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Böhmisches Know-how für Tirol

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1875 eröffnete der aus Trinksaifen (heute Rudné, ein Ortsteil von Vysoká Pec, früher Hochofen) im böhmischen Erzgebirge stammende Anton Tutz (1842–1919) in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße eine eigene Instrumentenbauer-Werkstatt. Trinksaifen/Rudné liegt in unmittelbarer Nähe zu Graslitz (tschechisch Kraslice), einem Zentrum des Musikinstrumentenbaus mit langer Tradition. Böhmische Exulanten aus Graslitz begründeten schon im 17. Jahrhundert im nahen sächsischen Markneukirchen die erste deutsche Geigenmacherinnung, der Instrumentenbau scheint im Grenzgebiet zwischen Böhmen und Sachsen also schon sehr früh Fuß gefasst zu haben. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Blech- und Holzblasinstrumentenbau in der Graslitzer Gegend einen enormen Aufschwung; die böhmischen Handwerker belieferten nun die ganze Welt und fast alle Blasinstrumentenbauer erhielten ihre Ausbildung in den Manufakturen der Gegend. Böhmen nahm also ab dem 19. Jahrhundert jene Stellung ein, die zuvor über Jahrhunderte die freie Reichsstadt Nürnberg auf dem Gebiet des Blechblasinstrumentenbaus eingenommen hatte. Eine der wenigen nicht in Graslitz und Umgebung ansässigen und international erfolgreichen Spezialfirmen für Blechblasinstrumentenbau wurde von Václav František Červený 1842 in Königgrätz (Hradec Králové) gegründet.1 Böhmen, das wirtschaftlich führende Kronland der Donaumonarchie, besaß also unbestritten die Themenführerschaft im Bereich des Blasinstrumentenbaus. Wenn sich andernorts Instrumentenbauerwerkstätten zu etablieren vermochten, so kamen die Gründer zumeist aus Böhmen – auch in Innsbruck. Bevor der Böhme Anton Tutz seine eigene Werkstatt begründete, war er bei Johann Groß angestellt. Viele Tirolerinnen und Tiroler werden sich vielleicht noch an das Musikgeschäft Groß in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße erinnern, das bis in die 1980er Jahre bestand; gegründet wurde die zunächst in der Herzog-Friedrich-Straße in der Altstadt angesiedelte Musikalienhandlung schon 1832 von Johann Groß (1804–1875)2. Groß und sein Schwiegersohn Simon Alfons Reiß (1837–1903), der die Leitung des Geschäftes 1861 übernahm, dieses beträchtlich erweiterte und in die Maria-Theresien-Straße verlegte, machten ihre Innsbrucker Kunst- und Musikalienhandlung zur ersten Adresse für alle musikalischen Belange in Tirol: Sie verkauften nicht nur Musikalien aller Art, sondern unterhielten auch einen prosperierenden und überregional bedeutenden Musikverlag – und sie verkauften nicht nur alle Arten von Instrumenten und verfügten sogar über ein eigenes Klavieratelier, sondern betrieben auch eine Reparaturwerkstatt. Dort beschäftigten sie Instrumentenmacher-Gesellen, die Reparaturen vornahmen und auch Instrumente bauten (im Fall der Blechblasinstrumente wohl in erster Linie unter Verwendung von Fertigteilen böhmischer Hersteller). Einige der vorrangig aus Böhmen stammenden Mitarbeiter der Firma Johann Groß sind bis heute als Instrumentenbauer bekannt. Dazu gehören Franz Wenzel Leibelt (1814–1856, ab 1840 mit eigener Werkstatt, die ab 1857 von seiner Witwe Anna fortgeführt wird3), Anton Breinl (Preinl, Preindl, † nach 1877)4, Anton Brambach (ca. 1820–1886)5 und schließlich Anton Tutz.

Tirol war in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein guter Boden für einen Erbauer und Reparateur von Blechblasinstrumenten. Die Blasmusik erlebte einen unerhörten Aufschwung, allerorten wurden Blaskapellen gegründet oder erweitert. Die herausragende Bedeutung, die das Blasmusikwesen für Tirol heute besitzt, wurde im 19. Jahrhundert grundgelegt. Die Anfänge waren freilich bescheiden: Die Musikbanden bestanden zunächst meist aus einigen wenigen Spielern und noch um 1900 waren die meisten Kapellen im Vergleich zu ihren modernen Pendants eher klein. Die Besetzungen waren nicht standardisiert, die Musiker oft genug nur rudimentär ausgebildet. Die qualitativ meist mittelmäßigen bis schlechten Instrumente (die guten konnten sich nur professionelle Musiker und Militärkapellen leisten) waren nicht selten großen Belastungen ausgesetzt, zum Beispiel durch das Freiluftspiel bei unterschiedlichsten Wetter- und Temperaturbedingungen und durch nicht eben fachgerechte Handhabung, und daher reparaturanfällig. Die Firma Tutz etablierte sich vor allem als – bald erste – Anlaufstelle für alle Belange der Blaskapellen im Land. Daneben fertigte Anton Tutz auch Blechblasinstrumente: Trompeten, Flügelhörner, Althörner, Tenorhörner und Helikons mit seinem Firmenschild sind im Tiroler Raum und darüber hinaus zu finden, tauchen immer wieder bei Auktionen auf und werden zum Teil heute noch gespielt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Innsbrucker Instrumentenbauer seine Erzeugnisse wohl kaum in allen Teilen selbst herstellte, sondern zum Beispiel „Maschinen“ (Ventilmechanismen) vorgefertigt aus Böhmen bezog – die Praxis wurde bereits beschrieben und war weit verbreitet (heute arbeiten viele Blechblasinstrumentenbauer ähnlich). Auch das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum besitzt eine Reihe von Instrumenten, die mit dem Firmenschild von Anton Tutz versehen sind, darunter besonders viele Helikons – dieses große Blechblasinstrument erfreute sich um 1900 großer Beliebtheit und kam dann aus der Mode; heute wird es wieder häufiger gespielt. Schon unter Anton Tutz dürfte das von Martin Spörr (1866–1937) im Jahr 1893 gegründete Innsbrucker Städtische Orchester, aus dem das heutige Tiroler Symphonieorchester Innsbruck hervorging, zum Kundenkreis der Firma gehört haben, doch dieser Wirkungsbereich hatte auch in den Folgejahrzehnten und unter den Werkstattnachfolgern Antons geringere Bedeutung.


Links: Firmenschild Anton Tutz, Foto: TLM; rechts: Anton Tutz, Helikon, Innsbruck um 1910; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Musiksammlung, Inv. Nr. M/I 269, Foto: TLM

Antons Sohn Rudolf (I) (1880–1952) und dessen Sohn Rudolf (II) (1909– 1963) führten den Betrieb weiter und behielten die Fokussierung auf die Blasmusik und ihre vielfältigen Anforderungen ebenso bei wie die Beschränkung auf Blechblasinstrumente bei den Neuanfertigungen. Rudolf (II) Tutz war selbst aktiver Blasmusikant und Mitglied der Wiltener Stadtmusikkapelle, eines Klangkörpers, der wegen seiner Qualität eine Sonderstellung einnahm.6


Von links nach rechts: Rudolf (II) und Hilde Tutz; Hilde Tutz mit Erika und Rudolf (III); Rudolf (III) Tutz im Alter von 2 Jahren, Fotos: privat

Der Klangmeister Rudolf Tutz

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