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Trap Heimat Klauen

von Olufemi Atibioke

Ich stehe unter der Dusche. Mein iPhone spielt Deutschlandfunk (mal wieder – warum, weiß ich auch nicht so genau). Es ist der Tag der Deutschen Einheit. In der Rubrik Essay und Diskurs geht es um Heimat, Untertitel: der offene Begriff. Der Beitrag beginnt mit Smetanas Moldau, dann ein tiefsinniges Zitat von Hölderlin, ein weiteres, noch tiefsinnigeres von Bloch. So klingt German Funk. Der Begriff ist nach drei Minuten schon zu. Dicht. Ich schalte ab. Das Radio läuft weiter im Hintergrund. Ich frage mich: Wer klaut eigentlich Bücher? Oder Texte? Keiner, oder? Außer irgendein sweetes Bohemian Child in irgendeiner mittelgroßen deutschen Universitätsstadt. Leicht angetrunken, höchst aufgeregt und irgendwas Rebellisches vom Merve Verlag in der Bootytasche als seelische Unterstützung dabei, tapst es durch die altlinke Buchhandlung seiner Wahl, steckt was Kleines, Flaches ein, kauft aus schlechtem Gewissen doch noch einen Bleistift mit Radiergummi und sitzt dann zwei Straßenecken weiter auf einer grünen Bank, blättert mit feuchten Händen durch das Buch und fühlt sich insgeheim einem seiner Lieblingsrapper um einiges näher. Wie er, nur anders.

Sehr sweet. Ist okay. Aber sonst? Wer klaut Bücher? Wer Texte? Keiner, Bruv. Keiner. Menschen, die aus freien Stücken Bücher lesen, sind brav. Wollen die Autorin unterstützen. Den Einzelhandel. Den Verleger. Und kaufen deshalb.

Ich steige aus der Dusche, trockne mich ab, putze Zähne.

Also warum schreiben? Nichts gegen die brave Leserschaft, sollen sie machen. Aber es sind die Klauenden, die ich als meine primäre und einzige Zielgruppe verstehe. Schade nur, dass sie mich nicht klauen werden. Mich nicht hören werden. Mich nicht verstehen und missverstehen werden. Und mir vor allen Dingen nicht sagen werden: Lass den Scheiß.

Auf sie würde ich hören. Nur auf sie. Denn die Klauenden sind meine Vorbilder. Seit meiner Kindheit brennt da ein Feuer der Sympathie in mir, das ich hege und pflege. Klauen war cool. Sehr cool sogar. Wenn man die Richtigen beklaute. Wenn man es schaffte, dem Klauen ein gesellschaftskritisches Theorem unterzujubeln. Ein Statement. Dann ist Klauen sehr, sehr cool für mich. Bis jetzt. Jay Rock, Basquiat.

Hip-Hop (suprise, suprise) ist Öl für dieses Feuer.1 Samplekultur verstehe ich als Klaukultur. Gefällt mir, nehme ich. Copyright? Wie wär’s erstmal mit Civil Rights, mein Jiggo? So ungefähr. Bis jetzt. Hito Steyerl, Negroman, Virgil Abloh. Letzterer schreibt eh nicht, tippt höchstens auf seinem iPhone. Ansonsten macht er Schuhe. Und klaut Ideen.

Der Kaffee ist etwas sauer, das Kaffeepulver zu kurz geröstet für die Caffettiera. Zu unrobust. Glaube ich. Keine Ahnung. Ich trinke zwei Schlucke und kippe den Rest in den Abfluss der Spüle.

Früher ging ich viel in die Bücherei. Lieh aus. Bücher, Ideen, Sätze. Schöne Sätze zitierte ich gerne genau, inklusive Urheber. Ich fühlte mich smart. Irgendwann hörte ich dann, dass exaktes Zitieren inklusive (meist männlichen) Urhebers sehr alphamännliches Verhalten sei, und (in meinem bestimmten Fall) checkte ich, dass Zitieren auch den jämmerlichen Versuch beinhaltete, irgendeinem Establishment zu gefallen. Ich ließ das genaue Zitieren weg (so gut wie). Sobald ich sie verstanden hatte (oder meinte, sie zu verstehen), wurde die fremde Idee einfach meine Idee. Ich lieh aus, aber gab nicht wieder zurück.

