Читать книгу TEXT + KRITIK 230 - Loriot - Группа авторов - Страница 9

Humor nach Hitler

Оглавление

Damit bleibt als dritte und letzte Frage, wie sich der Humor Loriots zur Bundesrepublik als postfaschistischer Gesellschaft verhielt. Auch bei diesem Thema, das sei vorweggenommen, scheint es offensichtliche und dabei zugleich widersprüchliche Bezüge zu geben. Denn der totale Zusammenbruch auf moralischer und materieller Ebene, den der Nationalsozialismus nach sich gezogen hatte, wurde durch die westdeutsche Gesellschaft auf zwei Arten kompensiert, die eine Entsprechung bei Loriot haben: einerseits durch ein geradezu obsessives Streben nach Sicherheit und Ordnung, zum anderen – damit eng verbunden – durch eine spezifische Form politischer Abstinenz und Konfliktvermeidung.

»Hier kriegen Sie mit Sicherheit Spaß« – mit diesem Slogan bewarb Volkswagen Ende der 1970er Jahre sein Erfolgsmodell Golf. Mindestens so gut passt diese Doppeldeutigkeit allerdings zur Kultur der frühen Bundesrepublik. Denn bei retrospektiver Betrachtung fällt auf, wie sehr die Nachkriegsgesellschaft die traumatischen Erfahrungen von Krieg und Zusammenbruch in einer »Suche nach Sicherheit« kanalisierte.25 Der angestrengte Versuch, sich der eigenen normativen und materiellen Grundlagen zu versichern, konnte viele Formen annehmen, neben dem bereits angesprochenen Beharren auf einer überkommenen Sexualmoral auch in fixierten Geschlechterrollen und traditionellen Konventionen und Benimmregeln. Das zwanghafte Streben nach Normalität schien stets durch Unordnung, Alterität und moralische Abweichung bedroht, und entsprechend humorlos wurden solche Entwicklungen betrachtet.

Es ist daher kaum ein Zufall, dass Ordnungsobsessionen und ihr Scheitern ein Grundmotiv in Loriots Werk darstellen. Sein »Großer Ratgeber« (1968) parodiert umfassend das Genre der Benimm- und Ratgeberliteratur und dessen formalisierte, dabei merkwürdig sinnentleerte Sprache. Im TV-Sketch »Zimmerverwüstung« (1976) mündet der zwanghafte Versuch, ein (modernes) Bild geradezurücken, im völligen Chaos. Alle bemühten Versuche des Protagonisten Lohse in Loriots zweitem Spielfilm »Pappa ante Portas« (1991), für die Zukunft vorzubauen, haben ähnlich katastrophale Konsequenzen. Auch wenn hier gewiss eine selbstironische Komponente des als Perfektionisten bekannten Autors und Regisseurs anklingt, fällt es schwer, darin keine gesellschaftliche Dimension zu sehen. Loriot, so scheint es, wusste um die Vergeblichkeit derartigen Strebens angesichts der Kontingenz von Geschichte. Dabei mögen seine Erfahrungen im Krieg an der Ostfront von Bedeutung gewesen sein sowie die Zäsur des Kriegsendes, mit der sich scheinbar unumstößliche jahrhundertealte Traditionen der preußischen Adelsfamilie von Bülow auflösten.

Der zweite Aspekt der politischen Abstinenz und Konfliktvermeidung betrifft Loriots Strategie, sich konsequent von jeglicher Tages- und Parteipolitik zu distanzieren. Zwar finden sich vor allem in seinen frühen Werken durchaus politische Positionierungen: Wiederkehrende Themen sind unter anderem Kritik an Militarismus und atomarer Hochrüstung, am deutschen Autowahn und der Verharmlosung der Atomenergie. Aber die Kritik blieb stets auf einer recht allgemeinen Ebene, eine offene politische Parteinahme, wie sie etwa die Satirikerkollegen von der sogenannten »Neuen Frankfurter Schule« vollzogen, hat er peinlich vermieden. Auffällig ist auch, dass die wenig ruhmreiche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bei ihm nie explizit zum Thema wurde. Sein Titelbild für die erste Ausgabe der linken Satirezeitschrift »Pardon« (1962) – ein typisches Loriotmännchen, das ein Blumenbukett samt Bombe mit brennender Zündschnur überreicht – verdankte sich vermutlich in erster Linie seiner Beziehung zu deren Chefredakteur beziehungsweise Verleger Hans A. Nikel und ist nicht primär als politisches Statement zu verstehen.26 In den späteren Arbeiten traten politische Themen noch weiter in den Hintergrund. Mehr und mehr schienen sie nur als weiteres Feld von gescheiterter Kommunikation, einem Motiv vor allem des späteren Loriot, das freilich meist im Privaten angesiedelt war. In diesem Sinne, nämlich als auch auf der politischen Ebene grassierende Kommunikationsunfähigkeit, hat er sein Werk allerdings stets auch als politisch verstanden.27

