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Römischer Weinbau an Mosel und Rhein
ОглавлениеKarl-Josef Gilles
Bis vor wenigen Jahren zählte die Frage nach den Anfängen des Weinbaus an Mosel und Rhein zu den umstrittensten Problemen der archäologischen Forschung. Obwohl verschiedene antike Schriftsteller wie Ausonius (310 – 393/4 n. Chr.) oder Venantius Fortunatus (um 540 – 610/20 n. Chr.) schon für die Zeit des späten 4. bzw. 6. Jhs. n. Chr. von umfangreichen Rebflächen im Moseltal berichten, konnte dafür bis vor wenigen Jahren kein überzeugender archäologischer Nachweis erbracht werden. Daher wurden immer wieder andere Zeugnisse, insbesondere Steindenkmäler, als Belege für einen intensiven römerzeitlichen Weinbau an der Mosel angeführt. Hierzu gehören etwa das Neumagener Weinschiff (Abb. 1) oder das erst 1976 in einer römischen Villa bei Kinheim (Kreis Bernkastel-Wittlich) entdeckte Hochrelief des gallo-römischen Sucellus (Abb. 2), der im Gegensatz zu dem in der regionalen Weinliteratur als Weingott verherrlichten Bacchus als Schutzgott der Moselwinzer und Küfer angesehen werden darf. Jenes bemerkenswerte Hochrelief ist die erste bekannte Darstellung des Schlegelgottes mit einer Traube, die zugleich Rückschlüsse auf den Inhalt der hinter der Gottheit gestapelten Fässer zulässt. Erst danach gelang es, die ersten römischen Kelterhäuser nachzuweisen. Seit 1977 sind an der Mosel zwölf solcher Anlagen aus der Zeit des 3. bis 5. Jhs. n. Chr. und eine weitere Kelter 1981 im Rheintal unweit des Bad Dürkheimer Stadtteils Ungstein untersucht worden. Hierbei handelt es sich um folgende Ortschaften (mit dem Jahr ihrer Auffindung, zur Lage der Kelterhäuser s. Abb. 3): Maring-Noviand (1977), Piesport (1985/86), Brauneberg, westliches und östliches Kelterhaus (1990/91), Lösnich (1973/1990), Piesport-Müstert (1992), Erden, westliches Kelterhaus (1992/93), Graach (1995), Erden, östliches Kelterhaus (1998), Wolf (2000), Zeltingen-Rachtig (2003) und Lieser (2005).
Abb. 1: Das Neumagener Weinschiff war ursprünglich Teil einer Grabmalbekrönung aus der Zeit um 220 n. Chr.
Abb. 2: Der Sucellus von Kinheim, gallo-römischer Schutzgott der Moselwinzer, aus dem späten 3. Jh. n. Chr.
Abb. 3: Römische Keltern an der Mosel: 1 Piesport, 2 Piesport-Müstert, 3 Brauneberg westliche Anlage, 4 Brauneberg, östliche Anlage, 5 Maring-Noviand, 6 Lieser, 7 Graach, 8 Zeltingen-Rachtig, 9 Erden, westliche Anlage, 10 Erden, östliche Anlage, 11 Lösnich, 12 Traben-Trarbach-Wolf.
Als indirekten Beweis für einen frühen römischen Weinbau an Rhein und Mosel lässt sich auch ein Edikt Kaiser Domitians (81 – 96 n. Chr.) aus dem Jahre 92 n. Chr. anführen, nach dem der Weinbau, um einer Überproduktion von Wein zu begegnen, in den gallischen Provinzen eingeschränkt werden sollte. Diese Verordnung wurde erst um 278 n. Chr. von Kaiser Probus (276 – 282 n. Chr.) offiziell wieder gelockert.
