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Forschungsergebnisse und Forschungsperspektiven

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Die Beiträge des vorliegenden Bandes präsentieren Ergebnisse aktueller Forschungen zur Mainzer Republik und verweisen zugleich auf Möglichkeiten künftiger Untersuchungen. Matthias Schnettger skizziert die Wege zur derzeitigen Verortung der Mainzer Republik in Wissenschaft und Geschichtskultur. Schon unter den Zeitgenossen umstritten, wurde sie lange Zeit marginalisiert und im Kontext der sog. deutsch-französischen Erbfeindschaft aus deutscher Perspektive allenfalls als Schandfleck wahrgenommen. Nach der Gründung zweier deutscher Staaten war sie Gegenstand heftiger politischer Kontroversen. Zugleich wurden aber auch die reichlich zur Verfügung stehenden Quellen in erheblichem Umfang erschlossen. So stellen die vom Ostberliner Historiker Heinrich Scheel in zwei Bänden herausgegebenen und kommentierten Protokolle der Jakobinerklubs (I, Berlin 1975) und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents (II, Berlin 1980) auch heute eine wichtige Grundlage für künftige Forschungen dar.53 Die Aussöhnung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich eröffnete die Möglichkeit, die Mainzer Jakobiner nicht mehr nur als Handlanger von Besatzern in den Blick zu nehmen. Seit den neunziger Jahren haben die wissenschaftlichen Debatten an Schärfe verloren, und zugleich wuchs die Bereitschaft zu einer positiveren Verortung der kurzlebigen Ereignisse links des Rheins. Dabei erweist sich bis heute für eine differenzierte Beurteilung die von Franz Dumont erarbeitete Einteilung der Abläufe von 1792/93 in drei Phasen als von grundlegender Bedeutung. Vor allem während der beiden letzten Phasen erscheint die Mainzer Republik im Kontext sich zuspitzender kriegerischer Ereignisse aus der Perspektive liberaler, rechtsstaatlicher und parlamentarischer Demokratien der Gegenwart als widersprüchlich und janusköpfig, wie auch jene Ereignisse, die wir unter der Chiffre der Französischen Revolution subsumieren. In Mainz kam es zu erzwungenen Eidesleistungen auf die oktroyierte Freiheit, zu Einschüchterungen, Schikanen und Plünderungen, zu gewaltsamen Repressionen und Vertreibungen, von denen auch viele jüdische Familien betroffen waren.54 Wolfgang Dobras verweist in seinem Beitrag auf ausgewählte Ereignisse der Mainzer Republik, deren archivalische Überlieferung sowie auf Felder künftiger Forschung. Die trotz Quellenverlusten umfangreichen erhaltenen Bestände bieten immer noch eine Reihe von auszuwertenden Schätzen, etwa noch nicht erschlossene Ego-Dokumente. Dobras analysiert vor allem die Überlieferungssituation zur Verwaltung der Mainzer Republik, zum Jakobinerklub und zu den Gemeinde- und Parlamentswahlen und betont, den in vieler Hinsicht experimentellen Charakter der Mainzer Republik. Weniger erforschten Themenfeldern ist ein weiterer Beitrag des Bandes gewidmet, der Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Kommunikation während der Mainzer Republik beleuchten. Immo Meenken zeigt, dass es in der politischen Publizistik der Mainzer Jakobiner ebenso wie in der publizistischen Reaktion der gegenrevolutionären Kräfte um die Propagierung der eigenen Sache und um Diffamierung des Gegners ging. Beide Lager nutzten jeweils auch dieselben medialen Kanäle wie Flugschriften und Periodika, Gedichte und Lieder. Die Vertreter des Ancien Régime zielten dabei auf Loyalität von Untertanen, die Mainzer Jakobiner dagegen auf politische Bewusstseinsbildung von Bürgern. In der ersten Phase der Mainzer Republik konstatiert Meenken zugleich eine „offene politische Diskurssituation“ und ein bemerkenswertes Bemühen um politischen Konsens. Die Begeisterung für die Ideale der Französischen Revolution auf der einen und deren Ablehnung auf der anderen Seite blieben aber nicht auf Mainz begrenzt, sondern erreichten auch die Bürger in Dörfern und Städten zwischen dem Mittelrhein und der Pfalz.


