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Heimat: ein Versuch

von Siegfried von der Heide

Genau, versuche ich doch mal, eine Heimat zu finden. Deutsche Literaten, ein bisschen bin ich auch einer, sagt die Mitteldeutsche Zeitung, können sagen: „Die deutsche Sprache ist meine Heimat.“ Keine schlechte Idee: Siegfried Lenz, Julie Zeh, Günter Grass, Mascha Kaléko, Jörg Fauser, Else Lasker-Schüler, okay, geht gut. Aber in einer Sprache, die neuerdings das Wort „Umvolkung“ kennt, ist doch nicht gut rundherum wohlfühlen. Als Musiker, da weiß ich, dass ich es bin, kann ich sagen „Die Musik ist meine Heimat“ Auch nicht schlecht: Randy Newman, Hildegard Knef, Elvis Costello, Joni Mitchell, Van Morrison, Joy Fleming, gutes Gefühl. Aber auch das Horst-Wessel-Lied, Heino und Richard Wagner, auch nicht wirklich kuschelig, und das soll es doch sein in der Heimat – oder? So habe ich es jedenfalls gelernt in den Heimatfilmen aus den 1950er Jahren. Doch, ja, ich habe sie alle gesehen, und da war es immer dasselbe: Am Ende verbanden sich Milch, Eiweiß und Stärke: Friede, Freude, Eierkuchen. Ein gutes, nahrhaftes Essen in freundlicher Atmosphäre ist und bleibt wichtig.

Freddy Quinn aber war grundsätzlich weit weg von zu Hause und hatte immer Sehnsucht … Warum zum Donnerwetter ist er dann überhaupt weggefahren, wenn es „bei Muttern zu Haus’“ doch am schönsten war? Der Grund war derselbe: Sehnsucht. Ob Heim- oder Fern-: Weh tat es immer und der Weg war weit und schwer. Irgendwas musste da faul gewesen sein unter dem Nierentisch im Wirtschaftswunderland. Heimat finden: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht doch was Bess’res findet!“, und wenn sie sie dann weg sind, finden sie Heimat auf einmal ganz toll und wissen ganz plötzlich, wo sie ist.

Tom Waits: „Never saw the morning til I stayed up all night.“ Das, was wir haben, finden wir, könnte immer besser sein, aber wenn wir es nicht mehr haben, ist es immer noch besser als das, was wir dann haben. Früher war eben alles besser. In der Sesamstraße war es Grobi unmöglich, „dort“ zu sein, weil er immer „hier“ war. Er wollte immer „dort“ sein, und wenn er „dort“ war, war er schon wieder „hier“. Es ist schon nicht leicht und kann lange dauern.

Die Hutterer in den USA leben seit fast 200 Jahren dort und kleiden sich, sprechen und leben noch so wie damals zu Hause. Sie waren Heimatvertriebene, politisch/religiöse Flüchtlinge, haben die Heimat einfach mitgenommen und sich nicht integriert. So geht das nicht! Sie verweigern den „American Way of Life“, und das soll ja eine Heimat sein … Immerhin sind sie weiß und lassen niemand Fremden in ihre Siedlungen; Donald Trump wird sie wohl deshalb nicht ausweisen.

Was macht ein Mensch, wenn er sich in seiner „Heimat“ nicht wohlfühlt? Falsche Frage? Heimat muss Mensch auch aushalten können? Nein: Heimat ist gleich: heimelig, wohlfühlen, geborgen sein, unter sich sein. Auf die Dauer langweilig. Also: Er/Sie macht es wie weiland Freddy Quinn oder eben die Hutterer, die Hugenotten und viele andere. Er/Sie muss dann eben weg und woanders suchen.

„Heimatvertriebene“, ein treffenderes Wort als „Flüchtlinge“. „Ich bin auch ein Vertriebener, nirgendwo Gebliebener, zu Hause ist, wo man mich hört“ hat Heinz Rudolf Kunze einst verkündet. Wenn das stimmt, dann sinkt die Rate der Rückkehrer natürlich erheblich, vorausgesetzt irgendwo hört jemand zu. Das kann laut HRK auch im Nirgendwo sein. Kennern der westdeutschen Schlagerszene fällt sofort Christian Anders ein: „Es fährt ein Zug, nach nirgendwo …“ kulminierend im: „Maria, Maria, ich hab’ dich lieb!“

Religion, Mutter und geliebte Frau – ist das Heimat? Riecht etwas nach Inzest, aber: Home is where the heart is? Home is lost control, home is where they miss us, home is: I forgot: It’s what they all miss.“ Es war wohl Patty Smith, auf jeden Fall ein Punksong. Was wir alle vermissen? Gibt es das überhaupt und wir kommen einfach nur nie an? Hatte Johnny Cash recht in seinem einzigen auf Deutsch gesungenen Lied: „Wo ist zu Hause, Mama? Hinter blauen Bergen. Wo ist zu Hause, Papa? Vielleicht hinter diesen Bergen.“ Auch wenn sich Papa anscheinend sicher war, schon wieder da, wo wir nicht sind. Und der Weg ist weit und schwer. Bob Dylan macht es sich leichter und scheint mir der Einzige zu sein, der eine Heimat hat, behauptet er doch immer „I am not here“ bzw. „I was not there“ – aber wo ist er denn dann, wenn er nie irgendwo ist, und wo ist dann diese, seine Heimat?

Die Sinnsucher und Selbstverwirklicher haben ja immer eine Antwort. In diesem Fall natürlich auch. Du kannst dich nur in dir selber finden – und da ist dann wohl zu Hause, die Heimat, oder was? Gehe in dich und du wirst dich finden.

Beim Nasebohren zu Beispiel? Das soll ein Witz sein.

Nee, klappt nicht mit dem „Ich bin mir selbst meine Heimat“. Bertolt Brecht, auch keiner Dummer, hat gesagt: „Die kleinste gesellschaftliche Einheit sind zwei Menschen“ – also wie soll das denn gehen, wenn ich in mir zu Hause bin und der andere bei sich. Parallelexistenz. Interessengemeinschaft. Klingt nicht schön. Wie „Lebensabschnittsgefährten“. „Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig“, singt Ulla Meinecke.

Wo sind wir denn zusammen zu Hause? Haben wir eine gemeinsame Heimat? Vielleicht gibt es ja Schnittmengen? Ich habe Mengenlehre in der Schule nie gemocht. Allein das Wort „Schnitt“: Da wurde doch etwas abgetrennt und das geht mit Heimat gar nicht – außer für Heimatvertriebene, die wissen genau, wo ihre Heimat ist, und das ist nicht da, wo sie jetzt sind. Was bleibt da eigentlich übrig: Heimat zu haben nur dann, wenn wir nicht dort sind? Also Verlust? Was denken eigentlich die wenigen Verbliebenen in den ländlichen Gebieten unserer blühenden Landschaften? Wohl fühlen sie sich nicht und bleiben doch dort. Sie gehen nicht in die weit entfernte Stadt und träumen dort, im Single-appartment, von zu Hause. Nein, sie bleiben und lassen keine Heimatvertriebenen auf ihre langsam braun werdende Scholle. Dabei scheinen sie die Einzigen zu sein, die dort, wo sie sind, ihre Heimat haben. Haben sie einen Erfahrungsvorsprung? Was ist die Wahrheit über Heimat?

War Freddy Quinn der Philosoph der Weltoffenheit und des Lebens mit dem Widerspruch oder hat, und jetzt wird’s heimelig, Heinz Rühmann im Schlusswort zur Feuerzangenbowle recht: „Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen, die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden.“

Heimat?

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