Meist liegen die nachgewiesenen Kelterhäuser inmitten heutiger Rebflächen, die nicht ohne Grund zu den besten Weinlagen des Moseltals zählen, wie z. B. Piesporter Goldtröpfchen, Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Lieserer Niederberg, Graacher Himmelreich oder Erdener Treppchen. Eine unbekannte Zahl entzieht sich noch ihrer Entdeckung, bis sie eher zufällig im Zuge von Flurbereinigungen oder Straßenerweiterungen am Fuß steilerer Süd- oder Südwesthänge in unmittelbarer Nähe zur Mosel angeschnitten werden. Weitere lassen sich aufgrund älterer Befunde (etwa als Badeanlagen gedeutete Becken) oder begrenzter Trümmerstellen inmitten von relativ steilen Rebflächen vermuten, die von ihrer Lage und ihren Ausdehnungsmöglichkeiten für einen Gutshof völlig ungeeignet erscheinen. Wohl nicht zufällig kann die Mehrzahl dieser Orte auf Weinbaubelege des 7. – 10. Jhs. (Piesport, Brauneberg, Lieser) zurückgreifen oder weist in ihrem Umfeld merowingerzeitliche Grabfunde auf, die sogar auf einen kontinuierlichen Weinbau seit der Spätantike schließen lassen. Außerdem liegen sie im Bereich von Weinbergen, die bei einer um 1850 vorgenommenen Wertschätzung den Klassen I und II (von acht) zugeordnet wurden (Hegner, 1905). Hinweise auf weitere römische Kelterhäuser liefern zudem mehr als 20 gefundene Keltersteine.
Aufbau der Kelteranlagen
Zur Grundausstattung der untersuchten Keltern zählte je ein Maische-, Press- und Mostbecken (Abb. 4). Im Maischebecken wurde das Lesegut gesammelt und mit Füßen oder Stampfern bearbeitet. Die dabei gewonnene Maische wurde nach Ablassen des Mostes in die Auffang- oder Mostbecken in Presskörbe umgesetzt, um den letzten Saft mithilfe einer Baumkelter herauszupressen. Ein kurzzeitiges, einbis zweitägiges Maischen der Trauben war bei den damaligen Pressmethoden ratsam, zumal dadurch das Traubenmark flüssiger und beim Pressvorgang ergiebiger wurde (Abb. 5). Über den Pressbecken war meist eine Baumkelter mit schwebendem Gewicht installiert: Am Kelterbaum hing, an einer Spindel befestigt, ein bis zu 28 Zentner schwerer Gewichtsstein, der durch Drehen der Spindel angehoben und abgesenkt werden konnte (Abb. 6). Solange er schwebte, drückte er durch den Kelterbaum den Inhalt des Presskorbes zusammen. Jener Vorgang wurde so oft wiederholt, wie der Inhalt des Presskorbes nachgab und der letzte auf diese Weise zu gewinnende Most in das Auffangbecken abgeflossen war.
Abb. 4: Grundrisse römischer Kelteranlagen: 1) Piesport, 2a) Brauneberg, westliche Kelter, 2b) Brauneberg, östliche Kelter, 3) Maring-Noviand, 4) Lösnich.
Abb. 5: Die westliche Kelteranlage von Brauneberg mit zwei Maische- (eines weitgehend zerstört), einem Press- und zwei Mostbecken.
Abb. 6: Rekonstruktion der östlichen Kelter von Brauneberg. Sie zeigt je ein Maische-, Press- und Mostbecken, darüber eine Baumkelter mit schwebendem Gewicht.
Die Keltersteine bildeten quadratische oder rechteckige Quader, bei denen in der Mitte von zwei gegenüberliegenden Seiten vertikale, sich nach oben verjüngende Nuten angebracht waren (Abb. 7). Diese nahmen eine hölzerne Rahmenkonstruktion auf, an der eine kräftige Holzspindel befestigt war. Die Oberseite der Steine zeigt in der Regel eine kreisrunde Aushöhlung, die zur Aufnahme des unteren Endes der Spindel bestimmt war.
Abb. 7: Der Kelterstein von Piesport-Müstert wurde aus einem wieder verwendeten Quader eines Grabmalgiebels gearbeitet.
