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Merkels Land IV. Die deutsche Gewerkschaft:
„Das Stärkste, was die Schwachen haben“

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Aus der Sicht der maßgeblichen deutschen Politiker gibt es keine offenen sozialen Fragen im Lande: Sie bewirtschaften sie schließlich. Darin wissen sie sich dermaßen einig mit denjenigen, deren soziale Fragen sie bewirtschaften, dass sie den Grad der Zufriedenheit erheben lassen und in einem Bericht zur Lebensqualität unter dem Titel „Gut Leben in Deutschland“ veröffentlichen. Für deutsche Gewerkschaften ist mit alldem die ‚Soziale Frage‘ allerdings keineswegs erledigt; sie meinen sogar, sie selbst in die Hand nehmen zu müssen. In den Worten von IG-Metall-Chef Hofmann:

„Ins Regelwerk eingreifen, Arbeitsbedingungen verbessern – das schaffen wir 1891 und 2016 nur aus einem einzigen Grund: weil wir uns freiwillig zusammentun und weil wir solidarisch handeln... Und Solidarität lebt von einer Einsicht, die 1891 genauso gültig war wie heute. Das gute Leben für jeden Einzelnen ist nur möglich, wenn gemeinsam für dieses gute Leben gekämpft und gestritten wird.“

Einer deutschen Gewerkschaft ist auch im 21. Jahrhundert absolut klar, dass die Belange der Lohnabhängigen unter die Räder kommen, wenn sie mit den Arbeitgebern des Landes und ihrem Interesse an immer mehr Leistung zu möglichst niedrigen Lohnkosten alleine gelassen werden, sprich: wenn ‚unternehmerische Willkür‘ herrscht. Ein kämpferischer Eingriff in das herrschende Regelwerk und die Arbeitsbedingungen ist unbedingt nötig, mit ihm aber – dies die gute Nachricht – ein ‚gutes Leben‘ auch möglich: als Resultat kontinuierlicher, kämpferisch durchgesetzter Korrekturen dieser Arbeitsbedingungen. Den nötigen Kampf müssen seine Nutznießer in spe freilich auch führen und ‚Solidarität‘ an den Tag legen, statt sich immer nur als ‚Einzelkämpfer‘ jeder nach seiner Decke zu strecken – und dies ist der eher nicht so gute Teil der Nachricht: Mit seinem Appell trägt der oberste IG-Metaller der mit Blick auf die Mitgliederstatistik unübersehbaren Tatsache Rechnung, dass die abhängig Beschäftigten in ihrer übergroßen Mehrzahl von ihrem großartigen, in grauer Vorzeit und unter großen Opfern erstrittenen Recht, für die Erträglichkeit der eigenen Lebensbedingungen kollektiv streiten zu dürfen, wenig wissen wollen. Die Sorgen und Nöte, die zweifellos alle mit ihrer Einkommensquelle haben, hat in dieser Republik eben vorrangig jeder für sich. Und sehr zum gewerkschaftlichen Verdruss bewältigt sie vorrangig auch jeder für sich mit den Mitteln, die ihm dafür zur Verfügung stehen, und kümmert sich auf eigene Faust darum, seine notorisch unsichere Lage möglichst sicher zu machen und seine notorisch knappe Kasse möglichst gut zu füllen, um nebenbei in dieser nicht enden wollenden Anstrengung noch seinen ganz persönlichen Lebensentwurf unterbringen zu können. Gegen diese Praxis moderner Proletarier, sich als individuelle ‚Marktteilnehmer‘ aufzuführen, gegen diese Konkurrenz der Lohnabhängigen gegeneinander um ihr jeweils eigenes Fortkommen setzen deutsche Gewerkschaften die Einsicht, dass genau dafür diese Praxis auch immer wieder einmal unterbrochen und die Arbeiterschaft gemeinsam, als gewerkschaftliches Kollektiv um die ‚Marktbedingungen‘ streiten muss.

GegenStandpunkt 1-17

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