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Krankheiten

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Hunger und Not wurden ab dem Winter 1916/​17 so groß, „dass in den Kranken- und Unfallziffern die Abnahme der körperlichen Kraft und Widerstandsfähigkeit des Volkes zum erschreckenden Ausdruck kam.“36 Dies hatte bei der Grippeepidemie 1918 verheerende Folgen: Die Zahl der Krankheitstage pro Mitglied der Betriebskrankenkasse verdoppelte sich gegenüber 1913.37 Diese dramatische Entwicklung dürfte bei den anderen Industriebetrieben in Oberhausen ganz ähnlich gewesen sein. Und von der Statistik nicht erfasst sind mehrere Tausend Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, deren Gesundheitszustand bestimmt nicht besser war.


Abb. 5: Die zerstörte und von GHH wieder aufgebaute Brücke bei Anhée

Der Hunger wurde von der Konzernleitung teilweise auch für die Disziplinierung der Arbeiterschaft instrumentalisiert. Paul Reusch ließ ganz gezielt Speckzuteilungen zur Beruhigung und Streikvermeidung in seinen Betrieben einsetzen. Solange ihm seine Untergebenen die Lage im Revier als ruhig beschrieben, ordnete er an, den Speck zurückzuhalten. Für seine Korrespondenz benutzte er ganz stilvoll den Kopfbogen des „Russischen Hofes“ in Berlin – eines Hauses, das sich auch in diesen Steckrübenwintern seiner „anerkannt vorzüglichen Küche“ rühmte. Dann aber drängte Direktor Woltmann, Reuschs Stellvertreter im GHH-Vorstand, u. a. zuständig für die betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen: „Die Sonderzuteilung von Speck ist den Bergarbeitern in der vorigen Woche aufgrund unserer Besprechung zugesagt. Diese Zuteilung bildete eins der Mittel, um die Arbeiterschaft in dieser Woche ruhig zu halten. Wir müssen daher den Speck unbedingt in dieser Woche verteilen.“ Erst danach gab Paul Reusch aus Stuttgart telegraphisch grünes Licht: „Speckverteilung kann vorgenommen werden. Preisfrage ist offen zu lassen.“ In einem unmittelbar folgenden Brief machte er klar, dass der Speck „zum Höchstpreise abzugeben“ sei.38


Abb. 6: Hindenburg an der Memelbrücke bei Kowno „Die letzte versilberte Schraube wurde von ihm eigenhändig angezogen.“

Die Methode der Zurückhaltung bzw. Zuteilung von Speck wurde im April 1917 bei Unruhen auf den Zechen Osterfeld und Jacobi eingesetzt. Auf den Jacobi-Schächten fuhren am 16. April 1917 von 486 Mann 251 Bottroper nicht an. Grund war die Tatsache, dass in Bottrop, wo am 15. April eine Verringerung der Brotzuteilung in Kraft getreten war, den Bergleuten die ursprünglich zugesagten Zusatz-Lebensmittel verweigert wurden. Am 17. April schlossen sich die Osterfelder Kumpel auf Jacobi dem Streik an. Einen Tag später fuhr die ganze Be-legschaft wieder an. An diesem 18. April trat aber ein Teil der Bergleute auf der benachbarten Zeche Osterfeld in Streik. Auch hier stand die Forderung nach ausreichender Verpflegung ganz oben. In Verhandlungen mit dem ▶ Arbeiterausschuss erreichte die Zechenleitung, dass die Arbeiter den Streik am 19. April beendeten. Jetzt war der Funke auf die Zeche Sterkrade übergesprungen. Eine Belegschaftsversammlung forderte dort am 20. April 1917 eine 30-prozentige Lohnerhöhung und mehr Lebensmittel. Auf Hugo in Sterkrade wurden an diesem Tag die gleichen Forderungen gestellt.39

Im Juni und im September 1917 streikten die Arbeiter des Walzwerks Neu-Oberhausen, um „eine 100%ige Zulage für Sonntagsarbeit zu erhalten“. Die Arbeitskämpfe zogen sich lange hin. Die GHH-Direktoren, zweifellos in vollem Einvernehmen mit Paul Reusch, fuhren jetzt eine ganz harte Linie: Wer streikt, kommt an die Front. Woltmann berichtete im November 1917 vom Besuch eines Offiziers, der ihm die Überlegungen des Generalkommandos bezüglich der Einberufung streikender Arbeiter mitteilte. Die Militärs zögerten anscheinend, bevor sie eine so harte Maßnahme durchführten. Woltmann vertrat demgegenüber den „Standpunkt, […] dass eingezogen werden muss“.40

Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 3

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