Die Kapazität und Verteilung der einzelnen Becken war recht unterschiedlich. Während in Piesport die Maische-, Press- und Mostbecken paarweise auf drei Ebenen verteilt waren, lagen sie bei den übrigen Keltern auf zwei Niveaus, wobei Maische- und Pressbecken unmittelbar benachbart waren. Die Mostbecken wiesen häufig Trittstufen auf, die wie Schöpfkuhlen oder -mulden die Entleerung der Becken erleichtern sollte. Wie unterschiedliche Abflüsse erkennen lassen, bestand bisweilen die Möglichkeit, den in den Maische- und Pressbecken gesammelten Most nach Qualität oder Sorte zu trennen. Gerade Columella (De re rustica III, 21,10) legte in seinem zur Zeit des Kaisers Claudius entstandenen Werk über die Landwirtschaft, den Gartenbau und die Baumzucht Wert darauf, den Charakter der Weine nicht zu vermischen, sondern reinen Wein ins Fass zu bringen.
Die eigentliche Nutzung der Kelterhäuser beschränkte sich auf eine Zeitspanne von sechs, maximal acht Wochen pro Jahr. Da sie aber mit größerem Aufwand errichtet worden waren, ist auch mit einer Sekundärnutzung zu rechnen. Die Mehrzahl der Kelterhäuser wurde zwischenzeitlich auch als Lagerraum für Obst und Getreide oder als Speicher genutzt. Nachgewiesen sind in den verschiedenen Anlagen Gerste, Roggen, Hafer, Hirse, Dinkel, Erbse, Linse und Hanf. Außerdem wurden verschiedentlich Hasel- und Walnüsse sowie in den beiden Ortschaften Wolf und Rachtig auch Äpfel und Birnen in den Kelterhäusern nachgewiesen, die an die Herstellung von Viez oder Apfelwein denken lassen (zu weiteren Früchten s.u.). Andererseits dürften die großen Becken zumindest zeitweise noch zum Einweichen der verschiedenen Bindemittel wie Weiden oder Stroh genutzt worden sein.
Nachträgliche Anbauten an die Kelterhäuser konnten entweder als Kellerräume oder als Fumarien (Rauchkammern) gedeutet werden (Abb. 8). In solchen von Columella (De re rustica I, 6,20) beschriebenen Fumarien erhielt der Wein durch Zuführung von Rauch eine vorzeitige Reife, wobei jedoch der Rauchgeschmack ein nicht immer gewünschter Nebeneffekt war, über den sich gerade Martial (40 – 102/104 n. Chr.) bei den gallischen Weinen beklagte. Für einen Keller, in dem der Gärungsprozess durch die Zuführung von Wärme hätte forciert werden sollen, waren die Räume weniger geeignet, da die aus röhrenförmigen Tubuli gebildeten Rauchabzüge meist nur in den Mauerwinkeln angebracht waren, also keine größere Wärme erzeugt werden konnte. Zudem scheinen die Tubuli wie in Piesport im Raum selbst gemündet zu haben. Noch weniger wäre es möglich gewesen, in einem solchen Raum den Most einzudicken, da es dazu zweifellos eines offenen Feuers unter einem Kessel bedurfte.
Abb. 8: Westlich an die Kelter von Piesport wurden nachträglich ein Fumarium und Kellerräume angebaut, die teilweise aus dem Fels gearbeitet waren.
In der östlichen Kelter von Erden konnte zudem eine Einrichtung zum Entsäuern des Weines nachgewiesen werden. Dabei wurde der Most mit Kalk bestreut, der sich schon bald am Boden und den Wänden des Reaktionsbeckens absetzte. Größere Kalkmengen waren in einer Kellerecke in Wolf und in der westlichen Kelter von Erden in aufrecht stehenden Holzfässern deponiert worden. Schon Plinius der Ältere (23/4 – 79 n. Chr.) (Naturalis historiae, XIV, 120) berichtet, dass Kalk zum Entsäuern des Mostes bzw. der Weine eingesetzt wurde. Ein positiver Nebeneffekt war, dass die Maische beim Pressen ergiebiger wurde und bedingt auch die Farbe verbessert wurde.
