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Witz im Wirtschaftswunder. Loriot und die Modernisierung der Bundesrepublik

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Vielleicht am offensichtlichsten sind die Bezüge Loriots zur Geschichte der Bundesrepublik als Modernisierungserzählung. Das betrifft zum einen ihre Medialisierung, also die wachsende Bedeutung der populären Massenmedien und die Durchsetzung des Fernsehens. Denn vor allem den nun populären, visuellen Medien verdankte Loriot seinen Erfolg: Seine ersten Zeichnungen und Satiren erschienen in der illustrierten Presse, unter anderem im »Stern«, in »Weltbild« und »Quick«. Schon ab Mitte der 1960er Jahre kam dann das noch junge, in bildungsbürgerlichen Kreisen ebenfalls wenig geschätzte Fernsehen hinzu, wobei er dort zunächst besonders mit Trickfilmen vertreten war, einem Medium, das bis dato allenfalls Kinder adressierte. Sein erster Kinospielfilm hatte dagegen erst 1988 Premiere.

Zum anderen war die sich entfaltende Konsumgesellschaft eines der zentralen Themen von Loriot: Immer wieder ging es bei ihm mit durchaus kulturkritischem Unterton um ihre vermeintlichen Segnungen, etwa die verlogenen Versprechen der Werbung, um besinnungslosen Konsum, die fragwürdigen kulturellen Leistungen der Massenmedien oder die problematischen Auswüchse der individuellen Motorisierung und des zunehmenden Tourismus. Dies lässt sich besonders an seinen Cartoons aus den 1950er und 1960er Jahren festmachen, ebenso wie an seinen Beiträgen zur Quick-Kolumne »Der ganz offene Brief« (1957–1961). Doch selbst in den späteren Fernseharbeiten sind diese Themen noch sehr präsent: Man denke nur an den Vertreterbesuch bei Familie Hoppenstedt oder die durch eine Betonwüste irrende Touristenfamilie auf der Suche nach dem Strand.

Der Umgang mit diesen Phänomenen und ihren kulturellen Konsequenzen bildet ein Kernthema des Frühwerks. Dabei scheint es sich bei der Gesellschaft, die Loriot porträtiert, stets um eine Art »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« zu handeln, also Helmut Schelskys zeitgenössische Vorstellung einer hegemonialen Mittelschicht10 – andere Milieus spielen kaum eine Rolle. Gewandet sind seine Parodien allerdings oft im Stil der untergegangenen Welt des frühen 20. Jahrhunderts: Die Männer tragen Stresemann, Fliege und Bowler, die Frauen geblümtes Kleid, »hier gibt es noch Hörrohre, Haarknoten und das Haustier als Problem«.11 Jenes rückwärtsgewandte Dekor der frühen Bundesrepublik, an dem sich im Zuge der 68er-Bewegung oft die – freilich zu oberflächliche – Einschätzung als restaurativ festgemacht hat, es findet sich auch hier.

Die Komik Loriots in der frühen Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre kann somit einem prominenten konservativen Diskurs zugeordnet werden, der die Dynamik der Wirtschaftswunder-Gesellschaft mit Skepsis betrachtete. Aber er tat dies nicht nur in anderen, ›modernen‹ Medien und an anderen Orten als der tonangebende konservative Mainstream, sondern auch in einer demokratisierten Form. Denn anders als die traditionellen Eliten, denen es dabei immer auch um die Verteidigung ihres gesellschaftlichen Status zu tun war, ließ Loriot keinen Zweifel daran, dass er sich als Teil dieser Gesellschaft betrachtete: Als Mediennutzer, Konsument, Autobesitzer und sogar Hersteller von Werbefilmen war er selbst gleichermaßen Verursacher wie Opfer der von ihm karikierten Modernisierungsfolgen. Daher scheint das sozialgeschichtliche Etikett für die Entwicklung der frühen Bundesrepublik von einer »Modernisierung unter konservativen Auspizien« (Christoph Kleßmann)12 auch für Loriot zu passen.

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