Abb. 9: Mainzer Republik, Stele, Schild.

Während in Mainz an die im 15. Jahrhundert untergegangene Stadtfreiheit erinnert und diese instrumentalisiert wurde, waren in der Freien und Reichsstadt Worms die Ideen der alten reichsstädtischen Freiheit, die gegenüber dem bischöflichen Stadtherrn im Verlaufe des Mittelalters erkämpft worden waren, weiterhin präsent und wirksam. Die städtische Verfassung privilegierte die lutherische Mehrheit, und die mit ihr verknüpften Ideen konkurrierten 1792/93 mit der neuen französischen Freiheit gleicher Bürgerrechte. Volker Gallé zeigt, dass trotz heftiger interner Konflikte zwischen Rat und Zünften die meisten Lutheraner für die alte Freiheit, die Minderheiten der Katholiken und Reformierten sowie eine Gruppe aufgeklärter Lutheraner für die neue Freiheit plädierten. Die Wormser Debatten wurden in der dortigen Lesegesellschaft vorbereitet. Deren Mitglieder kannten wichtige Publikationen der deutschen und elsässischen politischen Presse. Aufgrund der überkonfessionellen Zusammensetzung der Lesegesellschaft wurde die Idee gleicher Bürgerrechte im gesellschaftlichen Leben hier gleichsam vorweggenommen.

Nach ersten Protesten im September 1789 kam es im November 1792 zum Aufstand in der pfalz-zweibrückischen Oberamtsstadt Bergzabern. Gemeinsam mit mehr als 30 weiteren, vor allem kurpfälzischen Gemeinden sagte man sich von der Landesherrschaft los und beantragte die Aufnahme in die Französische Republik. Anders als in der Mainzer Republik spielten in der Südpfalz die französischen Truppen bzw. der Jakobinerklub (in Landau) eine untergeordnete Rolle. Die Aufständischen bedienten sich revolutionärer Symbolhandlungen und nutzten kommunalistische Elemente für ihre Selbstorganisation. Am 22. Januar 1793 gründeten die Insurgenten eine „besondere Republick“, am 15. März nahm der Nationalkonvent in Paris die Bergzaberner in die französische Republik auf.

Die Mainzer Republik sowie der rheinischdeutschen Nationalkonvent sind und bleiben Gegenstand aktueller Forschungen; auch für die Ereignisse in der Pfalz mit den Zentren Bergzabern und Landau werden Forschungslücken und damit Forschungsmöglichkeiten aufgezeigt. Eine der Exkursionen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz (IGL) im Jahre 2017 führte nach Königstein, wo in den Kellern der dortigen Festung 1793 tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der Mainzer Republik eingekerkert wurden. Um auf einen solchen noch wenig im Bewusstsein verankerten Erinnerungsort aufmerksam zu machen, können auch weitere Forschungen einen Beitrag leisten. So wurden die im Staatsarchiv Würzburg lagernden Akten von Sara Anil zu den Mainzer Gefangenen in einer Qualifikationsarbeit an der Mainzer Universität aufgearbeitet. Im vorliegenden Band publiziert sie Teilaspekte ihrer Forschungsergebnisse.55 Die kurzlebige Mainzer Republik zog keine unmittelbaren konkreten Folgen nach sich. Folgenreich waren aber jene 16 Jahre, in denen Mainz Teil Frankreichs wurde. Walter Rummel skizziert in seinem Beitrag die sich damals links des Rheins vollziehenden epochalen Umwälzungen. Anknüpfend an eigene Forschungen verweist er auf Ambivalenzen der damaligen Prozesse. Sie wurden einerseits geprägt vom freiheitlichen Erbe der Französischen Revolution und von den Errungenschaften napoleonischer Herrschaft. Andererseits wurden Grundlagen für ein bürokratisch-paternalistisch und etatistisch geprägtes Erbe gelegt, das bis heute nicht nur in Begriffen konserviert ist. Sich dieser Traditionen und Prägungen bewusst zu werden, ist auch aktuell bedeutsam. In Demokratien gelten das Prinzip der Selbstbestimmung der Bürger und die darauf gründende Akzeptanz von Regierungshandeln als substanzieller und unverzichtbarer Kern. Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen zählt die schwierige Ausbalancierung und Gewährleistung dieses Prinzips auf individueller, lokaler, regionaler, nationaler, europäischer und supranationaler Ebene zu den wichtigsten Aufgaben.56

