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Lachend auf dem langen Weg nach Westen?

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Die Erzählung der kulturellen Westernisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik ist zweifellos eng an Phänomene wie die Entwicklung des Massenkonsums und ihre Medialisierung gebunden, nur ist sie stärker auf kulturelle Transfers, auf die Einflüsse aus den Gesellschaften der westlichen Siegermächte, Phänomene der ›Amerikanisierung‹ und ihrer Abwehr bezogen. Zeitgenössisch spielten dabei überkommene binäre, antagonistische Vorstellungen von Hoch- und Populärkultur eine zentrale Rolle. Die Anstrengungen der kulturellen Eliten richteten sich auf eine Geschmacksbildung der Bevölkerung, die sich am klassischen, nationalen hochkulturellen Kanon orientierte. Demgegenüber galt die Populärkultur als ›amerikanisch‹, als minderwertig, wenn nicht schädlich. Gerade die jungen Medien Comic und Fernsehen sahen sich entsprechenden Ressentiments ausgesetzt.

Es ist daher wenig überraschend, dass die frühen Arbeiten Loriots zunächst keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stießen, zumal sein Humor häufig auf Ironie basierte und bisweilen absurde Züge trug. Das betraf etwa die für den Stern 1953 entstandene Reihe »Auf den Hund gekommen«, deren Komik darauf beruhte, dass die Rollen von Menschen und Hunden konsequent vertauscht waren. Leser empfanden die Reihe damals als »ekelerregend und menschenunwürdig«, als »eine starke Herabsetzung des homo sapiens« und fragten, wann die »scheußlichen, menschenverhöhnenden Hundewitze« endlich aus dem Stern verschwänden.13 Offensichtlich stellte gerade diese Konstellation für manche Deutsche, die zwar den Krieg, nicht aber ihr Gefühl von Überlegenheit verloren hatten, eine schwer erträgliche Provokation dar. Der Protest war so stark, dass Chefredakteur Henri Nannen die Serie nach nur sieben Folgen aus dem Blatt warf. Kein deutscher Verlag wollte die Zeichnungen seinerzeit drucken, sie erschienen daher im neu gegründeten Schweizer Diogenes Verlag.

Wenig später erhielt Loriot auch vom Verlag der Zeitschriften »Quick« und »Weltbild« eine Kündigung, da »sich unsere Leser mehr und mehr gegen Ihren Stil ausgesprochen haben« und er der Bitte, sich »ein bisschen mehr am Geschmack unserer vielen Leser zu orientieren«, nicht entsprochen habe.14 Auch später noch wurden Loriots Zeichnungen als »seelisch geschädigt« und jugendgefährdend geschmäht, den Zeichner hätte ein Leser gern mit einem »kl. Fläschchen E 605« vergiftet.15 Das lag wohl auch daran, dass er der Prüderie und Bigotterie der Adenauer-Ära einen Spiegel vorhielt. Seine erste Sendung bei Radio Bremen nannte er »Loriots sauberer Bildschirm«, eine Anspielung auf die Mitte der 1960er Jahre gegründete Initiative »Aktion saubere Leinwand«, die sich gegen die Darstellung von Nacktheit und Sexualität im Film richtete. Und erkennbar hatte er Spaß daran, in dieser Sendung mit sinnfreien Nacktszenen und anzüglichen Doppeldeutigkeiten zu provozieren. Es war daher kein Wunder, dass er auch noch in den 1960er und 1970er Jahren Politiker und Kirchenvertreter gegen sich aufbrachte. Als besonderer Stein des Anstoßes erwies sich dabei der schwarze Humor seines Gedichtes »Advent«: Für die rechtsextreme »Deutsche Wochenzeitung« war die (erneute) Ausstrahlung in der letzten Folge seiner TV-Reihe bei Radio Bremen im Dezember 1978 sogar Anlass, nach dem Staatsanwalt zu rufen.16