Diese Zurückhaltung passte gut in die frühe Bundesrepublik, deren Bevölkerung sich nach der Überpolitisierung des Nationalsozialismus durch weit verbreitete Politikverdrossenheit und die Flucht in ein traditionelles, harmonistisches Politikideal auszeichnete. ›Gute‹ Politik wurde dabei notorisch in einer Sphäre ›über‹ den tagesaktuellen politischen Konflikten und den damit professionell befassten Instanzen vermutet. Eine solche Tendenz findet sich auch in Loriots Kritik am Politikbetrieb, die ebenfalls einen Schwerpunkt in seinem Werk bildet. Dabei geht es meist um die Phrasenhaftigkeit und Selbstbezogenheit der Politik, um den Opportunismus ihres Personals und den aus seiner Sicht unappetitlichen Stil der politischen Auseinandersetzungen. Gewiss ist dies vor dem Hintergrund der starken politischen Polarisierung im bundesdeutschen Politikbetrieb während des Kalten Krieges und später auch des aufgeheizten politischen Klimas in den Auseinandersetzungen mit der außerparlamentarischen Opposition (APO) und besonders dem Linksterrorismus der RAF zu sehen. Zudem ging es ihm um den Konstruktionscharakter kategorialer Zuschreibungen wie »links« und »rechts«, deren unhinterfragte, normsetzende Kraft er absurd fand.28

Aber zugleich war seine Kritik an den Distinktionen des Politikbetriebs eben kompatibel zu einem in der Bundesrepublik verbreiteten Politikideal, das den Streit, die Interessenkollision und den Kompromiss als notwendige Elemente demokratischer Aushandlung von Politik nicht erkannte und schätzte. Loriots lager- und altersübergreifende Beliebtheit seit den 1980er Jahren dürfte nicht zuletzt hier eine ihrer Wurzeln haben. Gelegentlich hatte dies politische Konsequenzen, die ihm wie ein schlechter Witz vorgekommen sein müssen. Dazu gehört der offenbar ernstgemeinte Vorschlag, ihn zu einer Kandidatur als Nachfolger von Richard von Weizsäcker im Amt des Bundespräsidenten zu bewegen,29 oder die Einschätzung der Stasi nach der Eröffnung einer Ausstellung seiner Werke im Brandenburger Dom, er habe »eine loyale politische Einstellung zur DDR«.30

Loriot selbst hat seine fehlende Bereitschaft, sich auf nur eine Profession festlegen zu lassen, einmal als »Preußische Hemmungslosigkeit« bezeichnet.31 Man darf davon ausgehen, dass er an Oxymora per se Spaß hatte, aber dieses enthält auch jenseits dessen einen wahren Kern: Die Janusköpfigkeit der bundesdeutschen Nachkriegszeit zwischen konservativer Beharrung und dynamischer Öffnung spiegelt sich auch in seinem Werk. Insofern ist es nicht nur der zunehmenden Akzeptanz von westlicher Populärkultur (und Loriots sukzessiver Hinwendung zur klassischen Hochkultur wie Oper und Theater) zu verdanken, dass er am Ende vielen als Verkörperung des bundesdeutschen Humors, der »Hochkomik« (Bernd Eilert)32 schlechthin galt und mit Ehrungen überhäuft wurde. Der Weg auf den Olymp des deutschen Humors erwies sich allerdings als lang und bisweilen steinig. Ohne ausgeprägte preußische Tugenden wie Disziplin und Härte gegen sich selbst wäre er vermutlich kaum zu meistern gewesen.