Geht das auch mit Heimat? Kann man sich Heimat klauen? Zusammenklauen? Zurückklauen? Allein? Als Gruppe? Ist das nicht der einzige Weg weg von Hölderlin & Co.? Ihn beklauen, alle Smarten und Reichen beklauen und dann abziehen? Einfach abziehen. Nach Italien oder so.

Klingt gut. Heimat kann man nicht schreiben. Wenn überhaupt, wenn man will, kann man Heimat machen.

Ich bin seltener in Büchereien. Was mich früher anzog (die Ruhe, die Ordnung, das Stöbern), kommt mir heute unnatürlich vor. Auch das Lesen kommt mir dieser Tage unnatürlich vor. Wie ein Fliehen. Zu einer lesenden Clique in der Diaspora. Man versteht sich. Labert, talkt und speakt (manchmal trendy subaltern) und hat kein anderes Gesprächsthema als die Realität, der man entflohen ist. Über Krieg, über Frieden. Über Angst, über Liebe. Über Ausland, über Heimat. Heimat, Heimat, Heimat. Trap.

Ich sitze in der Tram, werde kontrolliert. Bin nervös, obwohl es keinen Grund gibt. Mein Ticket ist gültig.

Der Stärkste ist der, dem die ganze Welt fremd ist. (Geklaut.)

Und das Paradies ist überall zu finden. (Auch geklaut.)

Urlaub: Vor ein paar Wochen war ich im Geburtsland meines Vaters. Ich lief durch Lagos. Und ich kam an meine performativen Grenzen. Ich war weiß. War vorher noch nie weiß. Wusste nicht, wie das geht, weiß sein. Versuchte es, fühlte mich unwohl. Wurde festgenommen, geschlagen, verhört. Mein nigerianischer Pass für die Cops eine Fälschung. Mein deutscher Pass nicht dabei. Meine Schwester kam, kaufte mich frei. Sie sagte mir: Welcome to Lagos. Ich sei jetzt ein richtiger Lagosian. Ich wurde ruhiger, vorsichtiger. Ich fing an mich anzuziehen wie ein Yoruba-Mann. Ich wurde dunkler. Ging langsamer. Lachte lauter und länger. Über Korruption und so. Steal your watch. And tell you what time it is. Ich buchte einen früheren Flug zurück. Meine Ankara-Stoffe zu dünn für das kalte Wetter hier. Ich zog mich wärmer an, wurde wieder heller. Ich packte die Stoffe weg. Mit einem Lavendelsäckchen gegen Motten. Konnte Europäisches nicht mehr wirklich ernst nehmen. Alles Hunde. Whack. Verwöhnt. Egozentrisch. Ich war nicht beeindruckt von Kultur. Sie begeisterte mich nicht. Sie war für mich genauso natürlich wie Natur. Auch sie begeisterte mich nicht. Dem Regen ausgesetzt zu sein, ist genauso nervig und oder schön, wie Worten ausgesetzt zu sein. Ich brauche einen Regenschirm. Gerne auch saurerregenresistent. Greta nervte mich. Wie über Klima geredet wurde, nervte mich. Man hatte wieder eine kollektive Moral in diesem Land. Man war sich einig. Gruselig. Heimat. Trap.

Ich steige aus der Tram. Atme durch. Eine mittelgroße deutsche Universitätsstadt um mich herum.

Ich schreie: „Was wir hier haben, ist ein Kommunikationsproblem!“

Vollkommen drüber. Unangenehm. Kitschkrieg.

Ich schreie natürlich nicht.

Ich lese nicht.

Ich schreibe nicht.

Warum nicht?

Ich habe keine Zeit zum Schreiben.

Keine Zeit für Heimat.

Ich setze mich in ein Café, unterhalte mich über Heimat. Mein Gesprächspartner sagt mir:

„Heimat ist mehr als Infrastruktur, mehr als Deutschlandfunk, Dusche, Kaffee, Tram. Heimat ist mehr als Deutschland.“


1 Es gab eine Zeit, da war es mir peinlich, dass ich Hip-Hop höre. Ich fand mich in einem Klischee wieder, das dem weißen Otto Normallaberer perfekt zuspielte. Dunkle Hautfarbe, sportlich (ich bin sogar sehr sportlich) und Hip-Hop-Fan? Check. Next. Gegen diese Scham- und Schutzkultur, die keinen Spaß macht und einen lähmt, half in meinem Fall Miles Davis („So What?“) und der performative Überexzess (eigenes Mixtape droppen.)

Heimat?

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