Besonders die verbreiteten Vorstellungen von sehr weitreichenden, unmittelbaren Wirkungen der Medien wurden für Loriot zum Problem. Die Zeitkritik, die er unter anderem in der »Quick«-Kolumne »Der ganz offene Brief« übte, führte regelmäßig zu Protesten von Lesern, denen die Ironie seiner Kommentare entging oder die ihm Geschäftsschädigung unterstellten. Eine Satire über chemische Zusätze im Wein führte schließlich das Ende der Reihe herbei. Schon zuvor hatte sich Loriot über solche Vorstellungen direkter Medienwirkungen mokiert: Beeindruckt von der »kühnen Härte« des Films »Mord am Abend« habe er auf dem Rückweg vom Kino eine »vollschlanke Dame« gefesselt und geknebelt »in einem Akaziengebüsch« abgelegt. Nun frage er sich, ob er »ein Opfer der Filmindustrie« geworden sei oder »dieser Vorfall irgendwelche Rückschlüsse auf mein Inneres zu(lasse)«.17 Bezeichnenderweise blieb dieser Text unveröffentlicht. Tatsächlich wäre er wohl in einer Zeit kaum auf allgemeines Verständnis gestoßen, in der große Teile von Gesellschaft und Öffentlichkeit glaubten, Jugendkriminalität und -gewalt seien die direkte Folge von einschlägigen, primär aus den USA importierten medialen Darstellungen. Es fällt auf, dass sich bei Loriot zwar kulturkritische Ansätze finden, aber kaum Hinweise auf derartige antiamerikanische Konnotationen. Das war selbst bei seinem Freund und Nachbarn Manfred Schmidt anders, dessen sehr erfolgreiche, in der »Quick« erscheinende Comic-Folge »Nick Knatterton« ursprünglich als Parodie auf amerikanische Superhelden in Comics und Heftromanen angelegt war.

Aber war die Polarisierung, die Loriots Werk auslöste und seinen Erfolg zunächst erschwerte, auch ein direktes Ergebnis liberaler, westlicher Einflüsse? Loriot selbst hat bezüglich seines Zeichenstils westliche Vorbilder benannt, Einflüsse des britischen Humors jedoch zurückgewiesen. Ihm zufolge zeichne sich dieser durch eine Direktheit und Derbheit aus, die seinen Arbeiten fremd sei, auch interessiere ihn das Absurde nicht, sondern eine Komik, die aus Realitätsnähe entstehe.18 Dafür scheint zu sprechen, dass Monty Pythons »Flying Circus« bei den Deutschen zunächst gar nicht gut ankam: Als Alfred Biolek die britischen Komiker überredete, zwei Folgen auf Deutsch zu produzieren, die der WDR Anfang 1972 ausstrahlte, erhielten sie in der Zuschauerbewertung die schlechteste Note, die jemals in Deutschland für eine Sendung vergeben worden ist.19 Auch Wolfgang Hildesheimer hat Loriots Position indirekt bestätigt, indem er ihm in einer Rezension einen Mangel an »britischen« Ingredienzen wie Bosheit und Skurrilität vorgeworfen hat.20

Dagegen insistierte ein Nachruf auf Loriot darauf, dass »der einzige originär deutsche Beitrag zur Verwestlichung des deutschen Humors« von ihm stamme: Er habe den »Sonderweg« des deutschen Humors mit seinen betulichen und moralisierenden Traditionen gebrochen, ohne allerdings die britische Tendenz zur kalkulierten Geschmacklosigkeit und Elitenkritik zu übernehmen.21 In der Tat zeigt schon das Beispiel des (von Hildesheimer geschätzten) Adventsgedichtes, dass es in Loriots Werk durchaus eine ›britische‹ Facette gab – die in Deutschland allerdings auch sehr wohl als geschmacklos empfunden wurde. Besonders bei den frühen TV-Arbeiten sind Bezüge zu britischen Vorbildern kaum zu leugnen: seien es während der Moderationen unmotiviert durchs Studio marschierende Dudelsack-Kapellen und Slapstick-Proben oder einzelne Sketche wie die Interview-Parodie »Der Astronaut«, die offensichtlich von John Cleese inspiriert war.22 Zumindest dürften es solche Elemente gewesen sein, die häufig für Ablehnung und Unverständnis sorgten, mit der auch die Reihe »Cartoon« des Süddeutschen Rundfunks (1967–1972) reichlich bedacht wurde – andererseits ließ gerade dies die Reihe in der Alterskohorte der rebellierenden Studierenden zu Kult werden.23 Loriot bot offenbar auch auf der Ebene der Westernisierung ein Amalgam aus (vermeintlich) harmlosem ›deutschen‹ Humor mit an westlichen Vorbildern orientierten skurrilen, anarchischen und sozialkritischen Elementen.24

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