1 Erweiterte und um ausgewählte Literaturhinweise ergänzte Fassung des einleitenden Tagungsvortrags vom 23. Oktober 2017.

2 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik am 18. März 2013. Platzumbenennung, Festveranstaltung, Ausstellung und Vortrag im Landtag Rheinland-Pfalz (Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz 59), Mainz 2014, S. 23–35.

3 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik 2014, S. 9f.

4 http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/­Downloads/DE/­Reden/2017/­10/171003-­TdDE-Rede-Mainz.pdf

5 http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/­DE/Reden/­2018/03/­180319-Mainzer-­Republik.pdf

6 Vgl. Funke 2007; Leppin 2010, S. 40ff.; Meier 2012.

7 Vgl. Meier 1997.

8 Veranstaltungen zum 220. Jahrestag der Ausrufung der Mainzer Republik am 18. März 2013 (wie Anm. 2), S. 9. Das Originalzitat lautet: „Zudem stehen uns die Jakobiner von 1792/93 mit ihrem Ziel einer repräsentativen Demokratie näher als alle Kurfürsten, Kaiser, Großherzöge und Generäle, die jemals das Deutschhaus bewohnten.“ Franz Dumont, 1993b, S. 558.

9 Vgl. Dumont 2013.

10 Vgl. Kölz 1996; Kölz 2006.

11 Vgl. die in Kürze erscheinende Studie von Erich Schunk sowie die Zusammenfassung von Michael Martin, in LpB (Hg), Blätter zum Land, Nr. 74.

12 Vgl. Kölz 1996, S. 105–107; Graber 2003; Adler 2006; Graber 2008; ders. 2013; ders. 2017.

13 Vgl. Schreiner 1980, S. 139f.; Schulz 1995; Blickle 2000; Milani 2005; Pauly/Lee 2015.

14 Vgl. Weber 1999, bes. S. 103ff., 124f.; Schreiner 1986. Vgl. zur These Webers in differenzierender und vergleichender Perspektive: Haverkamp 2012b.

15 Haverkamp 2012a.

16 Vgl. Spieß 1995; Cortonesi/Viola 2006; Johanek/ Freitag 2009; Irsigler 2012, S. 29–42; Matheus 2019.

17 Vgl. Nipperdey 1981.

18 Vgl. Schneider/Zimmermann 1990; Dartmann [u. a.] 2010; Stollberg-Rilinger/Krischer, 2010; Serena Ferente [u. a.] 2018.

19 Toch 2013, S. 18; Vgl. Haverkamp 2015, http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2015/916/pdf/Jews_German_Kingdom.pdf

20 Vgl. Cluse 2002; Berkessel u. a. 2016a.

21 Vgl. Meier/Schreiner 1994.

22 Vgl. Czok 1988; Haverkamp 2002; Moraw 1998; Ehbrecht 2001; Kannowski 2001; Hergemöller 2012; Johanek 2012; Schneider-Ferber 2014.