Umfang der Rebflächen
Die Größe und Anzahl der Maischebecken erlauben Rückschlüsse auf den Umfang der Rebflächen, die den einzelnen Kelterhäusern zuzuordnen sind. Lag wie in Noviand, Lösnich oder Rachtig nur ein Maischebecken vor, konnte es während einer vierwöchigen Leseperiode vielleicht acht- bis zehnmal gefüllt werden. Daher ist bei diesen Anlagen von einer geringeren Ausnutzung der Becken auszugehen, zumal für den Zeitraum, in dem die Trauben im Becken maischten, kein neues Lesegut eingebracht werden konnte, es sei denn, Holzbehälter hätten als Zwischenlager gedient. Bei Kelterhäusern mit mehr als einem Maischebecken wie in Piesport, Brauneberg, Lieser und Erden war dagegen ein kontinuierliches Lesen und somit eine häufigere Befüllung der Becken (12- bis 14-mal) möglich. Columella (De re rustica III, 3,11) betonte, dass Rebflächen, die auf das iugerum (einem von einem Jochgespann in einem Tag zu bestellenden Areal; entspricht 2.523 m2) weniger als drei cullei (1 culleus [eigentlich Schlauch, Sack] = 524 l) Wein liefern, auszureißen sind. Dabei bezog er sich aber ausdrücklich auf Italien und klammerte die Provinzen aus. Daher ist in Gallien sicherlich von einer geringeren Durchschnittsernte auszugehen. An anderer Stelle hält er fest, dass selbst Weinpflanzungen minderwertigster Qualität bei hinreichender Pflege pro iugerum einen culleus Wein erbringen sollten. Daher werden die Hektarerträge in den gallischen Provinzen einerseits deutlich unter 6.000 l, andererseits aber merklich über 2.000 l gelegen haben.
Noch um 1900 beliefen sich die durchschnittlichen Hektarerträge an der Mosel auf rund 2.500 l, wobei die Menge damals durch Schädlinge oder Krankheiten erheblich eingeschränkt war. Das Mittelmaß der von Columella genannten Zahlen, etwa 4.000 l geernteter Wein pro Hektar, sollte daher den römerzeitlichen Durchschnittserträgen im Moseltal recht nahe kommen. 4.000 l Wein entsprachen bei den damaligen Pressmethoden je nach Jahr etwa 5.500 – 6.000 l Maische. Legen wir die Kapazität der Maischebecken und ihre Nutzungsmöglichkeiten zugrunde, können wir der Piesporter Kelter eine Rebfläche von mindestens 76 Hektar zuordnen. Zur Kelter von Lieser gehörten vielleicht sogar 80 Hektar, zu der von Graach deutlich mehr als 38 Hektar, zu den beiden Anlagen von Brauneberg und Erden über 30 Hektar, zu jener von Lösnich knapp 14 Hektar, zu der von Müstert rund 10 Hektar und zu der von Noviand etwa 9 Hektar. Diese Berechnungen basieren auf der Verarbeitung weißer Trauben. Bei Rotwein müssen wir wegen des längeren Maischeprozesses von einer geringeren Fläche ausgehen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Empfehlung Columellas (De re rustica III, 21, 10), unterschiedliche Rebsorten zu pflanzen, die nicht gleichzeitig zur Reife gelangen. Die Weinberge müssten dann nicht in kürzester Zeit abgeerntet werden, und die Besitzer wären nicht genötigt, Erntearbeiter um jeden Preis anzuheuern. Eine sich über mindestens vier bis sechs Wochen erstreckende Lese dürfte daher auch in den gallischen Weinbaugebieten keine Seltenheit gewesen sein.
