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Anna Bers / Claudia Hillebrandt

Sitzmöbel und Schieberhut Richtungsweisendes

Folgen Sie der Aufforderung des Titelporträts dieses Bandes: Loriot als Mann mit Landgut und Schieberhut lädt die Betrachtenden dazu ein, ihm und seinem Korbstuhl in die Tiefe der Landschaft zu folgen. Kostüm und Requisite sind bruchlos vertraut. Die offenherzige Geste und das für Loriot-Bildnisse eher seltene Halbprofil in Bewegung sind es weniger. Kanonische Bildnisse Vicco von Bülows zeigen seine Frontalansicht (fakultativ auch die seiner Möpse) und setzen auf Statik und auf in üblicher Verwendungsweise genutzte Sitzmöbel. Die Dynamik des Titelbildes kann dagegen vermuten lassen, dass es im Schatten noch mehr zu entdecken gibt als den Schmunzler auf dem Sofa. Dieser Band ist eine Einladung, den bürgerlichen Korbstuhlkomiker, aber auch die unbekannteren Seiten Loriots besser kennenzulernen.

Eine der schärfsten Abrechnungen mit Loriots Werk stammt aus der Feder von Wolfgang Hildesheimer. Am Ende seiner Rezension von »Loriots heile Welt. Neue gesammelte Texte und Zeichnungen« resümiert er 1973 im »Spiegel«: »Loriots Beliebtheit beruht auf einem programmatischen Sieg der Unschuld, der die Frage, wo denn das Positive bleibe, verstummen läßt. Er führt es vor mit seinen Figuren, und es ist ihm immerhin gelungen, mit seinem Standardmännchen einen Archetypen zu prägen, den kleinen Begleiter, den harmlosen Vergnügenspender für viele. Das macht ihn – ich hoffe, das Wort ist nicht zu hart – liebenswert.«1 Aus dem Textzusammenhang wird deutlich, wie hart, ja, vernichtend das Wort »liebenswert« in Wirklichkeit ist. Es ist geradezu der Inbegriff all dessen, was laut Hildesheimer eben nicht zum Kern der komischen Kunst gehört oder jedenfalls gehören sollte: »Loriots wachsende Popularität beruht zum großen Teil auf der dezidierten Entscheidung für den low brow-Stil, auf seiner (…) Parteinahme für ein Publikum, das mit ihm alles verdrängt, was sticht, verletzt und schmerzt.«2 Subtiler und böser kann man den satirischen Charakter von Loriots Schöpfungen kaum bestreiten.

Doch dieses Urteil mag aus heutiger Sicht vorschnell gefällt sein. Loriot selbst jedenfalls hat wiederholt den satirischen Anspruch seiner Zeichnungen, Sketche und Filme hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund überrascht die Tatsache, wie wenig auch neun Jahre nach Loriots Tod bisher über Stoßrichtung, Verfahren und Hintergründe seines Humors geschrieben wurde.3 Als Vertreter des schwarzen Humors wird man ihn wohl schwerlich gelten lassen können, doch dass sein komischer Kosmos wirklich so harmlos ist, wie von Hildesheimer behauptet, wäre erst noch zu zeigen. Die Beobachtungen der in diesem Band versammelten Beiträge bestätigen Hildesheimers Vorwurf der reinen Liebenswürdigkeit nicht. Vielmehr zeichnen sie ein differenzierteres Bild des Humoristen Loriot und seiner Schöpfungen.

Die Beiträge bieten einen Überblick über die Zielrichtung von Loriots Satire, Medien seiner Kunst und einzelne prominente Themen seiner Komik.

BRD, Bildungsgut und Bildschirm – Gegenstände der Komik: Christoph Classen rekapituliert die mal skandal-, mal einträchtige Beziehung zwischen Loriots Kunstwerken und ihrer Gegenwart in der Nachkriegs-BRD. Tom Kindt geht auf die Suche nach spezifisch deutschen Traditionslinien des Loriot’schen Humors. Eckhard Pabst identifiziert eine Sehnsucht nach Werten und Ästhetiken einer unerreichbar vergangenen bürgerlichen Welt, deren Nachklang die Komik Loriots nährt.

Cartoon, Sketch, Operntexte – Medien der Komik: Gertrud Vowinckel-Textor betrachtet Loriots Ursprünge im Genre des Cartoons vor dem Hintergrund der Bildtraditionen, in denen sie stehen. Felix Reuter spürt der Verweisdichte in Loriots Sketchen nach und verknüpft diesen Nachweis mit der Forderung nach einer Gesamtausgabe, die diese formen- und facettenreichen Bezüge auch späteren Generationen verfügbar macht. Claudia Hillebrandt untersucht Loriots spezifisch affirmativ-komischen Zugang zur Welt der Oper, insbesondere zu Richard Wagner.