23 Vgl. Matheus 1999.

24 Vgl. Boockmann, 2000; Gerhard Fouquet 1996.

25 Vgl. Maire Vigueur 2000; ders. 2013.

26 Vgl. Schilling 1988; Mörke 1991; Schlögl 2004; Rogge 2004; Fouquet 2016.

27 Isenmann 2014.

28 Schilling 2004, S. 40.

29 Vgl. Sprenger 2000; Dobras, 2014, bes. S. 69ff.

30 Vgl. Weinfurter 2014.

31 Vgl. Matheus 1995; Hehl 2010a; Hehl 2010b.

32 Forster, Ansichten 2016, bes. S. 26, 149–177.

33 Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein, mit einem Vorwort von Jürgen Goldstein, Nachdruck der Ausgabe von 1793, Berlin 2016, bes. S. 26, S. 149–177; Sarkowicz 1998; Blickle 2012; Graber 2003.

34 Vgl. die in Kürze erscheinende Studie von Erich Schunk

35 Vgl. Brunner, 1931; Mitteis 1976; Werner 1976; Schwarz 2008; Irsigler 2011.

36 Vgl. Duchhardt 2010, bes. S. 27ff., 44f., 53ff.

37 Vgl. Blickle 1993; Press 1993; Füssel/Weller 2005.

38 Schaab 1843–45; Mötsch/Dollwet 1998; Lehnert 1998; Lehnert 2011.

39 Preuß 1906, S. 5; vgl. Lehnert 1998 Lehnert 2011.

40 Vgl. Nora/François 2005; François/Schulze 2008; Boer u. a. 2012; Felten 2015.

41 Vgl. Matheus 2015.

42 Dumont 1999, S. 334.

43 Vgl. Scheel 1984, S. 105f. Georg Forster wies die Errichtung des Gerichtssteins Erzbischof Diether von Isenburg zu, ebd. S. 105. Vgl. auch die Darstellung der Vorgänge aus der Feder eines Gegners der Mainzer Jokobiner: Anton Hoffmann, Darstellung der Mainzer Revolution oder umständliche und freymüthige Erzehlung aller Vorfallenheiten, so sich seit dem entstandenen französischen Revolutionskrieg zugetragen, und die einen Bezug auf den Krieg, auf die Uebergabe der Festung, oder auf den Klub und dessen grausames Verfahren gegen die anders Gesinnte haben; mit allen nöthigen Beylagen, 3. Heft, Frankfurt [u. a.] 1793, XLV. Kapitel, S. 190–200.

44 Scheel 1984, S. 424.

45 Vgl. Sprenger 1999.

46 Vgl. Rebenich 2002.

47 Vgl. Albertz 2006.

48 Die Inschriften wurden schon 1806 wieder entfernt.

49 Vgl. Arens 1985, Nr. 2132, S. 124f.; Heinz 2006; Dobras 2014, S. 75.

50 Vgl. Matheus, 2015. Vgl. allgemein: Nagel 1971; Albrecht 2004; Pils u. a. 2012.

51 Vgl. Grathoff/Rettinger 2013; Jahn/Rettinger 2013; Felten 2015b; Ochs/Zeilinger 2018.

52 „Aufstieg der Mainzer Republik zum (umstrittenen) Mainzer Erinnerungsort.“ Vgl. den Beitrag von Matthias Schnettger in diesem Band.

53 Das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. (IGL) digitalisiert zurzeit diese Protokolle und stellt sie dann auf seiner Homepage allen Interessierten kostenlos zur Verfügung.

54 Vgl. Schütz 1993; Hausmann 2016 S. 16f.

55 Die Forschungsergebnisse von weiteren, unterdessen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz entstandenen Bachelor- und Masterarbeiten wurden am 22. März 2018 unter der Überschrift „Nouvelles de la République de Mayence“ in den Räumen des Mainzer Stadtarchivs vorgestellt.

56 Zur aktuellen Diskussion um die Bedeutung von Selbstbestimmung und zur Rolle von „kleineren Einheiten“ aus der Sicht der Staatsrechtslehre vgl.


Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland

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