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Die „Arbeitswelt von morgen“ und die Gewerkschaft schon heute: „flexibel“

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Um soziale Sicherheit für alle Arbeit zu gewährleisten und speziell die der Zukunft in Richtung ‚Gute Arbeit‘ zu steuern, reicht es heute aber nicht mehr aus, auf Mindestrechten und ihrer Einhaltung zu bestehen. Denn „die Digitalisierung bedeutet einen revolutionären Umbruch – zurück zu einer Individualisierung und Vereinzelung der Arbeitnehmerschaft. Die Arbeiter von heute, das sind immer mehr Soloselbstständige, Click- und Crowdworker, oft ohne jede Rechte. Mit diesen Umwälzungen in der Arbeitswelt verändert sich auch die Rolle der Gewerkschaften. Gerade ihnen kommt eine Schlüsselfunktion bei der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen zu.“ Um einen tieferen Einblick in die Umwälzungen zu bekommen, die „die Digitalisierung“ in Gestalt tätiger Unternehmensleitungen so mit sich bringt, erhebt die Gewerkschaft eigens Fakten zum ‚digitalen Prekariat‘ und stellt fest: Es gibt weder feste Arbeitszeiten noch Urlaubsanspruch oder Kündigungsschutz; mit bis zu 80 Stunden Arbeit 4.0 in der Woche kommt man auf durchschnittlich 1500 € im Monat, und in Bezug auf „unser Sozialversicherungssystem“ ist ein Totalausfall namens „Schutzlücke“ zu vermelden. Erwartungsgemäß herrscht auch in dieser Sphäre der Arbeitswelt alles andere als Zufriedenheit, was aber noch lange keinen Ruf nach der Gewerkschaft erschallen lässt. Dem stehen nicht nur die individualisierten Beschäftigungsformen entgegen, sondern auch die Beschäftigten selbst, die es sich als persönliche Freiheit zurechtlegen, das vorgegebene Arbeitspensum individuell um die sonstigen Notwendigkeiten des Alltags herum gruppieren zu können.

Durch diesen repräsentativen Vorgeschmack auf die „Arbeitswelt von morgen“ sehen sich die Gewerkschaften als ordnungspolitische Kraft im Land herausgefordert. Den neuen Gegebenheiten gilt es mit „anspruchsvollen neuen Formen von Regulierung“ zu begegnen, mittels derer der Staat nicht weniger als den „Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Betriebsbegriff“ neu zu definieren hat – i.e. den Fortschritten der Unternehmenspraktiken anzupassen, die diese Begriffe im Sinne eines arbeitsrechts- und gewerkschaftsfreien Umgangs mit der Arbeit längst umdefiniert haben. Die Soloselbständigen müssen als moderne Ausprägung der Spezies Arbeitnehmer definiert werden, wenn das Arbeitszeitgesetz und der Kündigungsschutz überhaupt für sie gelten sollen; die Auftraggeber von zahllosen Mini-Sub-Unternehmern müssen als Arbeitgeber definiert werden, um auf Fürsorgepflichten wie Sozialversicherungsbeiträge festgelegt werden zu können; die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse müssen als eine Sorte Betrieb definiert werden, wenn die betriebliche Mitbestimmung als Element einer wirksamen Arbeitnehmervertretung greifen soll. Kurzum: Was den Arbeitnehmern fehlt, sind die elementaren Voraussetzungen der Schutzrechte, die sie unbedingt brauchen.