Die für Piesport angenommene äußerst umfangreiche Rebfläche bildete, einschließlich der benachbarten von Ferres und Müstert, wohl eine der größten zusammenhängenden Rebflächen nördlich der Alpen. Offenbar war Ausonius, als er bei seiner Reise von Bingen über den Hunsrück nach Trier um 370 n. Chr. gegenüber von Piesport das Moseltal erreichte, gerade beim Anblick dieser Rebflächen zu den schwärmerischen und viel interpretierten Versen (152 – 156) seiner »Mosella« verleitet worden, die hier in einer metrischen Übersetzung von Wolfgang Binsfeld wiedergeben werden:
Jetzt eröffn’ einen anderen Festzug
das Schauspiel der Reben,
und erfreue den schweifenden Blick
der Gabe des Bacchus:
dort wo die krönende Kuppe
in langem Zug überm Steilhang,
dort wo Felsen und sonniger Grat
in gewundenem Bogen
weinstockbesetzt sich erhebt,
ein natürlich entstand‘nes Theater.
Die Verse lassen wie die Lage der einzelnen Kelterhäuser erkennen, dass die Rebflächen in römischer Zeit primär in klimatisch begünstigten Steilhängen angelegt waren, wobei man sich wohl auch kleinerer Terrassen bediente. Das bedeutet, dass sich der Terrassenanbau nicht, wie von der mittelalterlichen Geschichtsforschung vermutet, erst im 11./12. Jh. ausbreitete, sondern auf wesentlich ältere Traditionen zurückging.
Rebsorten
Erinnern wir uns an Columellas Rat, nicht gleichzeitig zur Reife gelangende Rebsorten zu pflanzen, ist ein Nebeneinander von Rot-und Weißwein wahrscheinlich. Da Rotweintrauben in der Regel früher geerntet wurden, konnte man Engpässe bei Erntearbeitern umgehen, aber auch Verluste bei später zur Reife gelangenden Sorten durch eventuelle Herbstfröste mindern. Anhaltspunkte für Rot- und Weißwein bieten auch erhaltene Farbreste an Steindenkmälern aus Lörsch und Neumagen.
Zu den Rebsorten selbst lassen sich derzeit noch keine präziseren Angaben machen, obwohl aus den meisten Kelterhäusern mitunter zahlreiche verkohlte Traubenkerne vorliegen. Sicher scheint jedoch, dass die Kerne vorwiegend zu Übergangsformen und nur in wenigen Fällen zu Wild- oder Kulturreben gehörten. Dies könnte bedeuten, dass bei der Anlage der Rebflächen auch weiterentwickelte einheimische Wildreben berücksichtigt wurden und der Import von Reben aus dem Mittelmeerraum nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Weißwein dürfte jedoch dominiert haben. Dennoch lassen Kerne von Schwarzem Holunder, Kirschen, Brom- und Himbeeren sowie Schlehen in einigen Kelterhäusern auch an die Verarbeitung von Rotwein denken, da insbesondere der dunkelrote Saft vom Schwarzen Holunder wegen seiner Farbintensität dem Rotwein eine kräftigere Farbe verliehen haben dürfte. Ausnahmen bildeten die beiden großen Keltern von Piesport und Graach. Die Verarbeitung des Holundersaftes zu Holunderwein ist wegen seines geringen Zuckergehaltes für die Römerzeit jedoch auszuschließen, da man, um ihn genießbarer zu machen, relativ große Mengen an Honig benötigt hätte. Daher sollte der Saft nur als Schönungsmittel für den hiesigen Rotwein Verwendung gefunden haben. Zu erwägen wäre auch, ob nicht die Holunderbeeren zunächst getrocknet und erst danach der Rotweinmaische zugesetzt wurden. Möglicherweise hatte man dem Most oder Wein in beiden Erdener Kelteranlagen noch Hanf und in der großen Kelter von Piesport in geringen Mengen auch Mohn zugesetzt, vermutlich um die berauschende Wirkung des Weines zu verstärken.
