gehört, „welche ein Interesse an der NSDAP zu bekunden imstande gewesen wäre“. Schließlich rechtfertigt sich Rudolf Tutz (II) noch selber: Seine Familie sei immer „christlich“ gesinnt gewesen, er sei immer seiner Arbeit nachgegangen, von der in erster Linie die Tiroler Blasmusik profitiert habe.

7 Zur Engel-Familie siehe Silvia Albrich-Warger, Die Engel-Familie. Musikanten aus Reutte in Tirol erobern die Welt, Innsbruck 1998.

8 Zur Rekonstruktion der „Mozart-Klarinette“ durch Rudolf Tutz siehe Franz Gratl, „Vom schmalen Grat am Abgrund des Vergessens: Rudolf Tutz und die ‚Mozart-Klarinette’“, in: Peter Assmann und Roland Sila (Hg.), Vergessen. Fragmente der Erinnerung. Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 13.12.2019–8.3.2020, Innsbruck 2019, S. 201–205.

9 Vgl. Franz Gratl, Rudolf Tutz – zum 70. Geburtstag. Ein Pionier des historischen Blasinstrumentenbaus. Begleitheft zur Sonderausstellung 2010 des Österreichischen Blasmusikmuseums Oberwölz in Zusammenarbeit mit den Tiroler Landesmuseen, Oberwölz 2010.

Der Klangmeister Rudolf Tutz

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