Gleichzeitig fehlen der Gewerkschaft die Voraussetzungen, ihre beanspruchte Schlüsselfunktion bei der Gestaltung dieser schönen neuen Arbeitswelt auch tatsächlich ausüben zu können. Wie gut, dass der Adressat ihrer Bewerbung um diese Gestaltungsrolle ein offenes Ohr hat: Auch die Kollegin Nahles (IGM) ist schließlich schwer für den „Erhalt und Ausbau Guter Arbeit“, von der der deutsche Staat so gut lebt. Wenn sie in ihrer Funktion als Arbeitsministerin zu diesem Zweck in ihrem „Grünbuch Arbeiten 4.0“ die Frage stellt: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?“ und den DGB dazu ausdrücklich konsultiert, lässt man sich dort nicht zweimal bitten: „Die Digitalisierung braucht Regeln, damit die Technik dem Menschen dient und nicht der Mensch der Technik.“ Das heißt allerdings, dass Technik und Mensch als Erstes dem Profit dienen müssen, für dessen Produktion beide überhaupt nur zum Einsatz kommen. Als selbstverständliche Bedingung der „fairen Teilhabe an den Vorteilen der Digitalisierung“ müssen die Unternehmen die Chancen voll ausnutzen können, die für sie aus einem flexibleren Einsatz der Arbeitskräfte gemäß ihren Geschäftsbedürfnissen in Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Verwaltung entstehen. Ganz folgerichtig ist es diese und keine andere Flexibilität, aus der man beim DGB Chancen für die Beschäftigten zu verfertigen gedenkt: ein selbstbestimmter Arbeitsbeginn am Morgen, damit der Nachwuchs noch in die Kita gebracht werden kann, das Aufhäufen von unbezahlten Überstunden zu einem Sabbatical, Home-Office am Abend, wenn die Familie Ruhe gibt, und was der arbeitnehmerfreundlichen Ideen mehr sind, die sich an die Auflösung fester Arbeitszeiten knüpfen. Geradezu beispielhaft, was dem obersten Gewerkschafter unter der Rubrik „neues Verständnis der Arbeitszeit“ als gewerkschaftlicher Beitrag einfällt, um „tarifvertraglich gesichert ... mehr persönliche Wahlfreiheit“ zu schaffen: „Warum sollte es für Schichtarbeiter beispielsweise nicht auch Teilzeit geben?“ Ja, warum eigentlich nicht? Eine andere als die vorfindliche Arbeitswelt 4.0 gibt es nun einmal nicht, um in ihr den „Menschen in den Mittelpunkt“ zu stellen. Und um ihn dorthin zu stellen, um aus einem „einseitigen Instrument im Sinne der Unternehmen“ „Arbeitszeitsouveränität“ im Sinne der Beschäftigten zu machen, liegt mit der betrieblichen Mitbestimmung schon ein maßgeschneidertes Instrument vor. Mit dessen Erweiterung auf die Arbeitswelt 4.0 ist die demokratisch-selbstbestimmte Berücksichtigung der Belange der Mitbestimmenden schließlich definitionsgemäß gewährleistet und für eine moderne Arbeitervertretung das Aufgabenfeld präpariert, dessen Bewirtschaftung ein Gutteil ihrer „veränderten Rolle“ ausmacht: Wenn heutzutage die „Flexibilitätskompromisse“ nun einmal vor Ort im z.T. erst noch zu definierenden Betrieb und nach dessen Notwendigkeiten geschlossen werden, gilt es eben die Interessen der Betroffenen so zu wahren, wie sie da hineinpassen. Für die fällige gesetzliche Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung braucht es natürlich wieder gute Gründe, nämlich einen Nutzen der entscheidenden gesellschaftlichen Instanzen aus der „Innovationskraft“ ihrer Belegschaften: „Wer mitbestimmt, ernst genommen und wertgeschätzt wird, ist motiviert und nutzt mit seinen Ideen, die er in den Betrieb einbringt, auch dem Unternehmen.“ So billig, mit ideellem Lohn für ihre Beschäftigten, wäre materieller Nutzen für die deutschen Unternehmen zu haben. Falls das nicht überzeugt: Mit dem mitbestimmten, also sozialfriedlich organisierten Lohnverzicht ist Deutschland bekanntlich mit ganz vielen geretteten Arbeitsplätzen gestärkt aus der Krise gekommen!

In solchen Zukunftsfragen verzeichnet der DGB aktuell einige Erfolge. Die Bundesregierung hat sich sogar dem Ziel verschrieben, die Tarifbindung insgesamt wieder auszuweiten, und hat die Stärkung der ‚Sozialpartnerschaft‘ zur Zutat aller Reformen erhoben, die der deutschen Industrie den zukünftigen Erfolgsweg pflastern sollen. Dass der Staat, nach dessen Macht die Gewerkschaften so dringend rufen, für ihre Beteiligung dann auch seine Kriterien des standortpolitischen Nutzens vorgibt, ist auch hier im Preis enthalten: Noch flexiblere Anwendung der Leiharbeit als sie die gesetzliche Neuregelung ohnehin erlaubt? Können die deutschen Unternehmen haben – aber nur sozialfriedlich qua Tarifvertrag. Solche „Tarifpolitik vom Feinsten“ (Nahles) ist ein erster Schritt in Richtung der „ausgehandelten Flexibilität“, zu der auch die Abweichung vom „als starr geltenden“ Arbeitszeitgesetz gehören soll. Die politisch beförderte „Privilegierung“ der Tarifpartnerschaft ist für die Gewerkschaften um den Preis zu haben, den sie – bei aller Differenz im Detail – auch selbst im Angebot haben: ihre Beteiligung an dem großen „Flexibilitätskompromiss“, den der deutsche Standort braucht. Die Politik nötigt deutsche Gewerkschaften damit zu nichts, was ihnen fremd wäre: In ihrem unermüdlichen Dienst an den Arbeitnehmern wollen und müssen sie schließlich die Instrumente gestalten, die Beschäftigung sichern, also auch so, dass sie sie sichern – in der deutschen „Arbeitswelt von morgen“.

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