Betreiber der Kelteranlagen
Die kleineren Kelterhäuser von Lösnich oder Noviand bildeten Nebengebäude von Gutshöfen. Sie sind daher wohl als private Anlagen zu sehen. Sie wiesen auch nur je ein Maische-, Press- und Mostbecken auf, sodass ein permanentes Keltern nicht möglich war. Außerdem lagen die zugehörigen Rebflächen nur teilweise in unmittelbarer Umgebung, in Lösnich sogar mehr als 1,5 km entfernt. Dagegen wurden die großen Kelteranlagen von Piesport, Brauneberg, Lieser, Graach oder Erden am Fuße steilerer Südhänge im Bereich von Weinbergen bester Qualität errichtet, ohne, dass im Umfeld weitere Gebäude nachgewiesen werden konnten. Sie waren reine Zweckbauten inmitten der zu bewirtschaftenden Fläche. Lediglich das Erdener Kelterhaus, das zweigeschossig war, bot vielleicht bescheidene Wohnmöglichkeiten für Arbeiter. Ihr Umfang und einige charakteristische Kleinfunde wie staatliche oder militärische Ziegelstempel und Beschlagteile von Gürteln höher gestellter Beamter oder Militärs ermöglichen es, diese Kelteranlagen primär staatlichen Betreibern zuzuordnen. Dafür spricht auch, dass sie wohl erst um 300 n. Chr., also mit der Verlegung der Kaiserresidenz nach Trier und der Errichtung der gallischen Präfektur, entstanden sind, nachdem zuvor in besseren Weinlagen kleinere Betriebe zu Domänen zusammengeführt worden waren. Insbesondere die östliche Brauneberger Kelter, jene von Müstert und Teile des Erdener Kelterhauses scheinen im 3. Jh. n. Chr. zunächst von privater Seite genutzt worden zu sein, ehe sie um 300 n. Chr. von staatlicher Seite übernommen, erweitert oder in größere Anlagen integriert wurden. Da die großen Kelteranlagen in unmittelbarer Nähe zur Mosel errichtet waren, konnte der dort erzeugte Most regelmäßig mit dem Schiff nach Trier in die Keller (horrea) des Kaiserhofes oder der Präfektur transportiert werden. Lediglich in Piesport, vielleicht auch in Erden und Graach, hatte man nachträglich Kellerräume zur Zwischenlagerung des Mostes bzw. des Weines errichtet. Den Beweis für eine kaiserliche Kellerei lieferte eine Sarkophaginschrift des späten 3. Jhs. n. Chr. aus Trier, die einen Verwalter der staatlichen Weine (praepositus vinorum) nennt. Wenn nach Columella sieben iugera (rund 1,77 Hektar) die Arbeitskraft eines Winzers verlangen, können die größeren Kelteranlagen kaum von privater Seite betrieben worden sein. Für Piesport mit einer Rebfläche von 76 Hektar wären, ebenso wie für Lieser, ständig mehr als 40 Arbeiter erforderlich gewesen, für Brauneberg und Erden etwa 15 – 20. Während der Erntezeit dürfte die Zahl der Arbeiter mindestens dreimal so hoch gewesen sein. Schon daher müssen wir an die Provinzverwaltung oder das Militär als Betreiber jener Domänen denken. Zumindest das Militär hatte ein eigenes Interesse daran, stand ihm doch in der Spätantike bei Kriegszügen pro Tag eine bestimmte Weinration, je nach Rang ein oder zwei sextarii, also gut ein halber oder ein ganzer Liter zu. Der Verwalter dieser Domänen residierte vielleicht gegenüber von Piesport im heutigen Ortsteil Niederemmel, in dem wohl nicht zufällig zwei weit über ihre Grenzen bekannte Fundstücke entdeckt wurden: das aus einem Glasblock in mühevoller Arbeit herausgeschliffene Diatretglas oder die um 316 n. Chr. zum zehnjährigen Regierungsjubiläum von Constantin I. angefertigte Goldfibel, die ihren Träger in das nähere Umfeld des Kaisers rückt.