1 »Humor und Wirtschaftskrise. Ein Kommentar von Professor Klaus-Günther Weber«, in: »Cartoon«, Süddeutscher Rundfunk, 5.2.1967, zitiert nach: Loriot: »Gesammelte Prosa«, Zürich 2006, S. 272 f. — 2 Joachim Meyerhoff: »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2«, Köln 2013, S. 52 f. — 3 Erika Runge: »Ich heiße Erwin und bin 17 Jahre«, WDR 1970. — 4 Christoph Stölzl: »Wir sind Loriot oder Ein Preuße lockert die Deutschen«, in: Loriot: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 709–715, hier: S. 713 (Hervorh. im Original). — 5 Ebd., S. 712. — 6 Jürgen Serke: »Mein Sozi für die Zukunft«, in: »Stern«, 15.7.1982, S. 55 f. — 7 Monty Python: »The Funniest Joke in the World«, BBC, 5.10.1969. — 8 Axel Hacke: »Mein Loriot«, in: »Der Tagesspiegel«, 6.11.2003. — 9 Axel Schildt: »Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen«, in: »Blätter für deutsche und internationale Politik« 44 (1999), S. 1234–1244. — 10 Vgl. Hans Braun: »Helmut Schelskys Konzept der ›nivellierten Mittelstandsgesellschaft‹ und die Bundesrepublik der 50er Jahre«, in: »Archiv für Sozialgeschichte« 29 (1989), S. 199–223. — 11 Wolfgang Hildesheimer: »›Loriots heile Welt‹. Nackte Frau auf Bratenplatte«, in: »Der Spiegel«, 10.5.1973, S. 169. — 12 Christoph Kleßmann: »Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker«, in: »Geschichte und Gesellschaft« 11 (1985), S. 476–494, hier S. 485. — 13 Loriot: »Möpse & Menschen. Eine Art Biographie«, Zürich 1983, S. 48. — 14 Peter Geyer: »Vorwort«, in: Susanne von Bülow / Peter Geyer / OA Krimmel (Hg.): »Loriot. Der ganz offene Brief. 115 ungewöhnliche Mitteilungen«, Hamburg 2014, S. 6–9. — 15 Loriot: »Möpse & Menschen«, a. a. O., S. 63, 89 und 96. — 16 »Der Mensch, der geht jetzt unter. André Müller spricht mit Loriot«, in: »Die Zeit«, 7.2.1992; Loriot: »Satire im Fernsehen«, in: Ders.: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 401–408, hier S. 408. — 17 von Bülow u. a.: »Loriot. Der ganz offene Brief«, a. a. O., S. 270 f. — 18 »Wortwechsel. Interview mit Gero von Boehm«, Südwestfunk Baden-Baden, 17.1.1986. — 19 Auf einer Skala von + 10 bis -10 lag die Bewertung bei -7; vgl. »›Man musste den Monty Python überzeugen, mitzumachen‹. Alfred Biolek über 40 Jahre Anarchohumor und die Herkunft des Wortes Spammail«, in: Deutschlandfunk, 5.10.2009 (Interview mit Gerwald Herter), https://www.deutschlandfunk.de/man-musste-den-monty-python-ueberzeugen-mitzumachen.694.de.html?dram:article_id=67657 (15.1.2021). — 20 Wolfgang Hildesheimer: »Loriots heile Welt«, a. a. O., S. 169. — 21 Hans-Dieter Gelfert: »Mit einem Lachen nach Westen«, in: »Die Welt«, 27.8.2011. — 22 Henner Löffler: »Loriot-Sketch hatte Vorbild. Der Astronaut lernte vom Tiefseetaucher«, in: FAZ-Net, 6.1.2015, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/sketch-von-loriot-hat-quelle-bei-john-cleese-13354667.html (15.1.2021). — 23 Vgl. die autobiografische Darstellung des damaligen dffb-Studenten Stefan Lukschy: »Der Glückliche schlägt keine Hunde. Ein Loriot-Porträt«, Berlin 2015, S. 6 f. — 24 Neben Gelfert: »Mit einem Lachen nach Westen«, a. a. O., vgl. in diesem Sinne auch Claudia Neumann: »Nonsense versus Tiefsinn? Ein interkultureller Vergleich der Fernsehsketche von Loriot und Monty Python: Über den deutschen und englischen Humor«, Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2001. — 25 So die programmatische Formulierung von Eckart Conze; vgl. Ders.: »Sicherheit als Kultur. Überlegungen zu einer ›modernen Politikgeschichte‹ der Bundesrepublik Deutschland«, in: »Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte« 53 (2005), H. 3, S. 357–380. — 26 Vgl. Loriot: »Biographie«, Manuskript: Dieter Lobenbrett, München 2011, S. 94. — 27 Vgl. »Gespräch mit Marianne Koch«, 3 nach 9, Radio Bremen, 23.3.1979. — 28 Deutlich wird dies etwa, wenn er bei einer Preisverleihung 1983 die links im Saal Sitzenden bat, sich zu politischen Orientierungszwecken zu erheben, nur um anschließend zu sagen: »Sehen Sie, meine Damen und Herren: Das sind die Linken!«; vgl. Loriot: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 552; bemerkenswert scheint hier die Nähe zu sehr ähnlich gelagerten Positionen der kritischen Diskurstheorie, etwa bei Jürgen Link. — 29 »Loriot soll’s machen«, in: »die tageszeitung«, 21.9.1993, S. 16. — 30 »Loriot und die Stasi«, in: »Berliner Kurier«, 2.8.2012. — 31 »Gespräch mit Axel Corti«, 3 nach 9, Radio Bremen, 18.11.1988. — 32 Vgl. Stefan Neumann: »Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows«, Trier 2011, S. 11.

TEXT + KRITIK 230 - Loriot

Подняться наверх