Paare, Dreidimensionales, Vierbeiner – Themen der Komik: Ulla Fix deckt mit den Mitteln der Gesprächsanalyse Loriots Rezept genüsslich inszenierten Kommunikationsversagens auf und differenziert dessen erlesene Zutaten: verschiedene Arten der Kooperationsverweigerung. Anna Bers nimmt die nur scheinbar immergleichen bürgerlichen Stadtvillen in Loriots Filmen in den Blick und erschließt deren Zeichencharakter als Summe des Sketch-Werkes. Stefan Neumann verfolgt schließlich die Spur eines heimlichen Hauptdarstellers in Loriots Werk: des Hundes, und zeigt auf, welche Funktion dieser für Loriots Entlarvung menschlicher Schwächen hat.

Es gäbe noch viele weitere Winkel und Ecken im Loriot’schen Werk zu begutachten: Bereiche, die in dieser kleinen Zusammenschau fehlen, sind zum Beispiel Loriots Wirken in der DDR und die Frage, warum Loriots Humor außerhalb des deutschsprachigen Raums noch immer keinen Anklang findet und etwa französische Schulklassen konsterniert zurücklässt. Auch Details seiner Sprachkunst bedürften weiterer Untersuchung ebenso wie Loriot als Autor von Schrifttexten. Zu fragen wäre, wie subversiv eigentlich sein Geschlechterbild ist, wenn man ihn gleichzeitig für einen Kritiker von Hetero-Normen4 und einen Gewährsmann für die Güte traditionell-ungleicher Rollenverteilung halten kann.5 In diesem Sinn kann man sich zukünftig eine intensivere wissenschaftliche Landschaftspflege in Loriots Garten wünschen als bisher.

Die Loriot-Landschaft, in die uns sein Titelporträt einlädt, zeigt sich demnach vielgestaltig. Wichtige Landmarken sind jedoch aus vielen Perspektiven zu erkennen: Seine Komik entsteht oft im Kollaps des Regelkanons von Benimm und Biedermeier. Der bürgerliche Bürgerversteher Loriot setzt auf Zitat und Hochkultur und gönnt seinesgleichen den Genuss, die Welt der schönen Kunst niemals aus-, immer wieder aber im Modus des Connaisseurs, der Connaisseuse anzulachen. Mops und Steinlaus, Lametta und Jodeldiplom treffen einen offenbar zeitlosen Humornerv und sind erstaunlicherweise auch noch Menschen geläufig, die so jung sind, dass sie als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vielleicht gerade noch Loriots 70. oder 80. Geburtstag zur Kenntnis nehmen konnten.

So geschieht es bis heute, dass ein gescheiterter Dialog zwischen den eigenen Eltern, eine wohlplatzierte Interjektion wie »Ach was!?« oder eine ironische Alltagsgeste in stillem oder euphorischem Einverständnis zwei Menschen verbindet, die feststellen: »Das ist doch wie bei Loriot.« Nicht selten schließt sich an diese Erkenntnis ein Rezitations-Duett oder -Duell (je nachdem) aus jenen Zitaten und Gesten an, die bis heute im Gedächtnis so vieler präsent sind. Die Herausgeberinnen fordern Sie dazu auf, Ihren eigenen Fundus zu bemühen, um mit den Worten von Opa Hoppenstedt, Frau Blöhmann, Heinrich Lohse, Wum und Wendelin, Herrn Doktor Klöbner, Frau Tietze, Herrn Meckelreiter oder einer anderen zeitlosen Figur diesem Band ein Motto zu geben.

»………………………………………..« Loriot

1 Wolfgang Hildesheimer: »Nackte Frau auf Bratenplatte. Wolfgang Hildesheimer über: ›Loriots heile Welt‹«, in: »Der Spiegel« 19 (1973), S. 169. — 2 Ebd. — 3 Vgl. die Auswahlbibliografie bei Stefan Neumann: »Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows«, Trier 2011, S. 429–440. — 4 Vgl. Michel op den Platz: »›Männer sind … Und Frauen auch … Überleg dir das mal!‹ Wider die heteronormative Lesart von Geschlechterbildern im Werk Loriots«, Würzburg 2016. — 5 Vgl. Jean-Martin Büttner: »Sagen Sie jetzt nichts«, in: https://www.tagesanzeiger.ch/bitte-sagen-sie-jetzt-nichts-762313432024 (11.12.2020).

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