Waren jene Weindomänen in staatlichem oder kaiserlichem Besitz, sind sie während der fränkischen Landnahme im 5. Jh. n. Chr. als Fiskalland wohl geschlossen in die Hände der fränkischen Könige übergegangen. Diese Tatsache könnte wiederum die umfangreichen kirchlichen Besitzungen in Piesport, Brauneberg, Graach und Erden erklären. In Piesport betrug der Anteil des geistlichen Besitzes sogar 56 % und erreichte damit den höchsten Anteil innerhalb des Trierer Kurstaates.
Zeitstellung der Kelteranlagen
Die bislang untersuchten Kelteranlagen datieren nach dem vorliegenden Fundmaterial vornehmlich ins 4. und in die erste Hälfte des 5. Jhs. n. Chr. Ältere Nutzungsspuren aus der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. liegen bisher nur aus der östlichen Anlage von Brauneberg, aus Erden und aus Piesport-Müstert vor, wobei letztere vielleicht schon um 200 n. Chr. entstanden ist und mehr als fünf Erweiterungen erfahren hat. Gerade dieses Beispiel lässt erkennen, dass ältere Spuren nur dann nachgewiesen werden konnten, wenn das Kelterhaus stärker gestört und bei Untersuchungen auf die Erhaltung der archäologischen Reste für eine Rekonstruktion keine Rücksicht zu nehmen war. Dies könnte insbesondere die Ergebnisse zur großen Piesporter Anlage beeinträchtigen, unter der sich durchaus noch ein älterer Vorgängerbau verbergen kann. Andererseits könnten sich auch viele ältere Holzkeltern oder Sack- bzw. Spindel- und Torsionspressen einer archäologischen Entdeckung entziehen, sodass wir heute nur die jüngeren, in Stein ausgebauten Kelteranlagen erfassen.
Trotz dieser Vorbehalte scheint der Weinbau im Moseltal erst nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. eine erste Blüte erreicht zu haben, worauf neben ikonographischen und literarischen neuerdings auch epigraphische Zeugnisse schließen lassen. Zudem wurde der Moselwein erstmals in dieser Zeit in größeren Mengen exportiert, wie Untersuchungen zu Augst, einer römischen Stadt in der Nordschweiz, ergaben, wo der Import römischer Weinamphoren aus Südgallien und Italien vor 280 n. Chr. vollkommen abbrach und der Wein stattdessen vermutlich in Fässern von der Mosel über den Rhein nach Augst gelangte (Martin-Kilcher, 1994). Spätestens um die Mitte des 5. Jhs. n. Chr. waren die Kelterhäuser mit ihren Einrichtungen größtenteils zerstört. Allerdings lassen vereinzelte Funde in Piesport, Brauneberg, Rachtig und Erden eine weitere Nutzung von Teilen der Ruinen vermuten, wobei an einfachere, archäologisch nicht fassbare Holzkeltern oder Torsionspressen zu denken ist. Spätestens im hohen Mittelalter wurde mit Erden der letzte dieser Plätze aufgegeben, obwohl die Mauerreste teilweise, wie in Piesport, Lieser und wohl auch in Brauneberg, noch bis ins 19. Jh. sichtbar waren und erst danach von Rebflächen überdeckt wurden.
Zusammenfassung
Nach den archäologischen Befunden erlebte der Weinbau im Moseltal und in der Pfalz erst während des 4. Jhs. n. Chr. seine erste Blüte. Inwieweit sich dabei die Maßnahmen Kaiser Probus’. (276 – 282 n. Chr.) auswirkten, wird man erst nach Untersuchung weiterer Kelteranlagen abschließend beurteilen können. Sicherlich wurde der Weinbau durch ein Edikt Kaiser Domitians (81 – 96 n. Chr.) an der Mosel und am Rhein keineswegs ausgerottet oder in seiner Entwicklung nennenswert behindert, wie die vorliegenden Steindenkmäler erkennen lassen. Dennoch sollte man viele der mit Weinbau in Verbindung gebrachten Denkmäler differenzierter betrachten. Eindeutig sind solche Darstellungen wie die eines traubenlesenden Winzers von der Luxemburger Mosel. Darstellungen einzelner Reben und Weinblätter oder traubenlesender Putti, nackte, geflügelte Knabengestalten, gehörten dagegen häufig zum Repertoire einer Steinmetzwerkstatt und bilden oft nichts anderes als gefällige Dekorationen. Ebenso zeigen die bekannten Neumagener Denkmäler primär den Weintransport oder -handel und bieten damit keinen direkten Anhaltspunkt für heimischen Weinbau. Unbestritten ist auch die in Trier seit der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. hergestellte »Weinkeramik« mit unterschiedlichen Trinksprüchen (Abb. 9).
Abb. 9: Ab der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. wurden in Trier unterschiedliche mit Trinksprüchen versehene Gefäße, sog. Spruchbecher, hergestellt, die auf den Weingenuss Bezug nehmen und in den Rhein- und Donauprovinzen weite Verbreitung fanden.
Im 2. und 3. Jh. n. Chr. führte der Weinbau im Vergleich zur Spätantike sicher ein sehr viel bescheideneres Dasein. Darauf deutet wohl auch das erste schriftliche Zeugnis des Weinbaus an der Mosel, eine im Jahre 291 n. Chr. in Trier auf Kaiser Maximian gehaltene prunkvolle Lobrede Panegyricus: Ubi silvae fuere, iam seges est, metendo et vindemiando defecimus (»Wo einst Wälder waren, steht schon die Saat, Ernten und Weinlesen können wir nicht mehr bewältigen«). Bei allen propagandistischen Tendenzen, die solchen Lobreden zu Eigen sind, sollte jene für das Trierer Land so bedeutsame Aussage zum Zeitpunkt des Vortrages sicherlich schon auf einen wahren Kern zurückgegriffen haben.
Im frühen 5. Jh. n. Chr. scheinen die Rebflächen wohl infolge der sich damals häufenden Germaneneinfälle reduziert worden zu sein, was gerade die Grabungen in Erden zu erkennen gaben, wo die Pressvorrichtungen verkleinert wurden. Trotzdem wird der Weinbau im Moseltal keineswegs zum Erliegen gekommen sein. Sicherlich zeichnet Venantius Fortunatus als einer der letzten römischen Dichter der Spätantike und späterer Bischof von Poitiers gegen Ende des 6. Jhs. ein realistisches Bild, wenn er zwischen Trier und Kobern Hügel mit grünendem Weinlaub oder zahlreiche durch Marken begrenzte Weinberge beschrieb: Qua vineta iugo calvo sub monte comantur (»Wo Weinberge belaubt aufstreben zu kahlen Berghöhen«); damit dürfte der Calmont bei Bremm, Europas steilster Weinberg, gemeint sein. Auch in der Umgebung von Andernach sah er dichte Reihen von Weinstöcken. Zwar sind merowinger- oder karolingerzeitliche Funde, die für das Moseltal Weinbau belegen könnten, noch dürftig, doch wird diese Lücke überzeugend durch erste urkundliche Quellen überbrückt.
Literatur
K.-J. Gilles, Bacchus und Sucellus – 2.000 Jahre Weinkultur an Mosel und Rhein, Briedel 1999.
K.-J. Gilles, Drei neue Weinkeltern von der Mittelmosel, in: Archäologie in Rheinland-Pfalz 2005, S. 84–88.
J. P. Hegner, Die Klassifikation der Moselweine in alter und neuer Zeit, in: Trierische Chronik I, 1905, S. 83ff.
M. König, Spätrömische Kelteranlagen an Mosel und Rhein - Ein Beitrag zur Wein- und Landwirtschaftsgeschichte, s. dieser Band, S. 68–79.
S. Martin-Kilcher, Die römischen Amphoren aus Augst und Kaiseraugst, in: Forschungen in Augst 7/2, 1994, S. 473–474.
L. Schwinden, Praepositus vinorum – ein kaiserlicher Weinverwalter im spätrömischen Trier, in: Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 28, 1996 (= Kurtrierisches Jahrbuch 36), S. 49–60.